Aktenzeichen S 31 R 502/16
SGB X SGB X § 39 Abs. 2
BGB BGB § 672 S. 1, § 675 f Abs. 2
Leitsatz
Die Berücksichtigung anderweitiger Verfügungen im Sinn von § 118 IV S. 3 SGB VI setzt nicht die Gutgläubigkeit der Bank voraus (entgegen BSG vom 24.02.2016, B 13 R 22/15 R und 25/15 R; unter Berufung auf Beschluss v. BSG v. 07.04.2016, B 5 R 26/14 R).
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von 72,72 Euro gegen die Beklagte.
Die Voraussetzungen des § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI sind nicht erfüllt.
Unstreitig wurden zwar die Rentenzahlungen an den Versicherten für die Monate April bis November 2013 zu Unrecht erbracht, nachdem sich der zugrunde liegende Rentenbescheid gemäß § 39 Abs. 2 SGB X mit dem Tode des Versicherten erledigt hat.
Jedoch kann sich die Beklagte darauf berufen, dass sie über diesen Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits verfügt hatte.
Gemäß § 118 Abs. 3 SGB VI gelten Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tode eines Berechtigten auf sein Konto überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie dem Träger der Rentenversicherung zurückzuüberweisen, wenn dieser die Geldleistung als zu Unrecht erbracht zurückfordert. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht jedoch nicht, soweit über den entsprechenden Betrag „bei Eingang der Rückforderung“ bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, die Rücküberweisung kann aus einem Guthaben erfolgen.
Nach diesem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes besteht kein Rücküberweisungsanspruch in Höhe von 72,72 Euro. Denn dieser Betrag befand sich bei Eingang der Rückforderung am 25.11.2013 nicht mehr auf dem Konto des Verstorbenen. Die Beklagte hatte darüber bereits verfügt (in Höhe von 18,78 Euro am 02.09.2013 und in Höhe von 53,94 Euro am 01.10.2013). Für diesen Fall regelt § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI: „Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde (…).“
Die erkennende Kammer schließt sich nicht der Rechtsauffassung an, wonach anderweitige Verfügungen entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nur zu berücksichtigen wären, wenn die Bank gutgläubig ist, sprich: wenn sie keine Kenntnis vom Tod ihres Kunden hat.
Zwar hat der 13. Senat des BSG, zuletzt in seinen Urteilen vom 24.02.2016 (siehe oben), daran festgehalten, dass Verfügungen, die eine Bank nach Kenntnis vom Tod des Kontoinhabers trifft, unbeachtlich seien und folglich den Rücküberweisungsanspruch des Rentenversicherungsträgers aus § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI nicht schmälern. Für den 13. Senat stellt die Gutgläubigkeit der Bank ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 118 Abs. 3 dar (vgl. B 13 R 22/15 R, Rn 18 im juris-Dokument).
Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich auf den Zeitpunkt abstellt, zu welchem die Rückforderung bei der Bank eingeht, widerspricht die Rechtsauffassung des 13. Senats dem Willen des Gesetzgebers. Hätte der Gesetzgeber auf den Zeitpunkt abstellen wollen, zu dem die Bank Kenntnis vom Tod ihres Kunden erlangt, so hätte er dies problemlos entsprechend regeln können. § 118 Abs. 3 S.2 SGB VI hätte dann lauten können: „… soweit über den entsprechenden Betrag nach Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers bereits anderweitig verfügt wurde“. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall.
Nichts deutet darauf hin, dass die gültige gesetzliche Regelung auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Die Entscheidung des Gesetzgebers, auf den Eingang der Rückforderung abzustellen, dient der Rechtsklarheit für alle Beteiligten und der Rechtssicherheit für die Geldinstitute. Vor Eingang einer Rückforderung kann und muss eine Bank nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass eingegangene Rentenzahlungen auf jeden Fall zurückzuüberweisen sein werden. Die Bank kann nicht wissen, ob Erben oder Empfänger von Verfügungen ihrerseits bereits an den Rentenversicherungsträger Zahlungen auf diese Rückforderung geleistet haben.
Im Übrigen fehlt es der Bank an rechtlichen Möglichkeiten, Verfügungen über ein Konto ab Kenntnis vom Tod des Kontoinhabers zu verweigern. Der dem Konto zugrunde liegende Girovertrag, ein Zahlungsdienstevertrag im Sinne von § 675f Abs. 2 BGB, endet nicht mit dem Tod des Kontoinhabers, vgl. § 672 S. 1 BGB, sondern wird mit dessen Erben, seinen Gesamtrechtsnachfolgern gemäß § 1922 BGB, fortgesetzt. Die Bank ist folglich verpflichtet, Überweisungsaufträge der Erben auszuführen sowie Daueraufträge, Lastschriften und Barauszahlungen. Würde die Bank entsprechende Kontoverfügungen verweigern, könnte sie gemäß § 280 Abs. 1 BGB sogar schadensersatzpflichtig werden.
Bejaht man gleichwohl einen Rücküberweisungsanspruch auch hinsichtlich der Beträge, über die nach Kenntnis vom Tod und vor Eingang der Rückforderung verfügt wurde, so überantwortet man der Bank das Risiko, Rückforderungsansprüche des Rentenversicherungsträgers auch dann erfüllen zu müssen, wenn das Geld auf dem Konto nicht mehr vorhanden ist. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass die Bank den Rücküberweisungsanspruch in solchen Fällen aus eigenem Vermögen zu befriedigen hätte. Dies entspräche jedoch nicht ihrer Rolle eines unbeteiligten Zahlungsmittlers.
Für die dem Wortlaut des § 118 Abs. 3 SGB VI entsprechende Auslegung spricht auch der Beschluss des BSG vom 07.04.2016 (B 5 R 26/14 R), mit dem der 5. Senat beim 13. Senat anfragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte, dass ein Anspruch des Rentenversicherungsträgers auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, nicht die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraussetze. Der 5. Senat ist der Auffassung, dass eine solche Rücküberweisung nur zu erfolgen hat, wenn das Rentenzahlkonto noch vorhanden ist. Die Rücküberweisungspflicht beziehe sich nur auf dieses Konto.
Zwar wurde im vorliegend zu entscheidenden Fall das Konto vor Eingang des Rückforderungsersuchens nicht gelöscht. Jedoch legt der 5. Senat in der Begründung seines Beschlusses dar, dass eine Haftung der Geldinstitute mit eigenem Vermögen in Anbetracht von Wortlaut, Systematik und sonstiger gesetzgeberischer Zielsetzung nicht gerechtfertigt sei. So heißt es: „Zwar ist Ziel des in § 118 Abs. 3 SGB VI geregelten Anspruchs gegen das Geldinstitut auch, sicherzustellen, dass zu Unrecht gezahlte Rentenleistungen schnell und vollständig zurückgeführt werden sollen, um die Solidargemeinschaft der Versicherten vor finanziellen Nachteilen zu bewahren. Indessen sagt dieses Normziel allein nichts darüber aus, welche Konsequenzen eintreten sollten, wenn diese Rückforderung auf dem gesetzlich vorgegebenen Weg misslingt. Insbesondere rechtfertigt sich hieraus nicht – gegen Wortlaut, Systematik und sonstige gesetzgeberische Zielsetzung – sachlich-logisch eine Haftung der Geldinstitute mit eigenem Vermögen“ (a.a.O., Rn 42 im juris-Dokument).
Der 5. Senat führt weiterhin aus, dass die Ansprüche gegen das Geldinstitut aus § 118 Abs. 3 SGB VI nur einen Teil der möglichen Rechtsfolgen einer Rentenüberweisung nach dem Tod darstellt. Darüber hinaus bestehe für den Rentenversicherungsträger auch die Möglichkeit, die Empfänger einer Geldleistung gemäß § 118 Abs. 4 SGB VI in Anspruch zu nehmen oder auch die Erben des Verstorbenen (a.a.O., Rn 43 im juris-Dokukment). Diese Argumentation hat auch Gültigkeit in der vorliegenden Fallkonstellation. Sie ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen das Rentenzahlkonto bereits aufgelöst wurde.
Dass der Weg der Inanspruchnahme von Empfängern aus § 118 Abs. 4 SGB VI im Übrigen einen praktikablen und erfolgversprechenden Weg bietet, zeigt auch der Ablauf im vorliegenden Fall: Die Klägerin hatte hinsichtlich der Verfügungen, die vor Kenntnis der Bank vom Tod des Versicherten getroffen worden waren, die Empfänger um Rücküberweisung gebeten. Unter anderem auch „D-Firma Deutschlandradio“. Diese Rücküberweisungsverlangen hatten Erfolg. Ebenso erfolgreich war das Betreiben der Beklagten während des laufenden Klageverfahrens: Nach Aufforderung durch die Beklagte zahlte „D-Firma Deutschlandradio“ auch die Rundfunkgebühren, die nach Kenntnis und vor Eingang des Rücküberweisungsverlangens noch überwiesen worden waren. Die Versichertengemeinschaft kommt auf diesem Wege häufig zu ihrem Recht (auf Rückführung der zu Unrecht bezahlten Rentenbeträge), wie auch die gerichtsbekannte Verwaltungspraxis zum Beispiel der DRV Bayern Süd zeigt, die sich – im Gegensatz zur hier klagenden DRV Bund – regelmäßig und oft erfolgreich an die Empfänger von Kontoverfügungen wendet, wenn die Bank eine Rücküberweisung verweigert.
Die Tatsache, dass Ansprüche aus § 118 Abs. 3 SGB VI Vorrang haben vor Ansprüchen aus § 118 Abs. 4 SGB VI, steht dieser Vorgehensweise nicht entgegen, solange die Empfänger erst in Anspruch genommen werden, wenn der Betrag von der Bank nicht zurückerlangt werden konnte. Richtet man sich nach dem eindeutigen Wortlaut von § 118 Abs. 3 S. 3, so ist dieser ohnehin erst ab Eingang des Rückforderungsersuchens anwendbar, und steht hinsichtlich Verfügungen vor Eingang des Ersuchens einer Vorgehensweise nach Absatz 4 nicht im Wege.
Den Geldinstituten das Risiko der Überzahlungen nach dem Tode von Rentenempfängern zu überantworten, erscheint auch angesichts der aus vielen Rückforderungsfällen gerichtsbekannten zeitlichen Abläufe nicht angemessen. Denn letztlich hätte das Geldinstitut dann die Folgen daraus zu tragen, dass es der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gelingt, Rentenzahlungen unverzüglich nach Kenntnis vom Tod eines Versicherten einzustellen, und dass der Rentenversicherungsträger außerdem oftmals Wochen braucht, um nach seiner Kenntnis vom Tod des Versicherten ein Rückforderungsersuchen an dessen Geldinstitut zu senden.
Folglich hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rücküberweisung von 72,72 Euro gegen die Beklagte. Auf die Ausführungen der Klägerin zu bereicherungsrechtlichen Fragen kommt es daher nicht mehr an.
Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der erkennenden Kammer die Zahlung, die „D-Firma Deutschlandradio“ während des laufenden Klageverfahrens an die Klägerin geleistet hat, durchaus nicht ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Die Klägerin hat gemäß § 118 Abs. 4 einen Anspruch gegen „D-Firma Deutschlandradio“. Selbst wenn man der Auffassung der Klägerin folgt, wonach die Vorrangigkeit des Anspruch aus § 118 Abs. 3 SGB VI eine Inanspruchnahme der Empfänger des Geldes verbieten würde, so bedeutet dies jedoch nicht, dass eine Anspruchsgrundlage und somit ein Rechtsgrund für die Zahlung durch den Empfänger in § 118 Abs. 4 SGB VI nicht gegeben ist. Der Empfänger zahlt die empfangene Rente in dem Bewusstsein zurück, dass sie ihm nicht zusteht, und möchte durch die Zahlung seine weitere Inanspruchnahme auf dem Rechtsweg verhindern. Er möchte seine Verpflichtung aus § 118 Abs. 4 SGB VI erfüllen. Aus diesem Rechtsgrund zahlt er.
Im Übrigen erscheint es auch lebensfremd, anzunehmen, dass ein Empfänger, der sein Geld aus unberechtigten Rentenzahlungen empfangen hat, und aus diesem Grunde bereit ist, das Empfangene an die gesetzliche Rentenversicherung zurückzuzahlen, anschließend auf die Idee käme, dass diese Zahlung ohne jeden Rechtsgrund erfolgt sei und deshalb rückabgewickelt werden müsste. Einem solchen Verhalten stünde nach Auffassung des Gerichts schon § 242 BGB entgegen (venire contra factum proprium).
Die Klage war somit in vollem Umfang abzuweisen, die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Da eine abschließende Klärung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen beim BSG noch aussteht, war die Berufung zuzulassen.