Handels- und Gesellschaftsrecht

Festsetzung eines Streitwerts für  die Klage auf Feststellung einer Ersatzpflicht

Aktenzeichen  4 Ta 51/17

Datum:
31.7.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146448
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 40, § 48 Abs. 1, § 63 Abs. 2 u. 3 S. 2, § 68 Abs. 1 S. 3
InsO § 182
ZPO § 3, § 4
RVG § 23 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Der Streitwert der Klage auf Feststellung einer Ersatzpflicht für künftig eintretende Schäden bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Klagepartei an der begehrten Feststellung. Dies ist abhängig von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, des Risikos einer tatsächlichen Inanspruchnahme und der Realisierbarkeit des Schadensausgleichs. (Rn. 19 und 20)

Verfahrensgang

3 Ca 38/16 2017-02-06 Bes ARBGWUERZBURG ArbG Würzburg

Tenor

Auf die Beschwerden der Klägerin und der Nebenintervenientin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 06.02.2017, Az.: 3 Ca 38/16, dahin abgeändert, dass der Streitwert für das Verfahren auf EUR 10.495.210,56 festgesetzt wird.

Gründe

I.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18.01.2016 (Bl. 35 – 210 der Beschwerdeakte) gegen 6 – zum Teil bereits ausgeschiedene – Mitarbeiter und 2 Vorstandsmitglieder wegen gemeinschaftlicher Untreue zu ihren Lasten zur Sicherung von Schadensersatzansprüchen in einer Gesamthöhe von EUR 12.773.521,07 die Verhängung eines dinglichen Arrestes beantragt. Bezüglich der streitgegenständlichen 128 Fälle von Schmiergeldzahlungen an Angestellte türkischer Kunden errechnete sie einen von den Beklagten gesamtschuldnerisch auszugleichenden Schadensersatzanspruch von EUR 1.740.279,02, bestehend aus abgeflossenen Schmiergeldzahlungen von EUR 607.919,65, den zur Sachverhaltsaufklärung erforderlichen Sachverständigenkosten von EUR 903.056,87 und Rechtsanwaltskosten von EUR 229.302,50. Von ihr geschätzt wurde daneben ein finanzielles Gesamtrisiko im Rahmen des laufenden Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Würzburg (Az.: 711 Js 12397/15) in Höhe von EUR 10.896.648,60 zuzüglich anfallender weiterer Sachverständigenkosten von EUR 136.593,45.
Nicht in ihre Schätzung eingeflossen sind eventuelle Ansprüche Dritter (Kunden, Wettbewerber).
Mit weiterem Schriftsatz vom 18.01.2016 (Bl. 472-632 der Beschwerdeakte) hat die Klägerin Klage beim Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Schweinfurt – erhoben mit folgenden Anträgen:
1. Die Beklagten zu 1.) bis 8.) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 1.740,279,02 zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass
a) die Beklagten zu 1.) bis 8.) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin durch 128 Fälle von zwischen 2006 und 2011 erfolgten Schmiergeldzahlungen an Angestellte oder nahestehende Personen von türkischen Kunden entstanden sind oder noch entstehen werden,
b) darüber hinaus die Beklagten zu 7.) und 8.) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin dadurch entstanden sind oder noch entstehen, dass die Beklagten zu 7.) und 8.) auf die Mitteilung der internen Revision vom 19.01.2006 hin nicht gegen die Schmiergeldzahlungen an Angestellte oder nahestehende Personen türkischer Kunden eingeschritten sind, soweit diese Schäden noch nicht durch den Antrag zu Ziff. 2 a) abgedeckt sind.
3. Es wird festgestellt, dass die Ansprüche zu Ziff. 1 und 2 a) jeweils auf vorsätzlichen unerlaubten Handlungen der Beklagten zu 1.) bis 8.) beruhen.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben mit Schriftsatz vom 21.12.2016 die Festsetzung eines Streitwerts für das Verfahren gem. § 63 Abs. 2 Satz 2 GKG in Höhe von insgesamt EUR 10.000.000,- beantragt.
Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 06.02.2017 den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit auf EUR 30.000.000,- festgesetzt.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 09.02.2017 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit Telefax 23.02.2017 Beschwerde eingelegt und die Festsetzung eines Streitwerts von EUR 10.000.000,- beantragt.
Sie begründet ihre Beschwerde damit, vom Erstgericht sei nicht, wie beantragt, eine Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren gemäß § 63 GKG vorgenommen worden, sondern eine von ihr nicht beantragte Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit gemäß § 33 Absatz 1 RVG. Bei der Ermittlung des Streitwerts sei neben dem eingeklagten Schadensersatzbetrag in Höhe von EUR 1.740.279,02 das mit den Feststellungsanträgen verfolgte wirtschaftliche Interesse zu ermitteln und in Ansatz zu bringen. Dies habe sie in ihrem Arrestantrag vom 18.01.2016 quantifiziert und die von ihr befürchteten künftigen Schäden auf einen Betrag von EUR 11.033.242,05 geschätzt.
Vom Erstgericht hätte nicht der Gesamtbetrag denkbarer Schäden aus dem Bericht des damaligen Compliance-Beauftragten R… von September 2011 zugrunde gelegt werden dürfen, denn im Zeitpunkt der Klageerhebung im Januar 2016 sei infolge des Zeitablaufs und der weiteren durchgeführten konkreten Ermittlungen mit einem wesentlich geringeren Schadenseintritt zu rechnen gewesen. So habe sich das in dem Bericht von Herrn R… noch bezifferte Verfallsrisiko von EUR 23.000.000,00 aufgrund strafrechtlicher Verjährung im Jahr 2016 auf ein Verfallsrisiko von EUR 896.648,60 reduziert. Das ebenfalls in dem Bericht angegebene Risiko, dass Kunden geleistete Kaufpreiszahlungen in Höhe von EUR 38,5 Millionen zurückverlangen könnten, habe sich als lediglich theoretisches Risiko herausgestellt, denn über all die Jahre habe kein Kunde irgendwelche Ansprüche diesbezüglich angemeldet. Gleiches gelte für die in dem Bericht aufgeführten denkbaren Schadensersatzansprüche von Wettbewerbern.
Bei der Bewertung ihres wirtschaftlichen Interesses, das sie mit den Feststellungsanträgen verfolge, sei nicht jedes theoretische Schadensersatzrisiko einzubeziehen. Vielmehr komme es darauf an, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ein entsprechender Schadenseintritt zu ihren Lasten sei, dem sie mit ihren begehrten Feststellungen begegnen wolle.
Die den Beklagten als Streithelferin beigetretene Nebenintervenientin, die Versicherungsgesellschaft A…, hat mit Wirkung für die Beklagten ihrerseits Beschwerde eingelegt und sich den Vortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 21.12.2016 zu eigen gemacht.
Das Arbeitsgericht Würzburg – Kammer Schweinfurt – hat mit Beschluss vom 23.03.2017 der Beschwerde insofern abgeholfen, als es eine Streitwertfestsetzung gem. § 63 Abs. 2 GKG in Höhe von EUR 30.000.000,- vorgenommen und im Übrigen die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt hat.
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Sie sind statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richten sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt EUR 200,-.
Die Beschwerden sind innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG.
2. Die Beschwerden der Klägerin und der Nebenintervenientin sind sachlich begründet, soweit das Erstgericht einen Verfahrensstreitwert von mehr als EUR 10.495.210,56 festgesetzt hat.
Bei der Berechnung des Gesamtbetrages des Verfahrensstreitwerts ist neben der eingeklagten Schadenssumme von EUR 1.740.279,02 das mit den Feststellungsanträgen verfolgte wirtschaftliche Interesse der Klägerin im Umfang von EUR 8.754.931,54 in Ansatz zu bringen.
a) Geht es um die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens, dann bemisst sich das konkrete wirtschaftliche Interesse der Partei nicht allein nach der Höhe des drohenden Schadens, sondern naturgemäß auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintritts und einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den Feststellungskläger ist. Denn die Bedeutung eines solchen Feststellungsausspruches ist zwangsläufig größer, wenn der Schaden in absehbarer Zeit erkennbar droht, als dann, wenn es sich nur um eine entfernt liegende, mehr theoretische, aber nicht völlig auszuschließende Möglichkeit handelt. Die Gefahr einer Verwirklichung der festgestellten Schadensersatzpflicht kann im Einzelfall so unwahrscheinlich sein, dass der Feststellung jede selbstständige wirtschaftliche Bedeutung fehlt oder nur der Ansatz eines „Erinnerungswertes“ gerechtfertigt ist (so BGH vom 28.11.1990 – VIII ZB 27/90 – NJW – RR 1991, 509).
Abgesehen von einem bezifferten Zahlungsanspruch, bei dem sich der Streitwert ausschließlich nach dem Nennwert der geltend gemachten Forderung richtet, sind das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme einerseits und die Frage der Realisierbarkeit der Forderung andererseits als wertbestimmende Faktoren allgemein anerkannt. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise findet ihren gesetzlichen Niederschlag in § 182 InsO, was die zu erwartenden Realisierbarkeit einer Insolvenzforderung anlangt. Die Gesichtspunkte des Risikos der Inanspruchnahme und der Realisierbarkeit einer streitigen Forderung sind allgemein im Rahmen der Bewertung einer Feststellungsklage zu berücksichtigen (so LAG Baden-Württemberg vom 01.02.2011 – 5 Ta 229/10 – JurBüro 2011, 258; LAG Nürnberg vom 01.03.2010 – 4 Ta 171/09; LAG Hamm vom 27.07.2007 – 6 Ta 357/07; LAG Rheinland-Pfalz vom 19.05.2010 – 1 Ta 32/10 – und vom 04.12.2007– 1 Ta 213/07; jeweils zitiert in Juris; Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 A, Rdz. 479, m.w.N.).
Je niedriger die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines bestimmten Schadenspostens ist, desto geringer zu bewerten ist das wirtschaftliche Interesse, das mit der gerichtlich begehrten Feststellung verfolgt wird; bei einer sehr geringen Eintrittswahrscheinlichkeit kann die einzelne Position nur mit einem geringen Pauschbetrag bewertet werden oder ganz in Wegfall geraten.
Der Abschlag bei der Festsetzung des Streitwerts einer Feststellungsklage wird üblicherweise mit 20% beziffert. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um einen Regelabschlag, der die nach wie vor erforderliche Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles gemäß § 3 ZPO nicht entbehrlich macht. Dies kann dazu führen, dass im Einzelfall auch ein 50 prozentiger oder sogar noch weitergehender Abschlag gerechtfertigt sein kann. Insoweit gilt es, im Rahmen der Ermessensausübung u.a. die Höhe des drohenden Schadens, das Risiko eines Schadenseintritts sowie das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Erreichung seines prozessualen Ziels zu berücksichtigen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gegenstandswertes ist dabei gemäß § 4 ZPO und § 40 GKG die Einleitung der jeweiligen Instanz (so LAG Rheinland-Pfalz vom 04.12.2007, a.a.O., m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze errechnet sich ein Verfahrenswert von insgesamt EUR 10.495.210,56.
Der eingeklagte Schadensersatzbetrag von EUR 1.740.279,02 ist in voller Höhe zu berücksichtigen, §§ 48 Absatz 1 GKG, 3 ff. ZPO.
Die Feststellungsanträge der Klägerin sind in Bezug auf eine strafrechtliche Inanspruchnahme mit EUR 8.274.931,54 bewertet worden. Hierbei konnte hinsichtlich der im Rahmen des laufenden Ermittlungsverfahrens drohenden strafrechtlichen Sanktionen von der konkreten Schätzung der Klägerin in ihrem Arrestantrag vom 18.01.2016 ausgegangen und hiervon ein Abschlag von 25% vorgenommen werden. Zu berücksichtigen war, dass die Klägerin aufgrund des eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und ihrer positiven Kenntnis der erfolgten Schmiergeldzahlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Verhängung einer Geldstrafe in der dargestellten Höhe rechnet. Da aber – anders als bei einem feststehenden Schadensersatzbetrag – ein gewisses Unsicherheitsrisiko verbleibt, ist von der Beschwerdekammer der Abschlag für das Feststellungsbegehren mit 25% geringfügig höher angesetzt worden als der sonst übliche Satz von 20%.
Für den Schadensersatzanspruch Dritter (Kunden, Wettbewerber) liefert die Klägerin weder in ihrem Arrestantrag vom 18.01.2016 noch in ihrem Festsetzungsgesuch vom 21.12.2016 konkrete Tatsachen dafür, dass sie bei Einreichung ihrer Klage vom 18.01.2016 mit einer Inanspruchnahme seitens von Kunden oder ihrer Wettbewerber rechnet und in welcher Höhe solche Ansprüche zu erwarten sind. Insoweit fehlen für die Bewertung einer solch gearteter Schadensersatzpositionen im Rahmen des Feststellungsbegehrens der Klägerin jegliche Rechnungsgrößen die dem Gericht eine Schätzung des zu erwartenden Schadens durch Rückzahlungsansprüche von Kunden oder wettbewerbsrechtlich begründete Zahlungsforderungen von Wettbewerbern erlauben. Es verbleibt deshalb nur ein Rückgriff auf den Hilfswert des § 23 Absatz 3 Satz 2 RVG. Bezogen auf die in der Feststellungsklage aufgeführten 128 Fälle von Schmiergeldzahlungen ergibt sich hieraus ein Gesamtbetrag in Höhe von EUR 640.000,00 und nach Vornahme eines Abschlags in Höhe von 25% ein im Rahmen der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigender Teilbetrag von EUR 480.000,00
III.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.

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