Aktenzeichen 16b D 18.1459
VwGO § 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. Eine Verpflichtung zur Rückfrage, ob der Mandant eine Weiterverfolgung seiner Rechte wünscht, besteht für den Prozessbevollmächtigten dann, wenn er im Kanzleibetrieb einen elektronischen Datenaustausch nutzt und seinem Mandanten auf diesem Weg die rechtsmittelfähige Entscheidung übermittelt, ohne dabei eine Lesebestätigung oder Vergleichbares von dem von ihm genutzten System anzufordern. Die Versäumung der Rechtsmittelfrist beruht in diesem Fall auf der fehlenden Nachfrage. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist beruht dann nicht auf Hinderungsgründen im Sinne von § 60 VwGO, wenn ein Rechtsanwalt bei Ausbleiben einer Antwort seines Mandanten von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgesehen hat, obwohl er nach der ihm erteilten Prozessvollmacht auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten zu allen einen späteren Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt war. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 12a D 16.2081 2018-02-27 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2018 wird verworfen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. Februar 2018 wurde der Beklagte wegen eines Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Da Urteil wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses dem Bevollmächtigten des Beklagten am 30. Mai 2018 mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung:zugestellt.
Der Beklagte legte zunächst unter dem 3. Juli 2018 persönlich Berufung ein und legte ein Schreiben seines Bevollmächtigten vom gleichen Tag vor. Die Berufungsfrist sei aufgrund eines Kanzleifehlers (^“die Zustellung über die WebAkte funktionierte anscheinend nicht. Die Berufungsfrist ist leider versäumt. Mir ist bewusst, dass meine Kanzlei dafür die Verantwortung trägt und ich möchte mich in aller Form entschuldigen.“) versäumt.
Der Bevollmächtigte legte am 16. Juli 2018 beim Verwaltungsgericht Berufung ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO. Im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags wurde vorgetragen, das Urteil sei dem Beklagten mit Schreiben vom 30. Mai 2018 über ein elektronisches Postfach (WebAkte) übermittelt worden. Dieses Schreiben und das eingescannte Urteil hätten den Beklagten über die WebAkte jedoch nicht erreicht. Die genauen Gründe dafür könnten leider nicht mehr nachvollzogen werden. Der Bevollmächtigte sei davon ausgegangen, dass der Beklagte kein Rechtsmittel einlegen wolle. Am Tag des Fristablaufs habe der Bevollmächtigte vorsorglich nochmals beim Beklagten nachfragen wollen. Telefonisch sei dieser jedoch nicht erreichbar gewesen. Deshalb habe er ihm am frühen Nachmittag eine E-Mail zugesandt. Auf diese EMail habe der Beklagte erst nach Geschäftsschluss der Kanzlei geantwortet. Die Berufungsfrist sei aufgrund eines beiderseitigen Missverständnisses versäumt worden: Der Beklagte habe das Urteil nicht erhalten und sei der Meinung gewesen, dass das Urteil noch nicht abgefasst worden sei. Der Bevollmächtigte sei der Meinung gewesen, der Beklagte wolle es bei dem Urteil des Verwaltungsgerichts belassen. Weder den Beklagten noch den Bevollmächtigten treffe insoweit ein vorwerfbares Verschulden.
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 3 Abs. 1 BDG i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, über die Verwerfung durch Beschluss zu entscheiden (§ 3 Abs. 1 BDG i.V.m. § 125 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwGO). Die Beteiligten sind auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
Das Vorbringen des Beklagten erfüllt nicht die in § 60 VwGO normierten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit dem Antrag gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Beklagte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Berufung verhindert war. Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht dem Verschulden des Beklagten dasjenige seines Bevollmächtigten gleich. Der Wiedereinsetzungsantrag muss deshalb Tatsachen glaubhaft machen, die auch ein Verschulden des Bevollmächtigten ausschließen.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten ordnungsgemäß gegen Empfangsbekenntnis am 30. Mai 2018 zugestellt, sodass die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG, § 3 BDG, §§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 mit Ablauf des 2. Juli 2018 endete.
Der Kläger muss sich das Verschulden seines bevollmächtigten Rechtsanwalts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. Bier in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 60 Rn. 23 m.w.N.). Ein Verschulden ist dann gegebenen, wenn dieser die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts außer Acht gelassen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht eine Obliegenheit zur Rückfrage nicht generell, sondern außerhalb des Asylverfahrens nur unter besonderen Bedingungen, etwa dann, wenn der Rechtsanwalt konkreten Anlass zur Sorge haben musste, seine Mitteilung sei verloren gegangen oder wenn ihm der Standpunkt seines Mandaten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einzulegen, bereits bekannt war (BVerwG, U.v. 23.11.1982 – 9 C 167.82 – juris Rn. 8; B.v. 19.10.2004 – 5 C 16.04 – juris Rn. 3). Zwar ist von letzterem nach Auffassung des Senats nicht auszugehen. Indes konnte sich der Bevollmächtigte mit der fehlenden Reaktion des Beklagten hier nicht zufrieden geben, sondern wäre gehalten gewesen, beim Mandanten nochmals ausdrücklich wegen der Weiterverfolgung seiner Rechte Rückfrage zu halten, weil er im Kanzleibetrieb mit der WebAkte (eine gesicherte Kommunikationsplattform; vgl. www.webakte.de, zuletzt besucht am 26.7.2018) einen elektronischen Datenaustausch nutzte. Daher hätte er eine Lesebestätigung oder Vergleichbares von dem von ihm genutzten System fordern müssen (vgl. Wendtland in BeckOK ZPO, Stand: Juli 2018, § 233 Rn. 35 unter Hinweis auf BGH, B.v. 17.7.2013 – I ZR 64/13 – juris Rn. 11 f. zur Lesebestätigung bei E-Mail Versand). Dies organisatorisch sicherzustellen hat der Bevollmächtigte unterlassen. Der erfolglose telefonische Kontaktaufnahmeversuch zum Beklagten am Tag des Fristablaufs lässt die Kausalität des Organisationsverschuldens nicht entfallen (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 16a D 16.2092 – juris Rn. 8). Zudem wäre es dem Bevollmächtigten nach der Prozessvollmacht vom 17. März 2016 ohne weiteres möglich gewesen, vorsorglich fristwahrend Berufung einzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht die Versäumung einer Rechtsmittelfrist dann nicht auf Hinderungsgründen im Sinne von § 60 VwGO, wenn ein Rechtsanwalt bei Ausbleiben einer Antwort seines Mandanten von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgesehen hat, obwohl er nach der ihm erteilten Prozessvollmacht auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten zu allen einen späteren Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt war (BVerwG v. 8.3.1984 – 9 B 15204.82 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 18.5.2011 – 10 ZB 10.1957 – juris Rn. 3). Da der Bevollmächtigte von dieser Möglichkeit der Fristwahrung keinen Gebrauch gemacht hat, hat er seine Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt. Dies muss sich der Beklagte wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 ZPO Abs. 2 ZPO).
Ohne die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Berufung verfristet und damit als unzulässig zu verwerfen, § 3 BDG i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Der Kostenausspruch beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO).