Aktenzeichen M 10 K 16.4485
BtBG § 7
Leitsatz
1. Der allgemeine Untersuchungsgrundsatz nach § 24 VwVfG gilt analog auch in Verfahren, die nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes, sondern auf die „schlicht-hoheitliche“ Weitergabe von Informationen gerichtet sind. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erheblich ist eine Gefahr iSv § 7 Abs. 1 BtBG, wenn gemessen an den Verhältnissen des Betroffenen nicht nur ein geringer, sondern ein im Verhältnis zu den mit der Maßnahme zu erwartenden Belastungen bedeutender Schaden voraussehbar ist. Sowohl vermögensrechtliche als auch persönliche Schäden sind zu betrachten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist als Feststellungsklage zulässig, aber unbegründet. Nach Anhörung der Beteiligten konnte das Gericht durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 84 Abs. 1 VwGO).
1. Nach Auslegung des Klagebegehrens nach § 88 VwGO begehrt die Klägerin die Feststellung, dass kein Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten besteht, das diesen berechtigt, Informationen über sie zu erfragen und an das Betreuungsgericht weiterzuleiten.
2. Ein solches Rechtsverhältnis besteht aber auf Grund von § 7 Abs. 1 des Gesetzes über die Wahrnehmung behördlicher Aufgaben bei der Betreuung Volljähriger (Betreuungsbehördengesetz – BtBG) in Verbindung mit dem Untersuchungsgrundsatz. Nach der genannten Norm kann die Behörde dem Betreuungsgericht Umstände mitteilen, die die Bestellung eines Betreuers oder eine andere Maßnahme in Betreuungssachen erforderlich machen, soweit dies unter Beachtung berechtigter Interessen des Betroffenen nach den Erkenntnissen der Behörde erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr für das Wohl des Betroffenen abzuwenden. Nach Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG ermittelt die Behörde in Verwaltungsverfahren den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Dieser allgemeine Untersuchungsgrundsatz gilt analog auch im vorliegenden Verfahren, auch wenn es nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes, sondern auf die „schlicht-hoheitliche“ Weitergabe von Informationen gerichtet ist (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 9 Rn. 4c ff.). Die Normen dienen dem Interesse derjenigen Personen, die einer Betreuung bedürfen und andernfalls erheblichen Gefahren ausgesetzt sind. Um solche Personen zu schützen, erklärt das Gesetz es für verhältnismäßig, im Rahmen der Informationsgewinnung und –weitergabe an das Betreuungsgericht auch in Rechte Betroffener einzugreifen, selbst wenn das Betreuungsgericht im Nachhinein ein Betreuungsbedürfnis nicht feststellt. Die Betreuungsbehörde soll gerade eine starke, eigenverantwortliche Tätigkeit als gleichberechtigter Pfeiler der Betreuungslandschaft ausüben und gegenüber dem Betreuungsgericht eigene Aufgaben auch in der Informationsgewinnung einnehmen (vgl. Winterstein in Jürgens, Betreuungsrecht, 5. Aufl. 2014 § 7 Rn. 3).
a. Die Informationsgewinnung durch den Beklagten war zulässig. Der Schutz der eventuell betreuungsbedürftigen Person steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zum Schutz personenbezogener Daten. Denn um einen Betreuungsbedarf festzustellen, müssen Informationen verschiedener Stellen zusammengeführt werden und die Einwilligung des Betroffenen ist – anders als sonst im Datenschutzrecht – ein weniger verlässliches Instrument, da der Betroffene möglicherweise seine rechtlichen Angelegenheiten gerade nicht mehr selbst regeln kann (vgl. Walther, BtPrax 1998, 125 ff.).
Vor dem soeben erläuterten Hintergrund kann der Untersuchungsgrundsatz eine gesetzliche Grundlage für das Nachfragen nach Daten bilden. Die gesetzliche Steuerung zum Schutz personenbezogener Daten greift nicht auf Seiten des Fragenden, sondern auf Seiten des Antwortenden; der Betroffene ist somit u.a. durch die ärztliche Schweigepflicht vor der Weitergabe seiner Daten geschützt, soweit diese reicht (vgl. Pardey, BtPrax 1998, 92, 95 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte ausreichend Anhaltspunkte, ein Verfahren nach § 7 BtBG durchzuführen (siehe unten). Die Mitarbeiter haben von Amts wegen den maßgeblichen Sachverhalt ermittelt und Informationen eingeholt, welche für die Prüfung, ob eine Betreuung angezeigt sein könnte, erforderlich sind.
b. Auch die Weitergabe der Informationen an das Betreuungsgericht, also die Anregung eines Betreuungsverfahrens selbst, erfolgte rechtmäßig. Die angestrebte Maßnahme des Betreuungsgerichts muss nicht nur zulässig, sondern auch geeignet sein, die erhebliche Gefahr abzuwenden. Mit einer Betreuerbestellung oder anderen Maßnahmen im Rahmen eines Betreuungsverfahrens muss eine positive Veränderung hin zum Wohle des Betroffenen zu erwarten sein. Wenn auch ein Betreuer keine tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme oder Veränderung hat, wäre eine Maßnahme nicht Erfolg versprechend und daher unzulässig.
Eine „Gefahr“ ist dann gegeben, wenn nicht nur die bloße Möglichkeit, sondern bereits eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts vorliegt.
Erheblich ist die Gefahr, wenn gemessen an den Verhältnissen des Betroffenen nicht nur ein geringer, sondern ein im Verhältnis zu den mit der Maßnahme zu erwartenden Belastungen bedeutender Schaden voraussehbar ist. Sowohl vermögensrechtliche als auch persönliche Schäden sind zu betrachten (vgl. Winterstein a.a.O. Rn. 7 ff.).
Die Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Die Mitarbeiter des Beklagten gingen in rechtmäßiger Weise davon aus, dass die Bestellung eines Betreuers für die Klägerin erforderlich ist, um eine erhebliche Gefahr für ihr Wohl abzuwenden. Die Klägerin lehnte eine Beratung oder andere Hilfestellungen ab, wirkte – auch nach eigenen Angaben – unglücklich, gestresst, übermüdet, unkonzentriert und ausgelaugt, die Wohnsituation war schlecht. Die in der Akte befindlichen Fotos zeigen eine vollständig vermüllte Wohnung, in der für zwei Personen nur ein Bett stand. Die Klägerin hat im Gespräch mit den Mitarbeiterinnen der Betreuungsstelle angegeben, sie fühle sich von diversen anderen betrogen und übervorteilt, dass sie somit einer anderen Stelle oder Person vertraute und sich um Hilfe bemühte, war nicht ersichtlich. Die Konflikte mit dem Nachbarn – von wem sie auch ausgingen – belasteten die berufstätige Klägerin nach eigenen Angaben schwer, eine Erschöpfung ihrer Kräfte lag nahe. Die Betreuungsstelle ist im Rahmen ihrer Tätigkeit auf den persönlichen Eindruck des Betroffenen, seine eigenen Angaben sowie Informationen Dritter – wie etwa der sachverständigen Ärzte angewiesen. Es stand zu befürchten, dass die Klägerin ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht selbst regeln konnte und damit in ernsthafte psychische und physische Probleme geraten könnte, so dass die Ermittlung des Sachverhalts und die Überprüfung einer Betreuung dringlich war.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge der §§ 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 1 Satz 3, § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.