Aktenzeichen 23 O 83/15
Leitsatz
Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von im „Schneeballsystem“ erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 15.240,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.04.2015 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 15.240,44 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klage ist zulässig und zum weit überwiegenden Teil begründet.
Der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 15.240,44 € steht dem Kläger gegen die Beklagten gemäß § 143 Absatz 1 InsO zu, da die Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagten in Höhe von insgesamt 15.240,44 € wirksam gem. §§ 134 Absatz 1, 129 InsO angefochten wurden.
1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gegen die Aktivlegitimation des Klägers keine Bedenken bestehen, da der Kläger mit Beschluss des Insolvenzgerichts Mannheim vom 22.04.2015 (K1, Bl. 14 f d. A.) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt wurde. Konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte, die gegen die Wirksamkeit der Bestellung zum Insolvenzverwalter bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
2. Die Zahlungen an die Beklagten in Höhe von insgesamt 15.240,44 € stellen unentgeltliche Leistungen gemäß § 134 Absatz 1 InsO dar.
a. Für die Annahme von Unentgeltlichkeit im Sinne des § 134 Absatz InsO genügt es, wenn keine ausgleichende Gegenleistung erfolgt ist. Damit ist der Begriff der „unentgeltlichen Leistung“ weiter als der der Schenkung. Denn anders als die Schenkung erfordert der insolvenzrechtliche Begriff der unentgeltlichen Leistung keine Einigung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung (Uhlenbruck, Ede/Hirte, InsO, 14. Auflage, § 134, Rn. 33). Anders als im allgemeinem Zivilrecht kommt es anfechtungsrechtlich für die Frage der Unentgeltlichkeit nicht maßgeblich auf den subjektiven Willen der Parteien an, sondern es ist zum Schutz der Gläubiger vorrangig auf die objektiven Verhältnisse abzustellen. Ob die Parteien wollten, dass die Leistung des Schuldners teilweise unentgeltlich oder entgeltlich erbracht werden soll, ist nur dann entscheidend, wenn sie sich innerhalb des ihnen zustehenden Bewertungsspielraums bewegen (Uhlenbruck, Ede/Hirte, InsO, 14. Auflage, § 134, Rn. 34). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Unentgeltlichkeit ist derjenige der Vornahme der jeweils angefochtenen Rechtshandlung, also der der Vollendung des Rechtserwerbs des Anfechtungsgegners (Uhlenbruck, Ede/Hirte, InsO, 14. Auflage, § 134, Rn. 36). Die Auszahlung von Scheingewinnen in „Schneeballsystemen“ durch den späteren Insolvenzschuldner kann als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 InsO angefochten werden (BGH, Urteil vom 22.04.2010, Az.: IX ZR 163/09).
b. Unter Beachtung dieser Grundsätze steht fest, dass es sich bei den streitgegenständlichen Zahlungen an die Beklagten um die Auszahlung von Scheingewinnen und somit um unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 Absatz 1 InsO handelte.
In dem geschlossenen Darlehensvertrag wurde geregelt, dass die Verzinsung lediglich gewinnabhängig gezahlt wird (K8, Bl. 135 d. A.). Die streitgegenständlichen Zahlungen an die Beklagten von insgesamt 15.240,44 € in den Jahren 2012, 2013 und 2014 wurden von der Schuldnerin tatsächlich geleistet. Dies folgt aus den als Anlage K7 (Bl. 108 ff d. A.) vorgelegten Kontoauszügen. Bei diesen Zahlungen handelt es sich entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht um gewinnabhängige Zinszahlungen, sondern um die Auszahlung von sog. „Scheingewinnen“, da die Schuldnerin in dem maßgeblichen Zeitraum keine Gewinne, sondern lediglich Verluste erwirtschaftete. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts insbesondere aus dem Jahresabschluss für das Jahr 2012 (K5, Bl. 46 ff d. A.) und den betriebswirtschaftlichen Auswertungen bis Februar 2014 (K6, Bl. 70 ff d. A.). Danach betrug im Jahr 2012 der Jahresfehlbetrag 595.834,07 € (vgl. Seite 35 des Jahresabschluss für das Jahr 2012, K5, Bl. 63 RS d. A.), während sich das Ergebnis vor Steuern im Jahr 2013 auf – 1.541.353,67 € (vgl. betriebswirtschaftlichen Auswertungen bis Februar 2014, K6, Bl. 70 d. A.) und im Jahr 2014 per Februar 2014 auf – 102.163,02 € (vgl. betriebswirtschaftliche Auswertungen bis Februar 2014, K6, Bl. 71 RS d. A.) belief. Im Übrigen folgt aus dem Gutachten des Insolvenzverwalters vom 17.04.2015 (K4, Bl. 28 ff d. A.) eine Überschuldung der Schuldnerin per 29.12.2014 in Höhe von 10.142.890,53 €. Diesen schlüssigen Feststellungen ist zur Überzeugung des Gerichts zu folgen, insbesondere da hiergegen seitens der Beklagten keine durchgreifenden und hinreichend substantiierten Einwände vorgebracht wurden. Im Übrigen wird dies auch nochmals durch die Stellungnahme des PhDr. …, dem ehemaligen Steuerberater der Schuldnerin, vom 29.08.2015 (K7, Bl. 198 f d. A.) bestätigt.
Die streitgegenständlichen Zahlungen an die Beklagten stellen daher Auszahlungen von Scheingewinnen und unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 Absatz 1 InsO dar.
3. Eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 InsO ist gegeben, da die Zahlungen von dem Konto der Schuldnerin getätigt wurden, somit die Insolvenzmasse geschmälert und die Insolvenzgläubiger benachteiligt wurden.
4. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Anfechtungszeitraum gem. § 134 Absatz 1 InsO nicht eingehalten ist. Hinsichtlich der diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast ist zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter nicht vorzutragen braucht, dass die Leistung innerhalb des Vierjahreszeitraums erfolgt ist (Uhlenbruck, Ede/Hirte, InsO, 14. Auflage, § 134, Rn. 163).
5. Unabhängig davon, ob eine ausdrückliche Anfechtungserklärung erforderlich ist oder nicht, wurde die Anfechtung jedenfalls in der Klageschrift vom 16.07.2015, dort auf Seite 7 (Bl. 7 d. A.), ausdrücklich erklärt.
Der Kläger hat die streitgegenständlichen Zahlungen damit wirksam gegenüber den Beklagten gem. §§ 129, 134 Absatz 1 InsO angefochten, so dass dem Kläger gegen die Beklagten ein Anspruch in Höhe von 15.240,44 € zusteht, § 143 Absatz 1 InsO.
6. Soweit sich die Beklagten auf aufrechenbare Gegenansprüche berufen, ist eine solche Aufrechnung – unabhängig von dem Bestehen etwaiger Gegensprüche – jedenfalls unzulässig, da Rückgewähransprüche nach § 143 InsO, die aufgrund einer Anfechtung nach den §§ 129 ff InsO entstehen, unter das Aufrechnungsverbot des § 96 Absatz 1 Nr. 1 InsO fallen (Uhlenbruck, Sinz, InsO, 14. Auflage, § 96, Rn. 24).
7. Von einem Verzicht auf die streitgegenständliche Forderung kann nicht ausgegangen werden. Soweit die Beklagten vortragen, der Insolvenzverwalter habe von der Firma … 100.000,00 € gefordert und habe erklärt, dass er nicht gegen die Kunden vorgehen werde, wenn dieser Betrag gezahlt werde, so kann dieser Vortrag einen Forderungsverzicht bereits deshalb nicht stützen, da selbst nach dem Beklagtenvortrag Voraussetzung des Forderungsverzichts wäre, dass 100.00,00 € durch die Firma … tatsächlich gezahlt wurden. Dies wurde aber durch die Beklagtenpartei gerade nicht dargetan.
8. Weitere Einwände, die gegen den geltend gemachten Anspruch sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden durch die Beklagtenpartei – jedenfalls nicht in verständlicher und nachvollziehbarer Form – vorgebracht.
9. Der Rückgewähranspruch ist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 22.04.2015 zu verzinsen (BGH, Urteil vom 01.02.2007, IX ZR 96/04).
10. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren ist hingegen nicht gegeben. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus §§ 280, 286 BGB, da seitens der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei nicht dargetan wurde, dass sich die Beklagten im Zeitpunkt der vorgerichtlichen Mandatierung der jetzigen Prozessbevollmächtigen des Klägers in Schuldnerverzug befunden haben. Ein Anspruch aus § 280 BGB ist ebenfalls nicht dargetan, dies gilt insbesondere für das Vorliegen der insoweit erforderlichen Pflichtverletzung der Beklagten. Vor diesem Hintergrund ist auch der Hinweis der Klagepartei auf Palandt, BGB, 74. Auflage, § 249, Rn. 57 nicht hilfreich, da dort das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs vorausgesetzt wird. Im Hinblick auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zzgl. Verzinsung war die Klage daher abzuweisen.
11. Soweit seitens der Beklagten mit rechtsanwaltlichem Schriftsatz vom 6.1.2016 das Einverständnis für das schriftliche Verfahren zurückgenommen wurde, ist dies unbeachtlich. Denn die Zustimmung der Parteien zum schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Absatz 2 Satz 1 ZPO ist grundsätzlich unwiderruflich und vorliegend sind auch nicht die Voraussetzungen erfüllt, die ausnahmsweise den Widerruf der Zustimmung rechtfertigen, so dass es bei der Durchführung des schriftlichen Verfahrens gemäß § 128 Absatz 2 ZPO verbleibt.
Sobald auch der Gegner zugestimmt hat, ist die Zustimmungserklärung unwiderruflich und unanfechtbar. § 128 Absatz 2 Satz 1 ZPO lässt ausnahmsweise einen Widerruf der Zustimmung bei wesentlicher Änderung der Prozesslage zu. Entscheidend ist dabei eine objektive Betrachtung, nicht die subjektive Sicht der Parteien (vgl. Musielak/Voit, Stadler, 12. Auflage, § 128, Randnr. 14; Zöller, Greger, ZPO, 31. Auflage, § 128, Randnr. 5).
Bei objektiver Betrachtung bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Prozesslage, die ausnahmsweise den Widerruf der Zustimmung zum schriftlichen Verfahren rechtfertigen könnte. Insbesondere stellt der in dem Schriftsatz vom 6.1.2016 geschilderte Umstand, dass der Vergleichsvorschlag der Klagepartei nach Auffassung der Beklagten sehr wenig mit Korrektheit zu tun habe, keinesfalls eine wesentliche Änderung der Prozesslage dar.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 2 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte gem. §§ 3 ZPO i. V. m. 45 ff. GKG.