Aktenzeichen W 3 K 16.885
SGB VIII SGB VIII § 50 Abs. 1 S. 1, § 65
Leitsatz
1 Der Anspruch auf Akteneinsicht steht gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X lediglich den Beteiligten eines Verfahrens zu. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Tätigkeit des Jugendamtes gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB VIII wird nicht im Rahmen eines Verfahrens im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X durchgeführt, weshalb ein Anspruch auf Akteneinsicht aufgrund fehlender Beteiligteneigenschaft (§ 12 SGB X) ausgeschlossen ist. (redaktioneller Leitsatz)
3 Einem Anspruch auf Akteneinsicht im Rahmen einer entspechenden Anwendung des § 25 Abs. 1 SGB X steht die Geheimhaltungspflicht gemäß § 25 Abs. 3 SGB X iVm § 65 SGB VIII entgegen, wenn es um Sozialdaten geht, die einem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wie sich aus dem Klageantrag und der Klagebegründung ergibt, nicht ein Anspruch auf Auskunft an den Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten gemäß § 83 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – vom 18. Januar 2001 (BGBl. I, S. 130), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I, S. 3234) – SGB X -, sondern auf Einsicht in die beim Jugendamt geführten ihn und seine Familie betreffenden Akten.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Dem Kläger steht ein entsprechender Anspruch auf Akteneinsicht nicht zu und der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 26. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2016 erweist sich als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher abzuweisen.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Der Anspruch auf Akteneinsicht steht hiernach lediglich den Beteiligten eines Verfahrens zu. Verfahren in diesem Sinne ist gemäß § 8 SGB X die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein. Beteiligte eines solchen Verwaltungsverfahrens sind gemäß § 12 Abs. 1 SGB X Antragsteller und Antragsgegner (Ziffer 1), diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat (Ziffer 2), diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat (Ziffer 3) oder diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind (Ziffer 4).
Im vorliegenden Fall geht es um die Einsicht in Akten, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Jugendamtes der Beklagten gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 26.6.1990, BGBl. I S. 1163), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), – SGB VIII – entstanden sind. Nach dieser Vorschrift – überschrieben mit „Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten“ – unterstützt das Jugendamt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Diese Tätigkeit, die zu den „anderen Aufgaben der Jugendhilfe“ gehört (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 6 SGB VIII), wird nicht im Rahmen eines Verfahrens i.S. von § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X durchgeführt. Denn die Tätigkeit des Jugendamtes in diesem Zusammenhang ist nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß § 8 SGB X ausgerichtet. Demzufolge kann dem Kläger auch keine Beteiligteneigenschaft i.S. von § 12 Abs. 1 SGB X zukommen. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wonach „in der Jugendhilfe die gutachterliche Zusammenarbeit im Vormundschaftswesen“ durch das Jugendamt von § 8 SGB X nicht erfasst wird (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung „Entwurf eines Sozialgesetzbuches (SGB) – Verwaltungsverfahren“, BT-Drs. 8/2034, S. 31).
Gleiches gilt auch für die im Rahmen des § 50 SGB VIII erfolgte Beratung in Fragen der Scheidung (§ 17 SGB VIII) und Beratung bei der Ausübung der Personensorge (§ 18 SGB VIII).
Damit steht dem Kläger kein Anspruch auf Einsicht in die beim Jugendamt der Beklagten vorhandenen Akten auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 SGB X zu.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf nochmalige (ermessensfehlerfreie) Entscheidung über das Akteneinsichtsbegehren in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 1 SGB X (vgl. z.B. NdsOVG, U.v. 14.8.2002 – 4 LC 88/02 – juris; VG Regensburg, U.v. 27.5.2014 – RO 4 K 14.423 – juris; VG Augsburg, B.v. 12.1.2016, Au 3 K 15.402 – juris). Ein solcher Anspruch würde nach der Rechtsprechung zunächst ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Akteneinsicht voraussetzen. Darüber hinaus würde auch bei Vorliegen eines berechtigten Interesses des Klägers nur dann Raum für eine Ermessensausübung der Behörde bestehen, wenn kein sonstiger zwingender Versagungsgrund vorläge.
Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht besitzt; denn der Akteneinsichtsgewährung steht jedenfalls die Geheimhaltungsverpflichtung nach § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII entgegen, so dass kein Raum für eine Ermessensausübung der Beklagten besteht, weil auf der Grundlage der genannten Vorschrift eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist.
Im Rahmen der dargestellten Ermessensausübung ist entsprechend § 25 Abs. 3 SGB X die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Eine entsprechende Geheimhaltungspflicht ergibt sich aus § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII. Nach dieser Vorschrift dürfen Sozialdaten, die einem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, an private Dritte im Wege der Akteneinsicht nur mit der Einwilligung dessen, der die Daten anvertraut hat, weitergegeben werden.
Damit unterliegen Sozialdaten (vgl. hierzu § 67 Abs. 1 SGB X), hier die Daten der ehemaligen Ehefrau des Klägers und die Daten der gemeinsamen Kinder, zu denen auch die inhaltlichen Angaben der Beteiligten gehören, einem besonderen Schutz (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 1.6.2011 – 12 C 10.1510 – juris; VG Augsburg, U.v. 21.7.2015 – Au 3 K 14.1550 und U.v. 27.9.2011 – Au 3 K 09.1571 und B.v. 12.1.2016 – Au 3 K 15.402 – jeweils juris). Auch und insbesondere Informationen im Rahmen der Mitwirkung des Jugendamts in familiengerichtlichen Verfahren fallen unter diese Sperre (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2011 – 12 C 10.1510 – juris; Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 65 Rn. 11; Kunkel in LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 65 Rn. 7).
Das besondere Verbot der Weitergabe von Sozialdaten nach § 65 Abs. 1 SGB VIII überlagert in dem von dieser Regelung erfassten Bereich der anvertrauten Sozialdaten die sich nach den allgemeinen Regelungen über die Akteneinsicht und den Schutz bzw. die Weitergabe von Sozialdaten (§ 67 bis § 85a SGB X, § 61 bis § 68 SGB VIII) ergebenden Verpflichtungen der Jugendämter oder ihrer Rechtsträger zur Datenweitergabe bzw. zur ermessensfehlerfreien Entscheidung hierüber. Akteneinsichtsansprüche, die auf eine Weitergabe von anvertrauten Sozialdaten hinauslaufen, bestehen nur in den engen Grenzen des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Dem Jugendamtsmitarbeiter und damit auch dem Rechtsträger des Jugendamtes untersagt diese spezialgesetzliche Norm umfassend eine Weitergabe von Sozialdaten, und zwar unabhängig davon, aus welcher sonstigen Ermächtigungsgrundlage der jeweilige Akteneinsichtsanspruch hergeleitet wird.
Tragender Grund für diese rigorose Einschränkung der Informationsweitergabe ist, dass ein effektives Tätigwerden des Jugendamtes ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Mitarbeiter des Jugendamtes und dem Bürger voraussetzt, das durch den Zwang zur Weitergabe anvertrauter Daten nicht beeinträchtigt werden soll (vgl. Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 65 Rn. 1). Sozialdaten dürfen daher, wenn sie dem Mitarbeiter des Jugendamtes anvertraut worden sind, von Gesetzes wegen nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen weitergegeben werden.
Es liegt auf der Hand, dass die beim Jugendamt vorhandenen Daten diesem von der ehemaligen Ehefrau des Klägers bzw. von den gemeinsamen Kindern im oben genannten Sinne anvertraut worden sind. Es ist nicht erkennbar, dass es ausnahmsweise beim Kontakt dieser Personen zum Jugendamt klar auf der Hand gelegen hätte, dass die im Jugendamt weitergegebenen Daten von diesem nicht vertraulich behandelt werden müssten. Auch ist nicht erkennbar, dass die ehemalige Ehefrau des Klägers – weder für sich noch als gesetzliche Vertreterin und Sorgeberechtigte für die gemeinsamen Kinder – in die Weitergabe der Sozialdaten eingewilligt hat.
Damit ist der dem Jugendamt im Rahmen der Entscheidung über ein Akteneinsichtsbegehren in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 1 SGB X zustehende Ermessensspielraum im vorliegenden Fall auf Null reduziert, da auf der Grundlage der genannten rechtlichen Vorgaben angesichts der besonderen Umstände des zu entscheidenden konkreten Falles überhaupt nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei sein kann (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 114 Rn. 6 m.w.N.; Decker in Posser/Wolff, Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 114 Rn. 18; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn. 18 m.w.N.).
Damit steht dem Kläger weder ein Anspruch auf Akteneinsicht in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 1 SGB X noch ein Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung in entsprechender Anwendung der genannten Vorschrift zu.
Sonstige Anspruchsgrundlagen, die die Beklagte entgegen der dargestellten Geheimhaltungsverpflichtung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zur Gewährung von Akteneinsicht verpflichten oder auch nur – unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens – berechtigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Damit war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.