Aktenzeichen 1 AR 60/19
EGZPO § 9
WEG § 43 Nr. 5
BGB § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4
Leitsatz
1. Eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann noch in Betracht, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Zuständigkeit nach § 43 Nr. 5 WEG ist nicht gegeben, wenn die vormaligen Mitglieder der WEG um ein nach Aufhebung der WEG vereinbarten Nießbrauch streiten. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
31 O 328/19 2019-04-09 Bes LGKEMPTEN LG Kempten
Tenor
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landgericht Potsdam bestimmt.
Gründe
I.
Der im Landgerichtsbezirk Ravensburg wohnhafte Antragsteller begehrt mit seiner zum Landgericht Kempten (Allgäu) erhobenen Klage von den Antragsgegnern, seinen Söhnen, als Gesamtschuldnern Zahlung von 10.000 € als restliche Gegenleistung für einen von ihm erklärten Verzicht auf dingliche Nießbrauchsrechte an zwei vormalig im Wohnungseigentum der Antragsgegner stehenden Wohnungen. Diese waren Teil eines aus insgesamt drei Wohneinheiten bestehenden Gebäudes, welches sich bei Abgabe der Verzichtserklärung auf einem in Lindau (Landgerichtsbezirk Kempten (Allgäu)) belegenen Grundstück befand.
Der Antragsgegner zu 1) ist im Landgerichtsbezirk Potsdam wohnhaft, der Antragsgegner zu 2) wohnt im Bezirk des Landgerichts München I.
Zur Begründung verweist der Antragsteller auf einen zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Vertrag vom 31. Mai 2017 (Anlage K 1). In diesem hätten die Antragsgegner vereinbart, dass das ihnen zustehende Wohnungseigentum an dem Grundstück in Lindau auf eine aus den Antragsgegnern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts übergehen solle. Das bestehende Gebäude habe abgerissen und ein neues Gebäude mit sechs Wohneinheiten errichtet werden sollen. In dem notariellen Vertrag habe er, der Antragsteller, auf den zu seinen Gunsten bestehenden Nießbrauch an den beiden Wohnungen verzichtet. Dort sei geregelt, dass er als Gegenleistung einen Betrag in Höhe von 25.000 € erhalte. Mit notariellem Vertrag vom 20. Juni 2017 in Verbindung mit zwei Genehmigungserklärungen vom 26. Juni 2017 sei dann vereinbart worden, dass die Gegenleistung für den Verzicht auf den Nießbrauch insgesamt 35.000 € betrage. Die Parteien hätten vereinbart, dass Fälligkeit bei Auszahlung der ersten Kreditrate aus der Baufinanzierung der Antragsgegner eintrete. Am 26. Oktober 2018 seien von den Antragsgegnern 25.000 € bezahlt worden. Die Zahlung des darüber hinausgehenden Betrags von 10.000 € stehe aus, obwohl Fälligkeit eingetreten sei. Als weitere Gegenleistung für den Verzicht auf den Nießbrauch hätten die Parteien in dem notariellen Vertrag vom 31. Mai 2017 eine im Voraus von den Antragsgegnern an den Antragsteller zu zahlende Rente in Höhe von 400 € ab Darlehensauszahlung vereinbart. Die monatlichen Raten würden anstandslos bezahlt.
Mit Verfügung vom 20. März 2019 hat das Landgericht Kempten (Allgäu) darauf hingewiesen, dass es, vorbehaltlich rügeloser Verhandlung der Antragsgegner zur Hauptsache, örtlich unzuständig sei. Mit Schriftsatz vom 3. April 2019 hat der Antragsteller, wie bereits in der Klageschrift, dazu vorgebracht, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus § 24 Abs. 1 ZPO. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kempten (Allgäu) folge auch aus § 29 Abs. 1 ZPO. Hilfsweise hat der Antragsteller einen Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO gestellt.
Mit Schriftsatz vom 5. April 2019 haben die Antragsgegner, beide vertreten durch ihre im Landgerichtsbezirk Potsdam ansässigen Prozessbevollmächtigten, die Rüge der fehlenden örtlichen Zuständigkeit erhoben. Sie haben angeregt, den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam zu verweisen, weil dort der Antragsgegner zu 1) seinen allgemeinen Gerichtsstand und die Erwerberin des streitgegenständlichen Grundstücks ihren Sitz habe. Keiner der bisher mit der Sache befassten Rechtsanwälte habe seinen Sitz im Bezirk des Landgerichts München I, aber wenigstens einer im Bezirk des Landgerichts Potsdam.
Mit Beschluss vom 9. April 2019 hat sich das Landgericht Kempten (Allgäu) für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt. Dieses hat das Verfahren an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
II.
Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht Potsdam als (örtlich) gemeinsam zuständiges Gericht.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht, weil die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Brandenburg) haben und das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
a) Eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Norm hinaus auch dann noch in Betracht, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (st. Rspr.; z. B. BGH, Beschluss vom 27. November 2011, X ARZ 321/18, juris Rn. 10; Beschluss vom 23. Februar 2011, X ARZ 388/10, NJW-RR 2011, 929 Rn. 6 f.; Toussaint in BeckOK, ZPO, 32. Edition Stand 1. März 2019, § 36 Rn. 19). b) Die Antragsgegner, die ihre allgemeinen Gerichtsstände bei verschiedenen Gerichten haben, werden nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 28), insoweit auch schlüssigen Vortrag des Antragstellers hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) in Anspruch genommen.
Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist grundsätzlich weit auszulegen. Dass die Antragsgegner aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen in Anspruch genommen werden, ist unerheblich. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, MDR 2018, 951 Rn. 12). Das ist hier der Fall. Die Antragsgegner werden, gestützt auf die vertraglichen Vereinbarungen gesamtschuldnerisch auf Zahlung in Anspruch genommen.
c) Ein die Gerichtsstandsbestimmung ausschließender gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand ist nicht ersichtlich.
aa) Ein gemeinsamer Erfüllungsort gemäß § 29 Abs. 1 ZPO besteht nicht. Die streitige Zahlungsverpflichtung ist am jeweiligen Wohnsitz der Antragsgegner zum Zeitpunkt des Entstehens der Verbindlichkeit zu erfüllen, § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB, somit in den Landgerichtsbezirken Potsdam und München I. Anders als der Antragsteller meint, ergibt sich aus der Natur des Schuldverhältnisses keine andere Bewertung. Der Ort der Belegenheit des Grundstücks begründet vorliegend keinen Leistungsort für die Zahlungsverpflichtung der Antragsgegner.
bb) Auch ein ausschließlicher, dinglicher Gerichtsstand gemäß § 24 ZPO wegen des in Kempten (Allgäu) belegenen Grundstücks ist nicht begründet. Das klägerische Begehren ist auf die vertraglich begründete, schuldrechtliche Zahlungsverpflichtung und nicht auf ein dingliches Recht gestützt. Dass die geforderten 10.000 € Teil der Finanzierung des Neubaus auf dem Grundstück in Lindau seien, begründet keine Zuständigkeit gemäß § 24 ZPO. Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller vorbringt, der bisher bestehende Nießbrauch sei auf Drängen der finanzierenden Bank in die Leibrente umgewandelt worden.
cc) Die Antragsgegner können auch nicht gemeinsam im ausschließlichen Gerichtsstand des § 43 Nr. 5 WEG verklagt werden. Nach dem Vortrag des Antragstellers waren die Antragsgegner zwar Mitglieder der vormalig bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft und sind dies als Gesellschafter derjenigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die die Miteigentumsanteile verbunden mit dem jeweiligen Sondereigentum an dem Grundstück in Lindau erworben hat (vgl. Anlage K 1), möglicherweise noch heute. Jedoch bezieht sich die Klage nicht auf das gemeinschaftliche Eigentum, das Sondereigentum oder deren Verwaltung.
Auch wenn § 43 Nr. 5 WEG grundsätzlich Fallkonstellationen erfassen kann, in denen es sich bei den Beklagten um ausgeschiedene Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft handelt (so die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 16/3843 S. 27; Scheel in BeckOK BGB, 50. Edition Stand: 1. Februar 2019, § 43 WEG Rn. 20; Roth in Bärmann, WEG, 14. Aufl. 2018, § 43 Rn. 54), fehlt der vorliegenden Klage ein hinreichend wohnungseigentumsrechtlicher Hintergrund (vgl. BT-Drs. 16/3843 a. a. O: „wohnungseigentumsbezogene Klagen“; Bärmann/Pick, Wohnungseigentumsgesetz, 19. Aufl. 2010, § 43 Rn. 15). Ausweislich des Notarvertrags vom 31. Mai 2017 (Anlage K 1) hoben die Antragsgegner die zwischen ihnen bestehende Wohnungseigentümergemeinschaft auf. Die nicht von der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern von den Antragsgegnern zu 1) und 2) zu erbringende Einmalzahlung war nach den sich hieran anschließenden vertraglichen Bestimmungen Gegenleistung für die Bewilligung der Löschung der zugunsten des Antragstellers im Grundbuch eingetragenen Nießbrauchsrechte. Die Belegenheit des früheren Wohnungseigentums ist für den klägerischen Zahlungsanspruch damit offensichtlich unerheblich (vgl. Roth in Bärmann, a. a. O. § 43 Rn. 106; Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 32; Scheel in BeckOK BGB, a. a. O. § 43 WEG Rn. 20), so dass kein ausschließlicher Gerichtsstand gemäß § 43 Nr. 5 WEG begründet ist.
d) Die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Auszuwählen ist grundsätzlich eines der Gerichte, an dem die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) haben.
Der Senat bestimmt als zuständiges Gericht das Landgericht Potsdam, an dem der Antragsgegner zu 1) seinen allgemeinen Gerichtsstand und die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner ihren Sitz haben. Der Antragsgegner zu 2) hat gegen einen örtlichen Gerichtsstand in Potsdam keine Einwendungen erhoben.