Aktenzeichen M 9 K 17.2675
Leitsatz
1 Die Nutzungsuntersagung in Form der Anordnung, das rechtswidrige Nutzungskonzept aufzugeben, statuiert eine höchstpersönliche Unterlassungspflicht, die der Adressat unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens persönlich zu erfüllen hat. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die angedrohten Zwangsgelder, die zu einem Zahlungsanspruch des Staates führen würden (wenn sie nicht uneinbringlich wären), ändern nichts daran, dass der durchzusetzende Unterlassungsanspruch den Vollstreckungsverboten nicht unterfällt (Anschluss an KG BeckRS 1999, 30087964). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Vor einer Freigabeerklärung tritt der Insolvenzverwalter bestenfalls in eine Zustandsverantwortlichkeit, nicht aber in eine Verhaltensverantwortlichkeit ein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Zwangsgeldandrohungen als solche dürfen als bloße „Vorbereitung“ der Beitreibung ohne Weiteres ausgesprochen werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Oktober 2017 entschieden werden, obwohl der Kläger nicht – auch nachdem eine Viertelstunde zugewartet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2017 – 20 ZB 17.30303 – juris) und nach nochmaligem Aufruf der Sache – erschienen ist, da in der per Postzustellungsurkunde zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist die Behördenentscheidung.
Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Sobald der Kläger als Mieter bekannt wurde – aufgrund von Aussagen der angetroffenen Nutzer (Bl. 112ff. d. BA) und aufgrund der Vorlage des Mietvertrags durch die Eigentümer-Vermieter am 19. Oktober 2016 (Bl. 120ff. d. BA) –, wurde er unter dem 14. November 2016 nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört (Bl. 138f. d. BA).
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 2 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG a.F. bzw. Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG n.F. (Dauerverwaltungsakt) i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS ist unzweifelhaft erfüllt, wie aus den Ermittlungen der Beklagten hervorgeht (Ortsermittlungen vom 14. April 2016, Bl. 96f. d. BA, vom 23. November 2016, Bl. 143 d. BA, vom 6. Februar 2017, Bl. 147 d. BA und damit im Zusammenhang stehend vom 2. März 2017, Bl. 148 d. BA und vom 4. Juli 2017, Bl. 217 d. BA). Die Anordnungen konnten auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStVG i.V.m. Art. 5 ZwEWG a.F. bzw. Art. 3 Abs. 2 ZwEWG n.F. ergehen.
Die Störereigenschaft des Klägers, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG, steht ebenfalls außer Frage. Der Kläger ist ungekündigter Mieter der WE (vgl. Mietvertrag vom 28. März 2016, Bl. 120ff. d. BA) und überschreitet als unmittelbarer Störer selbst fortgesetzt die Gefahrenschwelle. Die Endnutzer wurden als weitere potentielle Störer im Bescheid behandelt und zu Recht als Adressaten ausgeschieden. Im Hinblick auf die Verfügungsberechtigten Hr. M. S. J. und Hr. M. M. wurden weitere Prüfungen angekündigt, ein Einschreiten werde sich vorbehalten. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Die Störung geht in jedem Fall unmittelbar vom Kläger aus, er steht ihr am nächsten.
Im Hinblick auf die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung gegen den Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 30. August 2017 ändert sich an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids nichts; dieser hat sich auch nicht erledigt und der Kläger ist auch nach wie vor prozessführungsbefugt. Dies ergibt sich – ungeachtet dessen, dass die Anordnungen nach § 21 InsO nur vorläufiger Natur sind – aus Folgendem:
Die Nutzungsuntersagung – jeweils Ziff. 1 der Grundbescheide –, mithin die Anordnung, das rechtswidrige Nutzungskonzept aufzugeben, statuiert eine höchstpersönliche Unterlassungspflicht (vgl. z.B. VG München, B.v. 26.4.2016 – M 9 S. 16.1449 – Entscheidungsabdruck; nunmehr auch deutlich: BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 12 C 17.1553 – Entscheidungsabdruck). Derlei Anordnungen sind nicht auf eine aus dem Schuldnervermögen beitreibbare Leistung gerichtet und unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin ausschließlich vom Kläger persönlich zu erfüllen (vgl. Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 31. EL Januar 2017, § 38 Rn. 8f.).
Zwangsmaßnahmen zu ihrer Durchsetzung wie die Ersatzzwangshaft begegnen auch künftig keinerlei Bedenken, auch nicht in Ansehung der gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO ausgesprochenen einstweiligen Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Kläger (nach Eröffnung: § 89 Abs. 1 InsO). Es geht nicht um die Zwangsvollstreckung eines Zahlungsanspruchs, sondern um die Zwangsvollstreckung eines Unterlassungsanspruchs. Die angedrohten Zwangsgelder, die zu einem Zahlungsanspruch des Staates führen würden (wenn sie nicht uneinbringlich wären), ändern nichts daran, dass der durchzusetzende Unterlassungsanspruch den Vollstreckungsverboten nicht unterfällt (KG, B.v. 17.12.1999 – 5 W 5591/99 – NZI 2000, 228; Uhlenbruck, InsO, Stand: 14. Aufl. 2015, § 38 Rn. 12).
Die jeweils in Ziff. 2 der Grundbescheide angeordnete Pflicht, die Wohneinheiten unverzüglich wieder Wohnzwecken zuzuführen (Wiederbelegungsanordnung), hat die Beklagte auf Hinweis des Gerichts, der im Anschluss an die Bedenken des BayVGH (B.v. 10.10.2017 – 12 C 17.1553 – Entscheidungsabdruck) erteilt wurde, mit einer entsprechenden Erklärung zu Protokoll ausgesetzt. Damit ist der Kläger durch diese Verpflichtungen gegenwärtig nicht beschwert.
Unabhängig davon geht das Gericht diesbezüglich von Folgendem aus: Zwar mögen die Anordnungen Aufforderungen zu vertretbaren und damit (auch) von der Insolvenzverwalterin erfüllbaren Handlungen darstellen, nämlich die Wohneinheiten wieder dem Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen (was nicht an einer fehlenden Zugriffsmöglichkeit scheitern wird). Weiter könnten sie, eventuell nach Umrechnung, § 45 InsO (Kosten der Ersatzvornahme, Nerlich/Römermann, InsO, Stand: 31. EL Januar 2017, § 38 Rn. 5 und 11), als Insolvenzforderungen angesehen werden, § 38 InsO, da sie aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stammen und damit keine Masseverbindlichkeiten sind. Die Insolvenzverwalterin aber hat – davon abgesehen, dass sie nur vorläufige Insolvenzverwalterin ist – diesbezüglich dem Gericht gegenüber bis dato keinerlei Erklärungen (z.B. nach § 35 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO) abgegeben. Auch eine Übernahme der Insolvenzmasse nach § 148 Abs. 1 InsO wurde nicht angezeigt und ist wohl auch nicht erfolgt. Danach ist gegenwärtig an sich ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger prozessführungsbefugt ist, dass die Wiederbelegungsanordnungen als Annextatbestände zu den Nutzungsuntersagungen nicht nur ursprünglich, sondern auch weiterhin zu Recht an ihn als Handlungsstörer gerichtet sind (in diesem Sinne wohl auch BayVGH, B.v. 29.8.2017 – 12 C 17.1544 – juris) und dass er sie auch zu erfüllen hat. Dies gilt bereits deshalb, weil die Insolvenzverwalterin – zumindest vor einer etwaigen Freigabeerklärung – „ohne Weiteres“ bestenfalls in eine Zustandsstörerhaftung eintritt (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2004 – 7 C 22.03 – juris; OVG LSA, U.v. 19.7.2012 − 1 L 67/11 – juris), nicht aber in eine Verhaltensverantwortlichkeit. Die Zweckentfremdung als Handlung aber geht vorliegend nicht von den Wohneinheiten als solchen aus (im Sinne eines rechtswidrigen Zustands), sondern von den Zuwiderhandlungen des Klägers und – im Hinblick auf die Wiederbelegungsanordnungen – von seiner Untätigkeit (zur Handlungsstörereigenschaft bei Unterlassen z.B. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 9 CS 16.191 – juris). Die Insolvenzverwalterin ist daher nicht als (neue) Verhaltensstörerin an seiner statt in Anspruch zu nehmen.
Auch eine Vollstreckung dürfte nicht unzulässig sein: Sinn und Zweck des auf § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO gestützten Vollstreckungsverbots (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens: § 89 Abs. 1 InsO) ist die Sicherung und der Erhalt des schuldnerischen Vermögens für die künftige Insolvenzmasse. Die Zwangsgeldandrohungen als solche dürfen deshalb als bloße „Vorbereitung“ der Beitreibung ohne Weiteres ausgesprochen werden. Zu einer Vollstreckung im Sinne von (Fälligstellung und) Beitreibung wird es angesichts der Anordnungen nach § 21 InsO und der zu erwartenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht kommen, die Zwangsgelder sind damit als uneinbringlich anzusehen (vgl. dazu, dass dies als Nachweis ausreicht: BayVGH München, B.v. 20.8.1997 – 8 C 96.4230 – NVwZ-RR 1998, 310; Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: 41. Aktualisierung, März 2017, Art. 33 Rn. 8; Engelhardt, VwVG/VwZG, Stand: 9. Auflage 2011, § 16 VwVG Rn. 2). Davon abgesehen würden die Zwangsgeldforderungen ohnehin nur nachrangig bedient, § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Eine etwaige Ersatzzwangshaft nimmt das schuldnerische Vermögen von vorn herein nicht in Anspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.