Familienrecht

Zuweisung einer Ehewohnung anlässlich der Scheidung – Analoge Anwendung des § 1568a Abs. 6 BGB auf den Anspruch auf Wohnungszuweisung nach § 1568a Abs. 1 BGB

Aktenzeichen  2 UF 154/16

Datum:
3.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2017, 703
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 1568a Abs. 1, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Nach der gesetzgeberischen Intention soll in den Fällen der Wohnungszuweisung nach § 1568 a BGB anlässlich der Scheidung ausschließlich ein Mietverhältnis begründet werden. (amtlicher Leitsatz)
2. Dieser Anspruch auf Eintritt oder Begründung eines Mietverhältnisses erlischt nach § 1568 a Abs. 6 BGB jedoch innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung. (amtlicher Leitsatz)
3. Da der Gesetzgeber eine Koppelung von Überlassung und Änderung bzw. Begründung eines Mietvertrages beabsichtigt hat, ist es nur folgerichtig und konsequent, dass auch der Anspruch auf Überlassung der Wohnung nach Ablauf von einem Jahr nach Rechtskraft der Scheidung erlischt. (amtlicher Leitsatz)
4. Es wäre systemwidrig, das Verlangen zur Überlassung der Wohnung mit der alleinigen Rechtsfolge der Begründung eines Mietvertrages nur innerhalb eines Jahre nach Rechtskraft nach Scheidung zuzulassen, demgegenüber aber das Verlangen nach Überlassung der Wohnung ohne jegliche Rechtsgrundlage und Sicherheit für die Beteiligten noch nach Ablauf einer längeren Frist zu gestatten. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 F 222/16 AG 2016-05-31 Bes AGFORCHHEIM AG Forchheim

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht – Forchheim vom 31.05.2016 aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin, ihr das Anwesen H. in N. zur alleinigen Nutzung zu überlassen und die Wohnung zu räumen und herauszugeben, zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz zu tragen.
3. Der Verfahrenswert wird in erster und zweiter Instanz auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I. Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute und streiten um die Zuweisung der ehemaligen Ehewohnung im gemeinsamen Hausanwesen in N. anlässlich der Scheidung.
Mit Scheidungsendbeschluss vom 04.12.2014, rechtskräftig seit 04.12.2014, wurde die Ehe der Beteiligten durch das Amtsgericht Forchheim im Verfahren 2 F 411/14 geschieden.
Die Eheleute sind Miteigentümer des Anwesens H. in N.. Die Antragstellerin lebt gemeinsam mit der 2004 geborenen gemeinsamen Tochter in der Wohnung im Erdgeschoss. Der Antragsgegner bewohnt das Obergeschoss, welches derzeit nur über das Wohnzimmer der Antragstellerin zugänglich ist.
Die Antragstellerin begehrt daher in erster Instanz die Zuweisung des gesamten Anwesens H. zur alleinigen Nutzung und die Räumung des Anwesens durch den Antragsgegner.
Die gemeinsame Tochter M. der Antragstellerin und des Antragsgegners besucht derzeit das C.-Gymnasium in E.. Seit der 2. Klasse wohnt sie in N., zuvor hat sie dort bereits den Kindergarten und die Grundschule besucht.
Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass die Tochter M. in N. ihren gesamten Freundeskreis habe. Es sei nahezu unmöglich im dortigen Umfeld eine neue Wohnung zu finden.
Ferner habe die Antragstellerin die Wohnung im Erdgeschoss saniert. Die Räume im Obergeschoss seien an sich in einem unbewohnbaren Zustand.
Die Antragstellerin beantragt daher in erster Instanz mit am 06.04.2016 eingegangenem und am 13.04.2016 dem Antragsgegner zugestellten Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten, das Anwesen H. in N. der Antragstellerin zur alleinigen Nutzung zu überlassen. Ferner beantragte sie, dass der Antragsgegner die Wohnung unter Mitnahme seiner persönlichen Sachen bis spätestens 29.02.2016 zu räumen und an die Antragstellerin herauszugeben habe.
Der Antragsgegner beantragte erstinstanzlich, den Antrag der Antragstellerin auf Zuweisung der Ehewohnung/Ehehaus zurückzuweisen und berief sich im Wesentlichen darauf, dass der Antragsgegner über einen von ihm beauftragten Architekten bereits die Genehmigung von einer Dachgaube nebst Außentreppe beantragt hätte. Nach Installierung einer Außentreppe könnte das Haus nach dem WEG geteilt werden. Die Genehmigungsmitteilung des Landratsamtes Forchheim vom 27.04.2016 wurde sodann im Laufe des Verfahrens mit Schriftsatz vom 04.05.2016 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Das Amtsgericht beteiligte das Landratsamt Forchheim, Amt für Jugend, Familie und Senioren, das mit Schreiben vom 23.05.2016 Stellung nahm und im Wesentlichen die Einschätzung vertrat, dass es auf Dauer für die Entwicklung des Kindes M. nicht zuträglich sei, dass es im Spannungsfeld der Eltern lebe. Insoweit wird auf dem Jugendamtsbericht vom 23.05.2016 Bezug genommen.
In nicht öffentlicher Sitzung vom 31.05.2016 hörte das Amtsgericht die Antragstellerin und den Antragsgegner persönlich an.
Mit Endbeschluss vom 31.05.2016 wies das Amtsgericht die in dem Hause H. in N. gelegene Ehewohnung der Antragstellerin zur alleinigen Benutzung zu. Ferner wies es den Antragsgegner an, die Ehewohnung bis 31.07.2016 zu räumen und an die Antragstellerin herauszugeben.
Das Amtsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die gemeinsame Tochter M. ihren Lebensmittelpunkt bei der Kindsmutter habe, vor Ort die örtliche Schule besuche und soziale Kontakte geknüpft habe.
Es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin vor Ort keine geeignete Wohnung finden könne und damit das Kind aus seinem sozialen Umfeld gerissen würde. Dies sei mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Forchheim vom 31.05.2016 Bezug genommen.
Gegen diesen, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 06.06.2016 zugestellten Beschluss, legte dieser namens des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 29.06.2016, eingegangen beim Amtsgericht Forchheim am 29.06.2016, Beschwerde ein. Diese wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Kindeswohl der gemeinsamen Tochter die Zuweisung des Anwesens H. an die Antragstellerin nicht rechtfertige. Der Beschluss vom 31.05.2016 gehe unzutreffender Weise davon aus, dass die gemeinsame Tochter die örtliche Schule in N. besuche. Die gemeinsame Tochter habe ihre sozialen Kontakte nicht in N., sondern allenfalls am Ort des Gymnasiums in E.. Ferner sei es weiterhin möglich nach dem WEG, das Einfamilienhaus in ein Zweifamilienhaus zu teilen und eine Außentreppe anzubringen, so dass jede Partei ihre abgeschlossenen Räumlichkeiten habe. Die Antragstellerin müsse nur ihre Zustimmung erteilen. Nachdem die gemeinsame Tochter gegenüber dem Jugendamt angegeben habe, sie empfinde die Nähe zu ihrem Vater als positiv, entspreche es dem Kindeswohl am besten, das Anwesen gerade nicht zur alleinigen Nutzung der Antragstellerin zuzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt daher die Aufhebung des Beschlusses vom 31.05.2016 sowie den Antrag der Antragstellerin auf alleinige Nutzung des Anwesens H. in N. kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.
Sie trägt vor, dass die beste Freundin der Tochter ebenfalls in N. wohne. Auch die weiteren Mitschüler in ihrer Klasse in E. wohnen zum großen Teil in N. in der direkten Umgebung. Im Übrigen sei die Außentreppe bereits im Jahre 2012 bewilligt worden, allerdings nie vom Antragsgegner angebaut worden. Einer Teilung in ein Zweifamilienhaus nach WEG werde sich die Antragstellerin widersetzen, da es auf Dauer nicht sinnvoll sei, wenn die Beteiligten zusammen im Anwesen wohnen oder Miteigentümer seien.
Der Senat hat dem Jugendamt beim Landratsamt Forchheim Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schreiben vom 18.07.2016 hat die zuständige Diplom-Pädagogin mitgeteilt, dass ihrer Ansicht nach die Stellungnahme ihrer Kollegin vom 23.05.2016 und der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Forchheim dem Kindeswohl der Tochter M. entspreche.
Mit Verfügung vom 02.08.2016 hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass es beabsichtige gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung eines Termins abzusehen. Ferner wurde auf die Ausschlussfrist des § 1568 a Abs. 6 BGB hingewiesen und mit weiterer Verfügung vom 19.08.2016 ausgeführt, weshalb der Senat die Auffassung vertritt, dass der Anspruch nach § 1568 a Abs. 1 BGB nach Fristablauf gemäß Abs. 6 ausscheide. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 02.08.2016 sowie die Verfügung vom 19.08.2016 Bezug genommen.
Die Beteiligtenvertreter hatten Gelegenheit, zu den rechtlichen Hinweisen Stellung zu nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Bezug genommen.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch nach § 1568 a Abs. 1 BGB auf Überlassung des gemeinsamen Einfamilienhauses zur alleinigen Nutzung nach Rechtskraft der Scheidung am 04.12.2014, weil die Ausschlussfrist nach § 1568 Abs. 6 BGB bereits abgelaufen ist. § 1568 a Abs. 6 BGB sieht seinem Wortlaut nach vor, dass in den Fällen der Abs. 3 und 5 der Anspruch auf Eintritt in ein Mietverhältnis oder auch seine Begründung ein Jahr nach Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache erlischt, wenn er vorher nicht rechtshängig gemacht worden ist.
Die Antragstellerin begehrt hier die Überlassung des gemeinsamen Einfamilienhauses nach Rechtskraft der Scheidung am 04.12.2014 mit Antrag vom 04.04.2016, zugestellt am 13.04.2016, mithin nach Ablauf der Ausschlussfrist. Nach Auffassung des Senats erlischt nicht nur der Anspruch auf Eintritt oder Begründung eines Mietverhältnisses nach Ablauf dieser Frist, sondern auch der Anspruch auf Überlassung der Wohnung. Diese Frage wird allerdings in der Literatur nicht einheitlich so beantwortet.
Nach einer anderen Auffassung beschränkt sich § 1568 a Abs. 6 BGB seinem Schutzzweck nach auf die Fälle, in denen sich die Ansprüche des Ehegatten gegen Dritte richten. Der Anspruch nach Abs. 1, der nur zwischen den Ehegatten wirke, bleibe unberührt (vgl. Münchener Kommentar – Wellenhofer, BGB, 6. Auflage, § 1568 Rnr. 53 bis 55).
Diese Auffassung überzeugt den Senat jedoch nicht.
Nach § 1568 a Abs. 1 BGB kann ein Ehegatte unter den dort genannten Voraussetzungen verlangen, dass ihm der andere Ehegatte anlässlich der Scheidung die Ehewohnung überlässt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung die Rechtsverhältnisse an der früheren Ehewohnung einer endgültigen Klärung zugeführt werden, wobei keine nur das Innenverhältnis regelnde Nutzungsverhältnisse mehr bestehen sollen, sondern als alleinige Rechtsfolge ausschließlich die Begründung oder Fortführung eines Mietverhältnisses vorgesehen ist (BT Drucksache 16/10798 S. 22 und 33 und Palandt, BGB, 75. Auflage, § 1568 a Rnr. 1).
Dies gilt auch für die im Alleineigentum des weichenden Ehegatten oder die im Miteigentum des weichenden Ehegatten stehende ehemalige Ehewohnung. Im letzteren Fall dient der Mietvertrag insbesondere auch dem Schutz des berechtigten Ehegatten etwa im Hinblick auf eine etwaige Teilungsversteigerung. Auch und gerade für diese Fälle sieht die Gesetzesbegründung vor, dass durch das Gericht gemäß § 1568 a Abs. 5 BGB zwischen den Ehegatten ein Mietverhältnis begründet wird (Bundestagsdrucksache a. a. O.). Die Begründung eines bloßen Nutzungsverhältnisses zwischen den ehemaligen Ehegatten ohne verbindliche Rechtsposition ist gerade nicht vorgesehen, das Mietrecht kennt ein neben der Miete bestehendes entgeltliches Nutzungsverhältnis auch nicht.
Nach der gesetzgeberischen Intention soll daher in den Fällen der Wohnungszuweisung anlässlich der Scheidung nach Rechtskraft der Scheidung ausschließlich ein Mietverhältnis begründet werden.
Dieser Anspruch auf Eintritt oder Begründung eines Mietverhältnisses erlischt nach § 1568 a Abs. 6 BGB jedoch innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft nach Scheidung. Nach dem Wortlaut ist hiervon nur der Anspruch auf Begründung bzw. auf Eintritt in ein Mietverhältnis erfasst. Allerdings hat der Gesetzgeber unzweifelhaft aus den oben genannten Gründen eine Koppelung von Überlassung der Wohnung und Änderung bzw. Begründung eines Mietvertrages beabsichtigt. Demnach ist es nur folgerichtig und konsequent, dass auch der Anspruch auf Überlassung der Wohnung nach Ablauf von einem Jahr nach Rechtskraft der Scheidung erlischt (so auch Palandt, 75. Auflage, BGB, § 1568 a Rnr. 25 und Götz/Brudermüller, FamRZ 2009, 1261, 1266).
Es wäre systemwidrig, innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft nach Scheidung die Überlassung der Wohnung mit der alleinigen Rechtsfolge der Begründung eines Mietvertrages zuzulassen, dann aber, nach Ablauf einer längeren Frist, die Überlassung der Wohnung ohne jegliche Rechtsgrundlage und Sicherheit für die Beteiligten verlangen zu können.
Demgemäß ist es nur folgerichtig, die Ausschlussfrist des § 1568 a Abs. 6 BGB auch auf den Anspruch nach Abs. 1 analog anzuwenden, so dass der Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung anlässlich der Scheidung ein Jahr nach Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache erlischt, wenn er vorher nicht rechtshängig gemacht worden ist. Da hier die Rechtskraft der Scheidung bereits am 04.12.2014 eingetreten war, war die Jahresfrist bereits deutlich vor Rechtshängigkeit des Antrages auf Wohnungszuweisung abgelaufen.
Die Antragstellerin hat demzufolge keinen Anspruch auf Wohnungszuweisung, weshalb der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Forchheim vom 31.05.2016 aufzuheben und der Antrag der Antragstellerin auf Räumung und Herausgabe der Wohnung abzuweisen war.
Gemäß §§ 51, 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG konnte der Senat von einer erneuten mündlichen Verhandlung absehen, da diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung der Beteiligten keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren, da vorliegend der Anspruch bereits aufgrund § 1568 a Abs. 6 BGB ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 41, 48 Abs. 1 FamGKG.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, da die Frage der Anwendbarkeit des § 1568 a Abs. 6 BGB auch auf den Anspruch nach § 1568 a Abs. 1 BGB in der Literatur uneinheitlich beantwortet wird und bisher eine eindeutige obergerichtliche Rechtsprechung dazu fehlt.

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