IT- und Medienrecht

Ablehnung des Erlasses einer eA: Zwangsmedikation eines im Maßregelvollzug Untergebrachten – Kein Überwiegen der für ein Ergehen der eA sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen der Folgenabwägung – Gefahr der gravierenden Schädigung Dritter

Aktenzeichen  2 BvR 228/12

Datum:
10.2.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Ablehnung einstweilige Anordnung
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20120210.2bvr022812
Normen:
§ 32 Abs 1 BVerfGG
§ 22 PsychKG SN 2007
§ 23 PsychKG SN 2007
Spruchkörper:
2. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Dresden, 11. Januar 2012, Az: 2 Ws 515/11, Beschlussvorgehend LG Leipzig, 18. Oktober 2011, Az: II StVK 781/11, Beschlussnachgehend BVerfG, 20. Februar 2013, Az: 2 BvR 228/12, Beschluss

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt L. für das Verfahren über den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1
1.Der Beschwerdeführer beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass der Maßregelvollzugseinrichtung,
in der er untergebracht ist, eine Zwangsmedikation des Beschwerdeführers untersagt werde.

2
a) Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund
zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts
vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein
unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens als offen angesehen werden,
sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber
Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 91, 70 ; 105, 365 ; stRspr). Eine einstweilige
Anordnung kann nur ergehen, wenn diese Abwägung ein deutliches Überwiegen der Gründe ergibt, die für den Erlass der Anordnung
sprechen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. November 2006 – 2 BvQ 63/06 -, juris; Beschluss
der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2009 – 2 BvR 1422/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
3. Februar 2011 – 2 BvR 132/11 -, juris).

3
b) Danach ist eine einstweilige Anordnung hier nicht zu erlassen. Zwar ist die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich
unbegründet (vgl. BVerfG, Beschlüsse des Zweiten Senats vom 23. März 2011 – 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 ff. und vom
12. Oktober 2011 – 2 BvR 633/11 -, NJW 2011, S. 3571 f.). Die gebotene Abwägung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die begehrte
einstweilige Anordnung nicht ergehen kann, weil die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Belange nicht
in der erforderlichen Weise deutlich überwiegen.

4
Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, muss der Beschwerdeführer
einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bis auf weiteres hinnehmen. Unabhängig von etwaigen nachteiligen Wirkungen des Medikaments,
das dem Beschwerdeführer verabreicht werden soll, läge auch bereits in der zwangsweisen Verabreichung als solcher ein schwerer
Eingriff. Nach den Annahmen, von denen im vorliegenden Verfahren die Klinik und die Strafvollstreckungskammer ausgegangen
sind und die beim gegenwärtigen Verfahrensstand nach den hier maßgeblichen Abwägungsgrundsätzen (s. unter 1.) hypothetisch
als zutreffend zu unterstellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Februar 2011 – 2 BvR 132/11
-, juris), können Belange von erheblichem Gewicht aber auch dann beeinträchtigt werden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung
ergeht, die Verfassungsbeschwerde sich aber später als unbegründet erweist. Die angeordnete Zwangsbehandlung erfolgt nach
den Angaben der Klinik und nach den Feststellungen in gerichtlichen Entscheidungen, die der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde
vorgelegt hat, unter anderem deshalb, weil sie nach bisherigen Erfahrungen erforderlich ist, um zu verhindern, dass der Beschwerdeführer
erneut in Verhaltensweisen wie tätliche Angriffe auf Pflegepersonal, Onanieren vor Anderen und Schmierereien mit Kot zurückfällt.
Wie der zurückliegende Fall erheblicher Verletzung eines Pflegers zeigt, könnte sich im Fall des Erlasses einer einstweiligen
Anordnung, die zur Absetzung der Medikamente zwingt, insbesondere die Gefahr gravierender Schädigung Dritter – mit möglicherweise
irreversiblen Folgen – realisieren. Unter diesen Umständen kann das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass
einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht festgestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 3. Februar 2011 – 2 BvR 132/11 -, juris).

5
2. Die beantragte Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt L. ist für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung mangels Erfolgsaussicht abzulehnen (§§ 114 ff. ZPO).

6
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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