Aktenzeichen IK 329/15
Leitsatz
Der für einen angemessenen Zeitraum pfandfrei zu belassene Betrag wird bei Vollstreckung einer gewöhnlichen Geldforderung von § 850 c Abs. 1, Abs. 2a ZPO begrenzt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Auf Antrag des Schuldners vom 31.03.2018, geändert mit Schreiben vom 25.06.2018, wird angeordnet, dass dem Schuldner gem. § 36 InsO i.V.m. § 850 i ZPO ein Teilbetrag von … EUR von den am 21.03.2018 zur Masse erfolgten Zahlungen der … pfandfrei belassen wird.
Der darüber hinaus gehende Antrag des Schuldners wird zurückgewiesen.
2. Auf Antrag vom 31.03.2018 wird dem Schuldner Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt … beigeordnet, jedoch nur insoweit, als der gegenständliche Antrag des Schuldners in der Sache Erfolg hatte.
Der darüber hinausgehende Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Schuldners, der Insolvenzmasse die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Auslagen (insbesondere Rechtsanwaltskosten) des Schuldners aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.
4. Eine Anordnung zur sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung kann in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage nicht erfolgen.
Gründe
1. Mit Antrag vom 31.03.2018, geändert mit Schreiben vom 25.06.2018, hat der Schuldner beantragt, ihm zur Sicherung seiner Unterhaltsrente einen Betrag von 140.000,00 EUR, hilfsweise: einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag, aus der Insolvenzmasse gem. § 36 Abs. 4 InsO i.V.m. § 850 i ZPO pfandfrei zu belassen.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners begründet den gegenständlichen Antrag vom 31.03.2018 mitunter mit der vorherrschenden Lebenssituation des Schuldners. Der Schuldner sei bereits seit Jahren schwer erkrankt und befinde sich im Zustand der Erwerbsunfähigkeit. Er beziehe lediglich eine monatliche Rente von der Deutschen Rentenversicherung Bund i.H.v. … zzgl. …. Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung. Dem gegenüber stehen regelmäßige Ausgaben des Schuldners zur Sicherung des Lebensunterhaltes und weitere Zusatzausgaben, die aufgrund der schweren, chronischen Erkrankungen des Schuldners notwendigerweise anfallen würden (z.B. Zuzahlungen für lebensnotwendige Medikamente, Kosten für Krankenhausaufenthalte und Rettungswageneinsatz). Die allgemeinen Lebenshaltungskosten und die Aufwendungen aufgrund der schweren Erkrankung des Schuldners können nach Vortrag des Verfahrensbevollmächtigte nicht aus den monatlichen Einkünften des Schuldners gedeckt werden. Nach Antrag des Schuldners ist deshalb ein Teil aus den sich bei der Masse befindlichen Versicherungsleistungen in Höhe von ca. 270.000,00 EUR pfandfrei zu stellen, um so den zum angemessenen Unterhalt des Schuldners fehlenden Betrag sicherzustellen. Dabei wird bei Benennung der Summe des freizugebenden Betrages auf die mittlere Lebenserwartung des Schuldners (samt eines „Zuschlages“ von 10 Prozent) abgestellt, mithin beantragt der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners die pfandfreie Belassung eines Betrages in Höhe von 140.000,00 EUR und stützt den Antrag nach ausdrücklichem Wortlaut im Schriftsatz vom 25.06.2018 auf die Anwendung der Vorschrift des § 850 i ZPO.
Der Insolvenzverwalter wurde zum Antrag des Schuldners gehört und hat mit Schreiben vom 24.04.2018 Stellung genommen. In der Folgezeit wurden hierzu weitere Stellungnahmen seitens des Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners vom 25.06.2018, 27.07.2018, 14.08.2018 und 10.10.2018 abgegeben. Der Insolvenzverwalter hat mit (weiterem) Schreiben vom 02.07.2018 beantragt, die Anträge des Schuldners zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
Für das Gericht stellt sich zunächst die Frage, ob die Anwendungsmöglichkeit des § 36 Abs. 4 InsO i.V.m. § 850 i ZPO für die zur Masse geflossenen Versicherungsleistungen gegenständlich überhaupt eröffnet ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 850 i ZPO ist dem Schuldner auf Antrag von einer nicht wiederkehrenden Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste bzw. für sonstige Einkünfte während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen weiterhin aus laufendem Arbeitseinkommen bestehen würde.
Der im gegenständlichen Verfahren zur Masse geflossene Betrag resultiert aus einem (persönlichen) Anspruch des Schuldners auf Pensionszusage, welchen er (der Schuldner) aufgrund seiner Geschäftsführertätigkeit bei der Fa. … erworben hatte. Dieser Anspruch war abgesichert durch zwei Rückdeckungsversicherungen bei der … Lebensversicherung … welche wiederum persönlich an den Schuldner verpfändet waren (vgl. Ergänzungsbericht des Insolvenzverwalters vom 17.07.2018). Mit Erreichen der Altersgrenze des 65. Lebensjahres hatte der Schuldner somit einen (wahlweisen) persönlichen Anspruch gegen die … Lebensversicherung …, welcher zwischenzeitlich durch Kapitalabfindung von der Versicherungsgesellschaft zur Masse bedient wurde.
Da sich in Bezug auf diesen speziellen Sachverhalt die Kommentarliteratur zur Anwendbarkeit des § 850 i ZPO ausschweigt (vgl. Zöller-ZPO, 32. Auflage, Rn. 1 zu § 850i ZPO m.w.N., MüKoZPO/Smid, 5. Aufl. 2016; ZPO § 850 i Rn. 5 m.w.N.), wäre es nach Auffassung des Gerichts durchaus vertretbar gewesen, die Anwendbarkeit der Vorschrift gegenständlich zu verneinen und den Antrag des Schuldners abzuweisen, da die in Betreff stehenden Versicherungsleistungen bei wortgenauer Anwendung der Vorschrift des § 850 i ZPO weder eine nicht wiederkehrenden Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten/Dienste noch sonstige Einkünfte des Schuldners darstellen (Einkünfte sind kein Vermögen!). Das Gericht geht jedoch zugunsten des Schuldners davon aus, dass die Leistungen aus betrieblicher Versicherung grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Vollstreckungsschutzes nach § 850 i ZPO erfasst sein können, da die Kommentierung (Zöller-ZPO, 32. Auflage, a.a.O.) diesbezüglich anführt, dass generell alle selbst erwirtschafteten Einkünfte des Schuldners, die durch Einsatz von Personal oder Kapital erwirtschaftet werden, vom Pfändungsschutz des § 850 i ZPO umfasst werden, u.a. auch Erträge aus Vermögen wie z.B. Kapitalerträge und Zahlungen bei Vermögensauseinandersetzung. Das Gericht kann daher nicht mit der notwendigen Sicherheit annehmen, dass der Vermögenswert des Schuldners auf Kapitalabfindung gerade nicht vom Pfändungsschutz des § 850 i ZPO erfasst werden kann. Auch der Insolvenzverwalter trägt in seiner Stellungnahme vom 24.04.2018 vor, dass die Leistungen aus betrieblicher Versicherung grundsätzlich pfändbar sind und dem Schuldner entsprechender Vollstreckungsschutz gemäß § 850 i ZPO zustehen könnte.
Dem Schuldner ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 850 i ZPO ein Betrag zu belassen, der ihm unter Berücksichtigung der §§ 850 ff ZPO auch verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeitslohn bestehen würde, somit nicht mehr nur der Bedarf für den „notwendigen“ Unterhalt (vgl. Zöller-ZPO, 32. Auflage, Rz. 2 zu § 850 i ZPO m.w.N.). Abzuschätzen ist, wann der Schuldner mit weiteren Einkünften rechnen kann, um seinen Lebensbedarf zu bestreiten, und zwar für einen angemessenen Zeitraum. Der für einen angemessenen Zeitraum pfandfrei zu belassene Betrag wird bei Vollstreckung einer gewöhnlichen Geldforderung von § 850 c Abs. 1, Abs. 2a ZPO begrenzt; beispielsweise können einem Schuldner, der Altersrente bezieht und daneben zur Aufbesserung der Rente selbstständig tätig ist, auch seine Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden (vgl. Zöller-ZPO, a.a.O.).
Im hier vorliegenden Verfahren ist der Schuldner gegenwärtig … Jahre alt und bezieht eine monatliche Rente von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von … zzgl. …. Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung. Der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners hat mit Schreiben vom 14.08.2018 u.a. eine ärztliche Bescheinigung des … vom 29.06.2018 vorgelegt, wonach eine Wiedereingliederung des Schuldners in den Arbeitsmarkt aufgrund seiner multiplen Erkrankungen aus ärztlicher Sicht nicht zu erwarten ist. Der Schuldner ist bereits seit Oktober 2014 arbeitsunfähig.
Damit steht fest, dass der Schuldner auch auf absehbare Zeit keine weiteren Einkünfte als den bereits vorgenannten Rentenbezug zzgl. Zuschuss z. Krankenversicherung erzielen wird. Fest steht aufgrund der o.g. ärztlichen Bescheinigung zudem, dass die vorherrschende Situation zumindest seit Oktober 2014 gegeben ist, und der Schuldner nicht etwa erst im laufenden Insolvenzverfahren arbeitsunfähig geworden ist. Damit muss konsequenterweise bei der konkreten Bedarfsermittlung eines möglichen pfandfreien Betrages wiederum auf den notwendigen Unterhalt des Schuldners abgestellt werden, da die vom Gesetzgeber benannte Abschätzung eines (fiktiven) Bezuges von Arbeits- oder Dienstlohnes über einen überschaubaren Zeitraums zu keinem anderen Ergebnis führt. Vorliegend darf unstreitig anzunehmen sein, dass der Schuldner bereits vor Eröffnung des Verfahrens arbeitsunfähig erkrankt war.
Bei der konkreten Bedarfsberechnung schließt sich das Gericht den Ausführungen des Insolvenzverwalters vom 24.04.2018 zur Bestimmung des notwendigen Unterhalts umfänglich an und macht sich dessen Ausführungen ausdrücklich zu eigen – es sind folgende Ausführungen veranlasst:
Bei der Bestimmung des notwendigen Unterhalts des Schuldners im Sinne des § 850 i ZPO ist davon auszugehen, dass dieser betragsmäßig zwischen dem materiell-rechtlich geltenden Existenzminimum des Schuldners, somit dem sozialhilferechtlichen Bedarfssatz nach dem SGB XII, und dem Durchschnittseinkommen eines unselbstständigen Erwerbstätigen liegt. Hierzu kann zur Orientierung auf die in § 850c ZPO geregelten unpfändbaren Grundbeträge abgestellt werden, wobei der aktuell monatliche Netto-Pfändungsfreibetrag bei 1.139,99 EUR liegt. Danach setzt das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenen Betrag unter Beachtung der §§ 850 a ff ZPO individuell fest (vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2018, Az. IX ZA 19/17, m.w.N.).
Der Schuldner ist gegenwärtig … Jahre alt und bezieht Rentenzahlungen zzgl. Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von insgesamt monatlich … EUR. Das Gericht teilt die Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters, dass sich die zu berücksichtigenden Kosten der Lebenshaltung des Schuldners in dem Rahmen zu belaufen haben, wie sie auch in den Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO berücksichtigt werden. Die für die Berechnung der Pfändungsfreigrenze nach § 850 c ZPO unpfändbaren Beträge gem. § 850 Abs. 2a ZPO ändern sich prozentual entsprechend der Entwicklung des steuerrechtlichen Grundfreibetrages gem. § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgrund Anpassung an die Steigerung der bedarfsabhängigen Lebenshaltungskosten (Dynamisierung – vgl. auch Zöller-ZPO, 32. Auflage, Rn. 10 zu § 850 c ZPO). Wie vom Insolvenzverwalter zutreffend vorgetragen, ergibt sich für das Jahr 2018 gemäß des 11. Existenzminimumberichts des Bundesministeriums für Finanzen vom 21.11.2016 ein steuerlicher Freibetrag zum Existenzminimum eines Erwachsenen von (umgerechnet) 750,00 EUR monatlich, abhängig u.a. von dem rechtsstaatlich anerkannten Mindestbedarf.
Soweit der Gesetzgeber jedoch im Sozialhilferecht den Mindestbedarf bestimmt hat, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch staatliche Leistungen zu decken hat, darf das von der Einkommenssteuer zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag nicht unterschreiten. Demnach ist der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maßgröße für das einkommenssteuerliche Existenzminimum, vgl. BVerfGE 87, 153 (170 f.). Der notwendige Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII setzt sich somit aus dem Regelbedarf (§§ 28 ff. SGB XII) sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) zusammen. Gem. § 28 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 3 d. Durchführungsverordnung des § 28 SGB XII ergibt sich zum 01.01.2018 für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelsatz in Höhe von 416,00 EUR. Bezogen auf den monatlichen Steuerfreibetrag für das Existenzminimum in Höhe von 750,00 EUR entfällt auf den Regelsatz in Höhe von 416,00 EUR ein Anteil von 55,47 %. Bei Zugrundelegung des monatlichen Netto-Freibetrages nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO in Höhe von 1.139,99 EUR ergibt sich bei entsprechender Regelsatzanwendung gegenständlich ein monatlicher Bedarf des Schuldners in Höhe von 632,35 EUR.
Vom Gesetzgeber wird im Rahmen des pfändungsfreien Grundbetrages für anfallende Mietzahlungen ein monatlicher Betrag in Höhe von 507,64 EUR angesetzt; unter Bezugnahme auf die vorgenannten Ausführungen (Bestimmung des notwendigen Unterhalts des Schuldners) entfällt auf den steuerrechtlichen monatlichen Freibetrag in Höhe von 750,00 EUR nach Abzug des Regelsatzes von 416,00 EUR ein Betrag von 334,00 EUR als Komponente für Unterkunft und Heizung. Bei entsprechender Übertragung auf die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen gem. § 850 c ZPO ergibt sich ein monatlicher Bedarfsbetrag von 507,64 EUR. Zu würdigen ist nach zutreffender Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters die Tatsache, dass ersparte Wohnkosten den tatsächlichen Bedarf des Schuldners an dieser Stelle mindern (vgl. Hamm, NJW 2011, 3310; Zöller-ZPO, § 850f Rn. 2a ZPO).
Der Schuldner wohnt nach eigenen Angaben bei Verwandten und wendet hierfür keine Miete auf; das Gericht nimmt Bezug auf die vom Schuldner im Verfahren abgegebene Selbstauskunft vom 26.05.2015 (Bl. 156 d.A.), in der wörtlich erklärt wird, dass Mietzahlungen nicht geleistet werden. Zwar hat der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners mit Schreiben vom 14.08.2018 u.a. eine bestehende Mietvereinbarung des Schuldners und seinem Bruder, … vom 01.10.2007 vorgelegt (monatlicher Mietzins: 462,00 EUR), jedoch ist hier das Folgende anzumerken:
Diese Vereinbarung ist augenscheinlich nur vom Schuldner unterzeichnet worden, nicht jedoch von …. Die mit Schreiben vom 10.10.2018 vorgelegten Kontoauszüge des … lassen Mietzahlungen in Höhe von … EUR an eine … erkennen. Diese Zahlungen vom Konto des … sind lediglich mit „Miete und Nebenkosten“ gekennzeichnet, eine Zuordnung an den Schuldner lässt sich weder betragsmäßig noch dem Grunde nach aufgrund der (unvollständig) vorgelegten Mietvereinbarung (Stichwort: …) vornehmen.
Dem Gericht erschließt sich zudem nicht, weshalb der Schuldner, der nach Vortrag seines Verfahrensbevollmächtigten bereits seit Oktober 2014 arbeitsunfähig erkrankt ist und (nur) Altersrente in der vorgenannten Höhe bezieht, nicht bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gewährung von Grundsicherung neben Altersrente und Wohngeld beantragt hat, sollten de facto Zahlungen für eine bestehende Mietvereinbarung tatsächlich geleistet werden. Analog zu § 100 InsO (hier: Antragstellung gem. § 850i ZPO) ist anzumerken, dass ein beantragter Unterhalt aus der Insolvenzmasse (hier: Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte gem. § 850 i ZPO) nicht zu gewähren ist, wenn dem Schuldner zusätzliche Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII zustehen können. Werden diese Leistungen zu Unrecht verwehrt, so ist der Schuldner auf den entsprechenden Rechtsweg zu verweisen. Ein Anspruch gegen die Insolvenzmasse ergibt sich dadurch nicht, erst recht nicht, wenn eine Antragstellung seitens des Schuldners auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung, Wohngeld) bisher noch gar nicht erfolgte; zwar sollen Pfändungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters grundsätzlich nicht dazu führen, dass zu Gunsten von Insolvenzgläubigern die Staatskasse für den Unterhalt des Schuldners aufzukommen hat, jedoch fallen die Insolvenzgläubiger regelmäßig zumindest (auch) mit einem Teil ihrer Forderungen aus, so dass eine sachlich ungerechtfertigte Besserstellung der Insolvenzgläubiger gegenüber der Allgemeinheit dadurch nicht vorliegen kann.
Der Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters folgend, ist im Ergebnis der Grundfreibetrag in Höhe von 1.139,99 EUR um den vom Gesetzgeber einberechneten Betrag in Höhe von 507,64 EUR zu kürzen. Es verbleibt bei dem monatlichen Bedarf zur Deckelung der Lebenshaltungskosten in Höhe von 632,35 EUR, der um die monatlichen Beiträge des Schuldners zur Kranken- und sozialen Pflegeversicherung in Höhe von 182,62 EUR und eines monatlichen Zuzahlungsbetrages bei den geltend gemachten Medikamentenkosten in Höhe von 6,48 EUR zu erhöhen ist.
Bei der monatlichen Berücksichtigung von Zuzahlungsleistungen seitens des Schuldners zu Medikamentenkosten überzeugen erneut die Ausführungen des Insolvenzverwalters vom 02.07.2018. Grundsätzlich besteht für den Schuldner die Möglichkeit, sich von seiner Zuzahlungspflicht an die Krankenkasse gem. § 62 SGB V befreien zu lassen, soweit die Zuzahlungen 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens (hier: 77,81 EUR) übersteigen. Ausweislich der Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten steht fest, dass dem Schuldner die angegebenen Medikamente bereits seit Jahren verordnet werden. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass der Schuldner als chronisch krank i.S.d. Befreiungsvorgaben anzusehen ist, § 62 Abs. 1 S. 2, 2. HS SGB V. Die Belastungsgrenze liegt damit bei 1 % des Bruttoeinkommens (648,39 EUR × 12 Monate, hiervon 1 % = 77,81 EUR). Anhand der vom Schuldner vorgelegten Belege lässt sich nicht zweifelsfrei nachvollziehen, in welcher Höhe genau Zuzahlungen tatsächlich anfallen; es ist aber zugunsten des Schuldners davon auszugehen, dass die. durchschnittliche jährliche Belastung der Zuzahlungspflicht zu den Medikamentenkosten die 1 % – Grenze des Bruttoeinkommens tatsächlich übersteigt.
Der Betrag von 77,81 EUR kann anteilsmäßig in dem monatlichen Bedarf des Schuldners mit 6,48 EUR berücksichtigt werden (77,81 EUR/12 Monate).
Der Schuldner verfügt über eine monatliche Altersrente zzgl. … EUR Zuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung von insgesamt … EUR. Unter Beachtung der vorgenannten Ausführungen besteht zum konkreten monatlichen Bedarf des Schuldners eine monatliche Unterdeckung in Höhe von … EUR.
Die vom Verfahrensbevollmächtigten geltend gemachten zusätzlichen Aufwendungen des Schuldners können bei Ermittlung des monatlichen Bedarfs des Schuldners keine Berücksichtigung finden; so müssten nach Auffassung des Gerichts die geltend gemachten medizinischen Behandlungskosten des Schuldners (Medikamenten- und Krankenhauskosten) von der Krankenkasse des Schuldners zu tragen sein. Die Begründung im Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten vom 10.10.2018, wonach entsprechende Medikamente aufgrund privater Rezepte verordnet wurden und daher vom Schuldner selbst zu bezahlen sind, ist unschlüssig, da die Krankenkassen grundsätzlich auch zur Kostenerstattung von Privatrezepten verpflichtet sind. Sollte die Krankenkasse die Erstattung von Rezepten bestimmter Medikamente ablehnen, so erschließt sich nicht, weshalb dieser Betrag bei der Bedarfsberechnung zum Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte zum Nachteil der Masse auszugleichen wäre. Dies gilt auch für die stationären Aufenthalte in Krankenhäusern. Wegen der geltend gemachten Zuzahlungen bei den Medikamentenkosten wird auf die o.g. Ausführungen verwiesen.
Die Kontoführungsgebühren können nicht berücksichtigt werden, da der Schuldner kein eigenes Konto unterhält. Die Aufwendungen für die Allianz-Haftpflichtversicherung sind weder durch Bescheid nachgewiesen, noch kann die Abbuchung auf dem Konto der Commerzbank von … mangels konkreten Bezugs zum Schuldner in der vorliegenden Bedarfsermittlung berücksichtigt werden. Gleiches gilt für sämtliche geltend gemachten Aufwendungen für das vom Schuldner geführte Kraftfahrzeug, das der Schuldner nach aktuellem Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten von … zu monatlichen Raten in Höhe von 52,00 EUR geleast hat. Es würden hierfür zudem weitere Kosten in Form von Haftpflichtversicherung und Steuerabgaben für das Kraftfahrzeug anfallen, so dass diesbezüglich der monatliche Bedarf des Schuldners um 68,57 EUR zu erhöhen sei. Dass Gericht kann anhand der vorgelegten Unterlagen nicht mit der notwendigen Sicherheit prüfen, ob die Leasingraten tatsächlich wie behauptet vom Schuldner an … geleistet werden. Der vorliegende Bescheid für die Besteuerung des Kraftfahrzeuges ist nicht aktuell (09.12.2016), ein Bescheid bzgl. der Kfz-Haftpflichtversicherung wurde nicht vorgelegt, eine dem Schuldner zuordenbare Kontobuchung ist zudem nicht ersichtlich. Das Gericht erlaubt sich an dieser Stelle die Anmerkung, dass es im Ergebnis völlig unglaubwürdig erscheint, dass der an multiplen Erkrankungen leidende Schuldner, der nach Vortrag seines Verfahrensbevollmächtigten auf die Einnahme von verschiedensten Medikamenten mit unterschiedlichen Wirkungseffekten angewiesen ist, tatsächlich noch in der Lage sein kann, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen. Die Notwendigkeit des diesbezüglichen monatlichen Bedarfs darf daher offen in Frage gestellt werden.
Die monatlichen Zahlungen für Mobilfunkkosten und Strom konnten bei der Bedarfsermittlung ebenso nicht gesondert berücksichtigt werden, da diese Kosten bereits mit dem Sozialhilfe-Regelsatz in Höhe von 416,00 EUR für eine alleinstehende erwachsene Person mitabgegolten sind. Zu den Mobilfunkkosten sei weiterhin angemerkt, dass ein notwendiger Betrag in Höhe von 37,95 EUR monatlich für Notrufnummern, Rettungsdienste, Arzt, Pflegedienste oder pflegende Angehörige als nicht angemessen zu bewerten ist; der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners hat im Schreiben vom 10.10.2018 mitgeteilt, dass dieser Vertrag gekündigt wurde.
Es verbleibt bei der Feststellung, dass der konkrete monatlichen Bedarf des Schuldners eine monatliche Unterdeckung in Höhe von … EUR aufweist.
Nach dem gesetzlichen Wortlaut des § 850i ZPO ist nunmehr der für einen angemessenen Zeitraum pfandfrei zu belassene Betrag zu bestimmen. Da die gesetzlich Kommentierung den angemessenen Zeitraum eindeutig als überschaubaren Zeitraum ausweist (vgl. Zöller-ZPO, 32. Auflage, Rn. 2 zu § 850i ZPO), kann der Ansatz des Verfahrensbevollmächtigten, den angemessenen Zeitraum an die Dauer der voraussichtlichen Lebenserwartung des Schuldners zu knüpfen, kein hinnehmbarer Lösungsvorschlag sein. Zutreffend trägt der Insolvenzverwalter in der Stellungnahme vom 24.04.2018 vor, dass dieser Ansatz – unabhängig davon, dass der einschlägige Zeitraum bei Anknüpfung an das Lebensalter des Schuldners keineswegs überschaubar wäre – weitere Anschlussprobleme mit sich bringen würde. Da man die tatsächliche Lebensdauer des Schuldners nicht mit der erforderlichen Sicherheit eingrenzen kann, wäre eine Bemessung hieran stets mit willkürlichen Ergebnissen für sämtliche Beteiligte verbunden.
Es überzeugt erneut der Vorschlag des Insolvenzverwalters, den angemessenen Zeitraum an die voraussichtliche Restdauer des Insolvenzverfahrens/Wohlverhaltensperiode vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zum Ende der Abtretungserklärung im Mai 2021 anzuknüpfen. Der Insolvenzverwalter hat erklärt, dass das Verfahren nach der ausstehenden Aufarbeitung der steuerlichen Sachverhalte abschlussreif ist; nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens schließt sich die Wohlverhaltensperiode an, die mit Ablauf der Abtretungsfrist im Mai 2021 beendet sein wird. Mit Erteilung der beantragten Restschuldbefreiung – vorbehaltlich der Tatsache, dass keine Versagungsanträge gestellt werden – kann somit nach derzeitiger Aktenlage im Juli 2021 gerechnet werden. Bis zur tatsächlichen Beendigung der Wohlverhaltensperiode wären im Ergebnis 40 Monate als angemessener Zeitraum zu berücksichtigen. Da nach Hinweis des Insolvenzverwalters beispielsweise das AG Kleve den Zeitraum von 44 Monaten noch als überschaubar und angemessen erachtet hat (Beschluss vom 18.01.2006, 31 IK 18/00), bestehen nach Auffassung des Gerichts diesbezüglich keine Bedenken, den Zeitraum von 40 Monaten noch als angemessen im Sinne des § 850i ZPO anzusehen.
Zusammenfassende Feststellungen:
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Ausführungen ergibt sich für den Schuldner ein berücksichtigungsfähiger Mehrbedarf von monatlich … EUR, der für einen Zeitraum von 40 Monaten (Zeitpunkt der Antragstellung bis zur voraussichtlichen Erteilung der Restschuldbefreiung) zu gewähren ist.
Es war daher anzuordnen, dass dem Schuldner gem. § 36 InsO i.V.m. § 850 i ZPO ein Teilbetrag von … EUR von den am 21.03.2018 zur Masse erfolgten Zahlungen der … pfandfrei zu belassen ist.
Der darüber hinausgehende Antrag des Schuldners war aufgrund vorgenannten Ausführungen zurückzuweisen.
2. Der Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … gem. §§ 4 InsO, 114 ff ZPO konnte nur insoweit erfolgen, als der gegenständliche Antrag in der Sache Erfolg hatte. Der Schuldner hat eine Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt. Das Gericht geht im Weiteren davon aus, dass der Schuldner aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Vertretung durch einen Rechtsanwalt für die Antragstellung gem. § 850 i ZPO nicht aufbringen kann. Insoweit ist die Rechtsverfolgung nicht mutwillig und bot – wie dargelegt – Aussicht auf Erfolg.
Der darüber hinausgehende Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da die diesbezüglich beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO. Insoweit wird auf die rechtlichen Ausführungen unter 1.) verwiesen.
3. Der Antrag des Schuldners, der Insolvenzmasse die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Auslagen (insbesondere Anwaltskosten) des Schuldners aufzuerlegen, war zurückzuweisen, da diese Kosten notwendigerweise gem. § 788 ZPO dem Schuldner zur Last fallen. Die Möglichkeit, dem Gläubiger (sprich: der Insolvenzmasse) die Kosten des Verfahrens gem. § 788 Abs. 4 ZPO aufzuerlegen, ist in Ermangelung einer dortigen Verweisung auf die Vorschrift des § 850 i ZPO ebenso nicht möglich.
4. Eine Anordnung zur sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung kann in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage nicht erfolgen. Lediglich in Familienstreitsachen nach dem FamFG kann das Gericht – anders als im Zivilprozess – gemäß § 116 Abs. 3 FamFG die sofortige Wirksamkeit einer Entscheidung anordnen. Dies ist bei Rechtsanwendung des § 850i ZPO jedoch ausgeschlossen – eine gesetzliche Grundlage auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (oder ähnliches) ist nicht gegeben.