Insolvenzrecht

Rechtsmittel, Gefährdung, Vollstreckungserfolg, Zwangsvollstreckung, Unverletzlichkeit der Wohnung

Aktenzeichen  5 T 4987/16

Datum:
20.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152405
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AO § 287
ZPO § 758a

 

Leitsatz

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird festgestellt, dass die vom Amtsgericht Erlangen angeordnete Durchsuchung der Wohnung der Schuldnerin vom 05.07.2016 rechtswidrig war.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 935,50 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Das Finanzamt E. vollstreckt gegen die Schuldnerin Gerichtskosten von insgesamt 883,50 Euro zzgl. Gebühren (Az. 233/16/32; 234/16/32; 414/16/32). Dem Vollziehungsbeamten wurde am 04.07.2016 durch das Zentralfinanzamt Nürnberg Vollstreckungsauftrag erteilt (Az. PfVst – 2605). Er traf am 05.07.2016 die Schuldnerin an ihrer Wohnanschrift an. Sie verweigerte ihm den Zutritt zu ihrer Wohnung, woraufhin er ihr ankündigte, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken.
Das Amtsgericht Erlangen (Az. 605 M 2193/16) ordnete am 05.07.2016 auf Antrag des Finanzamts E. die Durchsuchung der Wohnung der Schuldnerin an.
Hiergegen wendete sich die Schuldnerin mit Schreiben vom 06.07.2016, in welchem sie auf die ergangene Anordnung Bezug nimmt und außerdem die Herausgabe von während der Durchsuchung gepfändeten Gegenständen begehrt. Das Amtsgericht Erlangen hat das Schreiben als sofortige Beschwerde behandelt und dieser nicht abgeholfen. Soweit die Schuldnerin die Herausgabe von Pfandgegenständen begehrt, wurde ein eigenständiges Verfahren eingeleitet.
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
a) Die sofortige Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist statthaft.
(1) Auch für auf Grund von § 287 AO erlassene Durchsuchungsanordnungen ist das Verfahrensrecht der ZPO anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss v. 06.02.14, Az. VII ZB 37/13, Rn. 7).
(2) Das Amtsgericht hat das Schreiben der Schuldnerin vom 06.07.2016 zu Recht als sofortige Beschwerde ausgelegt. Die sofortige Beschwerde kann sich nach der Durchführung der Durchsuchung nur noch auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Durchsuchungsanordnung beziehen (vgl. BFH, Urteil v. 5.11.1976, Az. VII B 35/76). Das Rechtsschutzbegehren der im Beschwerdeverfahren nicht vertretenen Schuldnerin ist daher entsprechend auszulegen.
(3) In der Rechtsprechung und Literatur ist es allerdings umstritten, ob und wenn ja welches Rechtsmittel gegen eine Durchsuchungsanordnung statthaft ist. Ausgangspunkt für die Debatte ist ihre unterschiedliche Einordnung als Entscheidung im Vollstreckungsverfahren, als Vollstreckungsmaßnahme oder lediglich als Vorbereitungsakt einer Vollstreckungsmaßnahme.
In der Literatur wird die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels zum Teil abgelehnt, weil die Durchsuchungsanordnung im Sinne von § 287 Abs. 4 AO wie auch nach dem fast gleichlautenden § 758a Abs. 4 ZPO selbst noch keine Vollstreckungsmaßnahme darstelle. Sie ergehe zwar in einem Vollstreckungsverfahren, bereite als Erlaubnis der Durchsuchung aber lediglich eine Vollstreckungsmaßnahme vor. Mangels ausdrücklicher Anordnung im Gesetz stehe dem Schuldner daher kein Rechtsbehelf dagegen zu (vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 31. Auflage 2017, § 758a, Rn.36). Teilweise wird auch vertreten, es hänge davon ab, ob der Schuldner vor der Anordnung vom Gericht angehört worden sei, dann angreifbar mit sofortiger Beschwerde, oder nicht, dann kein Rechtsmittel. Das überzeugt nicht. Die Erlaubnis der Durchsuchung ermöglicht dem Vollziehungsbeamten bzw. Gerichtsvollzieher das Betreten der Wohnung des Schuldners gegen dessen Willen. Zwar steht die Durchführung der Wohnungsdurchsuchung in seinem pflichtgemäßen Ermessen, er kann also auch von ihr absehen. Trotzdem besteht ein Rechtsschutzinteresse des Schuldners an der Beseitigung der Anordnung, weil mit der Erteilung der Erlaubnis die Wohnungsdurchsuchung jederzeit möglich ist und damit ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung unmittelbar droht (Art. 13 GG). Dann gebietet aber im Hinblick auf die Schwere des drohenden Eingriffs das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass die Durchsuchungsanordnung vorbeugend angreifbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.07.2015, Az. 1 BvR 625/15, Rn. 18 – iuris).
Die Rechtsprechung bejaht deswegen die Rechtsmittelfähigkeit der Durchsuchungsanordnung zu Recht. Sofern zuvor eine Anhörung des Schuldners erfolgt ist, besteht weitgehend Einigkeit, dass dann dagegen mit einer sofortigen Beschwerde vorzugehen ist. In diesem Fall habe das Gericht Einwände des Schuldners berücksichtigt und damit eine Entscheidung im Vollstreckungsverfahren getroffen. Hat jedoch wie vorliegend eine Anhörung vorher nicht stattgefunden, wird darüber gestritten, ob eine unbefristete Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO: LG Berlin, Beschluss v. 01.09.2014, Az. 51 T 742/14; LG Lübeck, Beschluss vom 30.06.2008, Az. 7 T 293/08; KG Berlin, Beschluss v. 17.12.1985, Az. 1 W 2537/85; LG Oldenburg, Beschluss v. 30.05.1984, Az. 6 T 415/84; LG Ansbach, Beschluss v. 31.08.1983, Az. 5 T 340/81; Münzberg, in: Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 22. Auflage 2002, § 758a, Rn.33) oder die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO: OLG Köln, Beschluss v. 05.06.1992, Az. 2 W 37/92; OLG Koblenz, Beschluss v. 20.08.1985, Az. 4 W 435/85; OLG Hamm, Beschluss v. 12.12.1983, Az. 14 W 208/83; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Auflage 2016, § 758a, Rn. 47; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Auflage 2016, Rn. 16; Heßler, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 5.Auflage 2016, § 758a, Rn. 71) eröffnet sei. Die sofortige Beschwerde wird dem Rechtschutzbedürfnis des Schuldners besser gerecht. Die für eine Vollstreckungserinnerung ins Feld geführten Argumente können nicht überzeugen. Diese bereitet im Hinblick auf das Abhilfeverfahren auch keinen effektiveren Rechtsschutz. Der Schuldner wird im Beschwerdeverfahren vom Ausgangsgericht gehört (§§ 571, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Es hat seine Entscheidung daraufhin zu überprüfen und ggf. abzuändern. Zwar kennt die Vollstreckungserinnerung anders als die sofortige Beschwerde keine Frist. Dieser Umstand beschränkt den Rechtsschutz des Schuldners aber lediglich zeitlich und gewährleistet die zügige Durchführung des Vollstreckungsverfahrens. Auch der Vergleich mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss als einseitige Vollstreckungsmaßnahme ohne vorherige Anhörung des Schuldners geht fehl. Anders als beim Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in § 834 ZPO geregelt, ist vor dem Erlass einer Durchsuchungsanordnung der Schuldner regelmäßig anzuhören (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.06.1981, Az. 1 BvR 1094/80, Rn. 54; Stöber, in Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 758a, Rn. 25). Zudem entscheidet über die Durchsuchungsanordnung der Richter. Er hat neben den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit der Anordnung zu prüfen, um den in Art. 13 GG angeordneten Richtervorbehalt gerecht zu werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Schuldner zuvor angehört wurde oder nicht (vgl. BVerfG, aaO, Rn. 40). Die Bescheidung eines Antrags nach § 287 AO bzw. nach § 758a ZPO hat damit Entscheidungscharakter, denn ihr wohnt regelmäßig eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu Gunsten der Inhaber titulierter Recht mit den Belangen des in seiner Privatsphäre betroffenen Schuldners inne. Sie betrifft damit nicht die von der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO erfassten Fälle eines Rechtsbehelfs gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung.
b) Die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts erging fehlerhaft, da die Schuldnerin zuvor nicht vom Amtsgericht angehört wurde und sich auch aus den Gründen der Durchsuchungsanordnung nicht ergibt, warum diese unterblieben ist. Eine Nachholung der Anhörung ist dem Beschwerdegericht nicht möglich, da die Wohnung der Schuldnerin mittlerweile bereits durchsucht wurde. Zudem hat das Amtsgericht die Anordnung zeitlich nicht befristet.
(1) Vor Erlass einer Durchsuchungsanordnung ist der Schuldner regelmäßig durch das Gericht anzuhören (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.06.1981, Az. 1 BvR 1094/80, Rn. 54; OLG Hamm, Beschluss v. 12.12.1983, Az. 14 W 208/83; Stöber, aaO, Rn. 25; Lackmann, aaO., Rn. 14; Münzberg, aaO, Rn. 24; Weser, NJW 2002, 2142). Das Gericht kann davon insbesondere nicht unter Hinweis auf die Gefährdung des Vollstreckungserfolgs pauschal absehen. Die Anhörung ist erforderlich, um dem Gericht die ihm von Verfassungs wegen und durch die §§ 287 AO, 758a ZPO auferlegte Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen einer Erlaubnis der Wohnungsdurchsuchung effektiv zu ermöglichen, denn es wird die Belange des Schuldners ohne dessen Beteiligung nur schwer in seine Entscheidung hinreichend einbeziehen können. Daher ist auch eine Anhörung durch den Gerichtsvollzieher unzureichend. Zwar ist das Gericht nicht nur auf die Angaben des Gläubigers angewiesen, sondern kann sich auch auf aus den Akten ergebenden Umstände stützen. Ob besondere Umstände vorliegen, welche die Durchsuchung nicht erforderlich oder unzumutbar machen, wird aber regelmäßig nur durch eine Anhörung des Schuldners in Erfahrung bringen zu sein.
(2) Das Gericht kann von einer Anhörung im Einzelfall absehen, wenn in besonderen Verfahrenslagen ein sofortiger Zugriff notwendig ist, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen. Ist der Vollstreckungserfolg konkret gefährdet, wird das Absehen von der Anhörung des Schuldners vor Erlaß der Durchsuchungsanordnung den Besonderheiten dieser Vollstreckungsmaßnahme gerecht. Ob die Gefährdung besteht, muss das zuständige Gericht im Wege pflichtgemäßen Ermessens im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden, wobei es nicht gehindert ist, allgemeine Erfahrungssätze zu berücksichtigen (Heßler, aaO, Rn. 55; BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1981, Az. 1 BvR 1094/80, Rn. 54). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Unterlassen der Anhörung kaum allein mit einer Verfahrensverzögerung oder dem Einbüßen eines Überraschungseffekts begründet werden kann. Der Gerichtsvollzieher muss regelmäßig versuchen, den Schuldner zuvor zur Einwilligung in die Wohnungsdurchsuchung zu bewegen. Dies gebietet zudem die Einhaltung des ebenfalls vom Gericht zu überprüfenden Verhältnismäßigkeitsprinzips. Der Schuldner wird daher in der Regel bereits durch den Gerichtsvollzieher von dem Vollstreckungsauftrag Kenntnis erlangt haben, so dass eine überraschende Durchsuchung in der Praxis kaum auftreten wird.
Vorliegend ergeben sich weder aus dem Vollstreckungsantrag des Finanzamtes vom 05.07.2016 noch aus der amtsgerichtlichen Durchsuchungsanordnung Anhaltspunkte, aufgrund derer von einer Anhörung der Schuldnerin abgesehen werden konnte.
(3) Sofern das Gericht im Einzelfall von einer Anhörung absieht, muss sich aus den Gründen der Durchsuchungsanordnung zumindest erkennen lassen, welche Umstände das Gericht dazu bewegt haben. Dies gebietet neben der Schwere des bevorstehenden Eingriffs in die Privatsphäre des Schuldners dessen Recht auf effektiven Rechtsschutz, da sonst das Rechtsmittelgericht die Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht nachprüfen kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 03.04.1979, Az. 1 BvR 994/76, Rn. 47). Dem wird die aus zwei Sätzen bestehende Begründung der Durchsuchungsanordnung nicht gerecht.
(4) Die Durchsuchungsanordnung ist weiter deswegen fehlerhaft, da sie zeitlich nicht befristet worden ist. Die zeitliche Befristung zwischen 3 – 6 Monaten ist geboten, da sich die für die Erteilung maßgebenden Umstände ändern können und eine unbestimmt lange Bedrohung des Schuldners vermieden werden soll (vgl. BFH, Beschluss v. 12.05.1980, Az. VII B 9/80; Heßler, aaO, Rn. 61; Ulrici, in: Vorwerk/Wolf, Beck´scher Online-Kommentar ZPO, 22. Edition, Stand 01.09.2016, Rn. 5.1).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

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