Aktenzeichen 7 U 2697/18
Leitsatz
1 § 719 Abs. 1 ZPO gilt auch für Urteile, mit denen eine einstweilige Verfügung bestätigt wird; eine Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt aber nur ausnahmsweise in Betracht, zB bei großer Wahrscheinlichkeit des Rechtsmittelerfolgs. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einflussnahme des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan bleibt in der Eigenverwaltung – wie im Regelverfahren – im insolvenzfreien Bereich möglich. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Aufsichtsrat kann im Insolvenzverfahren zu denjenigen Punkten der Tagesordnung der Hauptversammlung Vorschläge zur Beschlussfassung machen kann, die inhaltlich dem insolvenzfreien Raum zuzuordnen sind; zur Vorbereitung dieser Vorschläge kann er seine Informationsrechte gegenüber dem Vorstand ausüben. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 HK O 7878/18 2018-07-31 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners vom 06.08.2018, die Vollstreckung aus dem Endurteil des Landgerichts München I vom 31.07.2018, Az. 5 HK O 7878/18, einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
Der Antrag des Antragsgegners vom 06.08.2018 auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 707, 719 Abs. 1 ZPO ist zulässig, jedoch unbegründet.
§ 719 Abs. 1 ZPO erstreckt sich nach einhelliger Meinung über seinen Wortlaut hinaus auch auf Urteile, mit denen eine einstweilige Verfügung bestätigt wird. Ein solches Urteil wird zwar nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt, ist jedoch auch ohne diesen Ausspruch vorläufig vollstreckbar (vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Auflage, München 2017, Rdnr. 4 zu § 704 ZPO), sodass sich für den Schuldner dieselbe Situation wie bei einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil ergibt (Götz in Münchener Kommentar, 5. Auflage, München 2016, Rdnr. 4 zu § 719 ZPO). Allerdings lässt die Rechtsprechung in solchen Fällen eine Einstellung nur ausnahmsweise zu (Herget in Zöller, ZPO, 31. Auflage, Köln 2016, Rdnr. 1 zu § 719 ZPO m.w.N.), z.B. bei großer Wahrscheinlichkeit des Rechtsmittelerfolgs, wenn also schon im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag ohne aufwendige Überprüfung feststeht, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben kann (OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.10.2013, Az. 5 U 145/13, Rdnr. 4).
1. Die demnach erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit des Rechtsmittelerfolgs sieht der Senat auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 06.08.2018 nicht. Insbesondere kann der Senat nicht die von der Berufung behaupteten „schwerwiegenden Rechtsfehler“ des Ersturteils erkennen.
a. Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners hindert § 276a S. 1 InsO das Auskunftsbegehren des Aufsichtsrats der Antragstellerin nicht.
aa. Der Einfluss des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan auf die Geschäftsführung durch § 276a S. 1 InsO wird nach richtiger Auffassung in demselben Umfang beschränkt wie dies bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters der Fall wäre, sodass eine Einflussnahme des Aufsichtsrats im insolvenzfreien Schuldnerbereich möglich bleibt (Ellers/Plassmeier in BeckOK InsO, 10. Edition, Stand 26.04.2018, Rdnr. 15 zu § 276a InsO, Klöhn in Münchener Kommentar zu Insolvenzordnung, Band 3, 3. Auflage, München 2014, Rdnr. 4 zu § 276a InsO). Diese auch im Insolvenzfall beim Aufsichtsrat verbleibenden Befugnisse umfassen nicht nur Maßnahmen der direkten Einflussnahme, sondern als ein Weniger auch Maßnahmen der nur mittelbaren Einflussnahme, wie bspw. Auskunfts-, Einsichts-, Informations- und vergleichbare Rechte (Ellers/Plassmeier, aaO, Rdnr. 19, Klöhn, aaO, Rdnrn 38 und 40), um die es im streitgegenständlichen Fall geht.
Dies bedeutet, dass der Aufsichtsrat nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG auch im Insolvenzverfahren zu denjenigen Punkten der Tagesordnung der Hauptversammlung der Antragstellerin Vorschläge zur Beschlussfassung machen kann, die inhaltlich dem insolvenzfreien Raum zuzuordnen sind, und insoweit zur Vorbereitung dieser Vorschläge auch seine Informationsrechte aus § 90 Abs. 3 AktG gegenüber dem Vorstand ausüben kann.
Auf der in Aussicht genommenen Hauptversammlung der Antragstellerin sollen diejenigen Tagesordnungspunkte behandelt werden, über die aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts – Registergericht München vom 19.03.2018 nicht mehr auf der Hauptversammlung vom 18.05.2018 Beschluss gefasst werden konnte, die aber nach dem Beschluss des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14.05.2018 im Verfahren 31 Wx 122/18 den Gegenstand einer von den dortmaligen Antragstellern noch einzuberufenden Hauptversammlung sein können, nämlich:
– Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen des Investorenprozesses im Rahmen der finanziellen Restrukturierung der Gesellschaft
– Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Vergütung des Vorstands
– Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Rolle des damaligen Aufsichtsrats im Zusammenhang mit den Themen der Vergleichsvereinbarung mit ehemaligen Mitgliedern des Vorstands
– Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Einhaltung der organschaftlichen Pflichten des Vorstands hinsichtlich der Veröffentlichung der Einigung der Konsortialbanken mit dem Finanzinvestor
– Beschlussfassung über den Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden Dr. K. M.
– Beschlussfassung über die Erhöhung des Grundkapitals gegen Bareinlagen mit Bezugsrecht der Aktionäre sowie damit verbundene Satzungsänderung.
Diese verbleibenden Beschlussgegenstände sind nach dem Beschluss des 31. Zivilsenats vom 14.05.2018 allesamt dem insolvenzfreien Bereich zuzuordnen (zu den Sonderprüfungen vgl. OLG München, Beschluss vom 14.05.2018, Az. 31 Wx 122/18, Rdnrn 56 und 57; zur Abberufung des Antragsgegners vgl. Rdnr. 47 und zur Kapitalerhöhung vgl. Rndr. 53 und 54), sodass der Aufsichtsrat auch in der Eigenverwaltung hierzu gemäß § 124 Abs. 3 S. 1 AktG Beschlussvorschläge machen und nach dem oben Gesagten insoweit seine Informationsrechte nach § 90 Abs. 3 AktG gegenüber dem Vorstand ausüben kann.
Der erkennende Senat sieht derzeit keine Veranlassung, von der im Beschluss des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts vom 14.05.2018, Az. 31 Wx 122/18, zum Ausdruck gebrachten Einordnung der Beschlussgegenstände als dem insolvenzfreien Bereich zugehörend abzuweichen.
Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat nach dem Wortlaut des § 276a S. 2 InsO auch im Insolvenzverfahren das Recht zur Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung, das nur dadurch beschränkt wird, dass eine Abberufung oder Neubestellung eines Vorstands der Zustimmung des Sachwalters bedarf. Zur Ausübung des dem Aufsichtsrat demnach gemäß § 276a S. 2 InsO jedenfalls verbliebenen Rechts kann er unabhängig von der in Aussicht genommenen Hauptversammlung auch weiterhin die ihm nach § 90 Abs. 3 AktG eingeräumten Informationsrechte gegenüber der Geschäftsleitung einfordern.
bb. Entscheidend ist dabei entgegen der Meinung der Berufung auch, zu welchem Zweck der Aufsichtsrat die Informationserteilung verlangt. Verlangt er sie zum Zwecke der Erstellung einer Stellungnahme zu einem Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung, der inhaltlich dem insolvenzfreien Bereich zuzuordnen ist, so setzt dies nur einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der verlangten Information und dem Gegenstand der Tagesordnung voraus. Diesen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den herausgeforderten Unterlagen und dem Tagesordnungspunkt „Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen des Investorenprozesses im Rahmen der finanziellen Restrukturierung der Gesellschaft“ sieht der Senat als ohne weiteres gegeben an. Dass der Aufsichtsrat dadurch (auch) Informationen vom Vorstand verlangen kann, die gleichzeitig in inhaltlichem Zusammenhang mit der Geschäftsführung stehen, von deren Überwachung der Aufsichtsrat in der Insolvenz ausgeschlossen ist, ist Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, dem Aufsichtsrat in der Insolvenz nicht jegliche Kompetenz zu nehmen, und damit nicht zu verhindern.
b. Dem Auskunftsverlangen des Aufsichtsrats steht auch nicht der allgemeine Grundsatz entgegen, dass die Gesellschaftsorgane auch im insolvenzfreien Raum, in dem sie ihre Kompetenzen trotz der Insolvenz behalten, zur Rücksichtnahme auf die Gläubigerbelange verpflichtet sind (vgl. hierzu Klöhn, aaO, Rdnr. 14 zu § 276a InsO). Denn es ist nicht erkennbar, wie die bloße Ausübung des Informationsrechts im konkreten Fall die Erreichung des Insolvenzzwecks gefährden soll, wo doch nach dem eigenen Vortrag des Antragsgegners in der Berufungsbegründungsschrift vom 06.08.2018 (dort. S. 12, Bl. 252 d.A.) „die mit Speyside abgeschlossenen Verträge keine irgendwie bedenklichen Abreden“ enthalten.
c. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Informationsverlangens des Aufsichtsrats vermag der Senat mit dem Landgericht nach dem bisherigen Sachstand nicht zu erkennen. Das streitgegenständliche Informationsverlangen wird vom Aufsichtsrat der Antragstellerin als deren Organ geltend gemacht, nicht aber von einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern, sodass zur Begründung einer Rechtsmissbräuchlichkeit nicht argumentiert werden kann, die Ausübung des Informationsrechts diene ausschließlich der Verfolgung von Sonderinteressen einiger Aktionäre, da die Aufsichtsratsmitglieder, die das Verlangen verfolgten, die Geschäftsführer derjenigen Aktionäre seien, die die Ermächtigung zur Einberufung der Hauptversammlung beantragt hätten.
Im Übrigen wird die Ausübung eines Informationsrechts auch nicht schon dadurch rechtsmissbräuchlich, dass damit Argumente für die Mehrheitsmeinung des Aufsichtsrats untermauert werden sollen, und diese Mehrheitsmeinung derjenigen des Vorstands widerspricht.
2. Gegen die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung spricht aber auch die im Rahmen der §§ 719 Abs. 1, 707 ZPO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien.
a. Dabei ist zunächst zugunsten der Antragstellerin die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt (vgl. Herget in Zöller, 31. Auflage, Köln 2016, Rdnr. 3 m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Dieser ohnehin grundsätzlich anzunehmende Vorrang wird noch durch die nach derzeitiger, oben unter 1. dargelegter Einschätzung des Senats nur geringen Erfolgsaussichten des Rechtsmittels des Antragsgegners verstärkt.
b. Auch der in der Berufungsschrift vom 06.08.2018 pauschal geltend gemachte Umstand, „eine Zwangsvollstreckung würde eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten“, rechtfertigt für sich allein nicht die Einstellung der Zwangsvollstreckung, da es kein allgemeines Verbot gibt, im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Auskunftsurteile vorläufig zu vollstrecken (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 21.12.2012, Az. 3 U 96/12, LS 2). Vielmehr sind Urteile, die eine einstweilige Verfügung bestätigen, ohne weiteres und ohne eine gesonderte diesbezügliche Anordnung des Gerichts vorläufig vollstreckbar. Konkrete schutzwürdige Interessen des Antragsgegners, die bei einer Auskunftserteilung vor Erlass der Berufungsentscheidung verletzt würden, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen.
aa. Insoweit als behauptet wird, „zumindest der Aufsichtsratsvorsitzende würde alle Informationen, die er im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt, unmittelbar und unter Verletzung seiner Vertraulichkeitsverpflichtung an die von ihm vertretene Aktionärin weitergeben“, reicht diese allgemeine Berufung auf ein Geheimhaltungsinteresse des Antragsgegners zur Darlegung eines die vorläufige Vollstreckbarkeit hinderndes Interesse des Antragsgegners nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, welche unmittelbar negativen Konsequenzen für die Gläubiger der Antragstellerin dies haben sollte, da – wie bereits ausgeführt – nach dem eigenen Vortrag des Antragsgegners in der Berufungsbegründungsschrift vom 06.08.2018 (dort. S. 12, Bl. 252 d.A.) „die mit Speyside abgeschlossenen Verträge keine irgendwie bedenklichen Abreden“ enthalten.
bb. Die Tatsache, dass der Aufsichtsrat auch in der Insolvenz noch Einfluss nehmen kann, begründet entgegen der Meinung der Berufung auch kein die vorläufige Vollstreckung hinderndes schutzwürdiges Interesse, da dies der in § 276a InsO zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet ist, den Aufsichtsrat auch in der Insolvenz nicht völlig auszuschalten.
Nach alledem war der Antrag des Antragsgegners auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuweisen Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.