Handels- und Gesellschaftsrecht

Festsetzung des Geschäftswertes für die Gerichtsgebühren im Insolvenzverfahren bei Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter

Aktenzeichen  7 T 2678/16

Datum:
9.11.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 119299
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 58, § 63 Abs. 1
InsVV § 1 Abs. 2 Nr. 4b
InsO § 35, § 74
ZPO § 79 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Für die Berechnung der Gerichtsgebühren im Insolvenzverfahren ist bei Fortführung des Betriebs durch den Insolvenzverwalter der Wert der Insolvenzmasse anhand des gesamten Umsatzes während der Unternehmensfortführung zu ermitteln, ohne dass die in diesem Zeitraum entstandenen Kosten für die Betriebsfortführung in Abzug zu bringen sind. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein gegenüber dem insolvenzrechtlichen Begriff (§§ 35 ff. InsO) eigenständiger kostenrechtlicher Begriff der Insolvenzmasse ist nicht zu bilden, so lange keine funktionale Abweichung dazu zwingt. Keinen Grund für ein abweichendes kostenrechtliches Verständnis bieten insbesondere “Gleichlaufüberlegungen” im Zusammenhang mit der InsVV oder die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung oder einer Gefährdung des Sanierungszwecks durch zu hohe Gerichtsgebühren. (Rn. 13 – 14 und 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 IN 277/13 2016-05-11 Bes AGWOLFRATSHAUSEN AG Wolfratshausen

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Vertreters der Staatskasse vom 21.5.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts-Insolvenzgerichts Wolfratshausen vom 11.5.2016 dahingehend abgeändert, dass der Wert für die Gerichtsgebühren auf € 1.114.390,- festgesetzt wird.
II. Dr. J. S. wird als Bevollmächtigter zurückgewiesen.
III. Die weitere Beschwerde zum OLG München wird zugelassen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 8.11.2013 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Betrieb wurde im weiteren Lauf des Verfahrens fortgeführt.
Am 5.1.2016 erging dann Schlusskostenrechnung für das Insolvenzverfahren. Ausgehend von einem der Rechnung zugrunde gelegten Wert (der Insolvenzmasse) von 1.111.008,- € beliefen sich die gesamten Kosten auf € 18.441,96.
Mit Beschluss vom 21.1.2016 war das Verfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben worden.
Mit Schreiben vom 27.1.2016 legte die Schuldnerin gegen die Schlusskostenrechnung/den Kostenansatz Rechtsmittel ein. Sie trägt vor, dass im Fall der Betriebsfortführung der erwirtschaftete Überschuss maßgeblich sei. Der Bezirksrevisor nahm am 11.2.2016 Stellung. Mit Beschluss vom 11.5.2016 legte das Insolvenzgericht sodann den Geschäftswert gem. § 63 I GKG für die Berechnung der Gerichtsgebühren auf € 184.078,19 fest.
Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse vom 21.5.2016, die das Ziel verfolgt, den Geschäftswert auf € 1.114.390,- festzusetzen, weil maßgeblich nicht der Reinerlös als Geschäftswert, sondern der Umsatz im Zeitraum der Betriebsfortführung sei.
Mit Beschluss vom 4.7.2016 hat der Einzelrichter der Kammer über die Beschwerde entschieden. Mit Schreiben vom 22.7.2016 legte der Schuldnervertreter Gegenvorstellung ein und beantragte eine Entscheidung unter Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Daraufhin hob der Einzelrichter mit Beschluss vom 4.11.2016 den Beschluss vom 4.7.2016 auf und übertrug die Sache zur Entscheidung über die Beschwerde vom 21.5.2016 auf die Kammer.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Staatskasse hat auch in der Sache Erfolg.
Maßgeblich für die Berechnung der Gerichtsgebühren ist der Gesamtumsatz, also die Summe der Einnahmen während der Unternehmensfortführung und nicht der nach Abzug der Ausgaben verbleibende Überschuss, wie dies § 1 II Nr. 4 b InsVV für die Vergütung des Verwalters vorsieht.
Dies ergibt sich aus § 58 GKG, der auf die Insolvenzmasse abstellt.
1. Dabei ist der Begriff der Insolvenzmasse so zugrunde zu legen, wie er in §§ 35 ff InsO beschrieben ist, gegebenenfalls in der Ausprägung, die er in der Rechtsprechung erfahren hat. Während des Insolvenzverfahrens erzielte Einkünfte (sogenannter Neuerwerb) gehört danach in vollem Umfang zur Insolvenzmasse und nicht nur in Höhe des sich aus der Verminderung der Einnahmen um die betrieblich veranlassten Ausgaben ergebenden Gewinns, vgl. BGH, Beschluss vom 20.3.2002, IX ZB 388/02).
Ein eigenständiger kostenrechtlicher Begriff ist nicht zu bilden, so lange keine funktionale Abweichung dazu zwingt. Allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber diesen Begriff (sowohl im GKG als auch in der InsO) verwendet, spricht dafür, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu respektieren.
2. Keinen Grund für ein abweichendes kostenrechtliches Verständnis bieten insbesondere „Gleichlaufüberlegungen“ im Zusammenhang mit der InsVV, da Gerichtsgebühren und die Vergütung des Insolvenzverwalters strukturell vollkommen verschieden sind und nicht miteinander verglichen werden können. Gerichtsgebühren sind öffentliche Abgaben, keine Entgelte und fallen deswegen ohne Rücksicht auf den dafür entstehenden Aufwand des Gerichts an, vgl. Hartmann, KostG 46. Aufl. 2016, Einl. II A Rz 4.
Die Insolvenzverwaltervergütung ist demgegenüber eine echte leistungsbezogene Vergütung, wie die grundsätzliche Struktur der InsVV belegt. Ähnlich wie im Anwendungsbereich des RVG leitet sich von einer großen Masse ein höherer Aufwand und eine größere Verantwortung, d. h. ggf. Haftung, des Verwalters ab (Kalkmann in: Graf-Schlicker, InsO, § 1 InsVV, Rn. 1).
Darüberhinaus stellt die Regelung des § 1 II Nr. 4 b InsVV eine Ausnahme von dem auch in Abs. I dieser Vorschrift statuierten Grundsatz der Nichtberücksichtigung von Masseverbindlichkeiten dar, mit dem (jedenfalls bei Erzielung eines Überschusses) nach Haarmeyer, InsVV, § 1 Rz 92, ein erfolgsorientiertes Merkmal in die Vergütung des Verwalters einfließen soll. Insoweit verbietet sich eine entsprechende Anwendung der Vorschrift bei der Bemessung des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wertes.
Zwar ist fraglich, ob der Insolvenzverwalter durch diese Regelung in der Praxis oftmals begünstigt wird, da die Masse häufig geringer sein wird, vgl. Keller, Heidelberger Komm. zur InsO, 8. Aufl., § 1 InsVV, Rz 32 und 34. Häufig sind die gesamten Masseverbindlichkeiten höher als die Einnahmen und es mindert sich die Berechnungsgrundlage durch den Abzug der Masseverbindlichkeiten stärker als sie sich durch einen hinzuzurechnenden Überschuss erhöht, weshalb der Insolenzverwalter häufig zu einer Kompensation nach § 3 InsVV greifen können und müssen wird, Keller, a.a.O. Zumindest aber soll durch die Vorschrift der Verwalter selbstverständlich weiter motiviert werden, einen möglichst hohen Überschuss zu erzielen. Dies ist für die Bemessungsgrundlage der Gerichtsgebühren jedoch ohne Bedeutung.
3. Das OLG München verweist in der Entscheidung vom 8.8.2012, 11 W 832/12, auch nachvollziehbar darauf, dass ein kostenmäßiger „Gleichlauf“ zwischen der Regelung der Gerichtskosten in einem förmlichen Gesetz und der Regelung der Verwaltervergütung in einer Verordnung aufgrund der unterschiedlichen Rechtsqualität nicht zwingend geboten ist. Es erscheint auch der Kammer systematisch durchaus korrekt, den Begriff der Insolvenzmasse im GKG mit dem entsprechenden Begriff in der Insolvenzordnung gleichzusetzen und sich nicht an der Insolvenzverwaltervergütungsverordnung zu orientieren.
4. Unabhängig von der Rechtsnormqualität der InsVV ist außerdem zu beachten, dass es sich bei § 1 II Nr. 4 b InsVV um eine Ausnahmevorschrift handelt (vgl. Keller in Heidelberger Komm. zur InsO, 8. Aufl., § 1 InsVV, Rz 33), die grds., d.h. auch hinsichtlich ihrer Ausstrahlungswirkung, eng auszulegen ist.
5. a. Die Kammer sieht die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung und auch einer Gefährdung des Sanierungszweckes durch zu hohe Gerichtsgebühren, vgl. OLG Düsseldorf, ZinsO 2015, 1581. Dies kann aber nicht dazu führen, die grundsätzlich zweistufige Struktur der Gebührenermittlung im Gerichtskostenrecht aufzugeben. Die hier allein maßgebliche Festsetzung des Geschäftswertes hat sich an Systematik und Wortlaut des Gesetztes zu orientieren. Unerwünschten Auswirkungen der letztlich anfallenden Gebühren muss gegebenenfalls mit anderen kostenrechlichen Maßnahmen begegnet werden, nicht aber mit einer Veränderung des Geschäftswertes. Gegebenenfalls muss der Gesetzgeber tätig werden.
b. Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn im Einzelfall durch die Festsetzung des Geschäftswertes im Ergebnis eine „erdrückende Gebühr“ geschaffen würde, die grundrechtlich geschützte Positionen, wie etwa das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, berühren würde, kann dahinstehen. Diesbezüglich wurde konkret weder vorgetragen, noch ist angesichts des Umsatzes der Schuldnerin von einer ernsthaften Gefährdung auszugehen, zumal die Befriedigung der Gerichtskosten zunächst zu Lasten der übrigen Gläubiger geht.
6. Die gesetzgeberischen Erwägungen im Rahmen der Neuschaffung des § 74 InsO, vgl. hierzu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 12/2443, S.130 sowie den Gesetzentwurf zu EGInsO (BT-Drucksache 12/3803, S.72 vermögen schließlich entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart (Beschluss vom 30.4.2014, 8 W 149/14) die Gegenauffassung auch nicht zu stützen. Aus Sicht der Kammer bezieht sich die in den Materialien betonte Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens nicht auf einen Gleichlauf im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage bei der Gerichtskostenbestimmung und der Verwaltervergütung, sondern auf die verschiedenen gleichrangigen Verwertungsarten. Der Gesetzgeber hat hier ausgeführt, dass die Vergütungsstruktur – betreffend die zu regelnde Vergütung des Insolvenzverwalters (!) – einheitlich „so ausgestaltet sein soll, dass der Verwalter nicht gehalten sein soll, ein Verfahrensergebnis vor dem anderen zu bevorzugen.“ Dies, insbesondere aber auch die Vereinheitlichung des für die Bemessung maßgeblichen Zeitpunktes, insoweit sollte nach der Begründung ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Beendigung des Verfahrens abgestellt werden, waren die tragenden Gründe im Rahmen von § 74 InsO, vgl. auch hierzu OLG Düsseldorf vom 27.7.2010, I-10 W 60/10, 10 W 60/10. Eine in jeder Hinsicht einheitliche Behandlung im Hinblick auf die Gerichtskosten und damit eine Definition des gebührenrechlichen Massebegriffes dürfte hingegegen nicht Gegenstand der gesetzgeberischen Erwägungen zu § 74 InsO gewesen sein. Der amtlichen Begründung zu § 1 InsVV sind keine weiterführenden Erwägungen zu entnehmen. Dort wird auf § 2 der bisherigen Vergütungsverordnung Bezug genommen. Die amtliche Begründung hierzu, Bundesanzeiger Nr. 127 vom 6.7.1960, S. 4 ff führt hierzu unter Ziff. V 1 a ebenfalls nicht näher zur besonderen Regelung für den Fall der Unternehmensfortführung aus, sondern verweist wiederum auf die „bisherigen Vorschriften“, worunter insbesondere die vom Reichsjustizminister ausgegebenen „Richtlinien für die Vergütung des Konkurs- und Vergleichsverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses und Gläubigerbeirates“ aus dem Jahr 1936 fallen dürften, vgl. die amtliche Begründung zur Vergütungsverordnung für Konkursverwalter aus dem Jahr 1960 Ziff. II 1. Insoweit ist weiterer Erkenntnisgewinn nicht möglich.
Aus diesen Gründen ist im Ergebnis an der vom OLG München, dem OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.7.2010, I-10 W 60/10, 10 W 60/10 und dem LG Konstanz, NZI 2013, 494 und von Hartmann (Kostengesetze, 48.Auflage, § 58 GKG Rz 2) vertretenen Auffassung festzuhalten.
7. Die Summe der Erlöse beläuft sich vorliegend ric htigerweise auf € 1.114.390,- und nicht, wie in der Kostenrechnung zugrunde gelegt, auf 1.111.008,- €. Der geleistete Verfahrenskostenvorschuss in Höhe von € 3.381,96 mindert (entgegen den Erwägungen, die offenbar der Kostenrechnung zugrunde liegen) den Wert nicht.
III.
Die Zurückweisung von Hr. Dr. S. beruht auf § 79 III ZPO.
Die Vorschrift ist gem. §§ 68 I 5, 66 Abs. V S.2 GKG, § 4 InsO anwendbar.
Hr. Dr. S. gehört als Notar a.D. und Vater der Lebensgefährtin des Geschäftsführers, vgl. Bl. 235 d.A., nicht zu dem in § 79 II ZPO aufgeführten Personenkreis. Die Zurückweisung ist nach dem Gesetz zwingend, hat aber gem. § 79 III S.2 ZPO keine Auswirkungen auf die wirksam eingelegte Beschwerde.
IV.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen. Die richtige Gebührenberechnung bei Unternehmensfortführung berührt das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechtes. Die Frage kann sich in einer Vielzahl von Fällen stellen und ist für die betroffenen Schuldner, aber auch für die Gläubiger im Hinblick auf die Schmälerung der Masse von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Darüberhinaus besteht angesichts der divergierenden Auffassungen der Oberlandesgerichte ein Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtsprechung.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 68 III.

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