Handels- und Gesellschaftsrecht

Einwendungen des Schuldners aus dem Abtretungsvertrag zwischen Zessionar und Zedent

Aktenzeichen  8 U 2028/19

Datum:
7.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45092
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 176
EGVVG Art. 4 Abs. 2
BGB § 242, § 323 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 S. 1, § 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 349, § 398, § 409 Abs. 1 S. 1, § 433 Abs. 2, § 453 Abs. 1
ZPO § 69

 

Leitsatz

1. Erfüllt der gewerbliche Aufkäufer einer Lebensversicherung die gegenüber dem Versicherungsnehmer in einem “Kauf- und Abtretungsvertrag” übernommene Verpflichtung trotz Aufforderung nicht, dem Versicherungsnehmer nach “Eingang der vollständigen Vertragsunterlagen” innerhalb einer vertraglich vereinbarten Frist das Vertragsguthaben abzgl. eines Bearbeitungsentgelts auszuzahlen, steht dem Versicherungsnehmer gegenüber dem Käufer ein Rücktrittsrecht zu. Der vom Käufer auf Zahlung des Rückkaufswerts in Anspruch genommene Versicherer ist in einem solchen Fall diesem gegenüber berechtigt, den Umstand einredeweise entgegen zu halten. (Rn. 26 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schuldner einer abgetretenen Forderung kann Einwände, die dem Zedenten gegenüber dem Zessionar aus dem der Abtretung zugrunde liegenden Forderungskaufvertrag zustehen, grundsätzlich nicht selbst gegenüber dem die Einziehung betreibenden Zessionar geltend machen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Grundgeschäft und die Abtretung Teil einer einheitlichen Vereinbarung sind (Anschluss an BAG BeckRS 9998, 111682; s. auch OLG Hamm BeckRS 2017, 120545). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 6915/18 2019-05-17 Urt LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Auf die Berufungen der Beklagten und des Streithelfers wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17.05.2019, Az. 11 O 6915/18, aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten beider Rechtszüge, einschließlich der Kosten des Streithelfers, hat die Klägerin zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte oder der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 93.441,26 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung aus übergegangenem Recht sowie auf Ausstellung einer Steuerbescheinigung.
Die Klägerin betreibt den geschäftsmäßigen Aufkauf von Versicherungsverträgen. Sie ist als Inkassodienstleister mit einer Auflage gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 RDG registriert.
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einem zwischen dem Zedenten … B. (Streithelfer) und der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 01.06.1994 geschlossenen Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend (Anlage K 1).
Mit einer als „Kauf- und Abtretungsvertrag“ bezeichneten Vereinbarung vom 23.01.2018/07.02.2018 veräußerte der Zedent die Rechte und Ansprüche aus dem genannten Versicherungsvertrag an die Klägerin (Anlagenkonvolut K 2, Anlage K 3).
Am 07.02.2018 zeigt die Klägerin gegenüber der Beklagten die Abtretung an und bat um Mitteilung des Rückkaufswertes. Mit Schreiben vom 21.02.2018 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Kündigung des Versicherungsvertrages und verlangte die Auszahlung des Rückkaufswertes (Anlage K 4). Dem kam die Beklagte nicht nach.
Mit Schreiben vom 20.11.2018 erklärte der Streithelfer gegenüber der Klägerin die Anfechtung des Kauf- und Abtretungsvertrages wegen arglistiger Täuschung und den Rücktritt vom Vertrag (Anlage B 11).
Nachdem ein im Wege der Stufenklage geltend gemachter Auskunftsanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, hat die Klägerin in erster Instanz zuletzt beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 92.339,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Steuerbescheinigung gemäß § 45a Abs. 2 EStG nach amtlich vorgeschriebenem Muster (Muster II des BMF-Schreibens vom 20.12.2012, IV C 1-S 2401/08/10001-008) in Höhe von 10.442,92 € für die einzubehaltende Kapitalertragssteuer und in Höhe von 574,36 € für den einzubehaltenden Solidaritätszuschlag auszustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat in erster Instanz im Wesentlichen geltend gemacht, die Abtretung sei sowohl gemäß §§ 309 Nr. 2, 307 BGB als auch gemäß § 138 BGB unwirksam. Ferner habe das Geschäft gegen das RDG verstoßen und sei daher nach § 134 BGB nichtig. Die von dem Finanzberater des Streithelfers, Herrn … W. begangene arglistige Täuschung sei der Klägerin zuzurechnen. Außerdem sei die in dem formularmäßigen Kauf- und Abtretungsvertrag enthaltene Widerrufsbelehrung unzureichend.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sachverhalt und zum erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 17.05.2019 hat das Landgericht der Klage vollständig stattgegeben. Dabei hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Streithelfer seine Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag wirksam an die Klägerin abgetreten habe, namentlich das Recht auf Kündigung und auf Auszahlung des Rückkaufswertes. Die Abtretung sei nicht infolge Anfechtung unwirksam. Eine etwaige Täuschung des im Lager des Streithelfers stehenden Herrn … W. sei der Klägerin nicht zuzurechnen. Es liege auch keine Unwirksamkeit nach §§ 309 Nr. 2, 307 BGB vor. Ferner liege in der Abtretung kein sittenwidriges Geschäft. Ebenso wenig handele es sich um eine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 RDG, jedenfalls aber verfüge die Klägerin über die erforderliche Registrierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG. Infolge der wirksamen Kündigung des Vertrages sei eine Abwicklung zum 01.06.2018 vorzunehmen. Aus abgetretenem Recht könne die Klägerin schließlich die Ausstellung einer Steuerbescheinigung verlangen.
Dieses Urteil wurde den Beklagtenvertretern am 22.05.2019 und den Streithelfervertretern am 24.05.2019 zugestellt. Mit einem am 18.06.2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Berufungsschrift des Streithelfers ist am 24.06.2019 bei Gericht eingegangen. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel mit einem am 20.07.2019 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Berufungsbegründung des Streithelfers ist innerhalb verlängerter Frist am 23.08.2019 bei Gericht eingegangen.
Die Beklagte macht im Berufungsrechtszug insbesondere geltend, es habe ein Widerrufsrecht des Streithelfers nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB bestanden. Die Anfechtungserklärung des Streithelfers vom 20.11.2018 sei als Widerrufserklärung auszulegen bzw. in eine solche umzudeuten. Die Widerrufsfrist sei mangels ordnungsgemäßer Belehrung noch nicht verstrichen gewesen.
Im Zusammenhang mit der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB habe das Landgericht verkannt, dass die Täuschung nicht durch die Klägerin oder eine ihrer zurechenbare Person habe begangen werden müssen. Das Erstgericht habe es auch unterlassen, zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB vorgelegen haben.
Die Ausführungen des Landgerichts zum Rückabwicklungsanspruch des Versicherungsnehmers nach §§ 346, 324, 241 Abs. 2 BGB, aus denen sich für die Beklagte der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ergebe, beruhten auf sachwidrigen Gründen und verletzten das rechtliche Gehör der Beklagten.
Der Streithelfer habe im Übrigen nach § 323 BGB vom Kauf- und Abtretungsvertrag zurücktreten dürfen, weil die Klägerin die Zahlung des vollständigen Kaufpreises verweigert habe, obwohl die Leistung fällig sei.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts verstoße die formularmäßige nicht-fiduziarische Vorausabtretung gegen die §§ 307 ff. BGB.
Im Rahmen seiner Ausführungen zu § 138 BGB habe das Landgericht übersehen, dass sämtliche Vermögensvorteile und Gegenleistungen aus den von Herrn W. vermittelten Geschäften in den Blick zu nehmen gewesen wären. Auch im Übrigen sei die Sichtweise des Erstgerichts zu § 138 BGB mit Rechtsfehlern behaftet.
§ 2 Abs. 2 RDG sei anwendbar, weil die Klägerin bei Einzug des Rückkaufswertes nicht in eigener Sache tätig werde. Die Zulassung der Klägerin für Inkassodienstleistungen habe diese nicht zu einer – hier erbrachten – Versicherungsberatung berechtigt.
Die Beklagte und der Streithelfer beantragen im Berufungsverfahren:
1. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17.05.2019, Az.: 11 O 6915/18, wird aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit ihren Berufungserwiderungen vom 30.08.2019 und 27.09.2019.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … B. und … G.. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19.10.2020 Bezug genommen (Bl. 290 ff. d.A.).
II.
Die zulässigen Berufungen der Beklagten und des Streithelfers sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Die im Berufungsrechtszug maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung als sie das Landgericht getroffen hat (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 176 Abs. 1 VVG a.F., Art. 4 Abs. 2 EGVVG, § 398 BGB. Denn der Zedent ist wirksam von dem mit der Klägerin geschlossenen Kauf- und Abtretungsvertrag zurückgetreten (a). Diesen Umstand kann die Beklagte der Klägerin als Einrede entgegenhalten (b).
a) Der Zedent und Streithelfer war berechtigt, gemäß § 323 Abs. 1 BGB von dem mit der Klägerin geschlossenen Kaufvertrag vom 23.01./07.02.2018 zurückzutreten. Denn die Klägerin hat die von ihr geschuldete Leistung nicht vertragsgemäß an den Zedenten erbracht.
aa) Das vorbenannte Rechtsgeschäft ist in einer einheitlichen Urkunde als „Kauf- und Abtretungsvertrag“ bezeichnet worden. Es enthielt in § 1 Abs. 1 als schuldrechtlichen Teil einen Rechtskauf bezüglich aller gegenwärtigen und zukünftigen Rechte des Zedenten aus dem mit der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag. Aufgrund dieses Vertrages hatte die Klägerin als Hauptleistungspflicht den Kaufpreis an den Zedenten zu zahlen (§§ 453 Abs. 1, 433 Abs. 2 BGB).
Dieser Kaufpreis bestand vereinbarungsgemäß im „aktuellen Vertragsguthaben“ abzüglich eines sog. Bearbeitungsentgeltes von 5 % dieses Guthabens (§ 2 Abs. 1 und 3). Die Zahlung des so ermittelten Betrages an den Verkäufer – also den Zedenten – war gemäß § 4 Abs. 1 des Vertrages innerhalb von 18 Tagen nach Eingang der vollständigen Vertragsunterlagen fällig.
bb) Die Klägerin hatte sich mit Schreiben vom 07.02.2018 an die Beklagte gewandt, die Abtretung angezeigt und um Mitteilung des Rückkaufswertes gebeten. In welcher Weise dieses Schreiben beantwortet worden ist, ist nicht aktenkundig. Allerdings steht fest, dass die Beklagte dem Streithelfer am 11.06.2018 einen Rückkaufswert (Vertragswert nebst Überschüssen und Bewertungsreserven unter Berücksichtigung eines Stornoabzugs) zum 01.06.2018 von 115.164,69 € mitteilte (Anlage B 6). Einer an die Klägerin gerichteten Mitteilung der Beklagten vom 27.02.2019 ist ein vertraglicher Auszahlungsbetrag von 103.752,11 € zum 01.06.2018 zu entnehmen (Anlage B 11). Spätestens damit war ein „aktuelles Vertragsguthaben“ im Sinne des § 4 Abs. 1 des Kauf- und Abtretungsvertrages gegenüber der Klägerin nachgewiesen.
Legt man letzteren Betrag zugrunde, wäre spätestens im März 2019 nach Abzug des Bearbeitungsentgeltes ein Kaufpreis von 98.564,50 € an den Streithelfer zu zahlen gewesen. Hingegen hat die Klägerin das Geschäft gegenüber dem Streithelfer bereits am 22.02.2018 in der Weise abgerechnet, dass sie eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag vom 75.209,72 € zugrunde legte, wovon nach Abzug des Bearbeitungsentgeltes 71.449,23 € als „Auszahlungsbetrag“ verblieben sind (Anlage B 16/S 2). Dieser Betrag wiederum sei laut Abrechnungsschreiben erfüllungshalber teilweise an die Fa. T… AG und überwiegend an die Fa. P… GmbH überwiesen worden, so dass der Streithelfer selbst keine unmittelbare Zahlung erhielt.
Die dem Streithelfer in dem vorbenannten Schreiben für die Zeit „voraussichtlich um dem 20.06.2018“ in Aussicht gestellte „endgültige Abrechnung“ ist nicht aktenkundig und auch nicht behauptet worden.
cc) Die Klägerin hat dem Streithelfer darüber hinaus den restlichen Kaufpreis von 23.354,78 € trotz Fälligkeit vorenthalten. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme. Der Zedent … B… ist zwar als Streithelfer auf Seiten der Beklagten dem Rechtsstreit beigetreten. Er ist jedoch nicht Prozesspartei, denn ein Fall des § 69 ZPO liegt nicht vor. Daher war er zu Beweiszwecken als Zeuge zu vernehmen (vgl. Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 455; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 17. Aufl., § 373 Rn. 8 a.E.).
Der Zeuge hat nicht nur glaubhaft und nachvollziehbar die Anbahnung des streitgegenständlichen Kauf- und Abtretungsvertrages geschildert. Er hat auch überzeugend bekundet, dass dieser Vertrag aus seiner Sicht seitens der Klägerin nicht erfüllt worden sei. Man habe ihm insbesondere nie erklärt, wie sich die Differenz zwischen dem hohen Rückkaufswert der Versicherung und dem angeblichen Auszahlungskapital ergeben habe. Eine Information über diesen Rückkaufswert seitens der Klägerin konnte der Zeuge nicht bestätigen. Er habe auch sonst trotz mehrfacher Nachfragen bei der Klägerin keine weiteren Auskünfte erhalten. Direkte Zahlungen der Klägerin an den Zeugen sind nach dessen Aussage nicht erfolgt.
Der Senat verkennt nicht, dass der Zeuge durchaus ein eigenes Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hat und dass er im Rahmen der Vernehmung seine Enttäuschung über den mit der Klägerin geschlossenen Vertrag deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Letzteres erscheint jedoch überaus nachvollziehbar und veranlasst nicht, dem Zeugen eine gesteigerte Belastungstendenz oder fehlende Glaubwürdigkeit zu unterstellen. Im Gegenteil erscheint seine Aussage in jeder Hinsicht plausibel und wird durch die im Rechtsstreit vorgelegten Unterlagen gestützt.
dd) Eine Berechtigung der Klägerin, den restlichen Kaufpreis von 23.354,78 € nicht an den Streithelfer auszuzahlen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere war es der Klägerin nicht gestattet, den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits bzw. etwaige Zahlungen der Beklagten abzuwarten. Die getroffene Fälligkeitsregelung in § 4 Abs. 1 des Kauf- und Abtretungsvertrages ist eindeutig und eine Abhängigkeit vom Erfüllungsverhalten der Beklagten ist der maßgeblichen Vereinbarung nicht zu entnehmen. Vielmehr entspricht es – wie der Senat bereits in vergleichbaren Fällen entschieden hat – dem Geschäftsmodell der Klägerin, das Beitreibungsrisiko für die abgetretenen Ansprüche zu übernehmen.
ee) Eine weitere Frist musste der Streithelfer der Klägerin nicht setzen. Zum einen hat er die Klägerin nach seinen glaubhaften Bekundungen mehrfach ergebnislos aufgefordert, die Differenz zwischen dem Rückkaufswert der Versicherung und dem vorläufig abgerechneten Auszahlungskapital zu erklären. Darüber hinaus hat die Klägerin weder eine endgültige Abrechnung vorgenommen noch sich sonst über den Verbleib der restlichen 23.354,78 € erklärt. Nach dem Gesamtverhalten der Klägerin und unter Berücksichtigung der Interessen des Streithelfers war daher eine weitere Fristsetzung entbehrlich (§ 323 Abs. 2 BGB).
ff) Das Interesse des Streithelfers war ersichtlich auf die wirtschaftliche Partizipation am gesamten Wert des gekündigten Versicherungsvertrages – abzüglich einer Bearbeitungsgebühr – gerichtet. Dies war für ihn unzweifelhaft tragendes Motiv des Vertragsschlusses mit der Klägerin, zumal das frei werdende Kapital der glaubhaften Schilderung nach für die Altersvorsorge eingesetzt werden sollte. Abgesehen von der dubios anmutenden „Anschlussinvestition“ in Goldbarren und dem Verbleib des – jedenfalls der Papierform nach – investierten Kapitals, hat der Streithelfer an einem lediglich teilweise erbrachten Kaufpreis kein Interesse. Eine Beschränkung hierauf erscheint auch nicht zumutbar. Der Streithelfer durfte daher vom gesamten Kaufvertrag zurücktreten (§ 323 Abs. 5 Satz 1 BGB).
gg) Dieser Rücktritt ist schließlich auch wirksam gegenüber der Klägerin erklärt worden (§ 349 BGB). Das anwaltliche Schreiben vom 20.11.2018 (Anlage B 11/S 9) enthält zwar hinsichtlich des Rücktritts nur einen Bezug auf §§ 324, 241 Abs. 1 BGB. In der Rücktrittserklärung muss der konkrete Rechtsgrund jedoch nicht angegeben werden (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.1986 – VIII ZR 349/85, NJW 1987, 831, 833; OLG Brandenburg, NJW-RR 2012, 88, 90). Es bedarf auch keiner weiteren Begründung, solange der Empfänger erkennen kann, dass sich der andere Teil vom Vertrag lösen will (vgl. MüKo-BGB/Gaier, 8. Aufl., § 349 Rn. 5; BeckOGK/Schall, BGB, § 349 Rn. 20 [Stand: 01.11.2020]). Dies ist hier der Fall. Im Übrigen hatte der Streithelfer den Rücktritt im Laufe des Rechtsstreits auch auf § 323 BGB gestützt und dies mit der unvollständigen Kaufpreiszahlung begründet.
b) Aufgrund dieses Rücktritts ist die Klägerin verpflichtet, die abgetretenen Rechte und Ansprüche an den Streithelfer zurück zu übertragen (§ 346 Abs. 1 BGB). Solange dies nicht geschehen ist, bleibt die Klägerin im (Außen-)Verhältnis zur Beklagten Inhaberin des Anspruchs auf Zahlung des Rückkaufswertes.
aa) Der Schuldner einer abgetretenen Forderung kann Einwände, die dem Zedenten gegenüber dem Zessionar aus dem zugrundeliegenden Forderungskaufvertrag zustehen, grundsätzlich nicht selbst gegenüber dem die Einziehung betreibenden Zessionar geltend machen (vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1973 – V ZR 48/72, NJW 1974, 185, 186). Er ist zumeist durch § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB ausreichend geschützt. Zudem ist die Wirksamkeit des durch die abstrakte Verfügung herbeigeführten Forderungsübergangs von der Existenz und Wirksamkeit des Rechtsgrundgeschäfts unabhängig (sog. äußere Abstraktion; vgl. RGZ 102, 385, 386 f.; BeckOGK/Lieder, BGB, § 398 Rn. 80 [Stand: 01.08.2020]). Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Grundgeschäft und die Abtretung Teil einer einheitlichen Vereinbarung sind (vgl. BAG, NJW 1967, 751 m.w.N.). So liegt der Fall auch hier. Das von der Klägerin vorbereitete Formular, bei dem es sich zweifelsfrei um Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 BGB) handelt, ist mit der Bezeichnung „Kauf- und Abtretungsvertrag“ überschrieben. In der maßgeblichen Klausel unter § 1 Abs. 1 sind sowohl der Verkauf als auch unmittelbar anschließend die Abtretung geregelt. Dies lässt darauf schließen, dass die Abtretung nach dem Willen der Vertragsparteien in ihrer Wirksamkeit vom Bestand und Umfang des Grundgeschäfts abhängig sein soll. Somit ist es der Beklagten als Schuldnerin erlaubt, sich sowohl rechtshindernde als auch rechtsvernichtende Einwendungen des Streithelfers gegen den Forderungskaufvertrag zu Eigen zu machen.
bb) Jedenfalls ergibt sich eine dauerhafte Einrede der Beklagten gegenüber der Klägerin aus § 242 BGB. Denn mit der Auszahlung des Rückkaufswertes würde die Klägerin aus abgetretenem Recht etwas erlangen, was sie infolge des Rücktritts an den Streithelfer in Form vom Wertersatz herauszugeben hätte (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB; vgl. hierzu Staudinger/Kaiser, BGB, 13. Aufl., Bearbeitung 2012, § 346 Rn. 138 m.w.N.). Diesen „dolo-agit“-Einwand kann hier im Wege eines „Durchgriffs“ auch die Beklagte als Schuldnerin der abgetretenen Forderung erheben (vgl. BeckOGK/Kähler, BGB, § 242 Rn. 1113 f. und 1344 [Stand: 15.07.2020]). Denn der Klägerin fehlt ein schutzwürdiges und nachvollziehbares Interesse daran, die Zahlung an sich selbst zu verlangen und den Streithelfer – also den letztlich Berechtigten – mit dem Risiko zu belasten, die Leistung aus dem Versicherungsvertrag nicht oder erst sehr viel später zu erhalten (vgl. zu einen vergleichbaren Fall: OLG Hamm, r+s 2020, 414 Rn. 24 ff. m.w.N.).
c) Bei dieser Sachlage kommt es auf die sonstigen gegen die Wirksamkeit des Kauf- und Abtretungsvertrages erhobenen Einwendungen nicht entscheidungserheblich an. Ebenso wenig muss entschieden werden, ob der Streithelfer berechtigt war, dieses Geschäft anzufechten oder seine Vertragserklärung fristgemäß zu widerrufen.
d) Aufgrund der zuvor dargelegten Einrede ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, der Klägerin eine Steuerbescheinigung zu erteilen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 1, 711 ZPO.
4. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Streitfall wirft keine Rechtsfragen auf, die der höchstrichterlichen Klärung bedürfen.
5. Der Streitwert wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1 GKG festgesetzt. Den Wert des Anspruchs auf Erstellung der Steuerbescheinigung schätzt der Senat auf 10 % des auszuweisenden Betrages (§ 3 ZPO).

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