Handels- und Gesellschaftsrecht

Prüfungsumfang des Berufungsgerichts: Ansprüche aus einem widerrufenen Darlehensvertrag

Aktenzeichen  19 U 3422/17

Datum:
2.2.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17436
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 314, § 529 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Als Tatbestand im Sinne von § 314 ZPO ist nicht nur die äußerlich von den übrigen Bestandteilen des Urteils gesonderte und als „Tatbestand“ bezeichnete Darstellung im Urteil zu begreifen. Vielmehr gehören dazu nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch Tatbestandsfeststellungen, die sich in den Entscheidungsgründen finden (Bestätigung von BGH BeckRS 2000, 5913, Rn. 24). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Berufungsgericht darf daher bei einem widerrufenen Darlehensvertrag berücksichtigen, dass der Wunsch zur vorzeitigen Ablösung des Darlehens von der Klägerin ausging, wenn sich dies – auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen durch das Erstgericht – aus dem erstinstanzlichen Urteil ergibt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 O 547/17 2017-09-08 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Die Klägerin ist ihres Rechtsmittels der Berufung verlustig, soweit sie die Berufung im Hinblick auf ihren Antrag „Die Beklagte stellt die Klägerin von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten an ihre Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte … (Hersbruck) in Höhe eines Betrages von 1.219,04 € frei.“ zurückgenommen hat.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 08.09.2017, Aktenzeichen 5 O 547/17, zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor 19 u 3422/17 – Seite 2 der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 216.542,60 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem widerrufenen Darlehensvertrag. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Traunstein vom 08.09.2017 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Das Landgericht wies die Klage ab, da die Klägerin im Zeitpunkt der Ausübung ihres Widerrufsrechts dieses bereits verwirkt hatte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die im Berufungsverfahren zunächst beantragt,
1.Das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 08.09.2017 (Az.: 5 O 547/17) wird abgeändert.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 9.813,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit 21.06.2016 zu zahlen.
3.Die Beklagte stellt die Klägerin von der Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten an ihre Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte . (Hersbruck) in Höhe eines Betrages von 1.219,04 € frei.
4.Die Beklagte zahlt die Kosten beider Rechtszüge.
5.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zu verwerfen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 21.11.2017 (Bl. 85/88 d. A.), auf die Bezug genommen wird, wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtige, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 29.01.2018 erweitert die Klägerin ihre Klage und fasst Ziffer 2 ihrer bisherigen Anträge wie folgt neu:
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 29.859,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins aus einem Betrag in Höhe von 19 u 3422/17 – Seite 3 9.813,13 € seit 21.06.2016 und aus einem weiteren Betrag in Höhe von 20.046,77 € seit 30.01.2018 zu zahlen.
Zugleich nimmt die Klägerin ihren bisherigen Antrag in Ziffer 3. zurück.
Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 08.09.2017, Aktenzeichen 5 O 547/17, ist – soweit sie nicht zurückgenommen wurde – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Auch die weiteren Schriftsätze der Klägerin vom 08.01.2018 (Bl. 94/97 d. A.), 22.01.2018 (Bl. 102/104 d. A.), 23.01.2018 (Bl. 105 d. A.) und 29.01.2018 (Bl. 106/107 d. A.) geben keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Ergänzend ist folgendes zu bemerken:
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte der Senat berücksichtigen, dass der Wunsch zur vorzeitigen Ablösung des Darlehens von der Klägerin ausging, denn dies ergibt sich – auch ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen durch das Erstgericht – dennoch aus dem erstinstanzlichen Urteil. (LGU S. 8 unter Ziffer 2.2.2). Dort wurde explizit ausgeführt „…Der Darlehensvertrag wurde 2012 auf Wunsch der Klägerin vollständig aufgelöst und das Darlehen zurückgeführt.
Auch wenn sich diese Feststellung in den Entscheidungsgründen und nicht im eigentlichen Tatbestand des Ersturteils befindet, handelt es sich um vom Erstgericht festgestellte Tatsachen im Sinne von §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 314 ZPO, denn als Tatbestand im Sinne von § 314 BGB ist nicht nur die äußerlich von den übrigen Bestandteilen des Urteils gesonderte und als „Tatbestand“ bezeichnete Darstellung im Urteil zu begreifen, sondern dazu gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch Tatbestandsfeststellungen, die sich in den Entscheidungsgründen finden (BGH, Urteil vom 02.10.1992 – V ZR 185/91, Rn. 6; BGH, Urteil vom 19.05.1998 – XI ZR 216/97, Rn. 14; BGH, Urteil vom 12.03.2003 – XII ZR 18/00, Rn. 28; BGH, Urteil vom 17.05.2000 – VIII ZR 216/99, Rn. 24). Diese Feststellung in den Entscheidungsgründen steht auch nicht im Widerspruch zu den tatbestandlichen Ausführungen, da – wie bereits in der Hinweisverfügung dargelegt (dort S. 2, Bl. 86 d. A.) – sich im Tatbestand nur die neutrale Feststellung „Der Vertrag wurde gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung…vorzeitig zurückgeführt.“
Damit liegen aber – wie vom Erstgericht zutreffend begründet – bei einer konkreten Einzelfallbetrachtung besondere auf dem Verhalten der Klägerin beruhende Umstände vor, die das Vertrauen der Beklagten rechtfertigen, die Klägerin werde ihr Recht nicht mehr geltend machen (BGH, Urteil vom 11.10.2016 – XI ZR 482/15, Rz. 30).
2. Soweit die Klägerin nunmehr im Schriftsatz vom 29.01.2018 ihren Berufungsantrag in Ziffer 2 dahingehend erweitert, dass sie im Rahmen der Rückabwicklung nunmehr Nutzungsersatz nicht mehr nur in Höhe von 0,5%-Punkten über dem Basiszinssatz, sondern in Höhe von 2,5%-Punkten über Basiszinssatz ansetzt, verliert diese im Berufungsverfahren verfolgte Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (BGH, Beschluss vom 06.11.2014 – IX ZR 204/13, Rn. 2 m. w. N.) und hindert den Senat nicht daran, im Wege eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung von § 3 ZPO, §§ 40, 43, 47 GKG bestimmt.
Der Senat schließt sich dabei der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12.01.2016 – XI ZR 366/15) an, wonach das wirtschaftliche Interesse des Klägers unter Berücksichtigung der gegeneinander abzuwägenden Vor- und Nachteile bei Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit des Widerrufs nach § 3 ZPO zu schätzen sei. Liegt dem Verbraucherdarlehensvertrag wie hier kein verbundener Vertrag zugrunde (§ 358 BGB), kann der Wert der Beschwer nicht mit dem Nettodarlehensbetrag gleichgesetzt werden. Vielmehr sind in solchen Fällen, wenn das Schuldverhältnis gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln ist, die Leistungen maßgeblich, die die Klägerin gemäß §§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint. Das sind nach § 346 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen (BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441 Rn. 7 mwN). Diese Zins- und Tilgungsleistungen beziffert die Klägerin hier selbst bis zur vorzeitigen Rückführung am 31.05.2012 mit 216.542,60 Euro (Bl. 9 d. A.).
Ein Anspruch auf Nutzungsersatz gemäß § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB bleibt als Nebenforderung nach § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO außer Betracht. Auch die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten stellen Nebenforderungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO dar und erhöhen den Streitwert nicht.

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