Insolvenzrecht

Erfolgloser Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Forderung im Insolvenzverfahren

Aktenzeichen  L 7 R 5125/16 B ER

Datum:
30.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2017, 732
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
InsO InsO § 179, § 185, § 302
SGG SGG § 86b Abs. 1 S. 1, § 197a
StGB StGB § 266a

 

Leitsatz

1 Es besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für ein sozialgerichtliches Eilverfahren bezüglich einer Forderung, die gemäß §§ 174 ff. InsO als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet wurde.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Das sozialgerichtliche Eilverfahren hat nicht den Zweck, ein „Vorabrechtsgutachten“ für ein Strafverfahren zu erstellen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 12 R 617/16 2016-07-27 Bes SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 450.000,- Euro festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer wendet sich im Eilverfahren gegen eine beabsichtigte Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen, die inzwischen im Insolvenzverfahren angemeldet sind.
Der Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er übernahm mit seinem 2008 gegründeten Einzelunternehmen „B. Transporte“ die Paketauslieferung für das H. Satellitendepot A-Stadt, bis 2013 über einen zwischengeschalteten Dritten. Zur Auslieferung der Pakete bediente sich der Antragsteller einiger Zusteller, die als Arbeitnehmer ordnungsgemäß sozialversichert waren und zahlreicher Paketzusteller, die als Selbstständige geführt wurden. Letztere stammten überwiegend aus Bulgarien und meldeten auf Veranlassung und mit Hilfe des Antragstellers eigene Gewerbe an.
Im Juni 2013 löste eine Überprüfung durch das Hauptzollamt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aus. Dies hatte zum Ergebnis, dass 43 Personen im Betrieb des Antragstellers tatsächlich in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig gewesen seien, jedoch nicht als solche gemeldet worden seien (Anklageschrift Staatsanwaltschaft A-Stadt, Az.: …).
Mit Schreiben vom 17.11.2015 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu ihrer Absicht an, für die 43 Beschäftigten insgesamt 1.908.186,- Euro an Beiträgen (einschließlich 609.754,50 Euro an Säumniszuschlägen) nachzufordern. Der Antragsteller äußerte sich hierzu nicht. Er ließ sich von seiner Ehefrau zu einem Lohn knapp über dem Mindestlohn anstellen.
Mit Beschluss vom 30.11.2015 eröffnete das Amtsgericht A-Stadt/Insolvenzgericht auf Antrag des Antragstellers das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen und bestellte einen Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 14.12.2015 meldete sich die Antragsgegnerin beim Insolvenzverwalter als Gläubigerin unter Hinweis auf §§ 38, 187 ff Insolvenzordnung (InsO). Aufgrund einer Betriebsprüfung ergäben sich Nachforderungen in Höhe von insgesamt 1.908.186,- Euro. Eine Zahlungsaufforderung sei mit diesem Schreiben nicht verbunden. Die Insolvenzforderungen würden von den zuständigen Einzugsstellen nach § 175 InsO gemeldet werden. Der Gesamtbetrag wurde im Gesamtsummenblatt auf die verschiedenen Krankenkassen aufgeschlüsselt. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers legte am 18.02.2016 Widerspruch gegen das Schreiben vom 14.12.2015 ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Es bestehe Vertrauensschutz wegen früheren Betriebsprüfungen. Es fehle an eigenen Amtsermittlungen der Antragsgegnerin. Daneben legte sie bei den Einzugsstellen Widerspruch ein, insbesondere wegen deren Anmeldung als Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (vgl. § 174 Abs. 2, § 175 Abs. 2, § 302 InsO). Die AOK verwies darauf, dass das Widerspruchsverfahren bei der Antragsgegnerin vorrangig sei. Der Insolvenzverwalter erklärte mit Schreiben vom 24.03.2016 gegenüber der Bevollmächtigten des Antragstellers, dass er die Zustimmung erteile, die Rechtmäßigkeit der Mitteilung des Antragsgegnerin und der zugehörigen Forderungsanmeldungen zu prüfen und Rechtsmittel einzulegen, jedoch auf eigene Kosten des Antragstellers.
Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 24.05.2016 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
Am 04.07.2016 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen „Geltendmachung einer Nachforderung in Höhe von 1.908.186,- Euro“. Auf den Hinweis des Sozialgerichts, dass das Rechtsschutzbedürfnis für das Eilverfahren während des anhängigen Insolvenzverfahrens fraglich sei, erklärte die Bevollmächtigte, dass es auch darum gehe, im Strafverfahren gegen den Antragsteller Nachteile zu vermeiden. Die Einzugsstellen würden zwar ihre Forderungen nicht aus der Insolvenztabelle abmelden, jedoch könne eine vorläufige Entscheidung bewirken, dass der Insolvenzverwalter die Forderungen nicht mehr ungeprüft zur Tabelle übernehme.
Mit Beschluss vom 27.07.2016 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Es fehle an einem Rechtsschutzbedürfnis. Eine Vollstreckung der strittigen Forderung drohe nicht, weil ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden sei. Forderungen seien von den Gläubigern zur Insolvenztabelle anzumelden, so hier durch die Krankenkassen. Während der Dauer des Insolvenzverfahrens seien Zwangsvollstreckungen durch einzelne Insolvenzgläubiger weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen zulässig, § 89 Abs. 1 InsO. Die Forderung sei vielmehr im Rahmen der Verteilung der Insolvenzmasse zu befriedigen. Ein Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich auch nicht in Hinblick auf das Strafverfahren. Eine verbindliche Äußerung des Sozialgerichts zur Frage einer Rechtswidrigkeit der Prüfmitteilung vom 14.12.2015 könne im Rahmen von § 86b SGG nicht erfolgen, da lediglich eine summarische Prüfung vorgenommen werde.
Der Antragsteller hat am 11.08.2016 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt und zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Eine Vollstreckung der Mitteilung vom 14.12.2015 sei bereits dadurch erfolgt, dass diese Grundlage der Anmeldung zur Insolvenztabelle durch die Einzugsstellen gewesen sei. Es handele sich um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, der den Vollzug gleichsam in sich trage. Im Eilverfahren sei zwar keine verbindliche Aussage zur Rechtswidrigkeit zu erlangen, wohl aber ein Wahrscheinlichkeitsurteil.
Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 27.07.2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Prüfmitteilung vom 14.12.2015 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht Augsburg den Eilantrag zu Recht abgelehnt hat.
a) Der Antragsteller wendet sich gegen eine Vollstreckung aus dem Schreiben vom 14.12.2015. Mittelbar will er daneben mit Hilfe eines für ihn positiven Beschlusses aus diesem Eilverfahren auf das Strafverfahren einwirken, das ihm gemäß § 266a StGB bevorsteht.
Für dieses Verfahren ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1984, IX ZR 45/83). Die Feststellung einer Forderung, die im Insolvenzverfahren bestritten wurde, ist nach § 185 InsO vor dem zuständigen Gericht zu verfolgen oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Die Sozialbehörde hat also einen Feststellungsbescheid zu erlassen, der hier im Schreiben vom 14.12.2015 vorliegt. Hierfür ist der Rechtsweg nach § 51 SGG gegeben.
b) Weil Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung durch eine Restschuldbefreiung nicht beseitigt werden (§ 302 InsO), besteht für diesen Schuldgrund ein gesondertes Widerspruchsrecht des Schuldners (vgl. § 175 Abs. 2 InsO). Diese Feststellung ist nicht Gegenstand des Schreibens vom 14.12.2015 und auch nicht Gegenstand dieses Eilverfahrens. Im Übrigen wäre dafür der Rechtsweg zum Zivilgericht gegeben (BSG, Beschluss vom 14.07.2014, B 11 SF 1/14 R).
2. Mit Insolvenzeröffnung geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht gemäß § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, so dass dieser Partei kraft Amtes wird. Hier hat der Antragsteller durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 24.03.2016 jedoch wieder eine eigene Prozessführungsbefugnis erlangt.
3. Das Schreiben vom 14.12.2015 ist ein feststellender Verwaltungsakt. Daher ist ein Antrag in Bezug auf eine aufschiebende Wirkung nach § 86b Abs. 1 S. 1 SGG statthaft.
Laut Urteil des BSG vom 30.10.2013, B 12 AL 2/11 R, Rn. 31, ist eine Prüfungsmitteilung nach § 7 Abs. 4 Beitragsverfahrensordnung kein Verwaltungsakt, wenn eine Prüfung ohne Beanstandung bleibt – das war hier bei einer Nachforderung von 1,9 Mio. Euro aber gerade nicht der Fall. Inhalt und Formulierungen im Schreiben vom 14.12.2015 sprechen ebenfalls für einen Verwaltungsakt. Die Antragsgegnerin wollte mit dem Schreiben zwar keine unmittelbare Zahlung bewirken („Eine Zahlungsaufforderung ist damit nicht verbunden.“), aber sie wollte mit der Beitragsforderung Eingang in das Insolvenzverfahren finden und an der Verteilung der Masse nach §§ 187 ff InsO teilhaben. Dass die einzelnen Forderungen von den zuständigen Einzugsstellen gemäß §§ 174 ff InsO zur Tabelle angemeldet wurden, ändert daran nichts. Das gilt erst recht dann, wenn die Einzugsstelle AOK den Widerspruch bei der Antragsgegnerin als vorrangig bezeichnet.
4. Es besteht aber, wie das Sozialgericht zu recht feststellt, kein Rechtsschutzbedürfnis für ein sozialgerichtliches Eilverfahren für eine Forderung, die gemäß §§ 174 ff InsO als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet wurde. Es besteht kein Bedarf, den Vollzug von Forderungen, die wegen dem laufenden Insolvenzverfahren nicht vollzogen werden können, durch gerichtliche Anordnung zu unterbinden. Das sozialgerichtliche Eilverfahren hat auch nicht den Zweck, ein „Vorabrechtsgutachten“ für ein Strafverfahren zu erstellen.
Ein sozialgerichtliches Eilverfahren ist nicht erforderlich. Eine Vollstreckung droht im laufenden Insolvenzverfahren wegen §§ 87, 89 Abs. 1 InsO nicht.
Wenn eine Forderung vom Insolvenzverwalter bestritten wird, ist ein Feststellungsprozess in einem Klageverfahren zu führen (§§ 179, 180 InsO). Widerspricht der Schuldner, hier der Antragsteller, einer Forderung, so hat im Regelfall der Insolvenzgläubiger eine Feststellungsklage nach § 184 Abs. 1 InsO zu erheben.
Nach § 185 InsO ist die Feststellung auf dem einschlägigen Rechtsweg zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Dies bedeutet, dass die zuständige Sozialverwaltung einen Feststellungsbescheid über geschuldete Sozialversicherungsbeiträge erlässt, der mit einem Widerspruch nach § 83 SGG angefochten und gegen den anschließend Feststellungsklage zum Sozialgericht erhoben werden kann (Eberhard Braun, Insolvenzordnung, 6. Auflage 2014, § 185 Rn. 5 ff). Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 14.12.2015 die Beitragsnachforderungen festgestellt.
Ein Beschluss in einem Eilverfahren kann eine Forderung im Insolvenzverfahren ohnehin nicht verändern. Es ist, wie oben dargelegt, eine Feststellungsklage als Hauptsacheverfahren zu verfolgen. Die rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern, § 183 Abs. 1 InsO. Ein Beschluss in einem Eilverfahren hat keine derartige Wirkung.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 4, § 52 Abs. 1 GKG. Die strittige bezifferte Geldforderung von 1.908.186,- Euro wird, weil es sich um ein Eilverfahren handelt, auf ein Viertel reduziert.
7. Für das Beschwerdeverfahren ist Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren, weil von Anfang an keinerlei Erfolgsaussicht bestand. Ein sozialgerichtliches Eilverfahren ist nicht geeignet, eine Forderung, die in einem Insolvenzverfahren angemeldet wurde, zu verändern, und das Eilverfahren ist nicht erforderlich, weil eine Vollstreckung der einzelnen Forderung nicht möglich ist.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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