Aktenzeichen 14 U 6915/19
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2, § 522 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
1. Eine Berufung, deren Begründung sich auf den Satz “Entgegen der Ansicht des LG haftet die Beklagte zu 2) als Herstellerin des wie dargelegt mangelhaften Motors.” beschränkt, ist unzulässig. (Rn. 12 und 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein eventuelles vorwerfbares Verhalten von Organen oder Mitarbeitern der Motorherstellerin muss sich die Verkäuferin eines möglicherweise vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs auch unter Berücksichtigung ihrer Eigenschaft einer Vertragshändlerin im Rahmen von § 438 Abs. 3 BGB nicht zurechnen lassen, da der Hersteller oder Lieferant des Verkäufers grundsätzlich nicht dessen Erfüllungsgehilfe ist. (Rn. 40 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
71 O 910/19 2020-02-06 Urt LGKEMPTEN LG Kempten
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 6.2.2020, Az. 71 O 910/19, wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2) richtet.
2. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) beabsichtigt der Senat, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 06.02.2020, Az. 71 O 910/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung auch insoweit offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Die Klagepartei kann sich hierzu binnen 3 Wochen ab Zustellung schriftsätzlich äußern. –
Gründe
I.
Die Klägerin macht nach einer Anfechtungs- und Rücktrittserklärung vom 24.8.2018 (Anlage K 72) gegen die Beklagte zu 1) als Verkäuferin und die Beklagte zu 2) als Herstellerin die Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrags vom 12.1.2012 betreffend einen neuen PKW VW Touareg mit einem 3,0 l-Diesel-Motor Schadstoffklasse EU 5 zum Preis von 72.709,00 Euro geltend.
Die Klägerin behauptet, dass der streitgegenständliche Motor des am 20.1.2012 übergebenen Fahrzeugs mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen bzw. einem unzulässigen Thermofenster ausgestattet sei, weswegen auch im vorliegenden Fall die zu dem Motor EA 189 (der V. AG) ergangene Rechtsprechung anwendbar sei.
Das Erstgericht hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.9.2019 ohne Beweisaufnahme abgewiesen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht habe festgestellt werden können, da das Kraftfahrtbundesamt diesbezüglich unstreitig keinen Rückruf angeordnet habe.
Hinsichtlich einer Manipulation in Form des Thermofensters habe die Klagepartei lediglich Vermutungen geäußert und Parallelen zu anderen Motoren gezogen, weswegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens eine unzulässige Ausforschung wäre.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) behaupte die Klägerin, diese sei Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs, was die Beklagte zu 2) jedoch bestritten habe, ohne dass die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin dazu näher vorgetragen habe.
Die Klägerin verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren weiter und beantragt,
Das Urteil LG Kempten vom 28.10.2019, Az. 14 O 430/19, wird wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klagepartei € 72.709,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.09.2018 zu bezahlen, Zugum-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Touareg 3.0 TDI, FIN …008 und Zugum-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1) noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Touareg 3.0 TDI, FIN …008 durch die Beklagte resultieren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten PKW in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenparteien werden jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 2.686,00 freizustellen.
Mit der Berufungsbegründung vom 4.2.2020 wird gerügt, dass das Landgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Der Klägerpartei stehe gegen die Beklagte zu 1) die begehrte Rückabwicklung und gegen die Beklagte zu 2) der Anspruch auf Feststellung gemäß Ziff. 2 zu.
Das Landgericht stelle den absurden Rechtssatz auf, dass ein Kraftfahrzeug nur dann mangelhaft sein könne, wenn es von einem Rückruf des KBA betroffen sei. Anstatt nach Schema F zu verfahren, hätte sich das LG schon die Mühe machen müssen, sich mit dem Vortrag der Mangelhaftigkeit der Abgasabschalteinrichtung zu befassen und dem diesbezüglichen Beweisantritt gemäß Schriftsatz vom 8.3.2019 nachzugehen. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liege nicht schon dann vor, wenn das LG mangels technischer Sachkunde den Vortrag intellektuell nicht nachvollziehen könne.
Das LG Baden-Baden (aus dessen Entscheidungsgründen zur sog. „Aufwärmstrategie“ abschließend zitiert wird) sei in seinem Urteil vom 11.11.2019, Az. 4 O 90/19, sogar ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen „die Beklagtenpartei“ ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB aus der Manipulation des auch im dortigen Verfahren streitgegenständlichen Fahrzeuges vom Typ Porsche Cayenne Diesel V 6 3.0 TDI (Euro 5) bestehe, obwohl kein Rückruf des KBA vorliege.
Nach diesen Ausführungen unter der Überschrift „A. Mangel des Fahrzeugs substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt“ wurde weiter lediglich ausgeführt:
„B. Feststellungsantrag ist begründet
Entgegen der Ansicht des LG haftet die Beklagte zu 2) als Herstellerin des wie dargelegt mangelhaften Motors.
C. Nebenforderungen sind begründet
Bei fehlerfreier Prüfung hätte das Landgericht auch den Klageanträgen Ziffer 3. und 4. bzgl. der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aufgrund des tatsächlich bestehenden Hauptanspruchs stattgeben müssen.“(Bl. 421/423 d.A.)
Die Beklagten beantragen jeweils, die klägerische Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte z 1) weist u.a. nochmals – wie bereits in erster Instanz – darauf hin, dass ihre Haftung bereits deshalb verjährt sei, weil sämtliche behauptete Ansprüche bereits verjährt seien und ein Rücktritt deshalb unwirksam sei.
Der Senat hat die Klagepartei mit Verfügung vom 28.5.2020 auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung in Richtung gegen die Beklagten zu 2) hingewiesen (Bl. 471 d.A.).
Die Klagepartei hat sich dazu mit Schriftsatz vom 16.6.2020 dahingehend erklärt, dass von einer Zulässigkeit der Berufung auch hinsichtlich der Beklagten zu 2) auszugehen sei.
Die Klagepartei habe eingangs ihrer Berufungsbegründung gerügt, das das Landgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe, da der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) die begehrte Rückabwicklung und gegen die Beklagte zu 2) der Anspruch auf Feststellung gem. Klageantrag Ziff. 2 zustehe. Bei dem konkretisierten weiteren Vortrag (“haftet die Beklagte zu 2) als Herstellerin des (…) Motors“ handele es sich um unstreitigen weiteren Sachvortrag, der auch in der Berufung zuzulassen sei.
Es sei zwar nicht unstreitig, dass die Beklagte zu 2) Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei, unstreitig sei aber sehr wohl, dass die Beklagte zu 2) Hersteller des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors sei.
Nach einem weiteren Hinweis des Senats vom 2.7.2020 u.a. zur Frage der Zulässigkeit einer Berufung, die ausschließlich auf neue Tatsachen gestützt ist (Bl. 475 d.A.), hat die Klagepartei im Schriftsatz vom 22.7.2020 erstmals ausgeführt, dass das Landgericht verkannt habe, dass schon in der Klageschrift auf Seite 7 zu der Motorenherstellereigenschaft der Beklagten zu 2) vorgetragen worden sei.
Dieser Vortrag sei in der Berufungsbegründung nur weiter konkretisiert worden, so dass ein Fall des § 531 Abs. 2 ZPO mangels eines vollständig neuen Angriffsmittels gerade nicht vorliege (Bl. 478/479 d.A.).
Im Übrigen hat sich die Klagepartei im Schriftsatz vom 22.7.2020 auch betreffend die Beklagte zu 1) zur Verjährungsfrage geäußert (Bl. 478/479 d.A.).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und übergebenen Anlagen Bezug genommen. Die Entscheidung betreffend die klägerische Berufung in Richtung gegen die Beklagte zu 2) beruht auf §§ 520 Abs. 1 und 3, 522 Abs. 1 ZPO.
Die Berufungsverwerfung kann auf einzelne Streitgenossen beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1.6.2017, Az. III ZB 77/16).
Die Berufung ist in Richtung gegen die Beklagte zu 2) unzulässig, da die Klagepartei binnen der bis 4.2.2020 laufenden Berufungsbegründungsfrist keine nachvollziehbaren Gründe geltend gemacht hat, warum das Ersturteil insoweit rechtsfehlerhaft sein soll oder neue Tatsachen zugelassen werden müssten.
Die formgerechte Berufungsbegründung ist Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels, das bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorgaben gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen ist.
1. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände beinhalten, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt.
Nach der nachfolgenden Nr. 3 derselben Norm ist die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte erforderlich, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung im angefochtenen Urteil begründen und deswegen eine neue Feststellung gebieten.
Im Falle der Geltendmachung neuer Tatsachen bedarf es auch des Vortrags der Gründe, die die Zulassung der neuen Angriffsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO rechtfertigen sollen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO).
2. Die Berufung der Beklagten in Richtung gegen die Beklagten zu 2) erfüllt keine der Voraussetzungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO.
Im Zusammenhang mit der unter B) der Berufungsbegründung vom 4.2.2020 aufgestellten bloßen Behauptung, die Beklagte zu 2) würde als Herstellerin des wie dargelegt mangelbehafteten Motors haften, befasst sich die Klagepartei mit keinem Wort mit den erstgerichtlichen Entscheidungsgründen.
Da der Klagepartei möglicherweise selbst nicht mehr in Erinnerung war, dass sie auf S. 7 des Klageschriftsatzes vom 8.3.2019 einleitend formuliert hatte „Dies bedeutet, dass das Fahrzeug bzw. der Motor durch die Beklagte zu 2) manipuliert wurde“, argumentierte sie nach dem ersten Hinweis des Berufungsgerichts vom 28.5.2020 mit der Zulässigkeit neuer unstreitiger Tatsachen, bevor schließlich eine bloße „Konkretisierung“ ihres Sachvortrags in der Berufungsbegründung geltend gemacht wurde, die aber aufgrund des unter I. zitierten einzigen Satzes unter B. der Berufungsbegründung als solche nicht erkennbar war.
Die Klagepartei hat während der Berufungsbegründungsfrist gerade nicht geltend gemacht, dass das Erstgericht bei seiner Entscheidung den Satzteil auf S. 7 der Klageschrift übersehen habe und die erstgerichtlichen Feststellungen daher unvollständig seien.
Der erst Monate später mit Schriftsatz vom 22.7.2020 erfolgte klägerische Hinweis auf S. 7 der Klage konnte den Mangel der Berufungsbegründung nicht mehr heilen.
III.
Die gegen die Beklagten zu 1) gerichtete Berufung hat im Ergebnis keine Erfolgsaussichten, da Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag verjährt sind und deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) nicht in Betracht kommen.
1. Wie bereits im Hinweis des Berufungsgerichts vom 2.7.2020 angesprochen wurde, kann die Beklagten zu 1) der klägerischen Forderung erfolgreich die Verjährungseinrede entgegenhalten.
Da das streitgegenständliche Fahrzeug bereits Anfang 2012 übergeben wurde, war die 2-jährige Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB bzw. des § 438 Abs. 2 i.V. mit § 218 Abs. 1 BGB bereits zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Geltendmachung der klägerischen Ansprüche längst abgelaufen.
2. Die 3-jährige Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB BGB ab Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, da die Voraussetzungen von § 438 Abs. 3 BGB nicht vorliegen.
Eine arglistige Täuschung durch bestimmte Mitarbeiter der Beklagten hat die Klagepartei nicht substantiiert vorgetragen.
Ein eventuelles vorwerfbares Verhalten von Organen oder Mitarbeitern der Beklagten zu 2) muss sich die Beklagte zu 1) auch unter Berücksichtigung ihrer Eigenschaft einer Vertragshändlerin im Rahmen von § 438 Abs. 3 BGB nicht zurechnen lassen.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht ein Anfechtungsrecht bei Täuschungen durch Vertrauenspersonen oder Repräsentanten des Empfängers der angefochtenen Willenserklärung, die nicht als Dritte i.S. von § 123 Abs. 2 BGB gelten, wobei die Voraussetzungen denjenigen entsprechen, die für eine Erfüllungsgehilfenstellung nach § 278 BGB gefordert werden (BGH, Urteil vom 30.3.2011, Az. VIII ZR 94/10, Tz 15, zitiert nach Juris).
Der Hersteller oder Lieferant des Verkäufers ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich nicht dessen Erfüllungsgehilfe (BGH, Urteil vom 2.4.2014, Az. VIII ZR 46/13 = NJW 2014, 2183, Urteil vom 18.10.2017, Az. VIII ZR 86/16, = NJW 2018, 291).
Entsprechend haben das OLG Koblenz mit Urteil vom 28.9.2017, Az. 1 U 302/17, und das OLG Stuttgart mit Urteil vom 4.10.2017, Az. 12 U 64/17 = DAR 2018, 212 in Fällen der Inanspruchnahme von VW-Vertragshändlern entschieden.
Die Zulassung der Revision hinsichtlich der Verjährungsfrage kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 9.6.2020, Az. VIII ZR 315/19).
Verfügung
1. Beschluss vom 30.09.2020 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin … zustellen
Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten zu formlos …
Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten zu formlos …
2. Wiedervorlage mit Eingang oder nach Fristablauf (3 Wochen ab Zustellung)