Aktenzeichen 1 VA 132/19
Leitsatz
1. Zum Recht auf Einsicht eines Gesellschaftsgläubigers in die Akte eines abgeschlossenen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters (§ 299 Abs. 2 ZPO , § 4 InsO ) (Rn. 18 – 30)
2. Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Einziehung gemäß § 171 Abs. 2 HGB und die damit verbundene Sperrwirkung für den Gläubiger endet mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. (Rn. 24)
Tenor
I. Der Bescheid des Amtsgerichts München vom 10. September 2019 wird aufgehoben. Der Antragsgegner wird angewiesen, den Antrag der Antragstellerin vom 14. Februar 2019 auf Bewilligung von Akteneinsicht im Verfahren 1506 IN 2329/05 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Das mit Beschluss vom 8. Mai 2006 eröffnete streitgegenständliche Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, einer Beteiligungsgesellschaft, die sowohl Kommanditistin der Objektgesellschaft S. als auch der Objektgesellschaft P. war, ist mit Beschluss vom 11. Dezember 2018 nach Abhalten des Schlusstermins aufgehoben worden.
Über das Vermögen der Objektgesellschaft S. ist durch Beschluss vom 1. Februar 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Dieses ist durch Beschluss vom 17. Februar 2014 nach Schlussverteilung aufgehoben worden.
Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2019 hat die Antragstellerin gemäß § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO beantragt, ihr Einsicht in die Akten des aufgehobenen Insolvenzverfahrens der Schuldnerin zu gewähren. Zur Begründung hat sie zunächst ausgeführt, ihre Rechtsvorgängerin sei Gläubigerin der Objektgesellschaft S., über deren Vermögen ebenfalls ein Insolvenzverfahren durchgeführt worden sei. Der Insolvenzverwalter der Objektgesellschaft S., der auch Insolvenzverwalter der Schuldnerin gewesen sei, habe Haftungsansprüche der Gesellschaftsgläubiger dieser Objektgesellschaft, namentlich auch ihrer Rechtsvorgängerin, nach §§ 171, 172 Abs. 4 HGB gegenüber der Schuldnerin geltend gemacht. Nach § 171 Abs. 2 HGB übe während der Dauer des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter das den Gesellschaftsgläubigern nach § 171 Abs. 1 HGB zustehende Recht aus. Ihre Rechtsvorgängerin sei damit zwar nicht direkt Gläubigerin der Schuldnerin, aber wirtschaftlich Begünstigte, da die Schuldnerin als Kommanditistin der Objektgesellschaft S. den zur Befriedigung der Gläubiger benötigten Betrag zur Masse der Objektgesellschaft S. schulde. Sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin sei zwar keine Partei des gegenständlichen Insolvenzverfahrens gewesen, sie habe aber ein rechtliches Interesse an der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Insolvenzverwalter der Schuldnerin Haftungsansprüche der Objektgesellschaft P. zu Unrecht (doppelt) anerkannt und befriedigt habe und dadurch ein Quotenschaden der Gläubiger der Schuldnerin entstanden sei. Die – nach dem Kenntnisstand der Antragstellerin nicht insolvente – Objektgesellschaft P. habe nämlich ebenfalls Haftungsansprüche der Gesellschaftsgläubiger gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB gegen die Schuldnerin geltend gemacht.
Der – frühere – Insolvenzverwalter ist dem Akteneinsichtsgesuch entgegengetreten und hat insbesondere ausgeführt, die Objektgesellschaft P. habe keine Ansprüche gegen die Schuldnerin geltend gemacht. Welche Ansprüche zu Unrecht anerkannt und im Rahmen einer Quote befriedigt worden sein sollten, sei nicht nachvollziehbar.
Auf den Hinweis des Amtsgerichts, ein rechtliches Interesse im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO sei weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht, hat die Antragstellerin ergänzend ausgeführt, aus einem Schriftwechsel aus den Jahren 2008/2009 ergebe sich, dass aus Sicht des Insolvenzverwalters die Forderungen der Objektgesellschaft P. „gegenüber der Gesellschafterin (gemeint: hiesige Schuldnerin) auf Einzahlung der Stammeinlage sowie der Haftungsanspruch der Gläubigerin parallel“ bestünden. Diese Auffassung stehe im Widerspruch zu der Einlassung des Insolvenzverwalters in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2019, die Objektgesellschaft P. habe keine Ansprüche angemeldet. Das Interesse der Antragstellerin sei allein darauf gerichtet zu erfahren, was mit diesen Ansprüchen passiert sei, insbesondere, ob sie vom Insolvenzverwalter anerkannt und ob darauf Zahlungen geleistet worden seien. Die Akteneinsicht könne auf einen bestimmten Aktenteil beschränkt werden, z. B. auf die Einsicht in das Schlussverzeichnis und die Schlussverteilung.
Der Antragstellerin hat zusammen mit dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 10. Mai 2019 jeweils eine – überwiegend geschwärzte – Fassung des Schlussverzeichnisses vom 30. Juni 2016 sowie des Ausschüttungsverzeichnisses vom 6. Oktober 2017 erhalten, aus denen lediglich Rang, laufende Nummer und Name der Gläubiger der Forderungen ersichtlich sind. Der Insolvenzverwalter hat dazu ausgeführt, daraus ergebe sich, dass die Objektgesellschaft P. bei der Schlussverteilung nicht berücksichtigt worden sei. Ein potentieller Schaden zu Lasten der Insolvenzmasse im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Objektgesellschaft S. sei nicht gegeben.
Die Antragstellerin hat dagegen eingewandt, es sei nur auf den ersten Blick zutreffend, dass die Objektgesellschaft P. bei der Schlussverteilung nicht berücksichtigt worden sei. Die unter den lfd. Nr. 10 und 12 im Range des § 38 InsO zur Tabelle festgestellten Forderungen beträfen die Objektgesellschaft P. und seien offensichtlich im Laufe des Verfahrens von den jeweiligen ursprünglichen Forderungsinhabern abgetreten worden. Aus dem Tabellenauszug vom 21. Februar 2008 ergäben sich die ursprünglichen Forderungsinhaber:
§ 38 – Nr. 10: Objektgesellschaft P. wegen Entwurf Jahresabschluss 2004 …
§ 38 – Nr. 12: D. Bank „wegen Haftungsanspruch gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB (Objekt P.) … “
Der Insolvenzverwalter habe damit in jedem Fall pflichtwidrig gehandelt, denn entweder sei die Anerkennung beider Forderungen parallel rechtsfehlerhaft oder er hätte als Insolvenzverwalter der Objektgesellschaft S. konsequenterweise auch seinerseits Ansprüche dieser Objektgesellschaft auf Einzahlung der Stammeinlage im Verfahren der Schuldnerin anmelden müssen. Auch wenn der Rechtsgrund der vom Insolvenzverwalter unter der lfd. Nr. 10 der Tabelle anerkannten Forderungen aus dem übersandten Schluss- und Ausschüttungsverzeichnis nicht ersichtlich sei, so ergebe sich aus den der Antragstellerin vorliegenden Unterlagen (Tabellenauszug vom 21. Februar 2008 und Jahresabschluss der Objektgesellschaft P. zum 31. Dezember 2004), dass es sich hierbei nur um eigenkapitalmindernde Ausschüttungen handeln könne. Diese gewährten jedoch keine Ansprüche der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern, sondern nach § 172 Abs. 4 HGB lediglich eine Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft. Dementsprechend seien unter der lfd. Nr. 12 der Tabelle auch durch die D. Bank die Forderungen als Haftungsanspruch gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB im Insolvenzverfahren der Schuldnerin angemeldet worden. Ansprüche der Objektgesellschaft P. gegenüber der Schuldnerin seien dagegen nicht ersichtlich; die Hafteinlagen seien erbracht worden und die Ausschüttungen aufgrund der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag erfolgt. Durch die Anerkennung nicht bestehender Forderungen entstehe den Gläubigern der Schuldnerin durch die verringerte Quote ein Schaden.
Mit Bescheid vom 30. September 2019, der der Antragstellerin am 2. Oktober 2019 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht München die am 14. Februar 2019 beantragte Akteneinsicht versagt, soweit nicht bereits mit Schreiben vom 20. Mai 2019 (gemeint: 10. Mai 2019) das Schlussverzeichnis vom 30. Juni 2016 sowie das Ausschüttungsverzeichnis vom 6. Oktober 2017 übersandt worden seien. Die Voraussetzungen für die begehrte Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO, § 4 InsO in dem bereits beendeten Insolvenzverfahren lägen nicht vor. Die Antragstellerin wolle zum Zwecke der Ausforschung Akteneinsicht, um nach eigenen Angaben den Inhalt auf mögliche Haftungsansprüche der Gläubiger der Schuldnerin gegen den Insolvenzverwalter zu prüfen. Die Antragstellerin vertrete aber keinen Gläubiger der Schuldnerin. Lediglich im Parallelverfahren der Objektgesellschaft S. sei die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin als Gläubigerin zur Tabelle anerkannt. Das dortige Verfahren sei bereits seit 2014 abgeschlossen. Wenn die Objektgesellschaft P. (möglicherweise gemeint: Objektgesellschaft S.) ggf. eigene Haftungsansprüche vermute, sei sie auf die normalen zivilrechtlichen Ansprüche und prozessualen Verfahrensregeln zu verweisen, ebenso die Antragstellerin. Rein wirtschaftliche Interessen begründeten kein rechtliches Interesse. Ein unmittelbares rechtliches Eigeninteresse durch ein gegenwärtig bestehendes Verhältnis zur hiesigen Schuldnerinsolvenz ergebe sich aus dem Vortrag der Antragstellerin nicht.
Dagegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2019, der am gleichen Tag bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, „Beschwerde nach § 23 EGGVG“ eingelegt. Die angefochtene Entscheidung sei rechtsfehlerhaft, weil der Antragstellerin ein rechtliches Interesse an der beantragten Akteneinsicht zustehe. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sie gegen den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin Ansprüche aus § 60 InsO geltend mache. Sie habe ein rechtliches Interesse an der Frage, ob und in welchem Umfang der Insolvenzverwalter der Schuldnerin Haftungsansprüche der Objektgesellschaft P. zu Unrecht bzw. doppelt anerkannt und befriedigt habe. Die D. Bank habe Ansprüche gemäß § 172 Abs. 4 HGB aus dem Kreditverhältnis zur Objektgesellschaft P. unter der lfd. Nr. 12 für den Ausfall angemeldet. Daneben habe die Objektgesellschaft P. eigene Ansprüche wegen erfolgter Ausschüttungen gemäß § 172 Abs. 4 HGB unter der lfd. Nr. 10 angemeldet. Beide Forderungen seien in das Schlussverzeichnis aufgenommen worden. Die Antragstellerin vertritt nunmehr die Ansicht, die unter der lfd. Nr. 12 „angemeldeten Forderungen“ hätten nicht festgestellt werden dürfen, da die Zuständigkeit für die Geltendmachung der Haftungsansprüche allein beim Insolvenzverwalter liege und dieser die bestehenden Ansprüche unter der lfd. Nr. 10 angemeldet habe. Durch die Anerkennung beider Forderungen sei die Passivmasse in dem Insolvenzverfahren vergrößert worden.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr unter Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts München – Abteilung für Insolvenzsachen – vom 30. September 2019 Einsicht in die Insolvenzakte der Schuldnerin (Az. 1506 IN 2329/05) zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
In der Stellungnahme der Abteilungsleiterin des Amtsgerichts München vom 27. Dezember 2019, auf die der Antragsgegner Bezug nimmt, wird zur Begründung ausgeführt, es liege kein unmittelbares, durch Rechtsnormen geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis der Antragstellerin zum Vermögen der Schuldnerin vor. Vielmehr sollten durch Ausforschung und Einsicht in die Verfahrensakten Tatsachen ermittelt werden, die möglicherweise gegen den Insolvenzverwalter in einem Schadensersatzprozess verwendet werden könnten. Damit würden aber die grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislastregeln des Zivilprozessrechts zu Gunsten des Einsichtsbegehrenden verändert. Rein wirtschaftliche Interessen oder Ausforschungswünsche reichten für einen Akteneinsichtsanspruch nicht aus. Der Insolvenzverwalter, dem seitens des Insolvenzgerichts Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu dem Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG zu äußern, wendet ergänzend ein, eine Auszahlung einer Insolvenzquote auf die unter der lfd. Nr. 12 der Insolvenztabelle angemeldeten Ansprüche habe ausweislich des Ausschüttungsverzeichnisses vom 6. Oktober 2017 nicht stattgefunden. Selbst wenn man ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte annähme, dürfte die Akteneinsicht auf die Forderungsanmeldung unter den lfd. Nr. 10 und 12 zu begrenzen sein.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung führt zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids und zur Zurückverweisung an den Antragsgegner.
1. Der gegen den ablehnenden Bescheid gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
a) Der Antrag ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG statthaft, denn bei der angefochtenen Versagung von Akteneinsicht für die als „dritte Person“ im Sinne von § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO behandelte Antragstellerin handelt es sich um eine Maßnahme einer Justizbehörde auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts im Sinne der genannten Vorschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 23 EGGVG Rn. 12 m. w. N.). Dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als „Beschwerde gemäß § 23 EGGVG“ bezeichnet wurde, ist unschädlich. Denn die Antragstellerin führt zutreffend aus, sie habe als nicht am Insolvenzverfahren beteiligte Dritte nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht beantragt und die Entscheidung darüber sei von der Justizverwaltung getroffen worden.
b) Der eine Begründung enthaltende Antragsschriftsatz ist fristgemäß (§ 26 Abs. 1 EGGVG) bei dem nach § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen.
2. Der Antrag hat auch in der Sache im Wesentlichen Erfolg. Der Antragsgegner hat zu Unrecht das für § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse verneint und deshalb die ihm nach der genannten Vorschrift obliegende Ermessenentscheidung unterlassen, die nunmehr nachzuholen ist.
a) Die Gewährung von Einsicht in die vom Insolvenzgericht geführte Verfahrensakte richtet sich, soweit nicht Spezialvorschriften wie § 66 Abs. 2, § 150 Satz 2, §§ 154, 175 Abs. 1 Satz 2, § 188 Satz 2, § 194 Abs. 3 Satz 1, § 234 InsO zur Anwendung kommen, über die Verweisungsnorm des § 4 InsO nach der allgemeinen Vorschrift des § 299 ZPO. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift steht ein Akteneinsichtsrecht denjenigen zu, die verfahrensrechtlich Beteiligte („Partei“) im Insolvenzverfahren sind, § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 1 ZPO; am Verfahren nicht beteiligten Dritten kann nach pflichtgemäßem Ermessen Einsicht gewährt werden, wenn ein rechtliches Interesse dargetan und glaubhaft gemacht ist, § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO.
b) Zutreffend geht der angefochtene Bescheid davon aus, dass der Antragstellerin als „dritter Person“ i. S. v. § 4 InsO, § 299 Abs. 2 ZPO ohne Einwilligung der Schuldnerin Einsicht in die Insolvenzakte nur gestattet werden kann, wenn hierfür ein rechtliches Interesse dargetan und glaubhaft gemacht ist. Dass die Antragstellerin “formal“ nicht Beteiligte des Insolvenzverfahrens war, stellt sie nicht in Abrede. Soweit sie im Schriftsatz vom 17. Februar 2020 ausführt, sie sei materiellrechtlich als Gesellschaftsgläubigerin (partiell) Forderungsinhaberin und mit Aufhebung des Verfahrens (gemeint: Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Objektgesellschaft S.) sei die „Forderungszuständigkeit“ des Insolvenzverwalters erloschen, wird dies nicht dahingehend verstanden, dass die Antragstellerin nunmehr die Auffassung vertritt, sie sei Partei im Sinne des § 299 Abs. 1 ZPO.
c) Entgegen der Ansicht des Antragsgegners genügt der glaubhaft gemachte Vortrag der Antragstellerin, um ein rechtliches Interesse zu begründen, das nach der Bestimmung in § 299 Abs. 2 ZPO für die Akteneinsicht durch eine dritte Person verlangt wird.
aa) Das rechtliche Interesse setzt nach der Umschreibung, die dem Begriff durch die Rechtsprechung gegeben wurde, voraus, dass durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akte Einsicht begehrt wird, persönliche Rechte des Antragstellers berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis des Gesuchstellers zu einer Person oder Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand (im streitigen Parteienprozess dessen „Streitstoff“) für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (BGH, Beschluss vom 5. April 2006, IV AR [VZ] 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 15; Beschluss vom 22. Januar 1952, IV ZB 82/51, BGHZ 4, 323 [325 ff., juris Rn. 15 f.]; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2019, 1 VA 86/19, juris Rn. 19, m. w. N.).
bb) Die Gläubigerstellung schafft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine solche unmittelbare rechtliche Beziehung zur Schuldnerin (ZIP 2006, 1154 Rn. 16 ff.). Denn bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte dem Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) das Akteneinsichtsrecht nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 1 ZPO zugestanden. Auch nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse müsse ihm die Möglichkeit erhalten bleiben, Einsicht in die Insolvenzakte zu nehmen. Denn es sei weiterhin nicht auszuschließen, dass er seine Forderung noch realisieren könne. Sie bestehe fort und habe jedenfalls dann noch Aussicht auf erfolgreiche Beitreibung, wenn sich herausstelle, dass noch Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin vorhanden sei. Nach einhelliger Auffassung müsse ein Gläubiger gerade dann, wenn er gegen eine im Handelsregister gelöschte Gesellschaft noch Forderungen geltend machen wolle, darlegen, dass die Gesellschaft noch Vermögen habe. Die Rechtsprechung lasse insoweit bloße unsubstantiierte Behauptungen schon deshalb nicht genügen, weil Gläubiger sonst zeitlich unbegrenzt vermögensrechtliche Ansprüche gegen eine gelöschte Gesellschaft geltend machen könnten. Auch mit Blick auf diese Vortragslast könne dem Gläubiger das Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte nicht abgesprochen werden.
Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall übertragbar, auch wenn die Antragstellerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 8. Mai 2006 ihren Haftungsanspruch aus § 172 Abs. 4, § 171 Abs. 1, § 128 Satz 1, § 161 Abs. 2 HGB wegen des vorher über das Vermögen der Objektgesellschaft S. eröffneten Insolvenzverfahrens nicht anmelden konnte, sondern es nach § 171 Abs. 2 HGB dem Insolvenzverwalter oblag, die Hafteinlage zur gleichmäßigen (anteiligen) Befriedigung der berechtigten Gläubiger der Objektgesellschaft S. einzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 28. Oktober 1981, II ZR 129/80, BGHZ 82, 209 [214, juris Rn. 16 f.]; Urt. v. 20. Februar 2018, II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 Rn. 17). Abgesehen von dem Übergang der Einziehungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter hat sich die materielle Rechtslage durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Objektgesellschaft S. nicht geändert (vgl. BGH, Urt. v. 17. September 1964, II ZR 162/62, BGHZ 42, 192 [193 f., juris Rn. 20]; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 2020, § 171 Rn. 96). Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters zur Einziehung gemäß § 171 Abs. 2 HGB und die damit verbundene Sperrwirkung für den Gläubiger gelten jedoch nur „während der Dauer des Verfahrens“, also nicht mehr nach dessen Aufhebung. Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Vollzug der Schlussverteilung werden die mit der Insolvenzeröffnung verbundenen Auswirkungen sowohl gegen den Schuldner als auch gegen die Gläubiger für die Zukunft beseitigt (Hintzen in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2019, § 200 Rn. 1). Ebenso wie die Beschränkungen für das Vorgehen der Insolvenzgläubiger gegen den Insolvenzschuldner gemäß § 201 Abs. 1 InsO mit der Verfahrensaufhebung wegfallen, findet auch die insolvenzrechtliche Beschränkung des § 171 Abs. 2 HGB nach der Verfahrensaufhebung keine Anwendung mehr (vgl. zu § 207 InsO: Häublein in BeckOK HGB, 27. Ed. 15.1.2020, § 171 Rn. 34).
cc) Die Antragstellerin hat ihre Gläubigerstellung glaubhaft gemacht. Ihre Forderung gegenüber der Objektgesellschaft S. ist aus der Tabelle (Anlage ASt 2) des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft ersichtlich (zur Wirkung der Feststellung gegenüber der Kommanditistin vgl. BGHZ 217, 327 Rn. 21 ff.). Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Objektgesellschaft S. führt zum unbeschränkten Nachforderungsrecht der Antragstellerin als Gläubigerin dieser Gesellschaft (vgl. § 201 InsO).
Der vom Insolvenzverwalter der Objektgesellschaft S. angemeldete Haftungsanspruch gegen die Schuldnerin wurde zur Tabelle festgestellt (Anlagen ASt 3 und ASt 4). Dass die Forderung der Antragstellerin aus § 128 Satz 1, § 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 HGB nicht tituliert ist, steht dem rechtlichen Interesse an der Akteneinsicht nicht entgegen (BGH ZIP 2006, 1154 Rn. 18). Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin können die Gläubiger, die sich nicht am Insolvenzverfahren beteiligt haben, ihre ursprüngliche Forderung gegen die Schuldnerin weiter durchsetzen (vgl. BGHZ 82, 209 [217, juris Rn.18]; Hintzen in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 201 Rn. 17).
dd) Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil die Antragstellerin mit ihrem Akteneinsichtsgesuch – möglicherweise sogar vorrangig – das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihr Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter zustehen.
Ob der Ansicht zu folgen ist, ein nach § 4 InsO i. V. m. § 299 Abs. 2 ZPO notwendiges rechtliches Interesse für die Akteneinsicht liege in der Vorbereitung möglicher Schadensersatzansprüche gegen den Verwalter persönlich (Bank, Insolvenzverwalterhaftung, 2016, § 5 Rn. 295 unter Bezugnahme auf BGH ZIP 2006, 1154), bedarf keiner Entscheidung.
Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (ZIP 2006, 1154 Rn. 19 f.) lässt sich das Gläubigerinteresse nicht aufspalten in ein rechtliches Interesse i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO an der Feststellung, ob noch Vermögen bei der Schuldnerin vorhanden ist, und ein – von § 299 Abs. 2 ZPO nicht geschütztes – rein wirtschaftliches Interesse an der Prüfung der Erfolgsaussichten von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, insbesondere Organe der Schuldnerin. Vielmehr stehen solche Schadensersatzansprüche meist in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Forderung des Gläubigers.
So liegt es auch hier. Ein auf Ersatz des Quotenschadens gerichteter Anspruch (vgl. BGH, Urt. v. 22. April 2004, IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25 [26, juris Rn. 7]) der Antragstellerin gegen den Insolvenzverwalter wegen unberechtigter Anerkennung insbesondere der unter der lfd. Nr. 10 festgestellten Forderung setzt voraus, dass die Antragstellerin einen Schaden erlitten hat, also ihre Forderung gegen die Schuldnerin nicht vollständig beitreiben kann.
d) Da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die Antragstellerin durch Versagung der von ihr beantragten Akteneinsicht in ihren Rechten verletzt, ist er gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG aufzuheben.
Der Senat kann über das Akteneinsichtsgesuch aber nicht abschließend entscheiden. Denn aus der Bejahung des rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht folgt noch kein Anspruch auf Akteneinsicht. Das Vorliegen des rechtlichen Interesses eröffnet vielmehr erst den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung nach § 299 Abs. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998, IV AR [VZ] 2/97, ZIP 1998, 961 a. E.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris Rn. 47). Da der Senat sein Ermessen nach ständiger Rechtsprechung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Dezember 2016, I-3 VA 5/16, juris Rn. 28; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Juni 2016, 20 VA 20/15, juris 47) nicht an die Stelle des Gerichtsvorstands setzen kann, ist die Sache noch nicht spruchreif (§ 28 Abs. 2 Satz 2 EGGVG). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung kann auch zu erwägen sein, besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten zu entnehmen (vgl. Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 299 Rn. 25; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1. Februar 2007, 20 VA 13/06, juris Rn. 24).
Der Antrag kann daher keinen Erfolg haben, soweit er darauf gerichtet ist, dass der Senat selbst der Antragstellerin die begehrte Akteneinsicht gewährt oder die Verpflichtung des Amtsgerichts dazu ausspricht; insoweit ist er zurückzuweisen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 VA 70/19, juris Rn. 17; Decker in BeckOK VwGO, 52. Ed. Stand 1. Januar 2020, § 113 Rn. 77; Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Stand Juli 2019, § 113 Rn. 227; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 49 mit Rn. 51; H. A. Wolff in Sodan/Zielkow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 451 jeweils zu der im Wesentlichen mit § 28 Abs. 2 EGGVG übereinstimmenden Vorschrift des § 113 Abs. 5 VwGO; vgl. auch Thüringer OLG, Beschluss vom 24. Juli 2008, 1 VAs 2/08, juris).
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 30 EGGVG. Der Senat hat insbesondere keine Gründe für die Anordnung der Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten der Antragstellerin gesehen. Der Umstand, dass ein Antrag (vorerst) Erfolg hat, reicht für eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse nicht aus.
Für den überwiegend erfolgreichen Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG sind Gerichtskosten nicht angefallen (vgl. Nr. 15300 KV GNotKG und Nr. 15301 KV GNotKG; § 25 Abs. 1 GNotKG), so dass es keiner Geschäftswertfestsetzung bedarf.
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.