Aktenzeichen 17 U 6239/20
Leitsatz
Verfahrensgang
34 O 1589/20 2020-10-01 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 01.10.2020, Az. 34 O 1589/20, unter teilweiser Aufhebung abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
IV. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtsstreits.
V. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung jeweils vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A
Die Parteien streiten um die Folgen des sogenannten Dieselskandals aufgrund Gebrauchtwagenkaufs der Klägerin am 30.12.2012 (Audi Q 3) mit Motor EA 189.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Feststellungen im Endurteil des LG Ingolstadt vom 01.10.2020 (Bl. 291/318 d. A.) verwiesen.
Das LG Ingolstadt verurteilte die Beklagte im Endurteil vom 01.10.2020 zur Zahlung von € 7.176,00 nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten, stellte Annahmeverzug fest und wies im Übrigen die weitergehende Klage ab (ohne Letzteres allerdings ausdrücklich zu tenorieren).
Dagegen legten beide Parteien Berufung ein.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az: 34 O 1589/20, verkündet am 01.10.2020, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere Rechtsverfolgungskosten i. H.v. EUR 1.348,51 nebst Zinsen i.H.v. 5%-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.05.2020 zu zahlen und im Übrigen die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen,
hilfsweise
1. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az: 34 O 1589/20, verkündet am 01.10.2020, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
und die Berufung der Beklagtenpartei wird zurückgewiesen.
Die Beklagte beantragt,
das am 01.10.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 34 O 1589/20 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen und die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Klägerin als Partei. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
B
Die zulässige Berufung der Beklagten (§§ 511, 517, 520 ZPO) hat Erfolg, die Klage ist abzuweisen (§ 826 BGB):
I.
Vertragliche Ansprüche sind mangels Kaufvertrags zwischen den Parteien nicht gegeben.
II.
Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Verordnungen zur Regelung des Abgasverhaltens (EG-FGV, VOEG 715/07) entfallen mangels Schutzgesetzeigenschaft (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2799f., Randziffern 11, 13 und 15; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 52, Randziffer 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Randziffer 10 – nach juris; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Randziffer 37 – nach juris).
III.
Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB kommen mangels Stoffgleichheit des erstrebten Vermögensvorteils mit dem verursachten Vermögensschaden nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2801, Randziffer 24; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 52, Randziffer 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Randziffer 10 – nach juris).
IV.
Hinsichtlich einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB fehlt es an ausreichender Substantiierung von Vorsatz und Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten (§§ 31, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB):
1. Nach den Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Randziffer 28 – nach juris). Das vorliegende Parteivorbringen bietet keine entsprechenden Anhaltspunkte, insbesondere, welche verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten wann Kenntnis erlangt haben sollen. Der Vortrag der Klägerin, es sei gänzlich unvorstellbar, dass diese nichts gewusst hätten, reicht hierfür nicht.
Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt auch von dem, der der BGH-Entscheidung vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962) zur Haftung der V. AG zugrunde lag. In diesem Verfahren stand fest, dass im Unternehmen der dortigen Beklagten (V.AG) sittenwidrig gehandelt worden war. Denn dort war die grundlegende strategische Entscheidung getroffen worden, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter arglistiger Täuschung des KBA und bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber für Millionen Fahrzeuge eine illegale Motorsteuerung zu entwickeln und diese dann in Verkehr zu bringen. Der BGH hat bei der Frage der Zurechnung nach § 31 BGB das pauschale Bestreiten der V. AG nicht ausreichen lassen und der V. AG eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage auferlegt, wer im Unternehmen der dortigen Beklagten die Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen und ob der Vorstand hiervon Kenntnis hatte. Dies ausgehend davon, dass der Kläger im dortigen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen hatte, dass diese grundlegende strategische Entscheidung von den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden war. Insbesondere hat der BGH das Argument als stichhaltig angesehen, wonach eine solche Strategieentscheidung, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war, normalerweise nicht auf untergeordneter Ebene bzw. nicht ohne Kenntnis des Vorstands getroffen und umgesetzt worden sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Randziffer 29 – nach juris).
Dass eine entsprechende strategische (sittenwidrige) Entscheidung bei der Beklagten getroffen worden wäre oder verfassungsmäßige Vertreter der Beklagten an der von der V. AG getroffenen Entscheidung beteiligt gewesen wären, hat das erstinstanzliche Gericht nicht festgestellt, die Beklagte aber unter Verweis dass diese Entscheidungen einzig bei der Mutter, der V. AG, getroffen worden seien, bestritten.
Der Umstand, dass die Beklagte die von ihrer Muttergesellschaft entwickelten und gelieferten, rechtswidrig manipulierten Motoren in ihre Fahrzeuge einbaute, genügt insoweit nicht. Denn dies allein spricht – auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte für den Automobilhersteller und der mit dem Einsatz der rechtswidrigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken – noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Muttergesellschaft eingebunden gewesen. Feststellungen zu weiteren Anhaltspunkten im Parteivorbringen für eine Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware, etwa zu einer Beteiligung von Mitarbeitern der Beklagten an deren Entwicklung, zu einem Informationsaustausch mit der Muttergesellschaft über die Strategie zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte oder zu einer Überprüfung der Motorsteuerung seitens der Beklagten, enthält das erstinstanzliche Urteil nicht. Das Erstgericht hätte daher eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens nicht bejahen dürfen. Ebenso wenig besteht ohne weitere Anhaltspunkte eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich interner Vorgänge bei der rechtlich selbständigen Muttergesellschaft, zumal insoweit auch unklar bleibt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Umständen das Erstgericht die von ihm angenommene Aufklärungsmöglichkeit der Beklagten ableitet (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Randziffer 30 – nach juris).
2. Diesbezüglich trägt die Klägerin in der Berufungsinstanz auch nichts weiter vor. Damit ist der Tatsachenvortrag der Klägerin nicht ausreichend substantiiert. Der BGH hätte in seinem o.g. Urteil die sekundäre Darlegungslast der Beklagten nicht erörtert, wenn er im dortigen Verfahren nicht von grundsätzlich unsubstantiiertem Vortrag ausgegangen wäre, da es ansonsten der sekundären Darlegungslast nicht bedürfte. Genauso verhält es sich auch im vorliegenden Rechtsstreit.
3. Selbst wenn man von ausreichend substantiiertem Vortrag zur sittenwidrigen Schädigung ausgegangen wäre, wäre ein etwaiger Anspruch der Klägerin verjährt (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB):
a) Die Klägerin, als Partei vom erkennenden Senat vernommen, hat bekundet, 2018 von der Zulassungsstelle Dachau ein Schreiben wegen des Softwareupdates bekommen und erst dadurch von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs erfahren zu haben, auch wenn sie vorher in den Nachrichten vom Dieselskandal erfahren und gewusst habe, dass VW und Audi irgendwie zusammengehörten.
Das hält der Senat so nicht für glaubhaft: Die Klägerin ist von Beruf Betriebsprüferin beim Bundesamt für Steuern und beschäftigt sich beruflich mit Vergleichspreisbildung in Konzernen. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass die Klägerin unter diesen Bedingungen nichts vom bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag der Beklagten mit der V.AG gewusst habe. Damit wusste die Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund vom persönlichen Eindruck von der Klägerin als keineswegs so naiver Person, wie sie sich zumindest teilweise darzustellen versuchte, dass zwischen V. AG und der Beklagten Materiallieferungen stattfanden, weshalb es für die Klägerin gerade zu als dringlich auf der Hand lag, sich sofort nach den ersten Meldungen über 17 U 6239/20 – Seite 6 – Manipulationen bei der V. AG, also Ende 2015, spätestens im Jahr 2016, darüber zu erkundigen, ob ihr Fahrzeug betroffen war, was die Klägerin zur Überzeugung des Senats auch getan hat und damit von der Betroffenheit erfuhr.
b) Das passt auch mit dem Verhalten der Klägerin, erst 2020 Klage zu erheben, zusammen: Denn nach eigenem Eingeständnis ist das (Haupt-) Motiv ihrer Klage, das Fahrzeug loszuwerden, die Unzufriedenheit mit laufenden Fehlermeldungen, die nach Auskunft ihrer Werkstatt vom Softwareupdate ausgelöst würden. Dieses hat die Klägerin 2018 aufspielen lassen und in der Folgezeit erfahren, dass die Beseitigung der Störungsmeldungen bei der Beklagten nicht auf Kulanz liefen.
c) Selbst wenn die Klägerin, was der Senat aber nahezu für ausgeschlossen hält, vor dem 31.12.2016 nicht positiv von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Dieselskandal erfahren haben sollte, hätten die Tatsachenindizien hierauf für die Klägerin zur Überzeugung des Senats so nahe gelegen, dass die Nichtkenntnisnahme der Klägerin schlechterdings nicht mehr erklärbar wäre, weshalb grob fahrlässige Unkenntnis nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (der Senat ist von positiver Kenntnis der Klägerin aber überzeugt) zumindest zu bejahen wäre.
C
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen und dieses Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 708 Nr. 10 analog, § 711 ZPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13.11.2014, NJW 2015, 77, 78, Randziffer 16).
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen kam eine Revisionszulassung nicht in Betracht.