Aktenzeichen 21 W 2/17
Leitsatz
1. Für die Festsetzung der Gerichtsgebühren im Insolvenzverfahren ist bei Fortführung des Betriebs durch den Insolvenzverwalter der Wert der Insolvenzmasse anhand des gesamten Umsatzes zu ermitteln, ohne dass die in diesem Zeitraum entstandenen Kosten für die Betriebsfortführung in Abzug zu bringen sind (Festhaltung an OLG Dresden, Beschluss vom 8.8.2012 – 11 W 832/12; entgegen OLG Dresden, Beschluss vom 26.8.2013 – 3 W 739/13; OLG Hamm, Beschluss vom 18.1.2013 – 25 W 262/13, ZIP 2013, 470; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.2.2015 – 3 W 20/14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.4.2014 – 8 W 149/14).
2. Führt der Insolvenzverwalter den schuldnerischen Betrieb fort, bemisst sich der Wert für die Berechnung der Gerichtsgebühren nach dem gesamten Umsatz im Fortführungszeitraum; die angefallenen Ausgaben sind nicht abzuziehen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
7 T 2678/16 2016-11-09 Bes LGMUENCHENII LG München II
Tenor
Die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 09.11.2016, Az. 7 T 2678/16, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Im Streit ist die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren im Insolvenzverfahren, hier der Schuldnerin L. Direktmarketing GmbH, bei Fortführung des Betriebs durch den Insolvenzverwalter. Dabei ist streitig, ob sich der – den Streitwert bestimmenden – Wert der Insolvenzmasse nach dem gesamten Umsatz in diesem Zeitraum bestimmt oder ob auch die in diesem Zeitraum entstandenen Kosten in Abzug zu bringen sind.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 21.01.2016 (Bl. 274 d.A.) wurde das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben. Mit Schlusskostenrechnung vom 05.01.2016 waren die Verfahrenskosten in Höhe von 15.060 € anhand eines Wertes von 1.111.008,00 € berechnet worden (Kostenheft). Der Insolvenzverwalter zahlte den Betrag am 20.01.2016.
Hiergegen legten der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin S. Erinnerung ein, der das Amtsgericht nach Erholung einer Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 11.02.2016 (Bl. 281 d.A.) am 17.03.2016 nicht abgeholfen hat (Bl. 283 d.A.).
Mit Beschluss vom 11.05.2016 (Bl. 284 d.A.) setzte das Amtsgericht Wolfratshausen – Rechtspfleger – den Geschäftswert für das Verfahren auf 186.078,19 € fest. Dieser Betrag ergab sich aus den Einnahmen abzüglich der im Fortführungszeitraum angefallenen Ausgaben.
Hiergegen legte der Bezirksrevisor am 21.5.2016 (Bl. 287 d.A.) Beschwerde ein und beantragte, den Geschäftswert auf 1.114.390 € festzusetzen.
Mit Beschluss vom 04.07.2016 (Bl. 292/295 d.A.) gab das Landgericht München II durch den Einzelrichter der Beschwerde statt und setzte den Geschäftswert wie vom Bezirksrevisor beantragt fest.
Mit Schriftsatz vom 22.07.2016 erhob ein Notar a.D. als bevollmächtiger Vertreter der Gemeinschuldnerin Gegenvorstellung gegen diesen Beschluss (Bl. 298/299 d.A.) und beantragte Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Auf die Gegenvorstellung hin hob der Einzelrichter mit Beschluss vom 04.11.2016 den Beschluss vom 04.07.2016 auf und übertrug das Verfahren bei dem Landgericht München II auf die Kammer (Bl. 309/312 d.A.). Diese änderte mit Beschluss vom 09.11.2016 den Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 11.05.2016 dahingehend ab, dass der Streitwert – wie bereits mit dem aufgehobenen Beschluss vom 04.07.2016 – auf 1.114.390.- € festgesetzt wurde (Bl. 313/321 d.A.) und ließ die Rechtsbeschwerde ausdrücklich zu.
Mit Schriftsatz vom 09.12.2016 legte die Insolvenzschuldnerin Beschwerde gegen die Festsetzung ein, die sie damit begründete, die vom Landgericht herangezogene Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 08.08.2012 habe heftigen Widerspruch erfahren. In der Rechtsprechung werde überwiegend vertreten, dass es bei Betriebsfortführung für die Wertfestsetzung auf den Überschuss ankomme. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 09.12.2016 (Bl. 326/330 d.A.) verwiesen. Mit Beschluss vom 30.12.2016 (Bl. 331/333 d.A.) half das Landgericht der Beschwerde nicht ab.
II.
Das Oberlandesgericht ist für die Entscheidung über die weitere Beschwerde zuständig, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 4 S. 3 GKG. Diese ist zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet:
Auf den Beschluss des Landgerichts vom 09.11.2016, ergänzt durch den Nichtabhilfebeschluss vom 30.12.2016, wird vollumfänglich verwiesen. Er ist umfassend und überzeugend begründet und setzt sich mit der – wie der Senat nicht verkennt – vielfach vertretenen anderen Auffassung auseinander (vgl etwa OLG Dresden, Beschluss vom 26.08.2013, Az. 3 W 739/13; OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2013, Az. 25 W 262/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2015, Az. 3 W 20/14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.04.2014, Az. 8 W 149/14). Auf die Ausführungen in der Beschwerde und im Hinblick auf ein weiteres beim Oberlandesgericht München anhängiges Beschwerdeverfahren sind noch folgende Anmerkungen veranlasst:
1. Das Landgericht Ingolstadt hat in einer dem 11. Senat des Oberlandesgerichts München vorliegenden Entscheidung (Beschluss vom 03.11.2016, Az. 22 T 899/16, noch nicht entschiedenes Beschwerdeverfahren beim Oberlandesgericht München Az. 11 W 2068/16) ebenfalls umfassende und überzeugende Ausführungen dazu gemacht, warum die Kosten der Betriebsfortführung bei der Ermittlung des Gebührenwertes des Insolvenzverfahrens nicht abzuziehen sind. Es führt nämlich aus, dass aus den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber für Gericht und Insolvenzverwalter eine einheitliche Vergütung angestrebt hat, wie es jedoch vielfach vertreten wird (vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.04.2014, Az. 8 W 149/14 mit weiteren Nachweisen). Vielmehr sollte die Vergütung so ausgestaltet werden, dass sämtliche Verwertungsarten für den Verwalter gleichrangig sind. Er sollte auf Grund der Vergütungsstruktur nicht dazu veranlasst werden, ein bestimmtes Verfahrensergebnis vor einem anderen zu bevorzugen. Hierauf bezieht sich nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/2443, dort S.130: „Zu § 74 Vergütung des Insolvenzverwalters“) die „Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens“ und nicht, wie auch das Landgericht München II im vorliegenden Verfahren zutreffend ausführt, auf Gerichtsgebühren und Insolvenzverwaltergebühren, welche strukturell vollkommen verschieden voneinander sind.
2. Zudem gilt, dass der InsO kein allgemeiner Rechtssatz zu entnehmen ist, wonach die maßgebliche Insolvenzmasse „zur Zeit der Beendigung des Verfahrens“ (§ 58 Abs. 1 GKG, insoweit gleichlautend mit § 63 Abs. 1 S. 2 InsO) um die Kosten der Betriebsfortführung zu bereinigen sei. Das Landgericht führt hierzu in dem angegriffenen Beschluss (ebenso auch das Landgericht Ingolstadt in dem oben genannten Beschluss) vollkommen zutreffend aus, dass es auch bei der Vergütung des Insolvenzverwalters gerade nicht dem Regelfall entspricht, dass Masseverbindlichkeiten in Abzug gebracht werden, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 4 S. 1 InsVV: „Die Kosten des Insolvenzverfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten werden nicht abgesetzt“. Lediglich für die Betriebsfortführung enthält § 1 Abs. 2 Nr. 4 b InsVV eine Sonderregelung, nach welcher „der Überschuss“ maßgeblich ist (Einführung eines erfolgsorientierten Merkmals zur Motivierung des Insolvenzverwalters). Diese Regelung ist aber nicht abschließend: In den Fällen, in denen der Insolvenzverwalter das Unternehmen fortgeführt hat, die Masse aber nicht entsprechend größer geworden ist, kann der Insolvenzverwalter einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 lit. b InsVV verlangen (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.08.2012, Az. 11 W 832/12). Einen solchen hat der Insolvenzverwalter im vorliegenden Fall im Übrigen auch erhalten (rechtskräftige Festsetzung der Vergütung des Insolvenzverwalters vom 05.01.2016, Bl. 267 d.A.: Zuschlag von 25% für die Fortführung des Unternehmens). Für die Gerichtsgebühren gibt es solche Differenzierungsmöglichkeiten gerade nicht. Es ist daher dem Landgericht dahingehend zu folgen, dass sich eine entsprechende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift bei der Bemessung des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Werts verbietet.
3. In Hinblick auf obige Ausführungen überzeugt auch die unter anderem von Grub in NZI 2012, 949 vertretene Argumentation nicht, wonach sich aus der Regelung des § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV (Schätzwert bei vorzeitiger Beendigung) ergebe, dass der Wert der Insolvenzmasse derjenige sein müsse, der den Insolvenzgläubigern und Massegläubigern bei Beendigung des Insolvenzverfahrens zur Verfügung steht. Zutreffend ist, wie bereits ausgeführt, dass der entscheidende Wert der „Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens“ ist, § 58 GKG. Der Senat teilt allerdings nicht die Schlussfolgerung Grubs „Nachdem es eine vergleichbare Regelung für die Gerichtskosten nicht gibt, wird § 1 Abs. 1 S. 2 InsVV auch für deren Ermittlung zugrunde gelegt“ (Grub, aaO, 951). Vielmehr kann dieser Schluss mit gleicher Berechtigung auch entgegengesetzt gezogen werden: Der Gesetzgeber hat in § 65 InsO ausdrücklich eine Verordnungsermächtigung für die Gebühr des Insolvenzverwalters ausgesprochen, um dessen Vergütung im Einzelnen zu regeln. Er hat dabei nicht allgemein vorgegeben, dass Masseverbindlichkeiten und Kosten bei der Ermittlung des Wertes der Insolvenzmasse bei Beendigung des Verfahrens abzuziehen sind. Für die Gerichtsgebühren gibt es eine solche Verordnungsermächtigung nicht. Insoweit verbleibt es allein bei der gesetzlichen Regelung des § 58 GKG.
4. Auch das vielfach – auch von der Beschwerdeführerin – vorgebrachte Argument, die vorgenommene Wertfestsetzung könne den Sanierungszweck durch die Höhe der Gerichtsgebühren gefährden, greift nicht durch, denn dies gilt letztlich für alle anfallenden Kosten und Gebühren. So sind etwa im vorliegenden Verfahren die Gebühren für den Insolvenzverwalter um ein Vielfaches höher als die Gerichtsgebühren. Ein überzeugendes Argument gegen die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des § 58 GKG ergibt sich daraus nicht.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist kostenfrei, eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 68 Abs. 3 GKG.