Aktenzeichen 21 O 1591/16
BGB § 254
Leitsatz
1 Führt der Arbeitgeber einen Arbeitsunfall grob fahrlässig herbei und verschuldet diesen, kommt eine Berufung auf das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII nicht in Betracht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Grobe Fahrlässigkeit bezeichnet die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt im Einzelfall in ungewöhnlich hohem Grad (Anschluss an BGH Beck RS 2014, 04695). Sie liegt vor, wenn schon einfachste, sich aufdrängende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn das, was jedermann einleuchtet, nicht beachtet wird, das Verhalten schlechthin unentschuldbar ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wusste der Arbeitgeber durch mehrfache Hinweise um die Gefahr von Einzugs- und Quetschgefahren an einer Maschine wegen fehlender Schutzeinrichtungen, liegt grobe Fahrlässigkeit vor, auch wenn ein warnendes Hinweisschild an der Maschine angebracht wird. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4 Werden durch den Arbeitgeber aufgrund gesteigerter Produktivitätserwartungen damit einhergehende, bekannte Gefahren einer Maschinenbedienung geduldet, kann dieser sich nicht auf ein Mitverschulden berufen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 13049,42 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.07.2015 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren erstattungsfähigen Aufwendungen bis zur Höhe der zivilrechlichen Schadensersatzansprüche des Levent Özdemir die aufgrund des Unfalls vom 20.08.2013 gezahlt wurden bzw. noch zu zahlen sein werden zu erstatten haben.
3. Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist für die Klägerin in Höhe von 120 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A.)
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Kempten ist zur Entscheidung über die gemäß §§ 110 ff. SGB VII geltend gemachten Rückgriffsansprüche sachlich und örtlich zuständig.
B.)
Die Klage erwies sich gegen beide Beklagte begründet. Sowohl die Beklagte zu 2) als auch deren Geschäftsführer, der Beklagte zu 1), haften (gesamtschuldnerisch) auf Erstattung der aufgrund des Arbeitsunfalls entstandenen Aufwendungen der Klägerin, denn die Beklagten haben den Arbeitsunfall grobfahrlässig herbeigeführt und verschuldet. Wegen dieser grobfahrlässigen Verursachung kommt eine Berufung auf das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII nicht in Betracht. Grobe Fahrlässigkeit bezeichnet die Verletzung der im Einzelfall erforderlichen Sachverhalt in ungewöhnlich hohem Grad. Nach ständiger Rechtsprechung, zuletzt BGH-Urteil vom 18.12.2017 – VII ZR 51/13 Rdnr. 7 ff., Beck RS 2014, 04695 = NZS 2014, 470 = VersR 2014, 484) liegt sie vor, wenn schon einfachste, sich aufdrängende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn das, was Jedermann einleuchtet, nicht beachtet wird, das Verhalten also schlechthin unentschuldbar ist. (Siehe hierzu Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Rdnr. 7 zu § 110 SGB VII). Vorliegend wurde die Beklagtenseite mehrfach auf die Einzugs- und Quetschgefahren wegen fehlender Schutzeinrichtungen hingewiesen, worauf die Klägerin zutreffend verwiesen hat. Die Maschine entsprach nicht der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Fassung des § 7 Abs. 1 ArbSichV. Während des Betriebs der Maschine bestand nämlich jederzeit die Gefahr, dass ein Bediener mit beweglichen Teilen der Maschine unbeabsichtigt in Berührung kommt und hierdurch massiv verletzt werden kann. Der von der Beklagtenseite angebrachte Hinweis darauf, dass Öl von der Maschine nur bei deren Stillstand abgewischt werden darf, vermag die Beklagte nicht zu entlasten. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass es tatsächlich Usus war, Öl von der Maschine während deren Laufs abzuwischen und entgegen dem Vorbringen der Beklagten musste zu einem Spulenwechsel die Maschine auch nicht zum Stillstand gebracht werden, mit der Folge dass sich diese Stillstandszeit zu einem entsprechenden Reinigungsvorgang hätte nutzen lassen können. Der Zeuge Ö. hat glaubhaft angegeben, dass ihm zwar der auf der Maschine angebrachte Hinweis in Bezug auf das Ölabwischen bekannt war, dass es jedoch der Übung entsprach, Öl im laufenden Betrieb der Maschine abzuwischen. Er gab weiterhin glaubhaft an, dass „Druck“ bestand, entsprechend viele Teile zu produzieren und dass damit die Maschine überhaupt nicht zum Stehen kommen sollte. Die Schilderungen des Zeugen sind lebensnah und schlüssig. Soweit der Vorgesetzte des Geschädigten, der Zeuge Ehrlich angab, es sei nicht richtig, dass die Maschine häufig im laufenden Zustand von Öl befreit wird, soweit er wisse, sei derartiges nie vorgekommen, ist dies hingegen nicht überzeugend. Die Maschine war in Bezug auf genau diesen Punkt bereits mehrfach Gegenstand von Beanstandungen seitens der Klagepartei. Die Beklagtenseite nahm diese Beanstandungen auch zum Anlass, einen ausdrücklichen schriftlichen Hinweis an der Maschine anzubringen. Dass Angesichts der Arbeitstaktung der Maschine kein Bediener auf die Idee gekommen sein soll, diese während des laufenden Betriebes von Öl zu befreien, erscheint dem Gericht lebensfremd und nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Schilderung des Zeugen E. S., der ebenfalls noch nie beobachtet haben will, dass der Geschädigte Öl während des Laufs der Maschine abgewischt hat. Bei der Einvernahme der beiden Zeugen war im Übrigen auffallend, dass beide bestrebt waren, konkrete Schilderungen in Bezug auf den Betrieb der Maschine tunlichst zu vermeiden und bemüht waren, sich auf die grundsätzliche Funktionsweise der Maschine zurückzuziehen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass beklagtenseits eine Reinigung der Maschine während des Betriebs trotz überdeutlicher Kenntnis von den damit einhergehenden Gefahren aus Produktivitätsgesichtspunkten wohlwollend geduldet wurde. Unter diesen Umständen ist es den Beklagten auch verwehrt, sich auf ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB zu berufen (vgl. hierzu auch Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Rdnr. 8 zu § 110 SGB VII).
Der geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aufgrund Verzuges.
Ebenfalls begründet ist der Feststellungsantrag. Angesichts der Schwere der Verletzung ist nicht auszuschließen, dass künftig noch weitergehende Behandlungen erforderlich sind, für die die Klägerin einzustehen hat.
Hinsichtlich der Verwaltungskosten in Höhe von 249,10 € erwies sich die Klage ebenfalls als begründet. Die Beklagten haften auch für etwaige Schmerzensgeldansprüche des Geschädigten. Zum Schadensersatz gehört auch ein fiktiver Schmerzensgeldanspruch, der jedenfalls in Höhe der Verwaltungskosten in Höhe von 249,10 € besteht gem § 110, II SGB VII. (BGH VI ZR 143/05)
C.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
D)
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 ZPO.
Verkündet am 27.04.2017