Aktenzeichen 11 O 22804/16
Leitsatz
1 Mit Erwerb der Grundschuld erwirbt der Grundstückseigentümer auch gemäß § 952 BGB das Eigentum an Grundschuldbrief und kann gemäß §§ 1192, 1144 BGB Herausgabe der Urkunde verlangen, die das Recht des Gläubigers belegen. (Rn. 49) (red. LS Dirk Büch)
2 Die Erfüllungswirkung einer Hinterlegung tritt erst dann ein, wenn der Hinterlegende auf das Recht zur Rücknahme verzichtet und die Hinterlegung jedenfalls auch zugunsten des wahren Gläubiger erfolgt ist. (Rn. 57 – 62) (red. LS Dirk Büch)
3 Die Erfüllungswirkung tritt jedoch bereits mit Hinterlegung und Verzicht auf die Rücknahme ein, wenn die Hinterlegung nicht zugunsten des wahren Gläubigers erfolgt ist, dieser dem Schuldner aber nicht bekannt war, weil die Forderung zugunsten einer Zendentin als ehemals wahre Gläubigerin hinterlegt ist und dem Hinterlegenden die Abtretung nicht bekannt war. (Rn. 66) (red. LS Dirk Büch)
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, der Herausgabe der von seinem anwaltlichen Vertreter im Verteilungstermin vom 24.09.2013 zum beim Amtsgericht M unter dem Az. … geführten Zwangsversteigerungsverfahren übergebenen und vom Amtsgericht M in amtliche Verwahrung genommenen Unterlagen:
– Deutscher Grundschuldbrief […] über € 409.033,50 Abtretungserklärungen bis zu dem im Grundbuch eingetragenen Gläubiger GSG.
– der D vom 06.08.1982
– der Z-Bank vom 05.04.2007
– Abtretungserklärung der GSG vom 17.05.2013 an [den Beklagten]
– mit Beglaubigungsvermerk der öffentlichen Notarin N vom 17.05.2013
– nebst anhängiger Apostille Nr. 2013-94653 der [zuständigen ausländischen Behörde]
– in deutscher Übersetzung durch Ü, Allgemein Vereidigte Dolmetscherin
– Internet-Registerauszug aus dem [ausländischen] Firmenregister vom 05.09.2013 mit Bestätigungsvermerk des [ausländischen] Anwalts vom 05.09.2013 mit deutscher Übersetzung der vorgenannten Dolmetscherin vom 06.09.2013, aus dem sich ergibt, dass der für die GSG handelnde Herr G Geschäftsführer der GSG ist.
durch das Amtsgericht M an den Kläger zuzustimmen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 420.000,00. Dem Kläger ist nachgelassen, Sicherheitsleistung zu erbringen durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts, beispielsweise der B-Bank AG.
IV. (Beschluss): Der Streitwert beträgt endgültig 409.033,50 €.
Gründe
A)
Die Klage ist zulässig.
B)
Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Herausgabeanspruch hinsichtlich der eingeklagten Schriftstücke aus § 985 BGB. Denn der Kläger hat die Grundschuld erworben, indem er diese ablöste, nämlich durch Leistung auf das dingliche Recht. Die Grundschuld geht gemäß §§ 1191, 1192, 1142, 1143 BGB auf den Kläger über. Sie ist zur Eigentümergrundschuld geworden.
Mit Erwerb der Grundschuld erwirbt der Grundstückseigentümer auch gemäß § 952 BGB das Eigentum an Grundschuldbrief und kann gemäß §§ 1192 Abs. 1144 BGB Herausgabe der Urkunde verlangen, die das Recht des Gläubigers belegen. Das gilt insbesondere für die beglaubigten Abtretungserklärungen (wie hier auch Landgericht München I, 05.09.2016, 16 T 10403/16).
1. – Das Hinterlegungsverfahren war rechtmäßig.
Der Hinterlegungsgrund der Gläubigerungewissheit war nach Aktenlage gegeben.
a. – Die GSG machte Ansprüche auf rückständige Zinsen geltend (K6), was die durch die Grundschuld gesicherte Forderung unmittelbar betraf. Das Schreiben der GSG richtete sich zwar an das Amtsgericht, das ändert aber nichts daran, dass das Schreiben, von dem der Kläger im Übrigen unverzüglich Kenntnis erhielt, bei der Frage der Gläubigerungewissheit einzuwerten war.
b. – Des weiteren erhob die Nebenintervenientin Ansprüche (K7 bis K9); und dass auch diese sich nicht gegenüber dem Kläger unmittelbar berühmte, spielt hier ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass die Nebenintervenientin nicht behauptete, selbst Inhaberin der Grundschuld zu sein, sondern nur schuldrechtliche Ansprüche erhob. Auch hier darf nicht übersehen werden: Diese Ansprüche betrafen unstreitig die durch die Grundschuld gesicherte Forderung, und bei der hinterlegungsrechtlichen Ungewissheit geht es nicht darum, wer Inhaber der Grundschuld, sondern wer Inhaber der Forderung ist, um deren Erlöschen die Parteien jetzt streiten.
Der Beklagte bestätigt das in seinem nachterminlichen Schriftsatz. Er stellt nämlich darauf ab, die Nebenintervenientin sei doch nur dadurch Beteiligte des Hinterlegungsverfahrens geworden, dass sie mit dem Kläger im August 2013 eine „Freistellungsvereinbarung“ geschlossen hatte (Schriftsatz vom 31.3.2017 unter Bezugnahme auf Gerichtsanlage NB-1). Diese Freistellungsvereinbarung zeigt aber, dass die Nebenintervenientin Anspruch erhoben hatte, den Betrag zu erhalten, den die hier interessierende Grundschuld sichern sollte. Letztere Anspruchstellung war erkennbar das Motiv für den Kläger, die „Freiststellungsvereinbarung“ abzuschließen.
c. – Auf die Frage, ob auch Frau Y sich entsprechender Ansprüche berühmt hat, kam es wegen der bereits dargestellten zwei konkurrierenden Berühmungen nicht mehr an. Hätte der Kläger Frau Y zu Unrecht als weitere Beteiligte benannt, so würde das an der Wirksamkeit des Hinterlegungsverfahrens nichts ändern können.
2. – Die Hinterlegung hat auch Erfüllungswirkung.
a. – Das war zwar noch nicht am 24.09.2013 der Fall, denn damals war nicht zu Gunsten des Beklagten hinterlegt, und die Erfüllungswirkung des § 378 BGB setzt voraus, dass erstens auch der wahre Gläubiger unter den Hinterlegungsbeteiligten ist, und zweitens der Hinterleger auf sein Rücknahmerecht verzichtet hat. Diese Voraussetzungen traten erst im Februar 2016 ein (K17).
b. – Hinterlegungsrechtlich wirken diese beiden Handlungen auch nicht zurück auf den Zeitpunkt der Hinterlegung (24.09.2013). Das ergibt sich insbesondere nicht aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die der Kläger in Bezug genommen hat. Es würde auch nicht zwingend aus dem Wortlaut von § 378 BGB folgen und wäre auch nicht nach Sinn und Zweck des Hinterlegungsrechts als Auslegung geboten. § 378 BGB gilt seinem Wortlaut nach lediglich für eine Hinterlegung, bei der gleichzeitig auf das Recht zur Rücknahme verzichtet wird: “ist (…) ausgeschlossen, so wird (…) durch die Hinterlegung (…)“.
Das Gesetz macht die Erfüllungswirkung davon abhängig, dass der Hinterlegende nicht mehr zurücknehmen kann, also den Hinterlegungsbetrag vollständig aufgibt. Erst dann rechtfertigt sich die Sperrwirkung hinsichtlich des Zinslaufs.
Auch in der klägerseits zitierten Entscheidung des BGH, 08.12.1988, IX ZR 12/88, behauptet der Bundesgerichtshof keineswegs, dass eine nachträgliche Erklärung des Verzichts auf die Rücknahme zurückwirken würde auf eine frühere Hinterlegung. Im dort entschiedenen Fall war vielmehr die Hinterlegung von Anfang an verbunden mit dem Verzicht auf die Rücknahme. Rückwirkung schreibt der BGH dort lediglich der nachträglichen Benennung des Gläubigers zu. Das ist ein markanter Unterschied.
Übertragbar ist vorgenannte Entscheidung des BGH auf den vorliegenden Fall jedoch insofern, als es dem Kläger nicht schadet, dem Beklagten als Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens erst im Februar 2016 benannt zu haben und nicht alsbald, nachdem ihm der Beklagte bekannt wurde. Auch hiernach aber bliebe es dabei, dass sich aus dem Hinterlegungsrecht heraus nicht begründen lässt, dass und warum der Verzicht auf das Recht zur Rücknahme zurückwirken sollte auf den Zeitpunkt der Hinterlegung.
c. – Die Rückwirkung folgt aber aus dem Abtretungsrecht.
Gerade die hier interessenden Zinsen wären weiter gelaufen, wollte man dem Beklagten darin folgen, erst im Februar 2016 könne eine Erfüllungswirkung angenommen werden (mit der Folge, dass der 2013 auf Hauptsache und Zinsen bezahlte Betrag des Klägers ganz ersichtlich nicht ausreichen könnte). Gerade bezüglich dieser laufenden Zinsen verweist § 1159 BGB i.V.m. § 1192 Abs. 1 BGB auf § 407 Abs. 1 BGB.
Dieser Verweisung steht auch nicht etwa § 1156 (ebenfalls i.V.m. § 1192 Abs. 1) BGB entgegen, denn erstens ist § 1159 BGB speziell zu § 1156, was den Zinslauf angeht, und zweitens bezieht sich § 1156 BGB nur auf die Hypothek (bzw. wegen § 1192 Abs. 1 BGB auch auf die Grundschuld), aber gerade nicht auf die gesicherte Forderung.
In dieser Verweisungskette ist § 407 Abs. 1 BGB dahin zu lesen, dass der Beklagte die Hinterlegung vom 24.09.2013 gegen sich gelten lassen muss, die nach der Abtretung (vom 17.05.2013) stattfand und bei der der Kläger noch in Unkenntnis von der Abtretung war.
Mit seiner Behauptung, es habe aber doch der Kläger die Abtretung bei Vornahme der Hinterlegung gekannt, knüpft der Beklagte erkennbar an § 407 Abs. 1 (am Ende) BGB an. Der Einwand des Beklagten greift nicht durch, weil der Beklagte ihn nicht bewiesen hat. Der Beklagte hat zwar nachweisen können (B1), dass er nach Inhalt und Ablauf des Verteilungstermins am 24.09.2013 ab 14:00 Uhr für den Kläger als möglicher Berechtigter ersichtlich wurde. In diesem Zeitpunkt war aber die Hinterlegung schon bewirkt, weil der Kläger nachgewiesen hat, den Betrag am 23.09.2013 überwiesen zu haben mit der Folge, dass er bei der Landesjustizkasse am 24.09.2013 und kurz vor 12:00 Uhr einging (nachgelassener Schriftsatz vom 31.03.2017, K21).
Die Hinterlegung bewirkte der Kläger unter anderem zu Gunsten der Zedentin (GSG), die in der Diktion von § 407 Abs. 1 BGB der „bisherige Gläubiger“ ist.
d. – Keinen Erfolg hat der Beklagte mit dem Einwand, der Kläger habe drei Zinstage unbezahlt gelassen und daher am 24.09.2013 insgesamt 613,56 € zu wenig hinterlegt gehabt (Bl. 22).
Zwar wird vertreten, dass Jahreszinsen im Zweifel taggenau auszurechnen sind (Palandt, Rdnr. 9 zu § 246). Das heißt, im Zweifel ist kein Raum für die vom Kläger geübte kaufmännische Berechnung, wonach man pro Monat pauschal 30 Tage ansetzt. Diese Berechnung ist andererseits im Geschäftsverkehr üblich, und es gibt in der streitgegenständlichen Grundschuld keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche Art üblicher Berechnung nicht soll gepflogen werden können. Die Grundschuld war gegenüber einer Handelsgesellschaft (= GSG) begeben, bei der kaufmännische Gepflogenheiten zu erwarten sind.
Zählt man also den Tag des Zuschlages (24.06.2013, K1) selbst noch mit, so erhält man 7 Tage für Juni, 30 Tage für Juli, 30 Tage für August, und dann hätte man für September 2013 nochmal 23 Tage anzusetzen. Das gäbe insgesamt 90 Tage. Der 24.09. als Tag des Erlöschens kann keine Zinsen mehr ausgelöst haben, zumal der Kläger die Leistung bereits am 23.09. im Sinne von § 270 Abs. 1 BGB bewirkt hatte.
Der Kläger durfte daher mit 90 Zinstagen rechnen und hat diese auch bezahlt. Er hat insgesamt 427.440,30 € hinterlegt, wobei 409.033,50 € auf die Hauptschuld entfielen, die restlichen 18.406,80 € waren Zinsen und sind das Neunzigfache von 204,52 €. Und letztere 204,52 € ergibt es, wenn man kaufmännisch vereinfachend den Jahreszins (18% aus 409.033,50 € = 73.626,03 € durch 360 Tage teilt).
Die gegenläufige Berechnung des Beklagten (Bl. 22) greift schon deshalb nicht durch, weil sie selbstwidersprüchlich ist: Will der Beklagte den Jahreszins von unzweifelhaft 73.626,03 € in einzelne Tage umrechnen und hat er den Anspruch, taggenau zu dividieren, dann müsste er diesen Betrag nicht durch 360 teilen, sondern durch 365, und dann bekäme er nicht (wie auf Seite 6 der Klageerwiderung) einen Tageszins von 204,52 € heraus, sondern einen solchen von 201,71 €. Zuzugeben ist dem Beklagten lediglich: Würde man letzteren taggenauen Tageszins von 201,71 € um selbiger Taggenauigkeit willen mit 92 multiplizieren, erhielte man einen Zinsbetrag von 18.557,32 €, mit der Folge, dass die Zahlung des Klägers hierauf (18.406,80 €) immer noch zu wenig gewesen wäre.
Zu diesem Ergebnis gelangt das Gericht nur deshalb nicht, weil es vorliegend die kaufmännische Zinsberechnungsmethode als die hier gängigere Form der Zinsberechnung für gerechtfertigt hält.
3. – Aus vorstehenden Gründen konnte offen bleiben, ob der Beklagte überhaupt Forderungsinhaber ist.
a. – Ist er es nicht, so bleibt er gleichwohl mittelbarer Besitzer der von ihm eingelieferten klagegegenständlichen Unterlagen und wäre das Hinterlegungsverfahren trotzdem ordnungsgemäß gewesen, denn mangels Gläubigerstellung des Beklagten bliebe es bei der Gläubigerstellung der GSG.
b. – Ist er Inhaber der Grundschuld gewesen, so greift gegenüber ihm die Erfüllungswirkung des § 378 BGB, die er nach vorgenannten zessionsrechtlichen Sondervorschriften gegen sich gelten lassen muss.
4. – Ein Zurückbehaltungsrecht steht dem Beklagten nicht zu.
a. – Erstens hat der Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gegen den Kläger wegen der Benennung weiterer Beteiligter am Hinterlegungsverfahren. Denn es begründet keine Schadensersatzpflicht, wenn der Kläger noch andere mögliche Gläubiger benannt hat. Der Zweck des Hinterlegungsverfahrens wegen Gläubigerungewissheit ist genau darin begründet, dass dem Hinterlegenden letztlich keine umfassende Aufklärung angesonnen werden kann und soll, an wen er leisten muss bzw. darf.
b. – Einen Schadensersatzanspruch hat der Beklagte auch nicht deswegen, weil der Kläger so hinterlegt hat, dass derjenige, der den Hinterlegungsbetrag kassieren möchte, die Grundschuld herauszugeben hat. Zu dieser Einschränkung war der Kläger von Gesetzes wegen berechtigt, § 1144 BGB i.V.m. § 1192 Abs. 1 BGB.
c. – Die Voraussetzungen eines Hilfsanspruchs nach § 380 BGB sind nicht ersichtlich. Erst recht nicht ist ersichtlich, dass ein solcher Hilfsanspruch aktuell dazu geeignet wäre, ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Klageanspruch zu bilden. § 380 BGB setzt voraus, dass nach den für die Hinterlegungsstelle geltenden Bestimmungen zum Nachweis der Empfangsberechtigung des Beklagten eine diese Berechtigung anerkennende Erklärung des Klägers erforderlich oder genügend wäre. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte, und ein solches Erfordernis entsteht auch nicht etwa dadurch, dass der Kläger mit dem Vorbehalt hinterlegt hat, wonach derjenige, der den Betrag möchte, die klagegegenständlichen Unterlagen Zum um Zug hinüberreichen muss.
C)
Von Amts wegen zu treffende Entscheidungen:
I. – Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO – bezüglich der Nebenintervention zusätzlich aus § 101 Abs. 1 Fall 1 ZPO.
II. – Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich § 709 Satz 1 ZPO, die Art der Sicherheitsleistung richtet sich nach § 106 ZPO.
III. – Der Streitwert war gemäß § 63 Abs. 2 GKG endgültig zu taxieren. Der Interessensangabe des Klägers konnte gefolgt werden, weil das Interesse am Besitz des Briefes nach § 3 ZPO zu schätzen ist, und hier an der Frage hing, ob der Kläger auf die Grundschuld trotz der Hinterlegung nochmals etwas bezahlen muss, so dass der Nennbetrag der Grundschuld hier orientierend herangezogen werden konnte.