Aktenzeichen 12 O 3426/16
VVG § 86
BGB § 249, § 280 Abs. 1, § 611, § 675 Abs. 1
Leitsatz
War dem Mandanten mit den Kosten einer nicht fristgerecht begründeten und deshalb als unzulässig verworfenen Berufung bereits ein kausaler Schaden durch die anwaltliche Pflichtverletzung entstanden, ist er im Anwaltshaftungsprozess nicht dahingehend darlegungs- und beweisbelastet, dass er die Prozesskosten der zweiten Instand bei Durchführung des Berufungsverfahrens nicht hätte tragen müssen. Vielmehr obliegt es dem beklagten Anwalt darzulegen und zu beweisen, dass der Mandant die Prozesskosten auch ohne seine Pflichtverletzung “so oder so” zu tragen gehabt hätte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.288,91 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.08.2015 sowie weitere 1.011,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.08.2015 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 12.288,91 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
A.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angegangene Landgericht Nürnberg-Fürth örtlich (§§ 12, 13, 29 I. 35 ZPO) und sachlich (§§ 23 Nr. 1, 71 I GVG) zuständig.
B.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 12.288,91 € aus §§ 280 Absatz 1, 675 Abs. 1, 611, 249 BGB i. V. m. § 86 VVG / § 17 Abs. 8 ARB 2000, der in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2015 zu verzinsen ist gemäß § 288 Absatz 1 BGB.
Nach § 280 Abs. 1 BGB begründet die Pflichtverletzung aus einem Schuldverhältnis einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch verursachten Schadens. Vorliegend ist der Schadensersatzanspruch in der Person der VN entstanden und nach Maßgabe von § 86 VVG / § 17 Abs. 8 ARB 2000 auf die Klägerin übergegangen. Unstreitig hat die Klägerin die geltende gemachten Prozesskosten in der genannten Höhe von insgesamt 12.288,91 € (9.132,- € + 3.156,91 €) bezahlt. Unstreitig verletzte der Beklagte als prozessführungsbefugter Rechtsanwalt der VN schuldhaft die ihm obliegende Pflicht zur rechtzeitigen Begründung eines vereinbarten Rechtsmittels, woraufhin das zuständige Gericht die für die VN eingelegte Berufung als unzulässig verwarf. Dabei ging das Berufungsgericht unstreitig davon aus, dass der Beklagte keine Umstände vorgetragen hatte, die das Fristversäumnis exkulpieren und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO rechtfertigen würden. Aufgrund dieser schuldhaften Fristversäumung hat vorliegend das Oberlandesgericht Nürnberg die Berufung der VN ohne Sachprüfung bereits als unzulässig verworfen und ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt. Damit ist für die VN ein konkreter Schaden eingetreten, den die nunmehr anspruchsberechtigte Klägerin liquidiert hat.
Der Auffassung des Beklagten, dass die Fristversäumnis sich vorliegend nicht kausal ausgewirkt hat, kann nicht gefolgt werden.
Die Kostentragungspflicht durch die Klägerin ist kausal auf die Fristversäumnis des Beklagten zurückzuführen. Hierdurch ist der Schaden bereits konkret eingetreten, da das Oberlandesgericht Nürnberg die Berufung der VN allein aus diesem Grund ohne weitere Sachprüfung als unzulässig zurückgewiesen hat.
Der Beklagte trägt hier nicht einmal vor, dass das Berufungsverfahren auch bei Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, weshalb die Klägerin ohnehin die Kosten zu tragen gehabt hätte. Vielmehr hat der Beklagte die – wenn auch geringen – Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens bejaht. Der Beklagte hat sich darauf beschränkt vorzutragen, dass die Klägerin darlegen müsse, wie die Dinge sich ohne die Fristversäumnis entwickelt hätten. Aus seiner Sicht habe somit die Klägerin darzulegen und zu beweisen, dass sie die Kosten des Berufungsverfahrens ohne die Pflichtverletzung des Beklagten nicht hätte tragen müssen.
Dem kann nicht gefolgt werden. Der Schaden war durch die Pflichtverletzung des Beklagten bereits real eingetreten. Damit war die Pflichtverletzung des Beklagten kausal für den eingetreten Schaden. Die Klägerin ist nicht dahingehend darlegungs- und beweisbelastet, dass sie die Prozesskosten der zweiten Instanz im Falle der Durchführung des Berufungsverfahrens nicht hätte tragen müssen. Vielmehr wäre es am Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin die Prozesskosten auch ohne seine Pflichtverletzung „so oder so“ zu tragen gehabt hätte. Dies hat er nicht getan, zumal er nicht einmal vorgetragen hat, dass die Berufung ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat grundsätzlich der Mandant, der seinen Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, neben der Pflichtverletzung, dem Schaden und dem Ursachenzusammenhang auch den Zurechnungszusammenhang darzulegen und zu beweisen. Ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn bei pflichtgemäßem Handeln des Rechtsanwalts dem Gericht verschiedene prozessual gleich gangbare Wege offen gestanden hatten. Hier muss nicht der Mandant darlegen und beweisen, dass auf einem dieser Wege der Schaden für ihn vermieden worden wäre. Noch weniger muss er belegen, dass das Gericht des Vorprozesses diesen Weg eingeschlagen hätte. Vielmehr muss der Rechtsanwalt darlegen und beweisen, dass auf allen in Betracht kommenden Wegen der Schaden nicht vermeidbar gewesen wäre. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil er sich auf hypothetische Geschehensabläufe beruft und deren Unaufklärbarkeit auf der von ihm zu vertretenden Pflichtwidrigkeit beruht (vgl. BGH NJW 2005, 3071 3073)
Im vorliegenden Fall hätten dem Oberlandesgericht Nürnberg bei fristgerechter Begründung der Berufung verschiedene prozessuale Wege offen gestanden. Daher wäre es vorliegend an dem Beklagten gewesen, darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden auf allen in Betracht kommenden Wegen nicht vermeidbar gewesen wäre.
Vorliegend war alleine die Verfristung für die konkrete Kostenentscheidung relevant, so dass die Kausalität der anwaltlichen Pflichtverletzung für den Schaden feststeht. Hätte der Beklagte ausgeführt, dass die Berufung ohnehin keine Erfolgsaussichten gehabt hätte, hätte er sich auf eine hypothetische Schadensursache berufen. Hierbei handelt sich wiederum um eine Frage der Schadenszurechnung, nicht der Kausalität. Inwieweit hypothetische Schadensursachen überhaupt zu berücksichtigen sind, ist umstritten (vgl. Palandt, 74. Auflage 2015, Vorb. v. § 249 Rn. 56); in jedem Fall aber hat sie derjenige – nach Maßgabe von § 287 ZPO zu beweisen, der sich auf den hypothetischen Geschehensablauf zu seiner Entlastung beruft. Die bloße Möglichkeit eines hypothetischen Ereignisses bleibt stets rechtlich unbeachtlich. Demgemäß hätte vorliegend der Beklagte darlegen und beweisen müssen, dass die Klage der VN auch im Berufungsverfahren als unbegründet abgewiesen worden wäre. Der Beklagte ging jedoch selbst nicht von den fehlenden Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens aus. Da der Beklagte weder Vortrag noch Nachweis darüber erbracht hat, dass der geltend gemachte Schaden selbst bei vollumfänglicher, ordnungsgemäßer Durchführung des Berufungsverfahrens eingetreten wäre, wird die haftungsrechtliche Schadenszurechnung nicht durch eine berücksichtigungsfähige Reserveursache unterbrochen.
Der Schadensersatzanspruch in Höhe von 12.288,91 € ist gemäß § 288 Abs. 1 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2015 zu verzinsen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.07.2015 hatte die Klägerin den Beklagten dazu aufgefordert, bis spätestens zum 17.08.2015 die Prozesskosten zweiter Instanz und die diesbezüglich entstandenen Anwaltskosten zu erstatten. Angesichts der eindeutigen Leistungsaufforderung ist das Schreiben als Mahnung zu bewerten, deren Vorliegen grundsätzlich weder die Androhung von Konsequenzen noch den Hinweis auf die Rechtsfolgen beim Ausbleiben der Leistung voraussetzt. Der Beklagte geriet mit der Zahlung der 12.288.91 € am 18.08.2015 in Verzug, da die Frist am 17.08.2015 endete. Somit war der Betrag ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen, antragsgemäß wurde der Zinsanspruch erst ab Geltendmachung (21.08.2015) zugesprochen.
Die Klägerin kann aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.011.14 € geltend machen, §§ 611, 280 I BGB. Diese sind rechnerisch nicht zu beanstanden; die Höhe und die Begleichung durch die Klägerin wurden von der Beklagtenseite nicht bestritten.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren voraus, dass die Tätigkeit des Anwalts aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war. Für die Feststellung der Erforderlichkeit kommt es darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Besteht aus seiner Perspektive angesichts einer unzweifelhaften Haftungslage kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Schädiger ohne weiteres seine Schadenersatzpflicht erfüllen wird, erweist sich die Einschaltung eines Rechtsanwaltes zur erstmaligen Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs in der Regel als nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – BGH Aktenzeichen VIZR394 VI ZR 3/94). Vorliegend handelte es sich bei dem Schadenersatzbegehren der Klägerin nicht um einen solchen einfach gelagerten Routinefall, vielmehr war die rechtliche Würdigung – insbesondere im Hinblick auf die Beweislast bezüglich der (hypothetischen) Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens – bis zum Schluss zwischen den Parteien streitig. Insbesondere weist auch der Bundesgerichtshof darauf hin, dass an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, da der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat (BGH, Urteil vom 08.11.1994 – BGH Aktenzeichen VI ZR 394 VI ZR 3/94).
Der Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten ist gemäß § 288 Abs. 1 BGB ebenfalls seit dem 21.08.2015 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (s. o.).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs 1 ZPO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.
Der Streitwert des Verfahrens war gemäß § 3 ZPO, § 48 I GKG auf den Wert der Hauptforderung festzusetzen.
Verkündet am 12.04.2017