IT- und Medienrecht

Abgasskandal: Keine grob fahrlässige Unkennntnis des Fahrzeugkäufers bei Untätigkeit bis Ende 2015

Aktenzeichen  032 O 1505/19

Datum:
12.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40940
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1, § 214, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
FZV § 5 Abs. 1
ZPO § 32, § 138 Abs. 3, § 610 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hat der vernünftige Durchschnittskäufer zumindest sachgedankliches Mitbewusstsein, dass die vom Pkw-Hersteller im Datenblatt angegebenen Werte der Realität entsprechen. Bei Kenntnis einer erheblichen Abweichung hätte ein potentieller Käufer unter Berücksichtigung der ex ante nicht abzuschätzenden Gefahr, Probleme in Bezug auf die Zulassung des Motors/Fahrzeugs zu bekommen, vom Vertragsabschluss Abstand genommen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Steht ein darlegungspflichtiger Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablauf und kennt der Anspruchsgegner alle wesentlichen Tatsachen, so genügt das einfache Bestreiten seitens des Anspruchsgegners nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Unter Berücksichtigung des Verhaltens der VW AG bis Ende 2015, die zum einen die Manipulation zu verharmlosen versuchte und zum anderen eine weitere Information und Einbindung betroffener Kunden sowie ein Handeln seitens der Beklagten in Aussicht stellte, drängte sich für den Inhaber eines Dieselfahrzeuges des betroffenen Konzerns nicht zwangsläufig auf, dass er bis zum Ende des Jahres 2015 selbst tätig werden und rechtliche Schritte prüfen müsse. Ein (grob fahrlässiger) Sorgfaltsverstoß ist darin nicht zu erkennen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.191,63 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.03.2019 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 26.03.2019 mit der Rücknahme des unter 1. bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2019 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 18.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erwies sich als überwiegend begründet.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergibt sich aus § 32 ZPO, da die Klagepartei ihre Ansprüche unter anderem auf die deliktische Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB stützt. Für Klagen aus unerlaubter Handlung ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Anknüpfungspunkt hierfür sind sowohl Handlungs- als auch Erfüllungsort der deliktischen Handlung. Erfolgsort ist hierbei der Ort, an dem die Schädigung des Rechtsguts eingetreten ist. Nachdem § 263 StGB den Schutz des Vermögens verfolgt und den Eintritt eines Vermögensschadens als Tatbestandsmerkmal verlangt, liegt Erfolgsort der vorgeworfenen Handlung am Wohnsitz der Klagepartei als Belegenheitsort ihres Vermögens (vgl. BGH, Urteil v. 28.02.1996, Az. XII ZR 181/94, NJW 1996, 1411).
II. Musterfeststellungsklage
Nachdem die Klagepartei auf den Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2019 mittelte, dass die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage bereits vor Klageerhebung zurückgenommen wurde, ist die Klage nicht gemäß § 610 Abs. 3 ZPO unzulässig. Nachdem die Rücknahme der Anmeldung durch Schriftsatz vom 11.10.2019 innerhalb nachgelassener Stellungnahmefrist per beigefügter Abmeldebestätigung nachgewiesen wurde, war das Verfahren auch nicht gemäß § 613 Abs. 2 ZPO analog auszusetzen.
B. Begründetheit
Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 13.191,63 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß § 826 BGB iVm § 31 BGB analog. I. § 826 BGB
Nach § 826 BGB besteht eine Schadensersatzpflicht, wenn dem Geschädigten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt wurde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Klagepartei ist im Sinne des § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, was der Beklagten zuzurechnen ist.
1.) Schädigendes Verhalten
Die haftungsbegründende Schädigungshandlung ist vorliegend das Inverkehrbringen eines Motors mit einer Motorsteuerungssoftware, die eine Fahrzykluserkennung beinhaltet. Die Software erkennt demnach wenn das Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchfährt und aktiviert daraufhin den Abgasrückführungsmodus 1, welcher zu niedrigeren NOx-Emissionen im Vergleich zum realen Fahrbetrieb führt.
2.) Zufügung eines Schadens
Vorliegend war der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer solchen unzulässigen Software versehen. Diese war bereits bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger vorhanden.
Schaden im Sinne des § 826 BGB ist nicht nur die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter oder eine nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses (BGH, Urteil vom 19.7.2004, Az. II zR 402/02 II, LG Offenburg, Urteil vom 12.5.2017, Az. 6 O 119/16). Der Schaden kann daher auch in der Eingehung einer „ungewollten“ Verbindlichkeit bestehen, selbst wenn dieser eine Forderung auf eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenüber steht (MüKoBGB/Wagner BGB § 826 Rn. 41 mwN).
Der Motor ist aufgrund der installierten Software mangelhaft im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, da die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde (§ 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV) besteht und somit bei Gefahrübergang der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist (Hinweisbeschluss des BGH vom 08.01.2019, Az.: VIII ZR 225/17).
Bei diesbezüglichem Wissen hätte die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Auf konkretes Wissen beim Abschluss des Kaufvertrages kommt es hierbei jedoch nicht an. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hat der vernünftige Durchschnittskäufer zumindest sachgedankliches Mitbewusstsein, dass die vom Hersteller im Datenblatt angegebenen Werte der Realität entsprechen bzw. nicht derart davon – aufgrund Manipulation der Software – abweichen. Bei Kenntnis hiervon hätte ein potentieller Käufer unter Berücksichtigung der ex ante nicht abzuschätzenden Gefahr, Probleme in Bezug auf die Zulassung des Motors/Fahrzeugs zu bekommen, vom Vertragsabschluss Abstand genommen. Das Gericht hat hierbei nicht verkannt, dass es sich bei der Beklagten nicht um den Vertragspartner der Klagepartei handelte. Dies lässt aber einen Anspruch nach § 826 BGB nicht entfallen, ein solcher kann auch gegenüber Dritten bestehen und auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtet sein (vgl. OLG München, Urteil vom 20.08.1999, 14 U 860/98).
3.) Sittenwidrigkeit der Täuschung
a) Objektive Sittenwidrigkeit
Das schädigende Verhalten ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu beurteilen.
Objektiv sittenwidrig ist nach ständiger Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2012, Az. VI ZR 268/11, NJW-RR 2013, 550 mwN).
Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft genügt nicht (vgl. Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 826 Rn. 4). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die nach den Maßstäben der allgemeinen Gesellschaftsmoral und des als anständig Geltenden zu beurteilen ist.
Vorliegend hat die Beklagte bewusst geltende Abgaswerte außer Acht gelassen und zur Erlangung der Genehmigung sowohl Aufsichts- und Zulassungsbehörden als auch Verbraucher bezüglich der NOx-Emissionen hinters Licht geführt. Hierbei mussten Umweltschutz, Verbraucherschutz und geltendes Recht hinter dem Gewinnbestreben der Beklagten bzw. der mangelnden Fähigkeit in Bezug auf die Genehmigungsvoraussetzungen taugliche Motoren zu entwickeln zurückstehen. Hierdurch hat die Beklagte mitverursacht, dass in Großstädten Grenzwerte für NOx erheblich überschritten werden und daher bereits zum einen Gesundheitsrisiken für die Anwohner bestehen und zum anderen Fahrverbote erlassen wurden.
Es gilt der Grundsatz, dass eine bewusste Täuschung zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses regelmäßig bereits den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet (BGH, Urteil vom 28.6.2016, Az. I ZR 536/15). Eine solche bewusste Täuschung liegt hier vor, da der Einbau einer verbotenen Abschalteinrichtung denknotwendig nur bewusst und in Täuschungsabsicht geschehen konnte (LG Köln vom 3. Mai 2018, Az. 36 O 57/17).
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist im Ergebnis daher von einem bewussten und objektiv sittenwidrigen Handeln der Beklagten auszugehen.
b) Zurechnung gemäß § 31 BGB
Das deliktische Handeln ihrer Mitarbeiter bzw. des Vorstandes ist der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Es ist aufgrund des vorliegenden Sach- und Streitstandes davon auszugehen, dass der Vorstand der Beklagten nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der manipulierten Software hatte, sondern auch die Herstellung und die Inverkehrgabe der mangelbehafteten Motoren in der Vorstellung veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis weiter veräußert werden würden. Der entsprechende klägerische Vortrag ist gemäß § 138 III ZPO als zugestanden anzusehen, da er nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde.
Die Beklagte trifft vorliegend eine sekundäre Darlegungslast. Einfaches Bestreiten – wie geschehen – genügt demnach nicht um den klägerischen Vortrag zu entkräften. Steht ein darlegungspflichtiger Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablauf und kennt der Anspruchsgegner alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach Rechtsprechung des BGH das einfache Bestreiten seitens des Anspruchsgegners nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind (vgl. BGH, Urt. v. 17. Januar 2008 – III ZR 239/06, juris Rn. 16 mwN. zur BGH-Rspr.)
Dies ist vorliegend der Fall. Die Klagepartei hat keinerlei Möglichkeit, Einblicke in die internen Vorgänge der Beklagten zu nehmen. Einziger Anhaltspunkt sind Rückschlüsse, sowie die Berichterstattung in den Medien. Die Klagepartei hat keine Möglichkeit der primären Darlegungslast nachzukommen. Demnach genügen die Behauptungen der Klagepartei zu den oben genannten Geschehensabläufen.
Die Beklagte hingegen kennt sämtliche Abläufe in ihrem Unternehmen (bzw. ist es ihr unter Berücksichtigung der Dimension des,,Skandals‘‘ zuzumuten durch interne Ermittlungen seit Ende 2015 mittlerweile Kenntnis erlangt zu haben) und kann Auskunft geben, wie es zur Entwicklung und zum Einsatz der Manipulationssoftware kam. Dennoch legt sie nicht konkret dar, dass, bzw. welche einzelnen Mitarbeiter unter Ausschluss des Vorstandes die mangelhafte Software pflichtwidrig beauftragen, bezahlen und verwenden ließen.
Ein Verweis der Beklagten auf die Darlegungslast der Klagepartei in Bezug auf interne Vorgänge der Beklagten ist umso mehr unbillig, als gerade diese Vorgänge verschleiert werden sollten. Dies kann letztendlich nicht dazu führen, dass aufgrund des manipulativen und verschleiernden Vorgehens und daraus resultierender Probleme im Bereich der klägerischen Darlegungslast, die Beklagte prozessual Vorteile erlangt.
Ihrer bestehenden sekundären Darlegungslast kam die Beklagte vorliegend nicht nach, eine Offenlegung der prozessual relevanten Vorgänge erfolgte trotz Möglichkeit nicht.
4.) Vorsatz des Schädigers
Der für den Anspruch aus § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten liegt vor. Dieser muss sich auf den Eintritt des Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens, sowie der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände beziehen. Voraussetzung hierfür ist nicht, dass die Schädigende wissentlich oder absichtlich agierte. Darüber hinaus ist auch keine Kenntnis bezüglich der konkret geschädigten Person oder des konkreten Kausalverlaufs erforderlich. Es genügt bereits sog. dolus eventualis, also das Bewusstsein, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und in welche Richtung sich das Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte, sowie das billigende Inkaufnehmen des Schädigungsrisikos. Die Mitarbeiter der Beklagten, die die entsprechende Software entwickelten und die Entscheidung trafen, diese in den Verkehr zu bringen, nahmen jedenfalls billigend in Kauf, dass die verwendete Software gegen die geltenden Bestimmungen verstößt – mit sämtlichen daraus möglicherweise resultierenden Folgen. Da die Erlangung erforderlicher Genehmigungen durch unzulässige Täuschung erreicht werden sollte und schließlich auch wurde, lag ein möglicher Schadenseintritt bei den Endkunden hierdurch auf der Hand.
5.) Rechtsfolge
Demnach steht der Klagepartei ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB zu.
Schaden ist hierbei, wie bereits erläutert, der Abschluss des Kaufvertrages und somit die Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit. Darüber hinaus besteht auch ein Schaden darin, dass der streitgegenständliche PKW als vom Abgas betroffenes Dieselfahrzeug einen merkantilen Minderwert hat und makelbehaftet ist.
Der Anspruch ist vorliegend gemäß § 249 BGB im Wege der Naturalrestitution auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtet. Da der Schadenersatzanspruch des Klägers bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs entstanden ist und auf Restitution durch Rückabwicklung des Kaufs gerichtet ist, kann in der jüngst erfolgten Ausstattung des Fahrzeugs mit dem vom Kraftfahrtbundesamt erzwungenen Software-Update keine Erfüllung des Schadenersatzanspruchs liegen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die Durchführung des Software-Updates zu nachteiligen Folgen für die Lebensdauer des Motors des streitgegenständlichen Pkw führen wird. Auf anderslautende Angaben der Beklagten, die durch nichts belegt sind, muss die Klagepartei nicht vertrauen, weil die Beklagte sie gerade in Bezug auf die Motorsteuerung getäuscht hat.
Allerdings muss sich die Klagepartei auf die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises die gezogene Nutzung in Form von Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Das Gericht geht vorliegend aufgrund von Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km aus. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung ist hierbei der Tag der mündlichen Verhandlung. Der Kilometerstand betrug am 23.09.2019 unstreitig 98.118 km. Zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 37.000 km.
Nach der kilometeranteiligen linearen Wertminderung [ (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) / Gesamtlaufleistung – bei Erwerb bereits gefahrene km ] ergibt sich somit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.308,37 €.
6.) Keine Verjährung
Die Einrede der Verjährung durch die Beklagte steht dem Anspruch nicht gemäß § 214 BGB entgegen. Die regelmäßige Verjährungsfrist deliktischer Ansprüche beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Fristauslösendes Ereignis ist hierbei der Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Kläger von den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, § 199 Abs. 1 BGB. Vorliegend beruft sich die Beklagte auf Kenntnis der Klagepartei, hilfsweise auf grob fahrlässige Unkenntnis. Die Darlegungslast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Schuldner (vgl. Palandt/Ellenberger, 78. Aufl., Überbl v § 194 Rn 24 m.w.N.).
Eine positive Kenntnis der Klagepartei konnte die Beklagte nicht nachweisen. Die Klagepartei selbst bestritt im Jahre 2015 Kenntnis von der Manipulation und auch Kenntnis von der konkreten Betroffenheit des eigenen Fahrzeuges gehabt zu haben. Die Beklage führt an, dass die Klagepartei aufgrund der umfassenden Information der Öffentlichkeit durch die Medienberichterstattung Kenntnis erlangt haben muss. Hierbei ist jedoch zunächst zu betonen, dass die allgemeine Kenntnis vom sogenannten Abgasskandal nicht genügt. Erst durch das Wissen, dass das eigene Fahrzeug betroffen ist, wäre der Klagepartei eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung möglich gewesen. Auch das Gericht geht davon aus, dass es relativ einfach möglich gewesen wäre, die konkrete Betroffenheit eines Fahrzeuges durch Nachfrage bei einem Händler oder über den Internetauftritt der Beklagten zu überprüfen. Dies betrifft jedoch nicht die Frage der Kenntnis, sondern der grob fahrlässigen Unkenntnis.
Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände lag nicht vor. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus, insbesondere wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil ihm persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden kann, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. BeckOK BGB § 199 Rn. 23 m.w.N.). Wie oben erläutert, wäre es grundsätzlich einfach möglich gewesen, die Betroffenheit des Fahrzeuges zu überprüfen. In der Unterlassung dessen im Zeitraum ab Bekanntwerden bis zum 31.12.2015 kann das Gericht jedoch keinen Sorgfaltsverstoß erkennen. Bei gesetzlichen Ansprüchen, wie im vorliegenden Fall, sind die Voraussetzungen für die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis grundsätzlich höher anzusetzen sind als bei vertraglichen Ansprüchen (vgl. MüKoBGB § 199 Rn. 31). Im Falle einer bewussten vertraglichen Bindung wird man vom Gläubiger eher erwarten können, sich um hinreichende Informationen in seinen eigenen Angelegenheiten zu bemühen. Zu berücksichtigen ist weiter das Verhalten der Beklagten nach Bekanntwerden: Die Beklagte ließ in ihrer Pressemitteilung vom 22.09.2015 verkünden, dass die Software bei der Mehrheit der Motoren keinerlei Auswirkung hat. Weiter teilte die Beklagte am 29.09.2015 öffentlich mit, dass ein Aktionsplan entwickelt werde und betroffene Kunden informiert werden. Unter Berücksichtigung dieses Verhaltens, dass zum einen die Manipulation zu verharmlosen versuchte und zum anderen eine weitere Information und Einbindung betroffener Kunden, sowie ein Handeln seitens der Beklagten in Aussicht stellte, drängte sich für den Inhaber eines Dieselfahrzeuges des betroffenen Konzerns nicht zwangsläufig auf, dass er bis zum Ende des Jahres 2015, also innerhalb von etwas über drei Monaten, selbst tätig werden und rechtliche Schritte prüfen müsse. Ein Sorgfaltsverstoß ist darin nicht zu erkennen.
II. Feststellungsantrag
Die Feststellungsanträge erwies sich als begründet. Die Beklagte befindet sich hinsichtlich der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs spätestens seit Ablauf der im Schreiben vom 11.03.2019 gesetzten Frist im Annahmeverzug.
III. Rechtsanwaltskosten
Der Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 826, 249 BGB. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts war vorliegend sachgerecht und erforderlich, so dass es sich um einen ersatzfähigen Schaden gemäß § 249 BGB handelt. Allerdings ist nur eine Gebühr in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr aus Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer anzusetzen. Bei den VW-Abgasfällen handelt es sich um Massenverfahren, die für die beteiligten Rechtsanwälte durchschnittlich viel Arbeit machen und auch in ihrer Schwierigkeit nicht mehr überdurchschnittlich sind. Die Argumente sind in Tausenden von Verfahren hinlänglich ausgetauscht. Grundlage der Bemessung kann nur der Wert der erfolgreichen Klage sein. Abzustellen wäre bezüglich des Nutzungsersatzes auf den Zeitpunkt der Beauftragung der Bevollmächtigten. Nachdem der diesbezügliche Kilometerstand unbekannt ist, muss hilfsweise auf den Stand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt werden. Es besteht mithin ein Anspruch in Höhe von 1029,35 €.
IV. Zinsen
Einen Zinsanspruch aus § 849 hat die Klagepartei nicht. Der Normzweck des § 849 BGB besteht darin, dass der Zinsanspruch den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (vgl. BGH Urteil vom 26.11.2007 – II ZR 167/06). Vorliegend konnte die Klagepartei das Fahrzeug trotz Manipulation uneingeschränkt nutzen, der Schutzzweck ist mithin nicht betroffen.
Mit Schreiben vom 11.03.2019 forderte die Klagepartei die Beklagte zur Leistung bis spätestens 25.03.2019 auf. Nachdem die Frist fruchtlos verstrichen ist, ergibt sich seit dem 26.03.2019 ein Zinsanspruch aus §§ 286, 288 BGB.
V. Abweisung im Übrigen
Nachdem der Nutzungsersatz höher ausgefallen ist, als dies im Klageantrag berücksichtigt wurde, war die Klage im Übrigen bezüglich des Differenzbetrages abzuweisen.
VI. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Klageforderung war nur leicht zu hoch, da die Klagepartei bei der Berechnung des Nutzungsersatzes von einer höheren Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges ausging.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
VII. Streitwert
Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf § 3 ZPO. Grundsätzlich wäre die im Klageantrag nicht bezifferte Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen. Anhaltspunkte für die Größe dieser zum Zeitpunkt der Klageeinreichung bestehen allerdings nicht. Nachdem theoretisch die Möglichkeit bestünde, dass bis zur Einreichung der Klage keine Nutzung stattfand, ist im Zweifel vom Höchstbetrag in Höhe des Kaufpreises, also ohne Abzüge auszugehen.

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