Handels- und Gesellschaftsrecht

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Disziplinarsache

Aktenzeichen  16a D 16.2092

Datum:
20.2.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 104106
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 57, § 60, § 125 Abs. 2 S. 1, § 173 S. 1
ZPO § 85 Abs. 2, § 222
BayDG Art. 3, Art. 62 Abs. 1, Art. 64 Abs. 1 S. 2, Art. 73 Abs. 1 S. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein die Wiedereinsetzung rechtfertigender Grund kann nicht aus der fehlenden Reaktion des Mandanten auf eine E-Mail-Anfrage des Rechtsanwalts zu weiteren Prozessschritten insbesondere ohne Lesebestätigungsanforderung begründet werden.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Rechtsanwalt aufgrund der ihm erteilten Prozessvollmacht auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten zu allen einen späteren Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt war oder eine vorsorglich fristwahrende Berufungseinlegung risikolos wegen Gebührenfreiheit hätte einlegen können.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 13b D 16.620 2016-07-18 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungs-gerichts Ansbach vom 18. Juli 2016 wird verworfen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

I.
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Juli 2016 wurde der Beklagte wegen eines Dienstvergehens um zwei Stufen in das Eingangsamt eines Polizeimeisters (BesGr. A 7) zurück gestuft. Das Urteil wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses dem Bevollmächtigten des Beklagten am 23. August 2016 mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung:zugestellt.
Am 11. Oktober 2016 wurde beim Verwaltungsgericht Ansbach Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 und 2 Satz 1 VwGO beantragt.
Im Rahmen der Wiedereinsetzung wurde vorgetragen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Juli 2016 und die Niederschrift ordnungsgemäß in der Kanzlei archiviert und dem Beklagten mit E-Mail vom 23. August 2016 per pdf-Anhang an die E-Mail-Adresse „…“ übermittelt worden seien. In der E-Mail sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, bis wann Berufung eingelegt werden könne und dass dies nur bei schriftlichem Auftrag des Mandanten erfolge. Der Bevollmächtigte hätte zusätzlich am 23. September 2016 (letzter Tag vor Fristablauf) vergeblich versucht, um die Mittagszeit telefonisch Kontakt (mobil und Festnetz) mit dem Beklagten aufzunehmen. Zur Glaubhaftmachung hierfür wurde ein Telefonvermerk vom 23. September 2016 vorgelegt. Der Beklagte habe jedoch diese E-Mail, die von der Mitarbeiterin S … ordnungsgemäß am 23. August 2016 an ihrem Arbeitsplatz erstellt und versendet wurde, nach seiner eigenen Aussage nicht erhalten. Zur Glaubhaftmachung wurde eine eidesstattliche Versicherung des Beklagten vom 10. Oktober 2016 vorgelegt, in der er bestätigte, bis zu diesem Zeitpunkt keinen E-Mail-Eingang der Kanzlei unter seinem Googlemail-Konto verzeichnen zu können. Er habe ab dem 2. August 2016 mehrfach mit dem Bevollmächtigten Kontakt aufgenommen, um den Kenntnisstand um die Urteilszustellung in Erfahrung zu bringen. Zuletzt habe er am 22. August 2016 mit Frau K … telefoniert, sich abermals nach der Urteilszustellung erkundigt und sich darum gesorgt, dass er vergessen werden könnte und dann das Einlegen von Rechtsmitteln nicht mehr möglich sei. Nachdem man ihm versichert habe, sofort mit ihm Kontakt aufzunehmen, sobald das Urteil zugestellt sei, habe er am 7. Oktober 2016 nochmals in der Kanzlei den Sachstand nachgefragt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Rechtsmittelfrist jedoch schon abgelaufen gewesen.
II.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Juli 2016 ist gemäß Art. 64 Abs. 1 S. 2, Art. 3 BayDG, § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Das Vorbringen des Beklagten erfüllt nicht die in § 60 VwGO normierten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit dem Antrag gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Beklagte ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Berufung verhindert war. Nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht dem Verschulden des Beklagten dasjenige seines Bevollmächtigten gleich. Der Wiedereinsetzungsantrag muss deshalb Tatsachen glaubhaft machen, die auch ein Verschulden des Bevollmächtigten ausschließen.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten ordnungsgemäß gegen Empfangsbekenntnis am 23. August 2016 zugestellt, so dass die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung gemäß Art. 62 Abs. 1 BayDG, Art. 3 BayDG, §§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 23. September 2016 endete.
1. In der eidesstattlichen Versicherung vom 10. Oktober 2016 bestätigte der Beklagte, dass es erstmalig nach der Zustellung des Urteils am 23. August 2016 am 7. Oktober zu einer telefonischen Kontaktaufnahme mit seinem Bevollmächtigten gekommen sei. Der Senat geht deshalb nicht von eigenem Verschulden des Beklagten im Rahmen der Fristversäumung aus, auch wenn in einem dem Gericht im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags vorgelegten Telefonvermerk des Bevollmächtigten vom 23. September 2016 festgehalten ist, dass Anfang September mit dem Beklagten telefonisch Kontakt aufgenommen worden sei und dieser den Bevollmächtigten noch darüber informieren habe wollen, ob Berufung gegen das Strafmaß eingelegt werden solle. Der Bevollmächtigte hat im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags mit Schreiben vom 25. Januar 2017 vorgetragen, dass es sich hierbei offensichtlich um einen von ihm verursachten Sachverhaltsfehler handle, tatsächlich habe ein telefonischer Kontakt mit dem Beklagten nur Anfang August 2016 bestanden. Zur Bestätigung wurde nochmals eine eidesstattliche Versicherung des Beklagten vom 24. Januar 2017 vorgelegt.
2. Der Kläger muss sich aber vorliegend das Verschulden seines bevollmächtigten Rechtsanwalts gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016; § 60 RdNr. 20; Eyermann/Jörg Schmidt, VwGO, 14. Auflage 2014, § 60 Rdnr. 14). Ein Verschulden des Bevollmächtigten ist dann gegeben, wenn er die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts außer Acht gelassen hat.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht eine Obliegenheit zur Rückfrage nicht generell, sondern außerhalb des Asylverfahrens nur unter besonderen Voraussetzungen, etwa dann, wenn der Rechtsanwalt konkreten Anlass zur Sorge haben musste, seine Mitteilung sei verloren gegangen oder wenn ihm der Standpunkt seines Mandanten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einzulegen, bereits bekannt war (vgl. BVerwG vom 23.11.1982 – 9 C 167/82 – juris Rn.8; B.v. 19.10.2004 – 5 C 16/04 – juris Rn. 3). Zwar ist von letzterem nach Auffassung des Senats nicht auszugehen, auch wenn dem Bevollmächtigten aufgrund der mehrfachen telefonischen Kontaktaufnahme im August 2016 hätte bewusst sein müssen, dass der Beklagte die Einlegung einer (auf das Strafmaß beschränkten) Berufung durchaus in Betracht zog. Indes konnte sich der Bevollmächtigte mit der fehlenden Reaktion des Beklagten deshalb nicht zufrieden geben, sondern wäre gehalten gewesen, beim Mandanten nochmals ausdrücklich wegen der Weiterverfolgung seiner Rechte Rückfrage zu halten, weil er im Kanzleibetrieb E-Mail-Korrespondenz nutzte. Daher hätte er zu versandten E-Mails eine Lesebestätigung fordern müssen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 233 Rn. 23 m.w.N.). Dies organisatorisch sicher zu stellen hat der Bevollmächtigte – wie auch vom Kläger im Schriftsatz des Polizeipräsidiums M* … vom 17. November 2016 angesprochen – unterlassen. Der erfolglose telefonische Kontaktaufnahmeversuch zum Beklagten auf Festnetz und Handy um die Mittagszeit am letzten Tag der Frist, lässt die Kausalität des Organisationsverschuldens nicht entfallen.
2.2. Zudem wäre es dem Bevollmächtigten nach Nr. 11 der Beklagtenvollmacht vom 18. Juli 2013 ohne weiteres möglich gewesen, vorsorglich fristwahrend Berufung einzulegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht die Versäumung einer Rechtsmittelfrist dann nicht auf Hinderungsgründen im Sinne von § 60 VwGO, wenn ein Rechtsanwalt bei Ausbleiben einer Antwort seines Mandanten von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgesehen hat, obwohl er nach der ihm erteilten Prozessvollmacht auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten zu allen einen späteren Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen ermächtigt war (BVerwG v. 8.3.1984 – 9 B 15204/82 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 18.5.2011 – 10 ZB 10.1957 – juris Rn. 3). Diese Vorgehensweise wäre nach Auffassung des Senats dem Bevollmächtigten gerade auch deshalb zumutbar gewesen, weil der Beklagte mit seinem Verhalten vorher sein Interesse an der Einlegung eines Rechtsmittels erkennbar zum Ausdruck gebracht hatte. Die vorsorgliche fristwahrende Einlegung der Berufung wäre zudem auch mit keinerlei Risiken für den Bevollmächtigten verbunden gewesen, weil für das gerichtliche Disziplinarverfahren keine Gebühren anfallen (Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Da der Bevollmächtigte von dieser Möglichkeit der Fristwahrung keinen Gebrauch gemacht hat, hat er seine Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt. Dies muss sich der Beklagte wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 ZPO Abs. 2 ZPO).
Ohne die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Berufung verfristet und damit als unzulässig zu verwerfen, Art. 64 Abs. 1 S. 2, Art. 3 BayDG, § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Der Kostenausspruch beruht auf Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i. V. mit § 154 Abs. 2 VwGO.
Dieser Beschluss wird mit seiner Zustellung rechtskräftig, Art. 64 Abs. 2, Art. 3 BayDG, § 116 Abs. 3 VwGO.

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