Familienrecht

Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Aktenzeichen  L 11 AS 888/16 B ER

Datum:
9.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 177, § 193

 

Leitsatz

1. Für die Anfechtung eines Vergleichs muss die vorgeworfene arglistige Täuschung nachgewiesen werden.
2 Ein gerichtlicher Vergleich, in welchem Regelungen getroffen werden, die der Klärung bis dahin nicht feststehender Tatsachen dienen, kann nicht wegen arglistiger Täuschung angefochten werden, wenn sich diese nicht feststehenden Tatsachen nachträglich als nicht gegeben erweisen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 AS 788/16 ER 2016-11-16 Bes SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.11.2016 – S 14 AS 788/16 ER – wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

I. Streitig ist, ob das Verfahren S 14 AS 680/16 ER durch Vergleich erledigt ist. Die Antragsteller (Ast) beantragten am 15.08.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie gaben an, in A-Stadt in einem ihnen gehörenden Haus zu wohnen. Dem Ast zu 1. gehöre ein weiteres Haus in B-Stadt. Die Ast zu 2. sei zu 1/13 Miterbin einer Eigentumswohnung. Das Wohnhaus in A-Stadt sei renovierungsbedürftig. Warmes Wasser gebe es dort nicht. Lediglich in B-Stadt sei warmes Wasser vorhanden, man wohne dort aber nicht. Eine Ortsbesichtigung durch zwei Personen werde abgelehnt.
Mit Bescheid vom 01.09.2016 lehnte der Antragsgegner (Ag) die Bewilligung von Alg II wegen vorhandenen Vermögens ab. Die Häuser seien verwertbar. Dagegen erhob der Ast zu 1. Widerspruch. Er gab an, in B-Stadt zu wohnen. Nach Rückruf der Ast zu 2. bewilligte der Ag mit Bescheid vom 08.09.2016 Alg II für die Zeit vom 01.08.2016 bis 31.10.2016 darlehensweise. Eine sofortige Verwertung der Immobilien sei nicht möglich. Eine weitere Bewilligung werde von einer dinglichen Sicherung des Darlehens abhängig gemacht. Kosten der Unterkunft würden allerdings nicht bewilligt, da ein Wohnen in A-Stadt nicht nachvollziehbar sei. Es gebe keine Küche und kein Bad. Dagegen legten die Ast Widerspruch ein. Sie begehrten die Leistungen als Zuschuss und zudem die Zahlung von Unterkunftskosten. Sie hätten bereits vor dem Erwerb des Hauses in B-Stadt im Haus in A-Stadt gewohnt. In A-Stadt sei zwar keine Küche, aber es seien Kochplatten vorhanden. Zum Duschen gehe man in das Haus in B-Stadt. Die Immobilie in A-Stadt sei nicht verwertbar.
Bereits am 05.09.2016 haben die Ast einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Bayreuth (SG) begehrt. Die Immobilien seien wenig wert und auch nicht verwertbar. Das Haus in A-Stadt werde von ihnen selbst genutzt. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 10.10.2016 hat der Ast zu 1. erklärt, bei der Angabe, in B-Stadt zu wohnen, habe es sich um ein Missverständnis gehandelt. Sie wollten dann in B-Stadt wohnen, wenn die Immobilie in A-Stadt verkauft sei. In A-Stadt würden sie Wasser auf Kochplatten erhitzen, zum Duschen führen sie nach B-Stadt. Kleidung gebe es in beiden Häusern. Überwiegend hielten sie sich in A-Stadt auf. Interessenten für die Immobilie in A-Stadt gebe es nicht. Die Beteiligten schlossen daraufhin folgenden Vergleich:
1. Der Ag gewährt den Ast im Zeitraum 01.08.2016 bis 31.01.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, Kosten der Unterkunft und Heizung für das Anwesen A-Stadt, sowie Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung als Beihilfe.
2. Die Ast erklären sich bereit, dem Außendienst des Ag die Besichtigung des Anwesens in der A-Straße in A-Stadt zu erlauben.
3. Die Ast treten vorsorglich im Falle einer nachträglichen Pflichtversicherung die Beiträge zur freiwilligen KVPV an den Ag ab.
4. Der Ag erstattet den Ast 4/5 deren außergerichtlichen Kosten für das ER-Verfahren und die vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens.
5. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit diesem Vergleich das Verfahren S 14 AS 680/16 ER sowie das Widerspruchsverfahren betreffend den Darlehensbescheid vom 08.09.2016 im vollen Umfang erledigt ist. Der Vergleich ist den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden.
Am 27.10.2016 hat der Ag den Vergleich wegen arglistiger Täuschung angefochten. Bei der Besichtigung der Wohnung durch den Außendienst am 26.10.2016 sei festgestellt worden, dass die Ast nicht in A-Stadt wohnten. Es gebe keine eingerichtete Küche und es seien nur ungenutzte Möbel des Vorgängers vorhanden. Die behaupteten Kochplatten seien nicht vorzufinden gewesen. Lediglich eine Mikrowelle und ein Pizzaofen mit kleineren Küchenutensilien seien vorhanden. Lebensmittel – außer Kaffeepads und Bier – habe es nicht gegeben. Gegessen werde angeblich beim Imbiss. Die einzige funktionierende Wasserstelle finde sich in der Toilette im Treppenhaus. Im Dachgeschoss gebe es zwei Schlafgelegenheiten. Toilettenartikel, Handtücher und persönliche Gegenstände seien nicht vorhanden, es hätten nur ein paar Jacken an einem Kleiderständer gehangen. Die Heizungsanlage sei defekt. Da auch ein Wohnen in B-Stadt von den Ast verneint werde, gebe es keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Ag. In den beigefügten Außendienstberichten selbst wird zudem ausgeführt, dass ein Schminktisch mit dazugehörigem Material und einige Kartons – zum Inhalt finden sich keine Angaben – vorhanden gewesen seien. Es gebe eine Wohnwand und eine Essecke mit Tisch. Auf dem Bett bzw. der Matratze habe sich Bettzeug befunden. Die angegebene Kochplatte sei „abgebaut“ worden. Renovierungsarbeiten seien erkennbar.
Das SG hat mit Beschluss vom 16.11.2016 festgestellt, dass der Rechtsstreit mit Abschluss des Vergleiches vom 10.10.2016 beendet worden sei. Der Vergleich sei ordnungsgemäß und wirksam zustande gekommen. Die Beteiligten hätten über den Gegenstand des Verfahrens verfügen können. Ein gegenseitiges Nachgeben läge vor. Der Vergleich sei auch materiell-rechtlich wirksam. Der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt entspreche der Wirklichkeit. Nicht als feststehend zugrunde gelegt waren jedoch die Wohnverhältnisse in A-Stadt; diese sollten ja gerade durch eine Ortsbesichtigung geklärt werden. Der Vergleich könne auch nicht wegen arglistiger Täuschung angefochten werden, denn die Ast hätten keine unzutreffenden Angaben gemacht; dass es sich um eine problematische Wohnsituation handele, hätten die Ast nie bestritten. Diese Wohnsituation sollte aber gerade durch die Ortsbesichtigung geklärt werden und dann Auswirkungen auf eine Bewilligung für die Zukunft haben. Die Kochplatten, die der Ast zu 1. im Termin vom 10.10.2016 angegeben habe, seien noch vorhanden, allerdings „abgebaut“ gewesen. Wann diese zuletzt benutzt worden seien, lasse sich nicht nachvollziehen.
Dagegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Die Ast hätten im Termin vom 10.10.2016 falsche Angaben gemacht. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätte der Ag den Vergleich nicht geschlossen. Die Ast hätten angegeben, in A-Stadt zu wohnen. Dies treffe nach dem Außendienstbericht nicht zu. Die Ast zu 2. haben einen weiteren Nebenwohnsitz.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Ag sowie den Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verfahren S 14 AS 680/16 ER ist nicht fortzusetzen; der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 10.10.2016 beendet worden. Eine Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung bleibt ohne Erfolg. Der Vergleich ist von den Beteiligten wirksam geschlossen worden. Er ist diesen vorgelesen und von diesen genehmigt worden. Diesbezüglich wird gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen des SG Bezug genommen. Der Vergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Auch diesbezüglich wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen. Die vergleichsweise Regelung wurde gerade deswegen getroffen, weil zur Klärung der Frage, wo die Ast wohnen, eine Ortsbesichtigung für erforderlich gehalten wurde. Bei Vergleichsabschluss war ein gewöhnlicher Aufenthalt in A-Stadt nicht geklärt, sondern sollte erst durch einen Besuch des Außendienstes geklärt werden. Die Ast haben auch keine falschen Angaben gemacht, denn die angegebenen Kochplatten waren laut Außendienstbericht vorhanden, jedoch „abgebaut“. Es ist daher nicht ersichtlich, welche falschen Angaben die Ast zu ihrem Aufenthalt in A-Stadt gemacht haben sollen. Die von diesen hierzu angegebenen Tatsachen sind bisher nicht widerlegt worden.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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