Handels- und Gesellschaftsrecht

Anspruch des Rentenversicherungsträgers gegen ein Geldinstitut auf Rücküberweisung von Rentenleistungen

Aktenzeichen  L 6 R 423/16

Datum:
16.5.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10499
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 814
SGB VI § 118 Abs. 3 S. 2, S. 3

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen des Anspruchs des Rentenversicherungsträgers auf Rücküberweisung nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB Vi. (Rn. 17 – 23)
2. Auf den anspruchsvernichtenden Auszahlungseinwand zwischenzeitlicher anderweitiger Verfügungen nach § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI kann sich das zur Rücküberweisung verpflichtete Geldinstitut nicht berufen, wenn es bie Ausführung der in Betracht kommenden Verfügungen bereits Kenntnis vom Tod des rentenberechtigten Kontoinhabers hatte. (Rn. 19)
3. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Konto im Zeitpunkt des Rückforderungsverlangens des Rentenversicherungsträgers noch nicht aufgelöst war. (Rn. 22 – 23)

Verfahrensgang

S 10 R 1712/11 2013-07-18 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Juli 2013 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.311 Euro zu zahlen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Euro 1311,00 gegen die Beklagte zu.
Die erhobene Leistungsklage ist statthaft, § 54 Abs. 5 SGG. Soweit es um die Rückforderung einer Geldleistung nach § 118 Abs. 3 SGB VI geht, stehen sich der leistungserbringende Rentenversicherungsträger und das Geldinstitut, das zur Rücküberweisung aufgefordert wird, in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber. Der Leistungsträger handelt mithin nicht hoheitlich, er kann seine Rückforderung nicht durch Verwaltungsakt durchsetzen (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1998, Az: B 9 V 48/97 R m.w.N).
Die Leistungsklage ist auch begründet. Nach § 118 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 SGB VI (in der hier maßgeblichen Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 27.12.2003, BGBl I 3019) gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle oder dem Träger der Rentenversicherung zurück zu überweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordern. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann.
Die Voraussetzungen des in § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI geregelten Rücküberweisungsanspruchs sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat auf das Konto des Versicherten für die Zeit nach dessen Tod am 2009 noch bis einschließlich September 2010 den Zahlbetrag der Altersrente i.H.v. insgesamt Euro 2.475,36 überweisen lassen. Auf das Rückforderungsverlangen des Rentendienstes vom 22.09.2010 überwies die Beklagte das zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto befindliche Guthaben in Höhe von Euro 1.164,36. Der Klägerin steht darüber hinaus auch ein Anspruch auf Rücküberweisung der für die Zeit nach dem Tod des Versicherten unter dem gesetzlichen Vorbehalt des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI erbrachten und damit ohne Rechtsgrund erfolgten (vgl. BSG vom 03.06.2009, Az: B 5 R 120/07 R, m.w.N) weiteren Rentenüberzahlung in Höhe von Euro 1.311,00 zu.
Entgegen ihrer anderweitigen Auffassung kann die Beklagte dem Rücküberweisungsanspruch nicht den Einwand anderweitiger Verfügungen (Auszahlungseinwand) nach § 118 Abs. 3 Satz 3 HS. 1 SGB VI entgegenhalten. Zwar sind auf dem Konto des Versicherten nach dessen Tod und noch vor Eingang des Rückforderungsverlangens Kontobewegungen erfolgt, die den Kontostand gemindert haben. Dies steht dem Anspruch der Klägerin mangels Gutgläubigkeit der Beklagten jedoch nicht entgegen. Ein Geldinstitut kann gegenüber dem Rücküberweisungsanspruch des Rentenversicherungsträgers nicht den anspruchsvernichtenden Auszahlungseinwand geltend machen, dass bei Eingang eines Rückforderungsverlangens über einen der überzahlten Rentenleistung entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt worden sei, wenn es bei Ausführung der in Betracht kommenden Verfügungen Kenntnis vom Tod des Kontoinhabers und Rentenempfängers hatte. Denn die Gutgläubigkeit der Bank hinsichtlich der Berechtigung des über das Konto Verfügenden ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 118 Abs. 3 Satz 3 HS 1 SGB VI. Dies folgt nach gefestigter Rechtsprechung des 13. Senat des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 24.02.2016, Az: B 13 R 22/15 bestätigt mit Beschluss vom 14.12.2016, Az.: B 13 R 20/16 S) aus dem systematischen Gefüge sowie aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift sowie ihrer Entstehungsgeschichte. Diese Auffassung wird nunmehr auch vom 5. Senat des Bundessozialgerichts ausdrücklich bestätigt. Im Vorlagebeschluss an den Großen Senat des Bundessozialgerichts vom 17.08.2017 (B 5 R 26/14 R, Rn. 24, zitiert nach juris) führt der 5. Senat insoweit aus, dass er mit dem 13. Senat die Rechtsansicht teilt, dass sich das Geldinstitut auf den anspruchsvernichtenden Einwand der Vornahme anderweitiger Verfügungen noch vor Eingang des Rückforderungsverlangens nach § 118 Abs. 3 S. 3 HS. 1 SGB VI nicht berufen kann, wenn es bei deren Ausführung Kenntnis vom Tod des Rentenberechtigten hatte. Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung vollumfänglich an. Vorliegend hatte die Beklagte bereits am 28.09.2009 – und damit auch schon im Zeitpunkt der ersten Rentenüberzahlung auf das Konto des Versicherten am 30.09.2009 – unstreitig Kenntnis vom Tod des Versicherten.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts über den Vorlagebeschluss des 5. Senats vom 17.08.2017 (a.a.O.) nicht abzuwarten. Die vorgelegte Rechtsfrage, ob der Rücküberweisungsanspruch nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraussetzt, ist für den hier zu beurteilenden Fall nicht entscheidungserheblich, da das Rückforderungsverlangen am 22.09.2010 bei der Beklagten eingegangen ist, das Konto hingegen erst am 04.10.2010 aufgelöst wurde (zur Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Rückforderungsverlangens, vgl. Anfrage des 5. Senats vom 07.04.2016, Az.: B 5 R 26/14 R, Rn. 11, zitiert nach juris). Es ist nicht zu erwarten, dass sich der Große Senat zu der von beiden Rentensenaten des BSG übereinstimmend geäußerten Rechtsauffassung, dass die Kenntnis der Bank vom Tod des Kontoinhabers bei Ausführung einer Verfügung zulasten dieses Kontos den Einwand anderweitiger Verfügungen im Sinne von § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI ausschließt, äußern oder diesbezüglich sogar eine andere Rechtsauffassung vertreten wird. Der Große Senat ist insoweit an die vorgelegte Rechtsfrage gebunden, vgl. § 41 Abs. 7 Satz 1 SGG.
Auch die Argumentation der Beklagten, der vorgelegten Rechtsfrage lägen unterschiedliche grundsätzliche Interpretationen der Vorschrift des § 118 Abs. 3 SGB VI zugrunde und es sei zu erwarten, der Große Senat werde die Auffassung des 5. Senates bestätigen, wonach Kreditinstitute nicht mit eigenem Vermögen für die überzahlte Rente haften, vermag ein weiteres Zuwarten nicht zu rechtfertigen. Denn es kommt für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit auch nach Auffassung des 5. Senats des BSG nicht darauf an. Ist nämlich das Konto des verstorbenen Versicherten im maßgeblichen Zeitpunkt des Rückforderungsverlangens noch existent, so haftet das in Anspruch genommene Geldinstitut regelmäßig nicht mit eigenem Vermögen, denn es kann die Rücküberweisung unmittelbar auf diesem Konto verbuchen (BSG, Vorlagebeschluss vom 17.08.2017, a.a.O., Rn. 57, zitiert nach Juris). Sollte sich hierbei ein negativer – bzw. unter dem Betrag der zu Unrecht gutgeschriebenen Rente liegender – Saldo ergeben, so kann dieser den Rechtsnachfolgern des Versicherten in Rechnung gestellt werden. Sollte das Geldinstitut mit seiner aus dem Kontoführungsvertrag resultierenden Forderung gleichwohl ausfallen (z.B. Insolvenz des Erben) so liegt dieser Ausfall alleine im Rechtsverhältnis zwischen dem kontoführenden Geldinstitut und dem neuen Kontoinhaber bzw. Erben begründet. Das Risiko aus dieser Beziehung betrifft aber eine andere Rechtsbeziehung als die hier streitige zwischen dem RV-Träger und dem kontoführenden Geldinstitut und vermag daher zur Auslegung von Normen, die dieses Rechtsverhältnis regeln, nichts beizutragen (BSG, Vorlagebeschluss vom 17.08.2017, a.a.O., Rn. 48 f.). Gleiches gilt nach Ansicht des Senats im Übrigen auch hinsichtlich der von der Beklagten geltend gemachten datenschutzrechtlichen Bedenken bei der Identifizierung von Konten verstorbener Rentenempfänger.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin darüber hinaus auch nicht gehalten, bereits im Klageantrag die Haftung auf das noch existierende Empfängerkonto zu beschränken. Die Buchung auf diesem, durch das konkrete Rückforderungsverlangen ohne weiteres bestimmbaren Konto stellt eine bei Rückbuchung einer Überweisung im banküblichen Zahlungsverkehr selbstverständliche Vorgehensweise dar (vgl. insoweit auch Wortlaut § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI „zurück zu überweisen“). Auch ohne die gewünschte Präzisierung ist das Geldinstitut nicht gehindert, die umgehend auszuführende Rücküberweisung auf dem – in Fällen wie dem vorliegenden noch existenten – Konto des Versicherten zu verbuchen und den Betrag sodann von den Rechtsnachfolgern zu fordern. Es bleibt dem Rentenversicherungsträger daher unbenommen, vorprozessual und insbesondere auch im anschließenden gerichtlichen Verfahren das im Wege einer – regelmäßig weiteren zu begründenden – allgemeinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG durchzusetzende Begehren alleine in Form einer betragsmäßigen Bezifferung zu beantragen.
Letztlich ist auch der Einwand der Beklagten nicht stichhaltig, dem Anspruch auf Rücküberweisung stehe es entgegen, wenn der Rentenversicherungsträger im Zeitpunkt der Überzahlung bereits Kenntnis vom Tode des Versicherten gehabt habe. Die Beklagte trägt insoweit unter Berufung auf das Urteil des 13. Senats vom 24.02.2016 (B 13 R 22/15 R) vor, eine Überweisung der Rente unter der auflösenden Bedingung „Erleben vorbehalten“ könne nur erfolgen, wenn der Rentenversicherungsträger im Zeitpunkt der Überweisung gutgläubig gewesen sei. Entscheidungserheblich sei demzufolge, wann die Klägerin vorliegend Kenntnis vom Tode des Versicherten erlangt habe. Diese Ansicht wird vom erkennenden Senat nicht geteilt: Unbeschadet der Tatsache, dass die Beklagte vorliegend ausweislich ihrer Akten eine entsprechende Kenntnis erst am 16.09.2010 erlangt hat, kann dem zitierten Urteil eine solche Rechtsansicht nicht ansatzweise entnommen werden. Die Beklagte übersieht insoweit, dass die auflösende Bedingung „Erleben vorbehalten“ nicht von der Klägerin, sondern vom Gesetz selbst angeordnet wird. Dem Wortlaut der Vorschrift des § 118 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 SGB VI lässt sich die von der Beklagten vorgenommene Einschränkung nicht entnehmen. Der Annahme eines entsprechenden ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals steht die genannte Rechnung des Bundessozialgerichts entgegen. Der 13. Senats des BSG hat klargestellt, dass die Wertung des § 814 BGB durch den in § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI zu Gunsten des Rentenversicherungsträgers geregelten Vorbehalt ausgeschlossen ist. Für den Rücküberweisungsanspruch ist es unerheblich, ob der Rentenversicherungsträger die Überzahlung in Kenntnis des Todes des Versicherten vorgenommen hat (vgl. BSG vom 13.11.2008, Az: B 13 R 48/07 R; Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 118 SGB VI, Rn. 10).
Nach alledem hat die Berufung der Klägerin Erfolg, dem Klagebegehren war stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen im Hinblick auf die für die streitgegenständliche Frage einheitliche Rechtsprechung des BSG nicht vor.

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