Handels- und Gesellschaftsrecht

Berechnung von Wohngeld auf Grundlage einer Einkommensprognose

Aktenzeichen  M 22 K 17.5024

Datum:
23.11.2017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG WoGG § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 WoGG ist bei der Ermittlung des Jahreseinkommens das Einkommen zu Grunde zu legen, das im Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist. Ausgangspunkt der Wohngeldberechnung ist daher stets eine Einkommensprognose, nicht das tatsächlich erzielte Einkommen (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 51857). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Lässt sich das Einkommen wegen unzureichender Angaben des Antragstellers nicht ermitteln, dann kann nach den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast dem Wohngeldantrag grundsätzlich nicht entsprochen werden. (ebenso BVerwG BeckRS 1974, 30428380). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Insbesondere wenn die nachgewiesenen Einnahmen unter dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegen, sind die Angaben des Antragstellers besonders sorgfältig zu überprüfen und der Wohngeldantrag bei verbleibenden Zweifeln an der Bestreitung des Lebensunterhalts abzulehnen („Plausibilitätskontrolle“). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Bewilligung von Wohngeld über den von der Beklagten mit Bescheid vom 9. April 2010 gewährten Betrag hinaus kommt nicht in Betracht, da die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt hat, womit sie im maßgeblichen Zeitraum ihre Lebenshaltungskosten bestritten hat, wobei insoweit auf die Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Wohngeldantrag (hier also den 9.4.2010) abzustellen ist. Nach Ansicht der Kammer wäre der Wohngeldantrag der Klägerin entgegen der Handhabung der Beklagten vielmehr mangels Plausibilität nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast vollständig abzulehnen gewesen.
1. Wohngeld wird als Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder zur Belastung (Lastenzuschuss) für den selbst genutzten Wohnraum geleistet und dient nicht als Hilfe zum Lebensunterhalt. Damit wird vorausgesetzt, dass der Lebensunterhalt und die Miete bzw. Belastung unter Hinzurechnung eines fiktiven Wohngeldes selbst finanziert werden kann. Die Ermittlung eines Wohngeldanspruchs für einen bestimmten Bedarfszeitraum ist – neben anderen Faktoren – nach § 4 WoGG i.d.F. vom 2. April 2009 (im Folgenden: WoGG) vom Gesamteinkommen, d.h. gem. § 13 Abs. 1 WoGG vom Jahreseinkommen aller zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder abhängig. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 WoGG ist bei der Ermittlung des Jahreseinkommens das Einkommen zu Grunde zu legen, das im Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist. Der Bewilligungszeitraum beträgt dabei gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 WoGG üblicherweise zwölf Monate. Ausgangspunkt der Wohngeldberechnung ist daher stets eine Einkommensprognose, nicht das tatsächlich erzielte Einkommen (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2014 – 12 ZB 14.701 – juris Rn. 14). Dabei hat die Wohngeldbehörde den relevanten Sachverhalt zwar von Amts wegen zu ermitteln, diese Ermittlungspflicht endet jedoch, wenn nach Ausschöpfen der erreichbaren Erkenntnisquellen erkennbar ist, dass sich bestehende Zweifel nicht beheben lassen. Die Pflicht zur Sachaufklärung setzt einen schlüssigen Vortrag voraus, der insbesondere beinhaltet, dass Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich der Klägerin von dieser hinreichend substantiiert darzulegen sind. Kann deren Angaben trotz der jeweils gebotenen Ermittlungsbemühungen nicht nachvollziehbar entnommen werden, mit welchen Mitteln der Lebensunterhalt im Bezugszeitraum finanziert werde, so fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die im Antragszeitpunkt zu treffende verlässliche Aussage über das im Bewilligungszeitraum zu erwartende Einkommen. Die Höhe des wohngeldrechtlich anzusetzenden Einkommens gehört aber zu den Anspruchsvoraussetzungen für den Wohngeldanspruch. Lässt sich das Einkommen wegen unzureichender Angaben des Antragstellers nicht ermitteln, dann kann nach den allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast dem Wohngeldantrag grundsätzlich nicht entsprochen werden. (BVerwG, U.v. 16.1.1974, BVerwGE 44, 265; BayVGH, B.v. 4.10.2005 – 9 ZB 05. 1654; B.v. 2.8.2011 – 12 ZB 11.1179).
Insbesondere wenn die nachgewiesenen Einnahmen unter dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegen, sind die Angaben des Antragstellers besonders sorgfältig zu überprüfen und der Wohngeldantrag bei verbleibenden Zweifeln an der Bestreitung des Lebensunterhalts abzulehnen („Plausibilitätskontrolle“). Zweifel an der Glaubhaftigkeit und Vollständigkeit der Angaben können zudem auch dann gegeben sein, wenn Aufwendungen des allgemeinen Lebensunterhalts zuzüglich etwaiger Mehrbedarfe, Aufwendungen für Wohnraum einschließlich der Heizkosten und sonstige Aufwendungen tatsächlich vorliegen bzw. den Umständen nach anzunehmen sind und Einnahmen in entsprechender Höhe nicht nachgewiesen werden (vgl. auch 15.01 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Wohngeldgesetzes –WoGVwV).
Ein solches Vorgehen kommt auch bei nicht glaubhaften, unplausiblen oder widersprüchlichen Angaben in Betracht, wobei aber zu beachten ist, dass es in einem solchen Fall regelmäßig geboten sein wird, dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, die aus Sicht der Behörde gegebenen Mängel zu beheben, indem er etwa dazu aufgefordert wird, als fehlend erscheinende Angaben zu ergänzen (vgl. BayVGH, B.v. 15.5.2007 – 12 C 05.1898 – juris Rn. 3).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin nicht glaubhaft machen können, wie sie ihren Lebensunterhalt auf der Grundlage der von ihr angegebenen Einnahmen im maßgeblichen Bewilligungszeitraum bestreiten wollte bzw. bestritten hat. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erscheinen dem Gericht auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung nicht plausibel. Der Wohngeldantrag wäre nach Ansicht der Kammer nach den allgemeinen Grundsätzen der materiellen Beweislast von der Beklagten vollständig abzulehnen gewesen.
2.1 Im für die gerichtliche Beurteilung hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung mit Erlass des zweiten Rücknahme- und Neuberechnungsbescheides am 9. April 2010 war der Sachverhalt durch die Beklagte hinreichend ermittelt. Die Einkommensermittlung der Beklagten erweist sich nicht als defizitär, sodass auch eine Berücksichtigung des – erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgebrachten – Darlehens nicht in Betracht kommt.
2.1.1 Die Beklagte ist insbesondere ihrer Pflicht nachgekommen, die Klägerin dazu aufzufordern, bei der Antragstellung noch fehlende Angaben und Nachweise über ihre Einkommensverhältnisse einzureichen bzw. zu ergänzen. Nach der Wohngeldantragstellung hat die Beklagte die Klägerin mehrfach mit Schreiben vom 28. April 2009, 26. Mai 2009, 2. Juli 2009 (Blatt 112, 114 und 120 der Behördenakte) darauf hingewiesen, dass die bisherigen Angaben im Antrag unvollständig seien. Dabei wurde detailliert aufgelistet, welche Unterlagen und Nachweise die Klägerin hätte nachreichen müssen, damit über den Antrag hätte entschieden werden können. Mit Schreiben vom 4. Juni 2009 sowie vom 21. Juli 2009 (Blatt 116 und 126 der Behördenakte) wurde die Klägerin nochmals aufgefordert, alle Einnahmequellen anzugeben. Die Beklagte wies dabei erneut, dass die von der Klägerin nachgewiesenen Einnahmen verglichen mit dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf eine Deckungslücke aufweisen würden. Sie ging dabei korrekterweise von einem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von EUR 800,56 aus, dem lediglich EUR 393,30 an von der Klägerin nachgewiesenen Einnahmen gegenüberstehen. Selbst bei Heranziehung von lediglich 80% des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs besteht somit eine Deckungslücke EUR 328,26, die auch unter Hinzurechnung eines fiktiven Wohngeldes nicht geschlossen werden könnte.
Die von der Klägerin daraufhin vorgelegten Unterlagen waren nicht ausreichend, um einen Nachweis über die Bestreitung ihrer Lebenshaltungskosten zu führen. Aus den Kontoauszügen war für die Beklagte nicht zu entnehmen, wie die Klägerin ihren Lebensunterhalt bestreitet. Daraus gehen lediglich Abhebungen und Abbuchungen in geringer Höhe hervor, die für eine angemessene Lebensführung nicht ausreichend sind. Auch das Vorbringen der Klägerin, in wechselndem Umfang bei ihren Eltern kostenlos essen und trinken zu können, reichte zur Plausibilisierung der bestehenden Deckungslücke nicht aus. Die Angaben der Klägerin hierzu wurden zu keinem Zeitpunkt näher beziffert oder konkretisiert, auch fehlen jedwede Nachweise zu Art und Umfang der elterlichen Sachleistungen, sodass der Beklagten eine Aufklärung des Sachverhalts trotz hinreichender Ermittlungsbemühungen nicht möglich war.
2.2.2 Auch durch das erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgte Vorbringen der Klägerin, zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten ein Darlehen ihrer Eltern erhalten zu haben, ist nicht geeignet, dem klägerischen Begehren zum Erfolg zu verhelfen.
Der nachträgliche Vortrag der Klägerin ist vorliegend nicht zu berücksichtigen, da im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich nur die Rechtmäßigkeit der auf Grundlage der bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten oder zumindest erkennbaren Umstände getroffenen Prognoseentscheidung der Behörde zu überprüfen ist. Ein nachträgliches Vorbringen im gerichtlichen Verfahren ist nur dann zulässig, wenn die Behörde den Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Wohngeldantrag fehlerhaft ermittelt hat und der ablehnende prognostische Wohngeldbescheid von daher rechtswidrig ist. Eine fehlerhafte prognostische Tätigkeit der Behörde liegt etwa vor, wenn bei gebührender Berücksichtigung der primären Mitwirkungspflicht des Wohngeldantragstellers an der Ermittlung des Sachverhalts gemäß § 60 Abs. 1 SGB I Anlass zu weitergehender amtlicher Sachverhaltsaufklärung bestanden hätte. Nicht erwogene Umstände, die die Behörde auch bei sorgfältiger Ermittlung nicht zu kennen brauchte, vermögen die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung nicht zu berühren, sogenannte objektive ex-ante-Sicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2014 – 12 ZB 14.701 – juris Rn. 16; VG München, U.v. 18.4.2013 – M 22 K 11.3070 – juris Rn. 68).
Die von der Beklagten vorgenommene Sachverhaltsermittlung erweist sich unter Berücksichtigung oben genannter Grundsätze nicht als fehlerhaft. Die Klägerin wurde mehrfach aufgefordert, sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Einnahmequellen mitzuteilen. Ein ihr von den Eltern gewährtes Darlehen hat die Klägerin dabei vor Erlass des Wohngeldbescheides nicht erwähnt. Für die Beklagte bestand daher auch keinerlei Anlass, Ermittlungen in diese Richtung zu unternehmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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