Aktenzeichen 11 O 62/16
Leitsatz
1 Für die substantiierte Darlegung einer Kenntnis des Vorstandes der VW-AG bzw. eines seiner Mitglieder von dem Einbau einer Manipulationssoftware reicht die pauschale Behauptung, „die VW-AG“ habe hinsichtlich der Abgaswerte getäuscht, nicht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Vertragshändler muss sich die Kenntnis des Vorstandes VW-AG bzw. eines seiner Mitglieder nicht zurechnen lassen, solange die VW-AG am Zustandekommen des streitgegenständlichen Kaufvertrages nicht beteiligt war und darauf keinen Einfluss nehmen konnte. Die VW-AG ist als Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) des Vertragshändlers, sondern Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Eigenschaft als VW-Vertragshändler begründet kein besonderes Vertrauens- und Näheverhältnis zwischen der VW-AG und dem Vertragshändler, welches eine Wissenszurechnung nach § 123 Abs. 1 BGB begründen könnte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Anfechtungsrecht der Klägerin nach § 123 Abs. 1 BGB besteht nicht.
1. Die Klägerin hat eine arglistige Täuschung durch die V. AG nicht schlüssig vorgetragen. Arglist im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB erfordert zumindest bedingten Vorsatz. Die Wissenszurechnung erfolgt über § 166 Abs. 1 BGB (Palandt/Ellenberger BGB, 75. Auflage 2016, § 166 Rn. 3). Bei juristischen Personen kommt es insoweit auf die vertretungsberechtigten Organe an (vgl. Schäfer in BeckOK BGB, Stand: 01.05.2016, § 166 Rn. 15; Schubert in MünchKomm BGB, 7. Auflage 2015, § 166 Rn. 8 ff.), bei einer Aktiengesellschaft also auf den Vorstand, § 78 Abs. 1 AktG. Das Wissen schon eines Mitglieds des in der Angelegenheit vertretungsberechtigten Organs ist das Wissen der Gesellschaft (BGH NJW 1964, 1367). Die Klägerin hat indes nicht substantiiert dargelegt, dass der Vorstand der V. AG bzw. eines seiner Mitglieder Kenntnis von der verbauten Manipulationssoftware hatte. Die pauschale Behauptung, „die VW-AG“ (Schriftsatz vom 29.06.2016, Bl. 72 ff. d. A., dort S. 6) habe hinsichtlich der Abgaswerte getäuscht, genügt nicht. Schon deshalb war die Klage abzuweisen (vgl. auch LG München II, Urteil vom 05.07.2016, Az.: 14 O 404/16, S. 5, Anlagenheft Beklagte).
2. Selbst wenn die Klägerin eine der V. AG zurechenbare Täuschung substantiiert vortragen und nachweisen könnte, müsste sich die Beklagte dies nicht entgegenhalten lassen. Die V. AG ist im Verhältnis zur Beklagten Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB.
a) Allgemein kann derjenige nicht als unbeteiligter Dritter angesehen werden, dessen Verhalten dem des Erklärungsempfängers wegen besonders enger Beziehungen zwischen beiden oder wegen sonstiger besonderer Umstände billigerweise gleichzusetzen ist. Dritter ist mithin nicht, wer im Lager des Erklärungsempfängers steht und als dessen Vertrauensperson erscheint, sofern dies dem Erklärungsempfänger zurechenbar ist (vgl. Armbrüster in MünchKomm BGB, 7. Auflage 2015, § 123 Rn. 64; Wendtland in BeckOK BGB, Stand: 01.05.2016, § 123 Rn. 22). Die Vorschrift des § 123 Abs. 2 BGB ist eng auszulegen, so dass im Zweifel von einer Anfechtbarkeit auszugehen ist (Armbrüster in MünchKomm BGB, 7. Auflage 2015, § 123 Rn. 65).
b) In Rechtsprechung und Literatur wird die Abgrenzung regelmäßig einzelfallbezogen vorgenommen. Auf die Auflistungen bei Armbrüster in MünchKomm BGB, 7. Auflage 2015, § 123 Rn. 66 ff., und bei Staudinger/Reinhard Singer (2012) BGB, § 123 Rn. 51 ff., wird verwiesen. Keiner der dort diskutierten Fälle ist hier exakt einschlägig. Greift man auf die übergeordneten allgemeinen Grundsätze zurück, kommt eine Zurechnung des Handelns der V. AG auf die Beklagte nicht in Betracht. Die V. AG war in keiner Weise am Zustandekommen des streitgegenständlichen Kaufvertrages beteiligt und konnte darauf keinen Einfluss nehmen. Die Beklagte handelte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Die V. AG und die Beklagte sind rechtlich unabhängige juristische Personen ohne gesellschaftsrechtliche oder personelle Verflechtungen. Die V. AG als Hersteller ist nicht Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) der Beklagten als Verkäufer. Allein der Umstand, dass die Beklagte VW-Vertragshändlerin ist, begründet kein besonderes Vertrauens- und Näheverhältnis: Hersteller und Händler verfolgen nicht per se gleichlaufende Gewinninteressen in Bezug auf das Verkaufsgeschäft mit dem Endkunden. Die Beklagte ist der Wirtschaftsstufe des Herstellers nicht wie ein Handelsvertreter oder Funktionsagent funktional zugeordnet, sondern steht als selbstständiges Absatzorgan auf einer anderen Wirtschaftsstufe. Die V. AG ist nicht berechtigt, für die Beklagte Verträge anzubahnen oder Verhandlungen zu führen. Sie ist damit grundsätzlich Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB (vgl. Armbrüster in MünchKomm BGB, 7. Auflage 2015, § 123 Rn. 67).
c) Eine Zurechnung unter Billigkeits- oder Rechtsscheinsgesichtspunkten scheidet ebenfalls aus: Die Beklagte hat in keiner Weise den Anschein erweckt, dass die V. AG die Klägerin über offenbarungspflichtige Tatsachen aufklären werde, oder dass sie selbst zum VolkswagenKonzern gehöre. Die V. AG hatte mit dem konkreten Vertragsschluss erkennbar nichts zu tun. Auch wenn die Beklagte die Einrichtung ihrer Verkaufsstelle Bamberg nach Vorgaben der VW AG gestaltet und über dem Eingangsbereich ein prominent sichtbares VW-Logo angebracht hat sowie auf ihrer Internetseite das VW-Logo, Weblinks auf die Herstellerhomepage und Formulierungen wie „Ihr kompetenter Partner für Volkswagen in Bamberg“ und „offizielle Verkaufsstelle des Volkswagen Zentrum Bayreuth“ verwendet, begründet dies mitnichten einen entsprechenden Rechtsschein. Auf dem Bestellformular (Anlage K 1) ist als Verkäuferin ausdrücklich die „M. Vertriebs GmbH“ angegeben. Der gesamte Auftritt der Beklagten – zumindest im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung; zur Situation im Jahr 2011 fehlen konkrete Angaben – ist eindeutig der eines selbstständigen Vertragshändlers, nicht einer werkseigenen Niederlassung. Dies ergibt sich schon aus der stetigen Verwendung der Firmenbezeichnung „Motor…“, die die Homepage der Beklagten dominiert und deren Logo „Motor-…“ sowohl an der Fassade der Verkaufsstelle Bamberg als auch auf der Internetseite mindestens ebenso prominent prangt wie das VW-Logo. Im Übrigen enthält die Homepage der Beklagten unter www…de/unternehmen/philosophie-und-geschichte Informationen zur Geschichte des Unternehmens, aus denen zu ersehen ist, dass Alleingesellschafterin der Beklagten die Hans und Emma … Altenstiftung ist. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme, es handele sich bei der Beklagten um eine Konzerntochter der V. AG, vom objektiven Empfängerhorizont eher fernliegend, zumal in Kreisen durchschnittlicher Kfz-Käufer allgemein bekannt sein dürfte, dass Vertragshändler – auch wenn sie bestimmten Weisungsrechten des Herstellers unterworfen sind und bestimmte Standards erfüllen müssen – definitionsgemäß selbstständige Gewerbetreibende und nicht mit dem Hersteller wirtschaftlich identisch sind. Soweit die Klägerin sich auf ein Urteil des LG München Ivom 14.04.2016, Az.: 23 O 23033/15, bezieht, ist der Sachverhalt nicht vergleichbar. Die dortige Beklagte war nämlich über Beteiligungen tatsächlich mit der V. AG verbunden und warb in ihrem Internetauftritt unter der Überschrift „Gemeinsame Wurzeln“ wie folgt: „Seit 1. März 2011 ist die P. eine 100%-Tochter der V. AG und somit Teil des erfolgreichsten europäischen Automobilherstellers.“ (juris Rn. 2, 24 ff.). So liegt der Fall hier gerade nicht.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.