Insolvenzrecht

Erfolglose Beschwerde gegen die Anordnung einer Ersatzzwangshaft

Aktenzeichen  12 C 17.2574

Datum:
8.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7796
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
VwGO § 54 Abs. 1
ZPO § 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1, § 240 S. 1
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 3, § 35

 

Leitsatz

1 Eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann nicht bereits in einer fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dass ein Richter bei der rechtlichen Beurteilung eines auf den weiteren Verfahrensablauf gestützten Befangenheitsantrags eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, reicht – selbst wenn die Ansicht rechtsirrig wäre – regelmäßig nicht aus, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Insolvenz des Vollstreckungsschuldners hindert die Vollstreckung von Ersatzzwangshaft grundsätzlich nicht, zumal es sich hierbei primär um eine höchstpersönliche Verbindlichkeit handelt, bei der der Insolvenzverwalter nicht in die Pflichten des Schuldners eintritt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4 Soweit die Insolvenzmasse nicht betroffen ist, weil es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt, findet eine Verfahrensunterbrechung nicht statt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 X 17.4888 2017-12-11 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsgegner sich gegen die mit Beschluss des Verwaltungsgericht München vom 11. Dezember 2017 zum Zwecke der Durchsetzung eines Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum angeordnete Ersatzzwangshaft wendet, bleibt ohne Erfolg.
1. Mit dem Einwand, es liege ein absoluter Verfahrensmangel vor, weil die Richter mit ihrer Entscheidung vom 17. Oktober 2017 selbst über Befangenheitsanträge entschieden haben und damit das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt und gegen die gesetzliche Wartepflicht aus § 54 Abs. 1 VwGO, § 47 Abs. 1 ZPO verstoßen hätten, kann der Antragsgegner nicht durchdringen.
1.1 Ein Verfahrensmangel läge nur dann vor, wenn eine fehlerhafte Ablehnung zugleich eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beinhaltete, was aber nur dann zuträfe, wenn die Zuständigkeitsvorschriften willkürlich angewandt worden wären (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 54 Rn. 22 m.w.N.). Dafür gibt es indes keine hinreichenden Anhaltspunkte, denn eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht bereits in einer fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden. Vielmehr ist erforderlich, dass die gerichtliche Entscheidung „nicht mehr verständlich“ erscheint, „offensichtlich unhaltbar“ ist (Kopp/Schenke, a.a.O., § 54 Rn. 22 unter Hinweis auf BVerfGE 29, 207; 82, 194; NJW 2005, 3410) oder die „Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt“ worden ist (Kopp/Schenke, a.a.O.). Aus Verfahrensfehlern allein kann nicht ohne weiteres auf eine Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden (vgl. Eyermann/Schmidt, 13. Aufl., § 54 Rn. 14).
1.2 Die Ablehnung des Befangenheitsantrags durch die im Verfahren M 9 X 17.4888 erkennende Kammer selbst begegnet entgegen der Auffassung des Antragsgegnerbevollmächtigten keinen Bedenken. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht das Ablehnungsgesuch als rechtsmissbräuchlich erachtet, weshalb ausnahmsweise hier entgegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 45 Abs. 1 ZPO die Richter der abgelehnten Kammer selbst über die Entscheidung berufen waren. Ein Ablehnungsgesuch ist dann rechtsmissbräuchlich und daher unbeachtlich, wenn die Begründung dieses Gesuchs unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Ablehnung des Richters rechtfertigen kann und mit der Art und Weise seiner Anbringung ein gesetzeswidriger und damit das Instrument der Richterablehnung missbrauchender Einsatz dieses Rechts erkennbar wird (BVerwG, B.v. 14.11.2012 – 2 KSt 1/11 – juris, m.w.N.). Die im streitgegenständlichen Verfahren auf Anordnung von Ersatzzwangshaft vorgebrachten Einwendungen zum Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit beziehen sich allesamt auf ein Ablehnungsgesuch des Antragsgegners gegen die gleichen Richter der Kammer in von ihm betriebenen neun weiteren, völlig anders gelagerten Klageverfahren gegen zweckentfremdungsrechtliche Anordnungen bzw. die Festsetzung von Zwangsgeldern. Den vom Verwaltungsgericht völlig zu Recht festgestellten fehlenden sachlich nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtsstreit hat der Antragsgegnerbevollmächtigte auch im Beschwerdeverfahren nicht dargetan und wird ein solcher auch nach wie vor nicht ersichtlich.
1.3 Die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht das Ablehnungsgesuch des Antragsgegners in den genannten neun weiteren Verfahren mit Beschluss vom 17. Oktober 2017 ebenfalls selbst abgelehnt hat. Aus der inhaltlichen Behandlung der vom Antragsgegner und dortigem Kläger gestellten Anträge ergibt sich grundsätzlich kein Ablehnungsgrund. Dass ein Richter bei der rechtlichen Beurteilung eines auf den weiteren Verfahrensablauf gestützten Befangenheitsantrags eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, reicht – selbst wenn die Ansicht rechtsirrig wäre – regelmäßig nicht aus, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (BVerwG, B.v. 12.12.2016 – 5 C 10/15 D – juris).
2. Der Ersatzzwangshaft anordnende Beschluss des Verwaltungsgerichts ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil, wie der Antragsgegnerbevollmächtigte meint, aufgrund des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 30. August 2017 alle Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO einzustellen seien bzw. das Verfahren zur Anordnung der Ersatzzwangshaft deshalb gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen wäre.
2.1 Die Insolvenz des Vollstreckungsschuldners hindert die Vollstreckung von Ersatzzwangshaft grundsätzlich nicht (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 12 C 17.1553). Andernfalls könnte sich ein Schuldner allein unter Hinweis auf seine Insolvenz und Mittellosigkeit seinen Verpflichtungen entziehen (vgl. VG Potsdam, U.v. 9.1.2017 – 4 K 480/15 – juris; Troidl, in: Engelhardt, VwVG/VwZG, 11. Aufl. 2017, § 16 VwVG Rn. 3). Bei der hier vorliegenden Anordnung der Ersatzzwangshaft handelt es sich primär um eine höchstpersönliche Verbindlichkeit des Antragsgegners, bei der der Insolvenzverwalter nicht in die Pflichten des Schuldners eintritt (Kayser, in: Kreft, Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2011, § 80 InsO Rn. 29). Hierzu rechnen insbesondere solche Leistungen, die nicht ohne Änderung ihres Inhalts von einem anderen als dem Schuldner erbracht werden können (Kayser, in: Kreft, Insolvenzordnung, a.a.O., § 80 Rn. 29). Der Antragsgegner ist daher durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht daran gehindert, seiner (höchstpersönlichen) Unterlassungspflicht zu genügen und sein rechtswidriges Nutzungskonzept nicht weiter zu verfolgen.
2.2 Entgegen der Auffassung des Antragsgegnerbevollmächtigten ist vorliegend auch für eine Unterbrechung des anhängigen Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 240 ZPO kein Raum. Nach § 240 Satz 1 ZPO wird das Verfahren im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, zwar unterbrochen bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Nach Satz 2 gilt Entsprechendes, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Die Vorschrift findet jedoch nur dann Anwendung, wenn die Insolvenzmasse überhaupt (§ 35 InsO) betroffen ist, d.h. wenn der streitbefangene Gegenstand zur Insolvenzmasse gehört und aus ihr zu leisten oder zu erfüllen ist, wobei, worauf der Antragsgegnerbevollmächtigte zwar zu Recht hinweist, eine mittelbare Betroffenheit der Insolvenzmasse genügt (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 240 ZPO Rn. 4). Nicht betroffen ist die Insolvenzmasse hingegen durch alle nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, a.a.O., § 240 Rn. 6), wie sie, wie oben ausgeführt, hier vorliegt.
3. Entgegen der Auffassung des Antragsgegnerbevollmächtigten handelt es sich, wovon auch das Verwaltungsgericht völlig zu Recht ausgeht, bei der Verpflichtung des Antragsgegners um eine Unterlassungsverpflichtung. Diese Einschätzung zu widerlegen dient auch nicht die vom Antragsgegnerbevollmächtigten zitierte Rechtsprechung des Senats vom 9. Mai 2016 (12 CS 16.899). Soweit er Randnummer 4 der Entscheidung anführt, ist dies aus dem Zusammenhang gerissen. Denn an dieser Stelle wird begründet, warum zur Vollstreckung der Grundverfügung eine Ersatzvornahme nach Art. 32 Satz 1 BayVwZVG deshalb nicht in Betracht kommt, weil es sich bei der vom Antragsgegner geforderten Verpflichtung um eine unvertretbare Handlung (§ 188 ZPO) handelt. Lediglich beispielhaft ist angeführt, dass allenfalls die Räumung selbst eine vertretbare Handlung (§ 887 ZPO) wäre. Ausdrücklich weist der Senat jedoch darauf hin, dass dem Antragsgegner (dem dortigen Antragsteller) ein Wahlrecht zusteht, wie er der in der Grundverfügung auferlegten Verpflichtung, die Unterbringung von Personen mit kurzer Aufenthaltsdauer zu beenden, nachkommt. Davon geht auch das Verwaltungsgericht aus, indem es beispielhaft verschiedene Optionen für die Aufgabe seines Nutzungskonzepts aufzeigt und ausdrücklich darauf hinweist, dass die Abgabe einer Kündigungserklärung allein nicht genügt. Auf die Rechtsauffassung des Amtsgerichts München über die Unmöglichkeit der Kündigung kommt es deshalb entscheidungserheblich nicht an. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch nicht maßgeblich auf die vom Antragsgegner beanstandete Widersprüchlichkeit im Vortrag des Antragsgegners zur Kündigung abgestellt.
4. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Ersatzzwangshaft bei der Vollstreckung einer Unterlassungsverfügung stellt letztlich auch der Antragsgegnerbevollmächtigte nicht in Frage. Sie ist entgegen seiner Auffassung vorliegend auch nicht unangemessen. Nachdem die Zwangsgeldandrohung erfolglos geblieben ist und weder die Anwendung unmittelbaren Zwangs noch eine Ersatzvornahme in Frage kommen, stehen mildere Mittel als die Anordnung von Ersatzzwangshaft nicht mehr zur Verfügung. Die Einleitung eines Bußgeldverfahrens kommt nicht in Betracht, da dieses Verfahren in Art. 29 Abs. 2 BayVwZVG nicht als Zwangsmittel vorgesehen ist und außerhalb des Vollstreckungsrechts steht. Im Übrigen hat den Antragsgegner bislang nicht einmal die mehrfache Androhung eines Zwangsgeldes zu beeindrucken vermocht, so dass sich von daher nicht erschließt, wie ihn die Verhängung eines Bußgeldes erreichen sollte. Vielmehr kann in einem derartigen Fall Ersatzzwangshaft als einschneidenderes Mittel beantragt und angeordnet werden, wenn dies – wie hier – notwendig ist, um den Pflichtigen von künftigen weiteren Verstößen gegen ein Unterlassungsgebot – die Fortsetzung der Zweckentfremdung von Wohnraum – abzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.1996 – 8 C 96.216 – BayVBl 1996, 600; B.v. 20.8.1997 – 8 C 96.4230 –, NVwZ-RR 1998, 310; s. auch Käß, in: Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, BayVwZVG, Stand: März 2017, Art. 33 Rn. 10).
5. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Wideranträge als für das Beschlussverfahren nicht statthaft erachtet. § 89 VwGO ist in selbständigen Beschlussverfahren – wie hier – nicht anwendbar (vgl. § 122 Abs. 1 VwGO; Rennert, in: Eyermann, VwGO, a.a.O., § 89 Rn. 3). Im Übrigen wären auch bei Auslegung der vom Antragsgegner gestellten Anträge im Sinne des Antragstellerbevollmächtigten als Erinnerung gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung die „Wideranträge“ deshalb unzulässig, weil sie sich gegen den Gerichtsvollzieher richten, also einen im anhängigen Verfahren nicht beteiligten Dritten. Ein „Widerantrag“ könnte jedoch allenfalls gegen die Antragstellerin gestellt werden (vgl. Rennert, in: Eyermann, a.a.O., § 89 Rn. 5).
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da in Beschwerdeverfahren keine streitwertabhängigen Gebühren anfallen (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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