Aktenzeichen 2 K 938/17
AO § 47, § 226
BGB § 387
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Der unstreitig durch den Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 05.12.2014 festgesetzte Erstattungsanspruch in Höhe von … € ist vollständig durch die vom Finanzamt in der Umbuchungsmitteilung vom 16.12.2014 erklärte Aufrechnung erloschen (§ 47 Abgabenordnung – AO).
1. Nach § 218 Abs. 2 AO 1977 entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Verwaltungsakt. Das gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO 1977) betrifft. Der nach § 218 Abs. 2 AO 1977 zu erteilende Abrechnungsbescheid ergeht im Steuererhebungsverfahren. Er hat nur die Feststellung zum Inhalt, ob eine bestimmte Zahlungsverpflichtung erloschen ist (§ 47 AO 1977), d.h. ob wirksam gezahlt, aufgerechnet, verrechnet, erlassen, ob Verjährung eingetreten, die Schuld bereits vor der Begründung der Zahlungspflicht erloschen oder der Forderungsausgleich durch Vollstreckungsmaßnahmen erreicht worden ist.
2. Die in §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) angeführten allgemeinen Voraussetzungen einer Aufrechnung, die nach § 226 Abs. 1 AO im Steuerschuldverhältnis sinngemäß anzuwenden sind, lagen mit Blick auf die Forderung des Finanzamts auf Entrichtung der festgesetzten Umsatzsteuer 2009 und die Forderung des Klägers auf Auszahlung des Erstattungsanspruchs aus der Umsatzsteuerfestsetzung für 2010 im Zeitpunkt der in Gestalt der Umbuchungsnachricht erklärten Aufrechnung des Finanzamts (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 26.07.2005 VII R 70/04, BFH/NV 2006, 7) vor.
Der mit dem Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 05.12.2014 festgesetzte Erstattungsanspruch und die mit Umsatzsteuerbescheid für 2009 vom 14.06.2011 festgesetzte Umsatzsteuerschuld sind gleichartig im Sinne von § 226 AO in Verbindung mit § 387 BGB. Gemäß § 226 Abs. 4 AO in Verbindung mit Art. 106 Grundgesetz waren die Ansprüche auch gegenseitig. Die Erstattungsverpflichtung war im Moment der Erklärung der Aufrechnung schon aufgrund der vorangegangenen Festsetzung erfüllbar (vgl. BFH-Urteil vom 18.03.1976 V R 127/71, BFHE 118, 163, BStBl II 1976, 438), der Anspruch auf die Umsatzsteuer 2009 wirksam und fällig (§ 220 Abs. 2 AO in Verbindung mit 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).
3. Die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung steht in Übereinstimmung mit den besonderen Aufrechnungsvoraussetzungen der §§ 94 bis 96 Insolvenzordnung (InsO).
a) Allerdings war das FA nicht schon nach § 94 InsO zur Aufrechnung berechtigt. Denn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens standen sich die Insolvenzforderungen des Finanzamts und der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch noch nicht in der nach § 226 AO i.V.m. § 387 BGB vorausgesetzten Weise aufrechenbar gegenüber. Vielmehr stand die mit vollziehbarem Bescheid vom 14.06.2011 festgesetzte Umsatzsteuer 2010 einem Erstattungsanspruch jedenfalls so lange entgegen, wie die (verfahrensrechtliche) Voraussetzung für die Änderung dieses Bescheides noch nicht erfüllt war (vgl. BFH-Urteil vom 18.08.2015 VII R 29/14, BFH/NV 2016, 87). Diese Voraussetzung wurde erst mit den diesbezüglichen Anträgen des Klägers in 2013 erfüllt.
b) Nachdem das Finanzamt auf Antrag des Klägers den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 2010 erlassen hatte und damit (spätestens) die Aufrechnungslage entstanden war, war das Finanzamt auch nicht durch ein insolvenzrechtliches Verbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO an der Aufrechnung mit seinen Insolvenzforderungen gegen diese Erstattungsansprüche gehindert. Die Aufrechnung verstößt nicht gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, weil das Finanzamt die Erstattungen nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
aa) Dieses Aufrechnungsverbot besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, „ihrem Kern nach“ bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, d.h. sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt waren (BFH-Urteile vom 17.04.2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589; vom 08.11.2016 VII R 34/15, BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, Rn. 12).
bb) Gemäß § 14c Abs. 2 Satz 5 Umsatzsteuergesetz (UStG) ist materielle Voraussetzung für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs in der Folge eines unberechtigten Steuerausweises nur die Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens (§ 14c Abs. 2 Satz 3 UStG). Die in Satz 5 genannte Voraussetzung einer diesbezüglichen Antragstellung ist eine bloß formelle Voraussetzung, wie sich aus der expliziten Anordnung der Berichtigung im Besteuerungszeitraum der Beseitigung der Gefährdung ergibt (§ 14c Abs. 2 Satz 5 2. Halbsatz UStG). Auch insolvenzrechtlich kommt es darauf an, ob bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt war (BFH-Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, Rn. 13). So verhielt es sich im Streitfall. Die Dritte focht die ihr gegenüber ergangenen Steuerbescheide, in denen der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Insolvenzschuldnerin versagt wurde, nicht an und zahlte die zu Unrecht abgezogene Vorsteuer 2010 zurück.
cc) Ob eine bestandskräftige Bestimmung des Zeitpunkts der Beseitigung der Gefährdungslage nach § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG durch das Finanzamt gemäß Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 4 UStAE Bindungswirkung im Abrechnungsverfahren entwickelt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 256, 6, BStBl II 2017, 496, Rn. 20), kann im Streitfall offenbleiben, da eine isolierte Feststellung nicht stattgefunden hat. Ob die Feststellung – in Form der Bescheiderläuterungen – mit dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 05.12.2014 verbunden wurde, braucht ebenfalls nicht entschieden zu werden. In diesem Fall würde sich der – in seiner Zulässigkeit ansonsten offensichtlich zweifelhafte – Einspruch gegen diesen Bescheid auch auf eine damit verbundene Feststellung erstrecken, da nur so das Ziel des Einspruchs, die Berücksichtigung des Erstattungsanspruchs erst in 2011, erreichbar wäre. Eine etwaige Feststellung wäre daher nicht bestandskräftig.
dd) Unerheblich für das Entstehen der Gegenforderung im Sinne des § 92 InsO ist auch der Umsatzsteuerbescheid für 2010 vom 14.06.2011, da es insoweit nur auf das Verwirklichen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.2007 VII R 18/05, BFHE 217, 216, BStBl II 2007, 914, Rn. 17).
c) Ein Aufrechnungsverbot ergibt sich auch nicht aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Denn das Finanzamt hat die Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt.
Weder die Umsatzsteuer 2009 noch die Umsatzsteuer 2010 beruhen materiell-rechtlich auf Rechtshandlungen i. S. v. § 129 InsO innerhalb von drei Monaten (vgl. §§ 130 bis 132 InsO) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Auch eine vorsätzliche Benachteiligung im Sinne des § 133 InsO ist nicht erkennbar. Darunter fallen nur Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners. Demgegenüber entstand die Umsatzsteuer 2010 materiell-rechtlich ohne Zutun der Insolvenzschuldnerin, weil die für die Dritte zuständigen Finanzbehörden geänderte Steuerbescheide erließen und die Dritte die gezogene Vorsteuer zurückzahlte und die Steuerbescheide nicht anfocht. Die Umsatzsteuer 2009 entstand zwar durch Handlungen der Insolvenzschuldnerin. Es ist aber jedenfalls nicht ersichtlich, dass das Finanzamt einen etwaigen Benachteiligungsvorsatz oder die drohende Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin kannte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.