Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz und Schmerzensgeld bei einem Behandlungsfehler

Aktenzeichen  4 U 148/15

Datum:
26.1.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136783
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 249, § 253, § 280

 

Leitsatz

1. Die vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeldhöhe von 20.000 EUR ist unter Berücksichtigung des Behandlungsfehlers (Einbringung von PEEK-Cages), dessen Folgen (Fuß- und Zehenheberparese als Dauerschaden) und der Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs und der entsprechenden Einschränkungen unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Enthält die Klage keine konkreten Angaben zur Kausalität bezüglich der geltend gemachten Aufwendungen für Fahrten, Hilfsmittel und Therapiemaßnahmen und für den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden, lässt sich kein Zusammenhang zu dem erlittenen Schaden (Parese) herstellen. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 O 620/12 Hei 2015-08-04 Urt LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 04.08.2015, Az. 12 O 620/12 Hei, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO auf deren Kosten zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren soll auf 151.321 € festgesetzt werden.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme; FRIST: 22.02.2016.

Gründe

Die Klägerin (geb. 1952, seit Mai 2005 berufsunfähig) verlangt Schadensersatz (erste Instanz: Schmerzensgeld 120.000 € / mtl. Rente 120 € ab 01.09.2009 – 31.03.2012 = 3.720 € / zukünftige Rente; Bewertung: 120 € x 12 x 3,5 = 5.040 € / Feststellung, Wert = 10.000 € / 33.982,57 € Haushaltsführungsschaden und vermehrte Bedürfnisse / 3.748,73 € RA-Kosten) wegen der Folgen von 3 Wirbelsäulenoperationen vom 24.08.2007, 11.12.2007 und 16.06.2008.
1. Das Landgericht hat der Klägerin Schmerzensgeld von 20.000 € und Zinsen zugesprochen sowie festgestellt, dass die Beklagten auch den weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus der Behandlung von August 2007 bis August 2009 zu ersetzen haben (Kosten 82% zu 18% zum Nachteil der Klägerin). Es hat weiter vorgerichtliche Anwaltskosten von 1.196,43 € und Zinsen zugesprochen. Bei der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes hat es den Behandlungsfehler (Einbringung von PEEK-Cages, Urteil S. 8 unter Ziffer I/1 a), dessen Folgen (Fuß- und Zehenheberparese als Dauerschaden, vgl. Urteil S. 19 im zweiten Absatz), die Notwendigkeit eines weiteren Eingriffs und die entsprechenden Einschränkungen berücksichtigt (Urteil S. 14 oben). Der Feststellungsausspruch betrifft evtl. weitere kausale Therapien und sonstige Behandlungen (Urteil S. 14 unter Ziffer 4). Der geltend gemachte materielle Schaden (Fahrten / Hilfsmittel / Therapie / 9.683 €) und der Haushaltsführungsschaden (24.300 € bis Ende 31.03.2012) seien nicht kausal verursacht (Urteil S. 14/15 unter Ziffer 5). Die Voraussetzungen für eine Rente (besonderer Ausnahmefall) seien nicht gegeben (Urteil S. 15 unter Ziffer 6).
2. Ziel der Berufung der Klägerin ist ein Schmerzensgeld von 60.000 €, materieller Schadensersatz von 68.813 € (= 59.130 € + 9.683 €) und Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten von 3.749 € und Zinsen, eine Rente ab Januar 2016 von 774 € monatlich (Haushaltsführung) und Feststellung (Zukunftsschaden). Es sei ein Schmerzensgeld von mindestens 60.000 € zuzusprechen (OLG Koblenz VersR 1989, 629 und VersR 2001, 111). Bezüglich des Haushaltsführungsschadens habe das Landgericht übersehen, dass Mitursächlichkeit reiche (BGH VI ZR 175/04). Der bezifferte Schaden bis Ende 2015 betrage 59.130 €. Ab Januar 2016 sei eine Rente von 774 € zu zahlen (Wert insoweit: 32.508 € = 12 x 774 € x 3,5). Wegen vermehrter Bedürfnisse habe das Landgericht mit derselben Begründung einen Betrag von 9.683 € zusprechen müssen. Vorsorglich werde für die Zukunft ein materieller Vorbehalt geltend gemacht (Wert: 1.250 € x 10 Jahre ./. 20% = 10.000 €).
3. Der Beklagten erwidern: Das Schmerzensgeld sei angemessen (LG Koblenz 10 O 293/03; OLG Saarbrücken 4 U 221/04; OLG Stuttgart 14 U 64/88). Der zitierte Fall des OLG Koblenz (VersR 89, 629) sei nicht vergleichbar (dort 18-jähriges Mädchen). Die Kausalität der Fußheberparese für den Haushaltsführungsschaden sei nicht erwiesen. Zum Mehrbedarf wegen der Parese sei nicht vorgetragen. Die Aufwendungen seien nicht kausal verursacht. Mitursächlichkeit reiche mangels groben Behandlungsfehlers nicht. Die Beweisaufnahme müsse nicht wiederholt werden.
II.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Endurteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht, noch die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen durch das Berufungsgericht gebieten. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen nur dann vor, wenn – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle erneuter Tatsachenfeststellungen die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (gefestigte BGH-Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen für den Wegfall der Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen liegen hier nicht vor. Das Landgericht hat den Sachverhalt auch rechtlich zutreffend gewürdigt. Der Senat schließt sich dem angefochtenen Urteil an und nimmt vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen auf die Begründung des Urteils (siehe oben unter Ziffer I/1 dieses Beschlusses) Bezug. Ergänzend wird ausgeführt:
1. Die im Rahmen richterlichen Ermessens (§ 287 ZPO) zuerkannte Schmerzensgeldhöhe ist unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Der von der Klägerin zitierte Fall des OLG Koblenz (5 U 818/87) ist in der Tat (schon nach dem Leitsatz) nicht vergleichbar.
2. Das Landgericht hat bezüglich der geltend gemachten Aufwendungen für Fahrten, Hilfsmittel und Therapiemaßnahmen (ca. 9.683 €) die Kausalität verneint (Urteil S. 14 unten unter Ziffer I/5a). Die Klage (S. 54/55, Ziffer I/5a) enthält hierzu keine konkreten Angaben. Sie verweist lediglich ohne Substanz auf eine Auflistung von 19 Positionen und die dazugehörigen Belege in den Anlagen. Es lässt sich kein Zusammenhang zu dem erlittenen Schaden (Parese) herstellen, auch nicht im Sinne einer Mitursächlichkeit, weil sich nicht beurteilen lässt, welche konkreten Aufwendungen warum getätigt worden sind.
3. Dies gilt sinngemäß auch für den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden von nunmehr 59.130 € zuzüglich Rente (vgl. Klage S. 55-58 unter Ziffer 1/5b). Warum ein Haushaltsführungsschaden durch die Parese (mit-)verursacht worden sein soll, ist ebenfalls nicht vorgetragen, zumal die Klägerin schon seit Mai 2005 berufsunfähig ist.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Obergerichte ab. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Zulassung der Revision wäre im Falle einer Entscheidung durch Urteil nicht geboten. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil auszuschließen ist, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
Die beabsichtigte Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Der festzusetzende Streitwert des Berufungsverfahrens entspricht der Summe der teilweise weiterverfolgten, teilweise (Haushaltsführung) auch erweiterten Hauptforderungen.
Auf die bei Berufungsrücknahme in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220, 1222) wird vorsorglich hingewiesen.

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