Handels- und Gesellschaftsrecht

Invaliditätsbemessung bei Handgelenksbeeinträchtigung

Aktenzeichen  25 U 1838/18

Datum:
5.11.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37966
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AUB 2005 Ziff. 2.1.2.2.1

 

Leitsatz

Sofern die in der Unfallversicherung vereinbarten Versicherungsbedingungen (hier AUB 2005) in der Gliedertaxe keine unklare Formulierung „Hand im Handgelenk“ (BGH BeckRS 2003, 6183) enthalten, wird der Invaliditätsgrad einer Handgelenksversteifung oder sonstigen Funktionsbeeinträchtigung des Handgelenks unter Berücksichtigung auch der Restfunktionsfähigkeit der gesamten Hand einschließlich der Finger bemessen. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

25 U 1838/18 2019-09-24 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 27.04.2018, Aktenzeichen 10 O 3770/16 Ver, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wen nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 182.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten im Rahmen von Klage und Widerklage über die Höhe der Invaliditätsentschädigung aus einer Unfallversicherung wegen eines Unfalls vom 13.04.2013, bei der sich die Beklagte beide Hände brach. Das LG München II hat mit Urteil vom 27.04.2018 (Bl. 89/91 d.A.) dem Klageantrag entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand dieses Urteils, im Übrigen auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Die Beklagte verfolgt ihr Begehren auf Klageabweisung in vollem Umfang sowie ihr Begehren aus der Widerklage in Höhe von € 161.000,00 unter teilweiser Rücknahme der Widerklage mit der Berufung weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 14.08.2018 (Bl. 81 d.A.) und auf die Gegenerklärung vom 24.10.2019 (Bl. 132/136 d.A.) wird Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte:
1. Das Urteil des Landgerichts München II vom 14.03.2018 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 161.000,00 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 31.05.2016 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits der Berufung werden der Klägerin auferlegt. Von den Kosten des Rechtstreits für die I. Instanz trägt die Klägerin 91,5% und die Beklagte 8,5%.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Ziff. 1 der Berufungsanträge enthält ein offensichtliches Redaktionsversehen. Die Beklagte begehrt ersichtlich die Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2018 verkündeten Endurteils des LG München II vom 27.04.2018, was sich bereits aus der Berufungsschrift vom 29.05.2018 (Bl. 102 d.A.) ergibt.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 27.04.2018, Aktenzeichen 10 O 3770/16 Ver, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Die von der Beklagten behauptete Divergenz mit der Entscheidung des OLG Naumburg vom 27.10.2016 (BeckRS 2016, 120859) vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Sachverhalte sind bereits deshalb nicht vergleichbar, weil der Sitz der ursprünglichen Unfallverletzung in dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall sich im Unterarm befand (Radialbruch des Unterarms) und durch die Handgelenksversteifung auch eine eingeschränkte Auswärtsdrehung im linken Unterarm vorlag, worauf der OLG Naumburg entscheidend abgestellt hatte (a.a.O.; Rn. 39,40), während im vorliegenden Fall ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen PD. Dr. V.
vom 11.10.2017 der Sitz der Verletzung jeweils das Handgelenk war und eine Beeinträchtigung der Unterarme nicht festgestellt wurde. Zudem würde sich die Unterscheidung vorliegend nicht zum Nachteil der Beklagten auswirken, da nach der vereinbarten verbesserten Gliedertaxe bei Vollinvalidität sowohl für den Arm als auch für die Hand von jeweils 70% in Ansatz zu bringen wären.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.09.2019 (Bl. 127/131 d.A.) Bezug genommen. Die Gegenerklärung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten. Für die Behauptung der Berufungsbegründung, der Rechtsprechung des BGH sei der Grundsatz zu entnehmen, dass bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades die körperferneren Glieder stets außer acht zu bleiben hätten und daher die Funktionsfähigkeit dieser körperferneren Glieder bei der Invaliditätsbemessung nicht berücksichtigt werden dürften, zeigt sie weiterhin keine tragfähige Begründung auf. Auf die Rechtsprechung des BGH kann sich die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht stützen. Der zitierten Entscheidung vom 14.12.2011 (IV ZR 34/11; NJW-RR 2012, 486) kann ein solcher Gedanke nicht ansatzweise entnommen werden. Soweit die Berufungsbegründung (S. 3 unter 2.1.; Bl. 111 d.A.) aus dieser Entscheidung des BGH zitiert, ist das Zitat erkennbar unvollständig und damit sinnentstellend. Der BGH hat gerade nicht ausgeführt: “dass bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades die körperferneren Glieder außer Betracht zu bleiben haben“. Das Zitat lautet zutreffend vielmehr wie folgt: „Nach der für die Bemessung der Invaliditätsleistung maßgeblichen Gliedertaxe schließt der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines funktionell höher bewerteten, rumpfnäheren Gliedes den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes ein.“ (vgl. Leitsatz 1). Zur Begründung führt der BGH (a.a.O; Rn. 12) aus: „Ausgehend hiervon erkennt ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dass der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des Armes im Schultergelenk (nur) deshalb mit dem höchsten Invaliditätsgrad von 70% bemessen wird, weil hierin zugleich die Beeinträchtigung der übrigen Teilglieder des Armes enthalten ist. In jedem der in der Gliedertaxe genannten Invaliditätssätze ist bereits mitberücksichtigt, wie sich der unfallbedingte Verlust oder die Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedteils auf den verbleibenden Gliedrest auswirkt.“ Damit ist klargestellt, dass und weshalb in dieser Konstellation (Verlust oder Gebrauchsunfähigkeit eines rumpfnäheren Körpergliedes) der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Gliedes nicht zusätzlich berücksichtigt wird.
Auch die unter Ziff. 1.1. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 24.09.2019 zitierte Entscheidung des BGH vom 9. 7. 2003 (IV ZR 74/02; r+s 2003, 427) spricht gegen den von der Berufung behaupteten Grundsatz, denn die dort vom BGH als für den Versicherungsnehmer als ungünstiger in Betracht gezogene Auslegungsvariante (Funktionsunfähigkeit des Gelenks bei verbleibender Restfunktion der Hand) entspricht genau der hier zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation. Wäre die Restfunktion der Hand nicht zu berücksichtigen, hätte der BGH diese Auslegungsvariante überhaupt nicht erwogen.
Die Anwendung der zwischen den Parteien vereinbarten verbesserten Gliedertaxe führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Bei Verlust eines Armes liegt keine Verbesserung gegenüber der Gliedertaxe gemäß Ziff. 2.1.2.2.1. AUB 2005 (Anlage K 2) vor, bei den übrigen rumpfferneren Glieder werden die Invaliditätsgrade allerdings jeweils angehoben. Hieraus kann indessen nicht der von der Gegenerklärung behauptete Wertungswiderspruch abgeleitet werden. Eine Verschlechterung der Rechtsposition des Versicherungsnehmers liegt in keiner Fallvariante vor, lediglich bei Verlust bzw. vollständiger Gebrauchsunfähigkeits des Armes – hier nicht vorliegend – wird die Invaliditätsleistung nicht angehoben, sondern bleibt gleich. Soweit die Gegenerklärung behauptet (Ziff. 2.2.), die Finger seien in der streitgegenständlichen Gliedertaxe nicht genannt, ist dies ersichtlich unzutreffend und steht auch im Widerspruch zu den – insoweit zutreffenden – Ausführungen – auf S. 3 der Berufungsbegründung (letzter Absatz; Bl. 110 d.A.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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