Aktenzeichen 12 O 786/15
ZPO § 29a Abs. 1
Leitsatz
1. Für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit nach § 29a Abs. 1 ZPO ist allein der schlüssige Vortrag der klagenden Partei zum Bestand eines Miet- oder Pachtverhältnisses erforderlich. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht kein wirksamer Miet- oder Pachtvertrag, kann aufgrund der Herausgabeansprüche aus §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 oder § 985 BGB nur die Einräumung des Besitzes an dem Miet- oder Pachtobjekt verlangt werden, nicht jedoch eine Räumung im Sinne des § 546 Abs. 1 BGB. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zahlungsansprüche aus Bereicherungsrecht stellen keine Entgeltforderungen im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB dar. (Rn. 86) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, das auf dem Grundstück der Gemarkung S., Fl.St. 3…5/11, S2.-promenade 1, betriebene „Seerestaurant U.“ mit sämtlichen Außenflächen, ausgenommen das Wohnhaus mit Laden am W. G., das Bistro und das Eiskiosk im Durchgang zum W. G., die zwei Personalzimmer über den städtischen Toiletten sowie die ca. 12 m² große Lagerfläche im Wirtschaftshof gemäß der in der dem Urteil beigefügten „Anlage 5“ (Lageplan) rot eingezeichneten Fläche, mit Ausnahme des Beach-Bereiches, des Kiosks, des Stegs und der diesen vorgenannten Bezirken gegenüber liegenden Lagerräumen gemäß der in der dem Urteil beigefügten „Anlage 4“ (Lageplan) rot eingezeichneten Grenze, an die Klägerin herauszugeben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Auf die Widerklage der Beklagten zu 1) wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte zu 1) 142.800,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.05.2016 zu zahlen.
4. Im Übrigen werden die Widerklagen abgewiesen.
5. Von den Gerichtskosten tragen: die Klägerin 22%, die Beklagten als Gesamtschuldner 28% und die Beklagte zu 1) weitere 50%. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen: die Beklagten als Gesamtschuldner 28% und die Beklagte zu 1) weitere 50%. Die Klägerin trägt 22% der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 10% der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2). Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
6. Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist teilweise – hinsichtlich des Herausgabeanspruchs – begründet.
Die unbedingt erhobene Widerklage ist nur hinsichtlich des Zahlungsantrags begründet, während die Hilfswiderklage unbegründet ist.
1. Zur Klage gegen die Beklagte zu 1)
Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist problemlos zulässig.
Das Gericht ist örtlich zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit hinsichtlich eines Räumungsanspruchs gegenüber der Beklagten zu 1) ergibt sich aus § 29 a Abs. 1 ZPO. Es handelt sich um das Bestehen des Anspruchs aus § 546 Abs. 1 BGB, der gegenüber der Beklagten zu 1) dann denkbar wäre, wenn tatsächlich ein Pachtvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) zustande gekommen wäre. Dass tatsächlich kein wirksamer Pachtvertrag zustande gekommen ist (s.u.), ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit unerheblich. Denn es handelt sich insoweit um doppelrelevante Tatsachen. Die Klägerin hat schlüssig vorgebracht, mit der Beklagten zu 1) einen Pachtvertrag abgeschlossen zu haben. Die Frage des Bestehens des Pachtverhältnisses ist auch für die Anwendung von § 546 Abs. 1 BGB gegenüber der Beklagten zu 1) maßgeblich. Denn nur dann wenn irgendwann ein wirksamer Pachtvertrag abgeschlossen wurde, der durch Kündigung mit Wirkung ex nunc beendet ist, kommt der Räumungsanspruch nach § 546 Abs. 1 BGB in Betracht. Bestand nie ein wirksames Vertragsverhältnis, so greift diese Anspruchsgrundlage hinsichtlich der Räumung nicht ein. Damit ist das Bestehen des Pachtvertrages sowohl für die Anwendung der Zuständigkeitsnorm des § 29 a Abs. 1 ZPO als auch für die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage des § 546 Abs. 1 BGB relevant. Bei derartigen doppelrelevanten Tatsachen genügt es, wenn der Kläger – und auch nur dieser – schlüssig die Voraussetzungen behauptet. Dies ist vorliegend geschehen.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) ein Anspruch auf Herausgabe gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB zu.
1.1. Die Beklagte zu 1) hat durch die Leistung der Klägerin den unmittelbaren Besitz an den „Pachtflächen“ erlangt. Dies ist bestimmt Parteien unstreitig.
1.2. Für diese Besitzerlangung existiert zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) kein wirksamer Pachtvertrag nach § 581 Abs. 1 Satz 1 BGB als Rechtsgrund für die Besitzübertragung. Denn die beweisbelastete Klägerin konnte nicht hinreichend sicher nachweisen, dass die aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) nach § 21 des Pachtvertrages durch ihre Verpächterin, die H. KG, tatsächlich erteilt worden ist. Denn nach der Beweisaufnahme bestehen erhebliche Zweifel dahingehend, dass die Mail des Zeugen Prof. G. vom 01.04.2014 (17.45 Uhr), gerichtet an den Geschäftsführer der Klägerin, aus Sicht der Klägerin – entsprechend § 133 BGB – tatsächlich als Genehmigung des Unterpachtvertrages mit der Beklagten zu 1) verstanden werden kann.
Der Inhalt der Mail vom 01.04.2014 ist unklar. Einerseits enthält sie eindeutig die Erklärung, dass „die Zustimmung zur Person des Unterpächters“ erteilt werde. Andrerseits enthält die Mail nicht eindeutig, dass der – ausgehend von der Behauptung der Klägerin – der H. KG und dem Zeugen Prof. G. vorgelegte Pachtvertrag der Anlage B 14 als solcher genehmigt werde. Letzteres ergibt sich aus dem Wortlaut der Mail nicht. Dass der Rechtsanwalt und Jurist Prof. G. mit der Wahl des Begriffs „Unterpächter“ auch den Pachtvertrag als solchen gemeint haben könnte, ist zwar denkbar, aber für einen Juristen nicht unbedingt naheliegend. Denn die Genehmigung könnte sich auch nur auf die Person der Beklagten zu 1) beziehen.
Da diese Erklärung des Zeugen Prof. G. unklar ist, ist sie gemäß § 133 BGB auszulegen. Da es sich bei einer Genehmigung um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, ist nicht auf den Willen des Erklärenden, sondern auf den Horizont des Empfängers, also des Geschäftsführers der Klägerin, abzustellen. Nach durchgeführter Beweisaufnahme konnte aber der Geschäftsführer der Klägerin die Mail nicht als Zustimmung zum Pachtvertrag der Anlage B 14 auffassen. Denn auf Grund der glaubhaften Aussage des Zeugen G. steht fest, dass zwischen dem Zeugen G. und dem Geschäftsführer der Klägerin am 31.03.2014 in den U.-Räumen eine Besprechung stattfand. Es hat sich hierbei um ein Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Zeugen und dem Geschäftsführer der Klägerin gehandelt. Der Zeuge G. erklärte glaubhaft, dass er bei diesem Gespräch dem Geschäftsführer der Klägerin erklärt habe, dass „jetzt kein Vertrag“ gemacht werde. Er erklärte auch, dass er in dem Moment der Besprechung keinen Vertrag abschließen oder auch nur eine Genehmigung zusagen wollte. Der Zeuge erklärte auch glaubhaft, dass die H. KG zunächst abwarten wollte, wie sich der Betrieb durch die Beklagte zu 1) anlasse. Der Zeuge erklärte, dass der von der H. KG gewollte Zustand als „Duldung“ bezeichnet werden könnte.
Die Aussage des Zeugen ist glaubhaft und der Zeuge selbst glaubwürdig. Der Zeuge hat auf das Gericht nach seinem persönlichen Eindruck glaubwürdig gewirkt. Er war ruhig und sachlich und ließ sich auch durch die eine oder andere spitze Bemerkung des Geschäftsführers der Klägerin im Rahmen seiner Vernehmung nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Der Zeuge hat die Situation nachvollziehbar und lebensnah geschildert. Der Firma H. KG war es nach dem Misserfolg mit dem Unterpächter Sr. wichtig, dass ein Gastronom als Unterpächter gefunden wird, mit dem eine dauerhafte gedeihliche und für alle Seiten gewinnbringende Vereinbarung getroffen werden kann. Dieses Bestreben der Firma H. KG ist einerseits rechtlich zulässig und in keinster Weise zu beanstanden und andrerseits im Hinblick auf das Insolvenzverfahren mit dem vorherigen Unterpächter auch nachvollziehbar. Auch die Mail vom 01.04.2014 – unmittelbar im Anschluss an die Besprechung zwischen dem Zeugen G. und dem Geschäftsführer der Klägerin – enthüllt dann auch ihren wirklichen Sinn dahingehend, dass die Firma H. KG zwar mit der Person des Unterpächters, der Beklagten zu 1), einverstanden gewesen sei, da sie Herrn Sch. als zielgerichteten Gastronomen offenbar dem Namen nach kannte. Von daher erschließt sich – unter Berücksichtigung des Inhalts der Besprechung vom 31.03.2014 entsprechend den Angaben des Zeugen G. – auch, dass eine Art „Duldung“ durch die H. KG beabsichtigt war:
Mit der Person der Beklagten zu 1) – und insbesondere von deren Geschäftsführer – bestand Einverständnis, ohne jedoch formal eine rechtlich bindende Zusage abgeben und eingehen zu wollen. Es handelt sich hierbei auch nicht um eine „rechtliche Grauzone“. Denn die H. KG wollte keinen wirksamen Unterpachtvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) zustande kommen lassen. Insofern war die Rechtslage eindeutig: Es sollte keinen wirksamen Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) geben.
Auch wenn der – verspätete (§ 296a ZPO)- Schriftsatz der Klägerseite vom 04.08.2016 (Bl. 278/290 der Akten) hinsichtlich der Beweisaufnahme berücksichtigt wird, ergeben sich an der Beurteilung des Gerichts keine Abweichungen. Auch wenn der Zeuge G. tatsächlich mit der Familie Hirt weitläufig verwandt sein sollte, ist dies kein Umstand, der Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit rechtfertigt. Woraus die Klägerseite die „Vetterleswirtschaft“ schließen will, ergibt sich zumindest nicht aus tatsächlichen Behauptungen. Auch die dahinterstehende Andeutung, der Zeuge G. habe deswegen falsch ausgesagt, erschließt sich in diesem Zusammenhang aus tatsächlichen Gründen nicht. Auch die Zeittafel auf Seite 2 und 3 des genannten Schriftsatzes hat auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen keinen Einfluss. Der Zeitablauf ist für sich genommen wertneutral. Auch die unter Ziffer I. des genannten Schriftsatzes (Seite 3/7) aufgeführten Umstände rechtfertigen keine andere Beurteilung. Wie bereits ausgeführt, macht es – auch aus Rechtsgründen – Sinn – zumindest aus Sicht der H. KG. Dass dies sowohl für die Beklagten zu 1), als auch für die Klägerin ein schwieriger Umstand war, erschließt sich ohne weiteres, da beide Seiten keine bindende vertragliche Verpflichtung untereinander hatten. Dies kann jedoch von Seiten des Verpächters der Klägerin durchaus gewollt und in Kauf genommen worden sein. Ein derartiges Verhalten ist rechtlich nicht anstößig. Duldungen oder bloße Gebrauchsüberlassungen – ohne rechtlich bindende Verpflichtung – sind gerade in Miet- oder Pachtverträgen nichts Ungewöhnliches und in Gewerbemietverträgen eher das Übliche. Die Ausgangspunkte und Schlussfolgerungen aus dem genannten Schriftsatz unter II. (Seite 7/10) teilt das Gericht nicht bzw. hält sie für unzutreffend. Dies gilt insbesondere für Umstände, die der Zeuge G. in seiner Aussage nicht erwähnte. Dies schon deswegen, weil das Beweisthema des Zeugen G. nicht lautete: „Die Geschichte der Pachtverträge der U.-Fläche“, sondern dass der Zeuge dem Geschäftsführer der Klägerin einige Tage vor der Mail des 01.04.2014 erklärt habe, dass der vorgelegte Unterpachtvertrag von Seiten der Verpächterin aus nicht zustimmungsfähig sei. In Bezug auf dieses Beweisthema spielen die Umstände, die die Klägerin in den Angaben des Zeugen G. vermisst keine Rolle. Soweit die Klägerseite meint, dass der Zeuge wissen müsse, wie der Unterschied zwischen einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung und einem zweiseitigen Vertrag formal zu bezeichnen ist, folgt hieraus für die Glaubwürdigkeit des Zeugen nichts. Dass tatsächlich die H. KG ein Interesse daran hatte, dass die Beklagte zu 1) bzw. die Beklagte zu 2) die „Pachtfläche“ als Gastronomiebetrieb betreibt, ist unbestritten. Aus der Aussage des Zeugen G. ergeben sich hierfür auch keine Widersprüche. Dass die Konsequenz der Interessen der H. KG sich nicht mit den Interessen der Klägerin bzw. der Beklagten zu 1) vollständig deckten, liegt auf der Hand. Dies ist jedoch bei allen Verträgen der Fall: Jede Vertragspartei verfolgt ihre eigenen Interessen. Dass sich die Situation derart dramatisch für die H. KG darstellte, wie die Klägerin in dem genannten Schriftsatz auf Seiten 8 und 9 es hinzustellen versucht, will zumindest unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die H. KG von der Klägerin und nicht von der Beklagten zu 1) ihre Pachtzahlungen erhält, nicht recht überzeugen. Dass dies möglicherweise ein Umstand sein kann, der in die Interessenabwägung des einzelnen Vertragspartners einfließt, ist unbestritten. Dass dieser Umstand zu einem übermächtigen Zwang werden kann ist zwar denkbar, aber nicht ansatzweise mit Tatsachen belegt.
Das Gericht hält den Zeugen G. für glaubwürdig, insbesondere auch deswegen, weil die von ihm geschilderten Umstände ein schlüssiges und nachvollziehbares Bild hinsichtlich der Interessenverfolgung durch die H. KG belegen.
Der Klägerin war auch keine Frist zur Stellungnahme auf das Beweisergebnis einzuräumen. Die Klägerin hatte – wie auch die Beklagten – Gelegenheit, unmittelbar nach der Aussage des Zeugen G. dessen Aussage zu würdigen. Dies kann auch von jedem Parteivertreter und von den anwesenden Parteien selbst erwartet werden. Denn der Zeuge G. war für ein einziges eingeschränktes Beweisthema als Zeuge benannt und hat dieses – entsprechend den Behauptungen der Beklagten zu 1) – auch bestätigt. Also musste sich insbesondere die Klägerseite darauf einstellen, dieses Beweisergebnis ad hoc zu würdigen. Es war keine Überraschung für die Klägerin, dass der Zeuge so ausgesagt hat, wie die Beklagte zu 1) es behauptete. Auch aus dem Umfang der Zeugenaussage – eine gute Textseite DIN A 4 im schriftlichen Protokoll- folgt schon, dass von jedem Parteivertreter eine Bewertung ad hoc verlangt werden kann. Dies zumal unter Berücksichtigung des Umstandes, dass auch der Geschäftsführer der Klägerin -Gesprächspartner des Zeugen am 31.03.2014- während der gesamten Vernehmung und aller mündlicher Verhandlungstage anwesend war.
Der Schriftsatz der weiteren Klägervertreter vom 19.10.2016 ist gleichfalls verspätet, § 296a ZPO. Die dortigen Tatsachen sind zum größten Teil im vorliegenden Rechtsstreit nicht behauptet worden. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zum Schriftsatz vom 04.08.2016 Bezug genommen.
Beide verspätete Schriftsätze der Klägervertreter geben auch keinerlei Veranlassung, nach § 156 ZPO erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.
1.3. Nachdem bereits der beabsichtigte Pachtvertrag mangels Eintritts der aufschiebenden Bedingung nicht wirksam geworden ist braucht über die anderen Gründe, die ggfs. gleichfalls zur Unwirksamkeit führen könnten, keine Entscheidung mehr erfolgen.
1.4. Soweit sich die Beklagte zu 1) insoweit auf Erfüllung beruft, ist dies nicht schlüssig. Die Beklagte wurde hierauf auch durch den Beschluss vom 08.12.2015 hingewiesen. Auch in den folgenden Schriftsätzen konnte eine schlüssige Tatsachenbehauptung hinsichtlich der Erfüllung nicht aufgestellt werden. Insbesondere ist es der Beklagten zu 1) nicht gelungen, schlüssig und substantiiert vorzutragen, wie sie den unmittelbaren Besitz an den Pachtflächen tatsächlich an die H. KG übertragen hat. Die Voraussetzung des Erwerbs des unmittelbaren Besitzes nach § 854 Abs. 1 BGB durch die H. KG ist nicht hinreichend vorgetragen. Wie dies geschehen sein soll, hat die Beklagte zu 1) nicht vorgebracht.
Auch eine Besitzübertragung nach § 854 Abs. 2 BGB ist nicht schlüssig. Denn auch diese Vorschrift setzt voraus, dass der bisherige Besitzer, also die Beklagte zu 1), die tatsächliche Sachherrschaft im Umfang der Besitzübertragung erkennbar aufgibt. Ein schlüssiger Vortrag findet sich insoweit nicht. Auch soweit die Beklagte zu 1) behauptet, am 17.11.2015 sei ein „förmliches Verfahren“ durchgeführt worden, erschließt sich der Gehalt dieser Angabe nicht. Was darunter zu verstehen ist wird nicht klar. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Schriftsätze der Beklagten zu 1) nur dazu dienen, zu verschleiern, dass tatsächlich eine reale Veränderung der Besitzverhältnisse in keinem Fall stattgefunden hat und lediglich durch den kryptischen Vortrag formale Rechtspositionen „erzeugt“ werden sollen.
1.5. Die Beklagte zu 1) kann sich auch nicht auf § 242 BGB berufen.
Zwar kann § 242 BGB dann eingreifen, wenn der Vermieter die Rückgabe der Mietsache gemäß § 546 BGB verlangt, sie jedoch sogleich wegen eines Rechts zum Besitz auf Grund anderer Rechtsgrundlage wieder hergeben müsste (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl: Mietrecht, 12. Auflage, § 546 BGB Rdnr. 12). Dass die Klägerin – am relevanten Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung – tatsächlich den von der Beklagten zu 1) an sie herauszugebenden Besitz an den „Pachtflächen“ wieder an die Beklagte zu 1) herausgeben müsste, ist schon deswegen nicht ersichtlich, weil insoweit eine Anspruchsgrundlage nicht erkennbar ist. Hierzu hat die Beklagte zu 1) auch nichts vorgebracht. Ob und in welchem Umfang die Klägerin ggfs. der H. KG zur Herausgabe des Besitzes verpflichtet ist, kann an dieser Stelle offenbleiben.
1.6. Als Rechtsfolge kann die Klägerin von der Beklagten zu 1) gemäß § 818 Abs. 1 BGB die Herausgabe des Bereicherungsgegenstandes, also des unmittelbaren Besitzes, verlangen.
Auf Grund der Leistungskondiktion kann die Klägerin von der Beklagten zu 1) jedoch nur Herausgabe und nicht Räumung verlangen. Während Herausgabe lediglich die Einräumung des Besitzes, in erster Linie bewirkt durch die Übergabe von Gebäudeschlüsseln, bedeutet, umfasst der Begriff der Räumung auch die Herausgabe in einem Zustand, wie er dem jeweils entsprechenden Miet-/Pachtvertrag entspricht. Insoweit wird auf die Formulierung in § 546 Abs. 1 BGB hingewiesen. Da vorliegend jedoch keine vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) besteht, ist § 546 Abs. 1 BGB – auch in seiner Rechtsfolge – nicht anwendbar. Das Bereicherungsrecht einerseits und der dingliche Anspruch nach § 985 BGB andererseits gewähren dem Gläubiger nur die Herausgabe im Sinne einer Übertragung des unmittelbaren Besitzes. Nicht gewähren sie den weitergehenden Räumungsanspruch; dieser ist nur auf Grund eines Miet-/Pachtvertrages über § 546 Abs. 1 BGB denkbar. Soweit die Klägerin auch Räumung gefordert hat, war deswegen die Klage abzuweisen.
2. Zur Klage gegen die Beklagte zu 2)
Die Klage gegen die Beklagte zu 2) ist zulässig.
Mathias Sch. ist vertretungsberechtigter Gesellschafter der GbR. Soweit die Beklagte zu 2) behauptet, es bestünde für Klagen die Gesamtvertretung aller Gesellschafter, ist dies nicht näher ausgeführt und deswegen nicht hinreichend dargetan.
Das Gericht ist auch für die Beklagte zu 2) örtlich zuständig.
Insofern wird auf die Ausführungen unter Ziff. 1. verwiesen. Es handelt sich um ein Bestehen des Anspruchs aus § 546 Abs. 2 BGB, der gegenüber der Beklagten zu 2) dann denkbar wäre, wenn tatsächlich ein Pachtvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) zustande gekommen wäre und die Beklagte zu 1) auch der Beklagten zu 2) Mitbesitz eingeräumt hätte (Zöller-Vollkommer, 31. Auflage, § 29 a ZPO, Randnr. 13). Dass tatsächlich kein wirksamer Pachtvertrag zustande gekommen ist, ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit unerheblich. Denn es handelt sich insoweit um doppelrelevante Tatsachen (s.o.). Für Ansprüche gemäß § 546 Abs. 2 BGB gilt gleichfalls § 29 a Abs. 1 ZPO. Lässt sich die Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses nicht erweisen, so gilt gegenüber dem Dritten ein gleiches wie gegenüber dem – vermeintlichen – Mieter/Pächter. § 29 a Abs. 1 ZPO ist in Bezug auf den Dritten also auch dann anzuwenden, wenn die Klägerin, wie vorliegend, schlüssig das Bestehen eines Pachtvertrages mit dem vermeintlichen Pächter behauptet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch auf Herausgabe der „Pachtflächen“ gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BGB zu.
2.1. Unstreitig ist, dass die Beklagte zu 2) zwischenzeitlich – auch – unmittelbare Besitzerin der „Pachtflächen“ ist.
2.2. Dies erfolgte durch einen Eingriff der Beklagten zu 2).
Die Beklagte zu 1) konnte nur ihren unmittelbaren Besitz, den sie rechtsgrundlos gegenüber der Klägerin erlangt hat, mit der Beklagten zu 2) „teilen“. Insoweit sind beide Beklagte Mitbesitzer. Die Mitbesitzeinräumung durch die Beklagte zu 1) gegenüber der Beklagten zu 2) stellt für die Beklagte zu 2) einen Eingriff in das Besitzrecht der Klägerin dar. Dies deswegen, weil nur die Klägerin gegenüber der H. KG auf Grund des zwischen diesen Personen geschlossenen Pachtvertrages zum unmittelbaren Besitz der „Pachtflächen“ berechtigt ist. Übernimmt ein Dritter zusammen mit dem unberechtigten unmittelbaren Besitzer Mitbesitz, so greift er in den Besitz als der Klägerin zugewiesenes Recht ein.
2.3. Einen Vorrang der Leistungskondiktion gibt es insoweit nicht, da der Mitbesitz an die Beklagte zu 2) nicht geleistet wurde. Zumindest haben die Parteien insoweit nichts vorgebracht.
2.4. Die Beklagte zu 2) hat den unmittelbaren Mitbesitz auch rechtsgrundlos erlangt, da ein Rechtsgrund gegenüber der Klägerin unstreitig nicht gegeben ist.
2.5. Im Hinblick auf Erfüllung oder andere Einwendungen wird auf die Ausführungen betreffend die Beklagte zu 1) verwiesen.
2.6. Hinsichtlich der Rechtsfolge wird gleichfalls auf die Ausführungen gegenüber der Beklagten zu 1) verwiesen, die auch gegenüber der Beklagten zu 2) Geltung haben.
3. Zur unbedingten Widerklage
Die (unbedingte) Widerklage ist zulässig (§ 33 ZPO).
Die Widerklage ist nur im Zahlungsantrag begründet.
3.1. Der Beklagten zu 1) steht gegen die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung von 148.000,00 € gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB zu.
Die Beklagte zu 1) hat eine Barkaution in Höhe von 48.000,00 € und eine „Ablöse“ in Höhe von 100.000,00 € an die Klägerin geleistet.
Hierfür besteht kein Rechtsgrund, da der Pachtvertrag als Rechtsgrund nicht wirksam geworden ist.
Die Klägerin hat deswegen den Gesamtbetrag in Höhe von 148.000,00 € an die Beklagte zu 1) gemäß § 818 Abs. 2 BGB zurück zu bezahlen.
3.2. Hinsichtlich der Herausgabe der Bürgschaftsurkunde an die Beklagte zu 1) ist die Widerklage unbegründet.
Nach ihrem gesamten Vortrag macht die Beklagte zu 1) nur eigene, in ihrer Person entstandene Ansprüche auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde geltend. Nicht geltend gemacht werden – was denkbar und im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft zulässig wäre – fremde Ansprüche (die der Bürgin) im eigenen Namen. Über derartige Ansprüche kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden werden, da es sich um einen anderen Streitgegenstand als den hier geltend gemachten, in der Person der Beklagten zu 1) als behauptet entstandenen Anspruch handelt.
Vertragliche Ansprüche auf Herausgabe stehen der Beklagten zu 1) nicht zu, da ein Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) nicht zustande gekommen ist.
Ansprüche aus § 371 Abs. 1 BGB stehen der Beklagten zu 1) auch nicht zu, da ihr der Schuldschein – die Bürgschaftsurkunde – nicht gehörte und auch nicht gehört.
Ansprüche aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB stehen der Beklagten gleichfalls nicht zu, da sie nichts insoweit an die Klägerin geleistet hat. Geleistet hat die Bürgin und nicht die Beklagte zu 1).
Ansprüche aus § 985 BGB stehen der Beklagten zu 1) nicht zu, da sie nicht Eigentümerin des Schuldscheins war und auch nicht wurde.
4. Zur bedingten Widerklage
4.1. Die bedingte Widerklage ist zulässig.
Zwar sind Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich. Zunächst sind jedoch – wie vorliegend – innerprozessuale Bedingungen.
Der Beklagtenvertreter hat die Bedingung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2015 (Bl. 134 d.A.) dahingehend präzisiert, dass die Widerklage gestellt wird für den Fall, dass der Klage stattgegeben wird. Diese Erklärung legt das Gericht gemäß § 133 BGB analog dahingehend aus, dass hierunter nicht nur die vollständige Stattgabe der Klage sondern auch die nur teilweise Stattgabe der Klage verstanden wird. Zumindest folgt diese Auslegung aus dem erkennbaren Rechtsschutzziel der Beklagten zu 1).
Im Übrigen ist die Hilfswiderklage zulässig (§ 33 ZPO).
4.2. Die Hilfswiderklage ist nicht begründet.
Der Beklagten zu 1) steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von 396.600,44 € gegen die Klägerin nicht zu.
Vertragliche Ansprüche scheiden aus, da ein Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) nicht zustande gekommen ist. Dies gilt sowohl für vertragliche Primäransprüche als auch für sekundäre Schadenersatzansprüche, denn auch Letztere setzen das Bestehen eines Schuldverhältnisses (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) voraus.
Bereicherungsansprüche insoweit kommen ersichtlich nicht in Betracht.
Schadenersatzansprüche aus Delikt gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB sind nicht schlüssig vorgebracht. Es fehlt schon an der schlüssigen Behauptung einer Täuschungshandlung durch den Geschäftsführer der Klägerin gegenüber den Geschäftsführern der Beklagten zu 1). Insoweit wird zunächst auf Ziffer 2. des Beschlusses vom 08.12.2015 Bezug genommen. Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin und der Beklagten zu 1) um Formkaufleute handelt. Bei einem Pachtvertrag über eine Gewerbefläche ist jeder Vertragspartner nur seinem eigenen Interesse verpflichtet und berechtigt, auch nur dieses zu verfolgen. Schon aus diesem Grunde sind die insoweit von der Beklagten zu 1) aufgestellten Behauptungen unschlüssig.
Gleiches gilt für die Behauptungen wie den mangelnden Kontaktwunsch zum Erbbauberechtigten und die Behauptung der Zusage eines Eintrittsrechts. Zusätzlich sind derartige Behauptungen auch nicht kausal für eine denkbare Täuschung. Dies gilt insbesondere für den mangelnden Kontaktwunsch des Erbbauberechtigten. Soweit es um die Zusage eines Eintrittsrechts geht, fehlt die Kausalität schon deswegen, weil es naturgemäß naheliegt, derartiges in den – von beiden Seiten unterzeichneten – letztlich jedoch nicht wirksamen Pachtvertrag aufzunehmen. Dies ist gerade nicht erfolgt, so dass eine Vereinbarung der Parteien insoweit nicht vorliegt.
Darüber hinaus scheitern derartige Ansprüche auch an dem Fehlen eines kausalen Schadens, da gerade der Vertrag nicht wirksam zwischen den Parteien zustande gekommen ist. Dann aber können Leistungen der Beklagten zu 1) auf einen vermeintlichen Vertrag keinen kausalen Schaden darstellen, wenn dieser Vertrag gerade nicht besteht.
5. Zinsanspruch der Widerklage
Der Zinsanspruch ist in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Hilfswiderklage (11.05.2015) gemäß §§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB begründet.
Verzug trat mit Zustellung der Widerklage ein, § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB. Einen früheren Verzugszeitpunkt hat die Beklagte zu 1) nicht schlüssig vorgebracht.
Der Höhe nach sind gemäß § 288 Abs. 1 BGB nur 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz zuzusprechen. Denn § 288 Abs. 2 BGB greift nicht ein, da es sich weder um eine Entgeltforderung noch um ein Rechtsgeschäft handelt. Vielmehr schuldet die Klägerin nur aus Bereicherungsrecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.