Aktenzeichen 23 O 344/17
FVG § 18a Abs. 1
EGInsO Art. 103j Abs. 2
Leitsatz
Der „OK-Vermerk“ auf einem Fax-Sendebericht belegt das Zustandekommen der Verbindung mit dem Empfangsgerät. Bestreitet der Sendungsempfänger den Zugang der Sendung, hat er im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vorzutragen, welches Gerät er an der Empfangsstelle betrieben hat, ob die Verbindung im Speicher des Gerätes enthalten ist und ob und auf welche Weise er eine Dokumentation des Empfangsjournales geführt hat (ebenso BGH BeckRS 2014, 04846). Liegt die Sendung längere Zeit zurück, genügt das Land hinsichtlich eines bei einem Finanzamt bereitgehaltenen Empfangsgerätes dieser Darlegungslast, wenn es darlegt, dass eingehende Sendungen bei der vorgegebenen Bearbeitung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang aktenkundig werden, dies in dem konkreten Fall jedoch nicht geschehen sei (entgegen OLG München BeckRS 2018, 40852 Rn. 17). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 10.355,10 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.05.2014 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.02.2016 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 77 % und der Beklagte 23 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis 09.11.2017 auf 45.235,01 €, danach auf 45.060,46 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
A.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht … ist für die Klage nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig; eine Sonderzuweisung an die Finanzgerichte ist nicht gegeben. Anders als für Insolvenzanfechtungsklagen gegen Arbeitnehmer auf die Rückzahlung von Arbeitslohn, für welche der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist, besteht in Konstellationen wie der vorliegenden kein Bedürfnis nach einem besonderen verfahrensrechtlichen Schutz des Anfechtungsgegners (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2011 – IX ZB 36/09; BAG, Beschluss vom 17.9.2014 – 10 AZB 4/14). Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts … ergibt sich aus 18 ZPO i.V.m. § 3 Abs. 1 BayVertrV; der Beklagte … wird von dem …, vertreten, § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 BayVertrV. Der Kläger ist als Insolvenzverwalter zur Geltendmachung der Ansprüche in eigenem Namen als Partei kraft Amtes befugt, § 80 Abs. 1 InsO.
B.
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
I.
Soweit mit der Klage die Rückzahlung einer geleisteten Zahlung vom 07.10.2013 geltend gemacht wird, die unstreitig (vgl. Bl. 47 d.A.) die Kfz-Steuer betrifft, ist der Beklagte bereits nicht passivlegitimiert. Maßgeblich für die Bestimmung des Anfechtungsgegners im Zusammenhang mit der Entrichtung von Steuern oder Abgaben ist die Frage, wer die Verwaltungshoheit hinsichtlich der entrichteten Abgaben hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.05.2012 – IX ZR 125/11). Die streitgegenständliche Zahlung fällt in den Zeitraum zwischen 01.07.2009 und 30.06.2014, innerhalb dessen sich gemäß § 18a Abs. 1 S. 1 FVG (a.F.) das für die Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer zuständige Bundesministerium der Finanzen bei der Verwaltung der Kraftfahrzeugsteuer der Landesfinanzbehörden im Wege der Organleihe bedient hat. Nach § 18a Abs. 1 S. 2 FVG galten im vorbenannten Zeitraum die Landesfinanzbehörden als Bundesfinanzbehörden, soweit sie Kfz-Steuer verwaltet haben, und unterlagen der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Die Verwaltungskompetenz hinsichtlich der Kfz-Steuer stand mithin dem Bund zu, das sich der Landesfinanzbehörden als Organe eines anderen Rechtsträgers – des Beklagten – bedient hat. Infolge der Zuordnung zum Aufgaben- und Befugnisbereich des Entleihers wird die Landesfinanzbehörde wie eine untergeordnete Behörde für den Entleiher, im Falle der Kfz-Steuer in dem vorbenannten Zeitraum damit für die Bundesrepublik Deutschland, tätig (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 10.01.2017 – 303 O 515/15).
II.
Soweit der Kläger als Insolvenzverwalter die durch die Insolvenzschuldnerin am 15.01.2014 und am 20.02.2014 geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 10.355,10 EUR angefochten hat, steht ihm gegen den Beklagten ein Rückzahlungsanspruch nach § 129 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO a.F. zu.
1. Maßgeblich für die geltend gemachten Anfechtungsansprüche sind gemäß Art. 103j Abs. 1 EGInsO die bis zum 05.04.2017 geltenden Vorschriften der Insolvenzordnung. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wurde am 30.05.2014 und damit vor dem Stichtag 05.04.2017 eröffnet. Ansprüche auf Zinsen unterliegen vor dem 05.04.2017 den bis. dahin geltenden Vorschriften, Art. 103j Abs. 2 S. 1 EGInsO.
2. Sämtliche verfahrensgegenständlichen Zahlungen der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten bzw. das Finanzamt … stellen Rechtshandlungen i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO dar, die grundsätzlich der Anfechtung unterworfen sind. Gemäß § 129 Abs. 1 InsO unterliegen solche Rechtshandlungen der Insolvenzanfechtung, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Eine Rechtshandlung in diesem Sinne setzt ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraus; der Schuldner muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert (BGH, Urteil vom 19.09.2013 – IX ZR 4/13 m.w.N.). Eine Gläubigerbenachteiligung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, sich mithin die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2014 – IX ZR 240/13 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Zahlungen wurden insbesondere nicht im Wege der Zwangsvollstreckung vereinnahmt; soweit die Zahlung vom 31.01.2014 auf einer Kontenpfändung beruht, ist diese Zahlung nicht Gegenstand des Verfahrens. Weitere Anhaltspunkte, die Zweifel den dem Vorliegen einer Rechtshandlung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO wecken könnten, sind nicht ersichtlich. Durch die angefochtenen Lohnsteuerzahlungen, die ausweislich der als Anlage K 4 vorgelegten Kontoauszüge von einem Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin geflossen sind, ist das Aktivvermögen der Insolvenzschuldnerin verkürzt und insoweit der Zugriff der anderen Gläubiger auf ihr Vermögen vereitelt worden (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – IX ZR 180/12 m.w.N.).
2. Im Zeitpunkt der Vornahme der hier verfahrensgegenständlichen Zahlungen war die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht – mithin auch im Insolvenzanfechtungsrecht – nach § 17 InsO (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – IX ZR 180/12 m.w.N.; Eilenburger, in: Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2013, § 17 Rn. 32). Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 17 Abs. 2 InsO gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverbindlichkeiten zu erfüllen, § 17 Abs. 2 S. 1 InsO, und ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, § 17 Abs. 2 S. 2 InsO. Der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin zum Stichtag 31.03.2013, jedenfalls im Zeitpunkt der Vornahme der durch den Kläger angefochtenen Zahlungen, zahlungsunfähig war, wurde zwischen den Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.01.2018 unstreitig gestellt (Bl. 47 d.A.).
3. Gemäß § 133 Abs. 1 S. 1 InsO a.F. ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
a. § 133 Abs. 1 InsO a.F. ist vorliegend anwendbar. Der Umstand, dass die Zahlungen vom 15.01.2014 und 20.02.2014 innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgten und damit ggf. auch unter diesem Gesichtspunkt anfechtbar wären, steht einer Anwendbarkeit des § 133 Abs. 1 InsO nicht entgegen. Die Anfechtungstatbestände des Insolvenzrechts stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus (vgl. Huber, in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Auflage 2015, § 46 Rn. 6 sowie § 48 Rn. 36; Ede/Hirte, in: Uhlenbrock, Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 133 Rn. 6 sowie zum Meinungsstand § 133 Rn. 104; entsprechend unter der Geltung der Konkursordnung BGH, Urteil vom 15.03.1972 – VIII ZR 159/70).
b. Die zehnjährige Frist des § 133 Abs. 1 S. 1 InsO i.V.m. § 139 Abs. 1 InsO, gerechnet vom Tag der Insolvenzantragstellung, ist vorliegend ohne Weiteres in Hinblick auf beide Zahlungen (vom 15.01.2014 und 20.02.2014) eingehalten.
c. Der erforderliche Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten der Insolvenzschuldnerin ist vorliegend gegeben.
(1) Der Schuldner handelt mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er die Benachteiligung der Gläubiger als Erfolg seiner Rechtshandlung will oder als mutmaßliche Folge erkennt und billigt. Er muss also entweder wissen, dass er neben dem Anfechtungsgegner nicht alle Gläubiger innerhalb angemessener Zeit befriedigen kann, oder sich diese Folge zumindest als möglich vorgestellt, aber in Kauf genommen haben, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen. Kennt der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit oder seine drohende Zahlungsunfähigkeit, kann daraus nach ständiger Rechtsprechung auf einen Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden. In diesem Fall handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände – etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können – mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann (BGH, Urteil vom 5. März 2009 – IX ZR 85/07 IX ZR 85/07).
(2) Die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen ist zwischen den Parteien unstreitig und war auch deren Geschäftsführer bekannt. Dies ergibt sich unabhängig von der Frage, ob das entsprechende Schreiben dem Finanzamt … im Juni 2013 auch tatsächlich zugegangen ist (siehe dazu unten B. III.2.b.(2)) aus dem Schreiben vom 05.06.2013 (Anlage K 3). Die Existenz dieses Schreibens an sich sowie seine Urheberschaft wurden seitens des Beklagten im Verfahren nicht angegriffen. Soweit der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin damit Anfang Juni 2013 ein Schreiben zumindest aufgesetzt hat, in dem er von „Liquiditätsengpass“ und „Zahlungsunfähigkeit“ sprach, muss davon ausgegangen werden, dass er insgesamt die zur mindestens drohenden, wenn nicht bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit führenden Umstände kannte und ihm bewusst war oder er jedenfalls in Kauf nahm, mit der Leistung der Zahlung an den Beklagten, respektive das Finanzamt …, andere Gläubiger nicht befriedigen zu können.
d. Hinsichtlich der beiden Zahlungen vom 15.01.2014 und 20.02.2014 ist nach der Gesamtwürdigung des Akteninhalts sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass dem Finanzamt … Umstände bekannt waren, aus denen es zwingend auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit schließen musste.
(1) Da der Anfechtungsgegner im Allgemeinen in die fälligen Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners keinen Einblick hat, muss – soweit es um seine Kenntnis von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geht – darauf abgestellt werden, ob sich die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung seiner Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner ersichtlichen Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der Art der Forderung, der Person des Schuldners und dem Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs, als ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010, IX ZR 70/08; OLG Hamburg, Urteil vom 17.12.2010 – 1 U 148/09).
(2) Der Beklagte bzw. das Finanzamt …, auf dessen Kenntnis es vorliegend ankommt, wussten, dass am 18.12.2013 eine Rücklastschrift erfolgt war; die Lohnsteuerschulden für November – fällig am 10.12.2013 (Anlage B 2) wurden im Folgenden trotz einer – im automatisierten Verfahren versandten – Mahnung und einer nachfolgenden Vollstreckungsankündigung (vgl. Bl. 48 d.A.) nicht beglichen, so dass das Finanzamt … unter dem 30.01.2014 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erließ (Anlage B 2), auf welche durch die Drittschuldnerin, die kontoführende Bank, mit Wertstellung bei dem Finanzamt … vom 03.02.2014 eine Zahlung leistete (Anlage B 3). Die am 10.12.2013 fälligen Abgabenschulden wurden mithin erst sieben Wochen nach deren Fälligkeit beglichen. Die Rückgabe von Lastschriften stellt bereits ein erhebliches erstes Beweisanzeichen für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit dar (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2010 – IX ZR 70/08); die Bank war offensichtlich nicht bereit, weitere Verfügungen zuzulassen. Weiter war für das Finanzamt ersichtlich, dass der Ausgleich der Forderung erst weit, namentlich 7 Wochen, nach Fälligkeit durch den Drittschuldner erfolgte. Der Umstand, dass zwischenzeitlich am 15.01.2014 eine weitere Lastschrift eingelöst werden konnte, ist angesichts dessen, dass die offene Abgabenforderung weiterhin nicht ausgeglichen war und offenbar mangels verfügbarer Mittel auch nicht unmittelbar ausgeglichen werden konnte, nicht geeignet, die Kenntnis des Beklagten zu beseitigen, zumal für die Zahlung vom 15.01.2014 von einer Fortwirkung der beklagtenseits ausgesprochenen Vollstreckungsankündigung auszugehen ist.
(3) Bereits ab dem 15.01.2014 Zeitpunkt greift die Beweislastumkehr des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. Es obliegt ab diesem Zeitpunkt dem Beklagten, nachzuweisen, dass eine bestehende Kenntnis von einer (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners nachträglich wieder entfallen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2008 – IX ZR 98/07; BGH, Urteil vom 25.10.2012 – IX ZR 117/11). Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung und eine hierdurch indizierte Kenntnis kann nur beseitigt werden, indem der Schuldner seine Zahlungen allgemein im vollen Umfang wieder aufnimmt. Hierzu ist Beklagtenseits nicht substantiiert vorgetragen.
e. Der Beklagte respektive das Finanzamt … hatte hinsichtlich der Zahlungen vom 15.01.2014 und 20.02.2015 auch Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung. Jedenfalls institutionelle Gläubiger müssen bei einer unternehmerisch tätigen Insolvenzschuldnerin immer damit rechnen, dass weitere Gläubiger vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 15.3.2012 – IX ZR 239/09 m.w.N.). Die Insolvenzschuldnerin war unternehmerisch tätig; auch für das lediglich für die Bearbeitung der Lohnsteuer nebst Nebensteuern zuständige Finanzamt … war ersichtlich, dass die Insolvenzschuldnerin neben ihren Arbeitnehmern auch weitere Gläubiger wie z.B. die Sozialversicherungsträger, Lieferanten o.ä. haben musste.
4. Gemäß § 143 Abs. 1 S. 1 InsO a.F. muss zur Insolvenzmasse zurückgegeben werden, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners erlangt worden ist. Die Zahlungen vom 15.01.2014 und 20.02.2014 summieren sich auf einen Betrag von 10.355,10 EUR.
III.
Soweit der Kläger weitere Lohnsteuerzahlungen der Insolvenzschuldnerin, namentlich insgesamt sieben Zahlungen zwischen 13.06.2013 und 14.11.2013 (Nrn. 1-6, 9 der Tabelle) angefochten hat, war die Klage als unbegründet abzuweisen.
1. Hinsichtlich der Zahlungen zwischen dem 13.06.2013 und 14.11.2013 kommt als Anfechtungstatbestand lediglich § 133 Abs. 1 InsO a.F. in Betracht; für eine Anfechtung nach den §§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 1 InsO ist vorliegend angesichts dessen, dass sämtliche Zahlungen außerhalb der längstens dreimonatigen Frist der §§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 InsO liegen, kein Raum.
2. Die für eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO erforderliche Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist vorliegend nicht zur Überzeugung des Gerichtes durch den insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger (vgl. Ede/Hirte, in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 133 Rn. 59) nachgewiesen.
a. Gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Handeln des Insolvenzschuldners mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Entsprechendes gilt, wenn der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die zwingend auf eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten (Kayser, in: Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2013, § 133 Rn. 24, 38a). Da der Anfechtungsgegner im Allgemeinen in die fälligen Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners keinen Einblick hat, muss – soweit es um seine Kenntnis von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geht – darauf abgestellt werden, ob sich die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung seiner Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner ersichtlichen Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der Art der Forderung, der Person des Schuldners und dem Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs, als ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010, IX ZR 70/08; OLG Hamburg, Urteil vom 17.12.2010 – 1 U 148/09; siehe auch oben B. II. 3. d.).
b. Die Kenntnis des Beklagten, respektive des Finanzamtes …, ergibt sich nicht aus dem Schreiben vom 03.06.2013 (Anlage K 3).
(1) Das Schreiben wäre für sich genommen geeignet gewesen, die Kenntnis des Finanzamtes … von Umständen zu begründen, die zur Annahme einer zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit hätten führen müssen. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hat in dem Schreiben dargelegt, die Insolvenzschuldnerin habe einen Liquiditätsengpass, es müsse Zahlungsunfähigkeit mitgeteilt werden. Gleichzeitig wurde angegeben, dass angesichts der aktuellen Umsatzentwicklung erwartet werde, diese Liquiditätsengpässe innerhalb von drei bis vier Monaten nahezu überwunden haben, weshalb gebeten werde, die Zahlungsverpflichtungen für vier Monate zu stornieren (Anlage K 3). Der Zeitraum, für den die Insolvenzschuldnerin selbst davon ausging, ihre fälligen Verbindlichkeiten nicht vollständig bedienen zu können, ging mit vier Monaten deutlich über den 3-Wochen-Zeitraum hinaus, der nach der Rechtsprechung zur Annahme einer jedenfalls nur vorläufigen Zahlungsstockung zugrundegelegt wird (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2010 – IX ZR 70/08).
(2) Die Frage nach der Eignung des Schreibens zur Begründung einer früheren Kenntnis des Beklagten kann vorliegend jedoch dahinstehen. Das Schreiben kann jedenfalls nur dann als kenntnisbegründend gewertet werden, wenn es dem Finanzamt … tatsächlich zugegangen ist. Der Zugang des Telefaxschreibens ist nach Auffassung des Gerichtes durch den insoweit beweisbelasteten Kläger nicht nachgewiesen.
(a) Das Schreiben vom 05.06.2013 wurde durch die Insolvenzschuldnerin bzw. deren Geschäftsführung ausschließlich per Telefax versandt. Dass das Schreiben zusätzlich im Post- oder auf anderem Wege an das Finanzamt gesandt wurde, wird auch seitens des Klägers nicht behauptet. Der von dem Kläger vorgelegte Fax-Sendebericht (Anlage K 3), der einen „OK-Vermerk“ enthält, begründet keinen Beweis des ersten Anscheins für den tatsächlichen Zugang der Sendung, sondern belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät (vgl. BGH, Beschluss vom 12.04.2016 – VI ZB 7/15; BVerwG, Beschluss vom 14.06.2017 – 2 B 57.16; OLG München, Urteil vom 02.07.2008 – 7 U 2451/08).
(b) Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf höchstrichterliche Entscheidungen (vgl. OLG München, Urteil vom 02.07.2008 – 7 U 2451/08; OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 17.12.2012 – 2 U 1249/11) dargelegt hat, dass im Falle der Vorlage eines Fax-Sendeberichts mit OK-Vermerk der Sendungsempfänger, der den Zugang der Sendung bestreite, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vorzutragen habe, welches Gerät er an der Empfangsstelle betreibe, ob die Verbindung im Speicher des Gerätes enthalten ist und ob und auf welche Weise er eine Dokumentation des Empfangsjournales führe (vgl. OLG München, Urteil vom 02.07.2008 – 7 U 2451/08; OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 17.12.2012 – 2 U 1249/11), hat der Beklagte nach Auffassung des Gerichts seine sekundäre Darlegungslast vorliegend durch in Anbetracht des Zeitablaufes hinreichenden Vortrag erfüllt. Der Vertreter des Finanzamtes … hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, das entsprechende Schreiben sei dort jedoch vor der Insolvenzanfechtung und Vorlage durch den Insolvenzverwalter nicht bekannt gewesen. Das Schreiben sei nicht aktenkundig. Man habe sowohl intern als auch durch Nachfrage bei dem weiter für die Veranlagung der Insolvenzschuldnerin zuständigen Finanzamt … ohne Ergebnis nachgeforscht. Von Faxeingangsprotokollen sei nicht bekannt. Der Zeuge … hat im Rahmen seiner uneidlichen Einvernahme insoweit angegeben, dass unter der aus dem Sendeprotokoll ersichtlichen Faxnummer das allgemeine Fax des Finanzamtes … betrieben werde; ein Posteingangsbuch werde nicht geführt. Die auf dem allgemeinen Fax eingehenden Schreiben würden gesichtet und je nach angegebener Steuernummer einem Vorgang zugeordnet; soweit – wie hier – eine Steuernummer nicht angegeben sei, werde versucht, die Steuernummer anhand des Absenders herauszufinden. Die Schreiben würden thematisch bewertet und der entsprechenden Abteilung zugeleitet. Diese Angaben sind insgesamt ausreichend, um der sekundären Darlegungslast des Beklagten zu genügen; insbesondere hat der Beklagte konkret dargelegt, welche Nachforschungen er hinsichtlich des Schreibens angestellt hat. Die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast dürfen nicht in einer Weise überspannt werden, dass sie zu einer Umkehr der Beweislast führen, insbesondere wenn es sich, wie hier, um eine Negativtatsache handelt. Dies gilt insbesondere angesichts des Zeitablaufes: Zwischen dem Versand des Schreibens am 05.06.2013 und der Anfechtung mit Schreiben vom 04.11.2015 lagen knapp 2,5 Jahre. Eine Rechtsgrundlage, welche die Finanzbehörden verpflichten würde, Faxeingangsprotokolle derart lang aufzuheben, ist nicht bekannt; die Aufbewahrungsbestimmungen für die Finanzverwaltungen verhalten sich zur Aufbewahrung von Fax-Eingangsprotokollen nicht. Aus der Geschäftsordnung für Finanzämter (FAGO) ergibt sich wiederum, dass sämtliche Eingänge – Dokumente und Daten auf Papier oder in elektronischer Form, Ziffer 3.1 (1) FAGO – grundsätzlich in den Geschäftsgang gegeben und dort bearbeitet werden, Ziffer 3.1. (2) FAGO. Der Umstand, dass das Schreiben vom 05.06.2013 nicht aktenkundig ist, müsste somit dafür sprechen, dass sämtliche Sachbearbeiter im Finanzamt … entgegen ihrer Geschäftsordnung und dem Geschäftsgang zuwider ein eingegangenes Faxschreiben nicht bearbeitet, weitergegeben oder dokumentiert hätten. Diese bloße, durch den Kläger nicht substantiiert vorgetragene Möglichkeit reicht vorliegend nicht aus, um den Zugang für nachgewiesen zu halten.
c. Weitere Umstände, aus welchen das Finanzamt … einen zwingenden Schluss auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit ziehen musste, sind seitens des Klägers nicht dargelegt worden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass bis einschließlich 14.11.2013 die Lohnsteuerzahlungen per Lastschrifteinzug erfolgt sind und es weder in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum noch davor zu Rücklastschriften kam. Weiter ist nicht ersichtlich, dass das Finanzamt … aus anderen Quellen Einblick in die Geschäftstätigkeit und insbesondere wirtschaftlichen Verhältnissen der Insolvenzschuldnerin gehabt haben könnte; dem Vortrag des Beklagten, dass das Finanzamt … ausschließlich für die Veranlagung zur Lohnsteuer zuständig sei und insbesondere keinen Einblick in die Bilanzen der Insolvenzschuldnerin habe, ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Eine Zurechnung etwaiger Kenntnisse anderer Finanzbehörden findet nicht statt.
IV.
Der Kläger hat im tenorierten Umfang Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.
1. Der Zinsanspruch ergibt sich gemäß § 103j Abs. 2 EGInsO für den Zeitraum bis 04.04.2017 aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2, 247 BGB; Zinsen sind ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu bezahlen (vgl. BGH, Urteil vom 01.02.2007 – IX ZR 96/04). Für den Zeitraum ab 05.04.2017 ergibt sich der Zinsanspruch aus § 143 Abs. 1 S. 3 InsO in der ab 05.04.2017 gültigen Fassung. Der Beklagte befand sich infolge der außergerichtlich ausgetauschten (Mahn-)Schreiben (Anlagenkonvolut K 5) jedenfalls zu diesem Zeitpunkt mit der Rückzahlung des berechtigten Forderungsbetrages in Verzug.
2. Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus dem zutreffenden Gegenstandswert von 10.355,10 EUR unter dem Gesichtspunkt des Verzuges. Die Anfechtung wurde mit Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.11.2015 erklärt, der Anspruch beziffert und eine Zahlungsfrist bis 30.11.2015 gesetzt (Anlage K 6); hierin liegt eine wirksame Mahnung vor. Die Differenz zu der späteren Klageforderung ist zum einen darin begründet, dass in der Zahlungsaufforderung ausgerechnete Zinsen bis 26.10.2015 sowie die im Wege der Pfändung vereinnahmte Zahlung über 5.365,66 EUR enthalten waren; letztere wurde beklagtenseits außergerichtlich anerkannt. Im Übrigen stellt eine sog. Zuvielmahnung eine wirksame Mahnung dar, wenn der Schuldner, wie hier, die Erklärung des Gläubigers nach den Umständen des Falles als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muss (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 77. Auflage 2018, § 286 Rn. 20). Der Klägervertreter hat weiter angegeben, nach der Ablehnung der Rückzahlung durch den Beklagten mit Schreiben vom 04.12.2015 durch den Insolvenzverwalter mit der Durchsetzung des Anspruches beauftragt worden zu sein; dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Der Höhe nach ergibt sich bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG) und Mehrwertsteuer ein Betrag in Höhe von 958,19 EUR. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen; im Übrigen bestimmt sich die Kostenquote nach dem Ausmaß des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens, ohne Berücksichtigung von Nebenforderungen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 GKG.