Aktenzeichen 19 C 5916/17
Leitsatz
Ein Verwalter, der es nach Eröffnung des eher überschaubaren Insolvenzverfahrens unterlässt, sich die Kontoauszüge für den Krisen-Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung zu beschaffen und einzusehen, befindet sich vier Monate nach Verfahrenseröffnung in grob fahrlässiger Unkenntnis über einen insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch, wenn der dem Anspruch zugrunde liegende Zahlungsfluss den Kontoauszügen hätte entnommen werden können. (Rn. 18 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der an sich unstreitige Anspruch auf Rückzahlung der Insolvenzanfechtungsforderung in Höhe von 1.000,00 € gemäß §§ 143 Abs. 1 Satz 1, 937 Abs. 1 Satz 2 InsO ist gemäß §§ 146 Abs. 1 InsO, 199 Abs. 1, 214 Abs. 1 BGB verjährt.
1. Grundsätzlich entsteht ein Insolvenz-Anfechtungs-Rückzahlungsanspruch gemäß § 143 InsO frühestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, hier also frühestens am 01.09.2013. Gemäß § 146 Abs. 1 InsO beginnt die Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Weitere Voraussetzung ist allerdings gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine subjektive Komponente. Erst wenn der Gläubiger Kenntnis von den dem Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, beginnt die Verjährung zu laufen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier daher der 31.12.2013. In Folge grober Fahrlässigkeit hatte der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt zwar keine positive Kenntnis von dem Anspruch. Er hätte aber diese Kenntnis erlangen können.
a) Grobe Fahrlässigkeit setzt eine besonders schwere, auch subjektiv vorwerfbare Vernachlässigung der Ermittlungspflichten des Insolvenzverwalters voraus. Grobe Fahrlässigkeit kann insbesondere vorliegen, wenn der Verwalter einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht oder auf der Hand liegende, erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte (BGH, Versäumnisurteil vom 30.04.2015, Az.: IX ZR 1/13, Rn. 10, zitiert nach Juris; Kirchhof in Münchener Kommentar InsO, 3. Auflage, § 146 Rn. 8 d).
b) Dabei war hier zu berücksichtigen, dass es sich letztlich um ein eher überschaubares Insolvenzverfahren handelte. Es lag keine Vielzahl von Anfechtungs-Tatbeständen vor. Auch die Anzahl der Insolvenzgläubiger war letztlich übersichtlich. Ausweislich des Berichtes des Klägers vom 12.05.2014 hatte er bereits bis zum 29.10.2013 fünf Anfechtungsansprüche im Volumen von knapp 20.000,00 € ermittelt. In dem genannten Bericht (Anlage K5) heißt es dort auf Seite 6 unter 6.:
„In meinem Bericht vom 29.10.2013 ausführlich dargestellt, wurden von mir nachfolgende anfechtungsrelevante Zahlungen der Gemeinschuldnerin innerhalb des 3-monatigen Krisen-Zeitraums vor Insolvenzantragstellung an fünf Einzelgläubiger über einen Gesamtbetrag in Höhe von 19.910,25 € ermittelt:“
c) Die grundsätzliche Pflicht eines Insolvenzverwalters besteht nicht nur in der Ermittlung der Insolvenzmasse, der Feststellung der Insolvenz-Gläubiger, des verwertbaren Vermögens, in Aus- und Absonderungsrechte, sondern darüber hinaus auch in der Ermittlung der zur Insolvenzmasse gehörenden Anfechtungsansprüche. Bereits durch die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter bzw. als Sachverständiger oblag es daher dem Kläger, zur Ermittlung der Masse etwaige Insolvenzanfechtungs-Tatbestände zu prüfen. Gerade der Krisen-Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung ist dabei ein wesentlicher Prüfungs-Zeitraum (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO). Die in diesem Zeitpunkt vorgenommenen Rechtshandlungen bedürfen daher regelmäßig einer kritischen und intensiven Prüfung durch den Insolvenzverwalter.
d) Soweit der Kläger sich darauf beruft, ihm seien entsprechende Unterlagen nicht zur Verfügung gestanden und der Beklagte habe als geschäftsführender Gesellschafter der Gemeinschuldnerin seinen Mitwirkungspflichten nicht genüge getan, kann dies letztlich nicht überzeugen. Denn die fehlende fehlerhafte oder unvollständige Mitwirkung der Gemeinschuldnerin ist eine typische Folge und ein typisches Problem in der Praxis (Kirchhof a.a.O. Rn. 8 c). Es gehört daher zum täglichen Brot eines Insolvenzverwalters, auch andere Ermittlungsquellen auszuschöpfen, um an die notwendigen Erkenntnisse zu gelangen. Soweit also der Kläger hier darlegt, er habe mit dem Beklagten per E-Mail Kontakt aufgenommen, diesbezüglich aber keine Antworten erhalten, vermag dies letztlich nicht zu überzeugen. Denn wenn er von dem Beklagten damals keine Antworten erhielt, wäre es naheliegend gewesen, sich die notwendigen Erkenntnisse auf andere Art und Weise zu beschaffen. Eine solche andere Erkenntnisquelle waren hier insbesondere die Kontoauszüge bezüglich des Kontos der Gemeinschuldnerin. Ausweislich der Umsetz-Verdichtungen (Anlage K3) hatte sich der Kläger – offenbar bereits als vorläufiger Insolvenzverwalter – diese Kontoauszüge bereits beschafft. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum er nur die Kontoauszüge ab dem 01.06.2013, mithin also lediglich für einen Zeitraum von ca. einen Monat vor Insolvenzantragstellung sich beschafft hatte. Hätte er dagegen den Krisen-Zeitraum von zumindest drei Monaten mittels der Kontoauszüge abgedeckt, wäre ihm bereits damals die Auszahlung an den Beklagten (Kontoauszug Anlage K2) aufgefallen. Weitere Ermittlungen hätten sich dann aufgedrängt. Ausweislich des zitierten Berichts (Anlage K5) hatte der Kläger bereits bis 29.10.2013 Kenntnis von anderen Anfechtungs-Tatbeständen erlangt. Dabei hatte er die üblichen Anfechtungsschuldner (gesetzliche Krankenversicherungen, Finanzamt, Zoll) ermittelt und diesbezügliche Ansprüche bereits in seinem Bericht vom 29.10.2013 „ausführlich dargestellt“. Weiterhin hatte er bereits in seinem damaligen Bericht „innerhalb des 3-monatigen Krisen-Zeitraums vor Insolvenzantragstellung“ die Anfechtungsschuldner „ermittelt“. Die Darlegung in diesem Bericht bzw. diesen Berichten, kann insoweit nicht zutreffend gewesen sein, nachdem innerhalb des 3-Monats-Zeitraumes dem Kläger damals gar keine Kontoauszüge vorlagen und er diese positive Kenntnis jedenfalls nach dem hier unstreitigen Vortrag erst Ende 2016 oder sogar erst Anfang 2017 erlangt hatte.
e) Aus Sicht des Gerichts stellt sich dies als grobe Fahrlässigkeit letztlich deswegen dar, weil nach dem eigenen Vortrag des Klägers er bereits bis Ende Oktober 2013 angeblich den Krisen-Zeitpunkt von drei Monaten abschließend geprüft und ermittelt hatte. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass typischer Weise nach Insolvenzeröffnung zunächst Sicherungsmaßnahmen – zum Teil rein tatsächlicher Art – erforderlich sind, um noch vorhandene Masse zu sichern. Gerade in der Anfangs-Phase eines Insolvenzverfahrens nach Eröffnung sind daher möglichst schnelle und zeitnahe Maßnahmen erforderlich, um einen Zugriff der Gläubiger auf die noch vorhandene Masse sicher zu stellen. Nachdem hier eine Eröffnung aber bereits am 01.09.2013 erfolgt war, und jedenfalls bis 29.10.2013 nicht mehr die Sicherungsmaßnahmen sondern auch die Anfechtungs-Tatbestände geprüft waren und darüber hinaus es sich auch nicht um ein komplexes und umfangreiches Insolvenzverfahren mit einer Vielzahl von Insolvenz-Gläubigern bzw. Anfechtungsschuldnern (vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2016, Aktenzeichen IX ZR 224/15, zitiert nach Juris), hält das Gericht eine grob fahrlässige Unkenntnis jedenfalls bis 31.12.2013 für gegeben. Das bloße „Zurückziehen“ auf die Beschlagnahme der Unterlagen, die darüber hinaus erst wesentlich später erfolgt war, reicht insoweit nicht aus. Der insoweit jedenfalls unter den Gesichtspunkt einer sekundären Darlegungslast darlegungsverpflichtete Kläger hatte auch im Rahmen seines letzten Schriftsatzes nur dargelegt, er habe sowohl mit dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin als auch dem Steuerberater Kontakt aufgenommen. Diese Kontaktaufnahmen erfolgten zum Teil aber bereits vor bzw. nach Insolvenzeröffnung. Sehr schnell hatte sich dann aber für den Kläger abgezeichnet, dass die genannten Personen einer Mitwirkungspflicht eher kritisch gegenüber standen. Insoweit hätte es sich ihm aufdrängen müssen, weitere eigene Ermittlungen durchzuführen und insbesondere die bereits erholten Kontoauszüge auf den größeren Krisen-Zeitraum zu erstrecken.
2. Die Einrede der Verjährung wurde auch vorgerichtlich bereits erhoben, § 214 BGB: Eine Berufung darauf ist auch nicht wegen § 242 BGB verwehrt. Denn die Nichtfeststellung der Anfechtungsforderung war nicht allein auf ein Verhalten des Beklagten zurück zu führen. Auch wenn dieser ggf. versucht haben sollte, Unterlagen vorzuenthalten und nicht mitzuwirken, oblag es doch dem Kläger, der dies nach einem Vortrag bereits Mitte 2013 bemerkte, anderweitige Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Eine Berufung auf § 242 BGB ist grds. nur in krassen Ausnahmefällen möglich. Ein solcher ist hier nicht ersichtlich.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.