Insolvenzrecht

Einstweilige Einstellung der Vollstreckung eines Entziehungsurteils auf Antrag des Schuldners

Aktenzeichen  64 T 309/17

Datum:
21.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfIR – 2017, 251
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 19 Abs. 1
ZVG § 30a

 

Leitsatz

1 Auch bei der Vollstreckung eines Entziehungsurteils nach § 19 Abs. 1 WEG kommt eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens auf einseitigen Antrag des Schuldners nach §§ 30a ff. ZVG in Betracht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die gemäß § 30a Abs. 1 ZVG erforderliche Aussicht bedarf es der – an strenge Anforderungen zu stellenden – Prognose, dass die Veräußerung des Eigentums an Dritte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums erfolgreich abgeschlossen werden kann. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine konkrete Befriedigungsaussicht besteht nicht schon dann, wenn Verkaufsabsichten bestehen oder Verkaufsgespräche geführt werden oder ein Makler mit dem freihändigen Verkauf des Grundstücks beauftragt ist. Es bedarf vielmehr bereits konkret gewordener Vertragsverhandlungen (Anschluss LG Rostock LSK 2003, 430511). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 K 3/17 2017-06-13 Bes AGREGENSBURG AG Regensburg

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 13.06.2017, 1 K 3/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Schuldner wurde durch ein von der Gläubigerin per Entziehungsklage nach § 19 Abs. 1 WEG erwirktes, vorläufig vollstreckbares Endurteil des Amtsgerichts Cham vom 26.02.2016 verurteilt, sein in der Wohnungseigentumsanlage Hotel H. H1 gelegenes Wohnungseigentum zu veräußern. Die hiergegen vom Schuldner eingelegte Berufung wurde vom Landgericht Nürnberg-Fürth mit Endurteil vom 14.12.2016 zurückgewiesen. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Die Gläubigerin stellte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13.01.2017 gegen den Schuldner einen Antrag auf Zwangsversteigerung seines in der Wohnungseigentumsanlage Hotel H. H1 gelegenen Wohnungseigentums. Zur Begründung ihres Zwangsversteigerungsantrags bezog sich die Gläubigerin auf das vorgenannte Endurteil. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete das Amtsgericht Regensburg mit Beschluss vom 27.03.2017 die Zwangsversteigerung an. Der vorgenannte Beschuss wurde dem Schuldner am 30.03.2017 zugestellt.
Der Schuldner beantragte mit Schreiben vom 11.04.2017 beim Amtsgericht Regensburg die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 30 a ZVG für die Dauer von sechs Monaten und führte dazu aus, er möchte Gelegenheit erhalten, seine Immobilie selbst freihändig auf dem Immobilienmarkt zu verkaufen. Hierzu sei es erforderlich und geboten, dass ihm dafür ein ausreichender Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Verfügung stehe.
Die Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin beantragten mit Schriftsatz vom 26.04.2017, dem in Abschrift der Klageschriftsatz des Jahres 2014 beigefügt war, den Antrag des Schuldners vom 11.04.2017 als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Sie führten unter Bezugnahme auf ihren vorherigen, anlässlich der im Anordnungsbeschluss enthaltenen Belehrung des Schuldners verfassten Schriftsatz vom 10.04.2017 aus, der Einstellungsantrag sei bereits unzulässig. Mit dem Anordnungs- und Beschlagnahmebeschluss sei nämlich vorliegend abweichend vom Regelfall kein Veräußerungsverbot verbunden, da die im rechtskräftigen Endurteil des Amtsgerichts Cham angeordnete Veräußerung des Wohnungseigentums durch den Schuldner gerade erwünscht sei. Von daher verbiete sich schon aufgrund des Wortlauts des § 30 a Abs. 1 ZVG eine Einstellung. Jedenfalls sei der Antrag des Schuldners unbegründet, da er keine Gründe im Sinne des § 30 a ZVG vortrage. Nachdem der Schuldner seit annähernd drei Jahren von der Notwendigkeit, sein Appartement veräußern zu müssen, Kenntnis habe, jedoch seither nichts geschehen sei, werde auch in den kommenden sechs Monaten nichts geschehen. Der Schuldner wolle lediglich Zeit schinden. Ergänzend trugen die Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin mit Schriftsatz vom 27.04.2017 vor, dem Schuldner sei bereits ein Angebot zum Erwerb seiner Eigentumswohnung vom Hotel H1 H1 unterbreitet worden, weshalb der Schuldner längst seiner Verpflichtung zur Veräußerung habe nachkommen können.
Das Amtsgericht Regensburg wies den Antrag des Schuldners auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens mit Beschluss vom 13.06.2017 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Einstellungsvoraussetzungen lägen nicht vor, da ein lediglich beabsichtigter freihändiger Verkauf nicht konkret genug sei, um hierauf eine Einstellung zu stützen. Nur dann, wenn der Schuldner einen Kaufinteressenten vorweisen könne und die notarielle Beurkundung bereits erfolgt sei, könne das Verfahren eingestellt werden. Ohne eine solche Bindung gingen die Interessen der Gläubigerin vor. Entweder habe der Schuldner keine konkreten Verkaufsversuche unternommen oder er habe zu seinen Bedingungen keinen Käufer gefunden, jedenfalls habe er bereits genügend Zeit zum Verkauf gehabt.
Der vorgenannte Beschluss wurde dem Schuldner am 20.06.2017 zugestellt. Mit Schreiben vom 04.07.2017, bei den Justizbehörden Regensburg eingegangen am selben Tag, legte er Beschwerde gegen den Beschluss vom 13.06.2017 ein. Mit weiterem Schreiben vom 02.08.2017 begründete er seine Beschwerde im Wesentlichen damit, der gläubigerseits vorgelegte Klageschriftsatz vom 30.07.2014 sei als Beweismittel unzulässig. Der Schuldner bestreite ausdrücklich, dass er annähernd drei Jahre von der Notwendigkeit wisse, sein Appartement zu veräußern. Er habe die Bestandskraft des Berufungsurteils abwarten dürfen. Die Aussage der Prozessbevollmächtigten der Gläubigerin, der Schuldner wolle das Verfahren nur verzögern, treffe nicht zu. Ein ehrlicher, tatsächlicher Kauf von Seiten der Gläubigerin sei keinesfalls realitätsnah gewesen. Der von ihr angebotene Kaufpreis liege weit unter dem tatsächlichen Verkehrswert seines Appartements, sodass deshalb seine Zustimmung zu keinem Zeitpunkt in Frage gekommen sei. Durch die Einstellung des Verfahrens bestehe die Aussicht, die Zwangsversteigerung zu vermeiden. Er habe für sein Appartement entsprechende Kaufinteressenten, unter anderem die Eheleute He. und St. St1 aus Ulm (zum Beweis beigefügt wurde dem Schreiben des Schuldners vom 02.08.2017 ein an ihn gerichtetes Schreiben der Eheleute St1 vom 10.03.2017, Blatt 54 der Akte). Auch die übrigen Voraussetzungen für die Einstellung lägen vor. Beim Schuldner bestehe seit März 2014 eine Schwerbehinderung zu 100 % mit zwei Merkzeichen; zudem würde er im Falle der Zwangsversteigerung erhebliche finanzielle und wirtschaftliche Nachteile erleiden, was sich durch den freihändigen Verkauf vermeiden lasse. Daneben bestehe im Falle einer Einstellung auch noch die Möglichkeit, die Immobilie zu verschenken.
Das Amtsgericht Regensburg hat der sofortigen Beschwerde des Schuldners mit Beschluss vom 10.08.2017 unter Bezugnahme auf die im angefochtenen Beschluss genannten Gründe nicht abgeholfen und sie dem Landgericht Regensburg zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1, §§ 569, 793 ZPO, § 30 b Abs. 3 ZVG zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners ist unbegründet.
a) Der Antrag des Schuldners nach § 30 a ZVG ist allerdings statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgemäß (§ 30 b Abs. 1 ZVG) erfolgt. Dem Antrag des Schuldners fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis:
Auch bei der Vollstreckung eines sogenannten Entziehungsurteils nach § 19 Abs. 1 WEG kommt eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens in Betracht. Dies zum einen auf formlose Bewilligung des Gläubigers (§ 30 ZVG), damit der Schuldner die Möglichkeit erhält, das Wohnungseigentum freihändig zu veräußern, der Gläubiger das Verfahren aber innerhalb von sechs Monaten fortsetzen kann, § 31 ZVG. Außerdem kann auch das Vollstreckungsgericht auf einseitigen Antrag des Schuldners die Einstellung des Verfahrens beschließen, §§ 30 a ff. ZVG (Heinemann in: Jennißen, WEG, 5. Aufl. 2017, Rz. 35 zu § 19). Die Gegenansicht (Schneider NZM 2014, 498) hält diese Bestimmungen für unanwendbar, da sie nur auf Zwangsversteigerungen wegen Geldforderungen und die damit aufgeworfene Frage einer Sanierungsfähigkeit passe und im Übrigen § 19 Abs. 2 WEG bzw. § 765 a ZPO einen ausreichenden Vollstreckungsschutz böten. Dieser Gegenauffassung ist nicht zu folgen, da sie die gesetzgeberische Wertung ignoriert und nicht berücksichtigt, dass § 765 a ZPO eng auszulegen ist, sodass der Schutz des Entziehungsschuldners möglicherweise nur unzureichend gewährleistet ist (Heinemann a.a.O.).
Die mit der Beschlagnahme verbundene Wirkung ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ZVG ein relatives Veräußerungsverbot, was auf den ersten Blick insofern seltsam erscheint, als der ausgeschlossene Wohnungseigentümer auf Betreiben des Gläubigers doch gerade zur Veräußerung verpflichtet ist. Möchte der verurteilte Wohnungseigentümer nach der Beschlagnahme das Wohnungseigentum freiwillig veräußern, so gestaltet sich die Abwicklung eines solchen Veräußerungsvertrags umständlicher als nach bisheriger Rechtslage, da zunächst die einstweilige Einstellung des Verfahrens erreicht werden muss (siehe oben) und abzuklären ist, ob weitere Gläubiger dem Verfahren beigetreten sind. Mit der bloßen Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer ist es also – schon zu deren Schutz – nicht getan (heinemann a.a.O.). Die Ansicht, die § 23 ZVG teleologisch reduzieren möchte, sodass die Vorschrift nur bei einer Belastung, nicht jedoch bei einer Veräußerung des Wohnungseigentums gelten soll (Schneider a.a.O.), berücksichtigt nicht die einer solchen Veräußerung einhergehenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Vertragsgestaltung und Vertragsabwicklung; sie setzt sich außerdem in Widerspruch zu dem klaren Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 ZVG. Auch die Ansicht, die in der Antragstellung eine konkludente Zustimmung der Eigentümergemeinschaft zu einer Veräußerung des beschlagnahmten Wohnungseigentums erblicken möchte (Schneider a.a.O.), muss sich fragen lassen, ob dies auch dann gilt, wenn der Wohnungseigentümer an einen „Strohmann“ oder eine ihm nahestehende Person veräußern möchte (so zutreffend Heinemann a.a.O.).
b) Die Beschwerde des Schuldners ist jedoch unbegründet.
Nach § 30 a Abs. 1 ZVG ist das Verfahren auf Antrag des Schuldners einstweilen auf die Dauer von höchstens sechs Monaten einzustellen, wenn Aussicht besteht, dass durch die Einstellung die Versteigerung vermieden wird, und wenn die Einstellung nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners sowie nach der Art der Schuld der Billigkeit entspricht. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 a Abs. 1 ZVG ist der Antrag des Schuldners jedoch gemäß § 30 a Abs. 2 ZVG abzulehnen, wenn die einstweilige Einstellung dem betreibenden Gläubiger unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuzumuten ist, insbesondere ihm einen unverhältnismäßigen Nachteil bringen würde, oder wenn mit Rücksicht auf die Beschaffenheit oder die sonstigen Verhältnisse des Grundstücks anzunehmen ist, dass die Versteigerung zu einem späteren Zeitpunkt einen wesentlich geringeren Erlös bringen würde.
Voraussetzung für eine einstweilige Einstellung ist also gemäß § 30 a Abs. 1 ZVG zunächst die Aussicht, dass durch die Einstellung die Versteigerung vermieden wird, nur dann kann eine dem Eigentumsschutz dienende Verfahrenseinstellung erfolgen. Es muss dementsprechend eine Prognose gestellt werden – an die strenge Anforderungen zu stellen sind (LG Dortmund, Beschluss vom 02. Juli 2014, 9 T 383/13, mit weiteren Nachweisen, bei juris online), aus der sich ergibt, dass die Befriedigung des Gläubigers – die im Fall eines Entziehungsurteils nach § 19 WEG nicht in Erfüllung bzw. Sanierung besteht, sondern in einer Veräußerung des Eigentums an Dritte – innerhalb eines überschaubaren Zeitraums mit Aussicht auf Erfolg abgeschlossen werden kann. Pauschale Behauptungen ohne Konkretisierungen reichen hierfür nicht aus. Auch der Hinweis auf Ablösemöglichkeiten darf sich nicht auf allgemeine (theoretische) Möglichkeiten beschränken. Vielmehr müssen die entsprechenden Tatsachen vom Schuldner vorgetragen und, falls vom Gläubiger bestritten, glaubhaft gemacht werden (Stöber, ZVG, 20. Auflage, § 30 a Rdnr. 3.2). In zeitlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die begründete Aussicht auf Abwendung der Zwangsversteigerung innerhalb des im Hinblick auf § 30 c ZVG längstmöglichen Einstellungszeitraums von zwölf Monaten besteht (Stöber a.a.O.). Eine konkrete Befriedigungsaussicht besteht nicht schon dann, wenn Verkaufsabsichten bestehen oder Verkaufsgespräche geführt werden oder ein Makler mit dem freihändigen Verkauf des Grundstücks beauftragt ist. Es bedarf vielmehr bereits konkret gewordener Vertragsverhandlungen (LG Rostock, Beschluss vom 31. Januar 2003, 2 T 23/03, abrufbar bei juris online).
Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer durch den Beschwerdeführer konkret aufgezeigten Befriedigungsaussicht im Sinne des § 30 a Abs. 1 ZVG. Aus dem Schreiben der Eheleute St1 vom 10.03.2017 an den Beschwerdeführer ergibt sich lediglich deren Angebot, in Verkaufsverhandlungen einzutreten, was nicht ausreicht. Dass Verkaufsabsichten des Beschwerdeführers bestehen oder bereits Verkaufsgespräche – ggf. auch mit anderen Interessenten – geführt wurden oder werden, genügt nicht zur Verfahrenseinstellung. Es bedürfte vielmehr bereits konkret gewordener Vertragsverhandlungen, die sich aus dem Schreiben der Eheleute St1 vom 10.03.2017 nicht ergeben und auch sonst nicht einmal dargelegt werden. Bei der hilfsweisen Erwägung des Beschwerdeführers, schließlich könne er die Immobilie ja auch noch verschenken, handelt es sich zum einen um eine pauschal vorgebrachte Erwägung, die zum anderen angesichts des von ihm angegebenen Antragsziels, eine Verschleuderung seines Eigentums zu verhindern, nicht ernst gemeint sein kann.
Demgemäß kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die weiteren Voraussetzungen des Absatzes 1 des § 30 a ZVG vorlägen und ob bejahendenfalls Absatz 2 einer Einstellung entgegenstünde.
3. Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

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