IT- und Medienrecht

Anspruch auf Ersatz von Kosten eines privat vom Geschädigten erholten Schadensgutachtens

Aktenzeichen  10 C 1057/20

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56074
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91, § 128 Abs. 2, § 708 Nr. 11, § 711

 

Leitsatz

Das Schweizer Recht regelt nicht ausdrücklich, ob oder unter welchen Voraussetzungen die Kosten eines von einem Geschädigten selber erholten Schadensgutachten einen ersatzfähigen Schaden darstellt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
(1) Es ist Schweizer Recht anzuwenden.
Im vorliegenden Fall ist gemäß Artikel 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 für Ansprüche aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eingetreten ist. Der Unfall hat sich in der Schweiz ereignet.
(2) Nach Schweizer Recht besteht in der vorliegenden Konstellation kein Anspruch auf. Ersatz von Kosten eines privat vom Geschädigten erholten Schadensgutachtens, welches erholt wurde, bevor eine Kommunikation über den Schadensausgleich erfolgt ist.
(2.1.) Das Schweizer Recht regelt (ebenso wie das BGB) nicht ausdrücklich, ob oder unter welchen. Voraussetzungen die Kosten eines von einem Geschädigten selber erholten Schadensgutachten einen ersatzfähigen Schaden darstellt. Diesbezüglich kann auf den Wortlaut der im erholten Gutachten wiedergegebenen Vorschriften der Art. 62, 58 SVG wie der Art. 41 ff OR Bezug genommen werden.
Hiernach stellt sich nach Schweizer Recht strukturell die gleiche Frage wie nach deutschem Recht, nämlich inwieweit freiwillige Vermögensaufwendungen des Geschädigten auszugleichen sind.
Alleine der Umstand, dass die gleiche Struktur vorliegt, und der Gesetzestext selber beide Male die Antwort nicht vorgibt besagt jedoch gerade nicht, dass die vorzunehmenden Wertungen gleichlaufen müssen.
Zum einen ist festzustellen, dass in der Schweizer Rechtswirklichkeit keine Gerichtsentscheidungen feststellbar sind, in denen dem Geschädigten in einer der hier vorliegenden Konstellation vergleichbaren Fallgestaltung die Kosten eines Privatschadensgutachtens zugesprochen werden.
Dies beruht darauf, dass in der Schweiz etwaige Schadensgutachten durchgängig von den haftenden Versicherungen erholt werden, welche als Auftragsgeber die hierdurch entstehenden Kosten selber tragen.
Selbstverständlich ist (wie auch in Deutschland betreffend die Gutachten für Kaskoschäden) davon auszugehen, dass hier deutlich niedrigere Gutachterkosten anfallen.
Wenn vor diesem Hintergrund die Ausführungen des Handelsgerichts des Kantons Zürich (dargelegt im Gutachten des Sachverständigen …) zugrundegelegt werden, so ist klar, dass zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte die Klägerin nicht darauf angewiesen war, vor Kontaktierung der Beklagten ein privates Schadensgutachten zu erholen. Es wäre vielmehr selbstverständlich möglich gewesen, die Beklagte zu kontaktieren, und über eine Kommunikation abzuklären, welcher Ersatz geleistet wird und inwieweit die Beklagte hierzu auch ein Gutachten erholt. Dem erholten Gutachten ist zu entnehmen, dass in der Schweizer Wirklichkeit Haftpflichtschäden aus Verkehrsunfällen nahezu ausschließlich außergerichtlich abgewickelt werden. Damit besteht evident keine Notwendigkeit diesem beinahe durchgängig funktionierenden System ex ante bereits zu misstrauen, und zusätzliche Kosten durch die Einschaltung von dritten Dienstleistern zu produzieren.
Es ist auch evident, dass der Klägerin kein Rechtsverlust gedroht hätte, wenn sie zunächst mit der Beklagten kommuniziert hätte, und noch nicht einmal, wenn zunächst ein von der Beklagten erholtes Gutachten abgewartet worden wäre, da die Klägerin sich bei Einwänden hiergegen als Fahrzeugeigentümerin bei verbleibendem Streit für den Fall einer etwaig notwendigen Beweissicherung immer noch ein Gegengutachten hätte erholen können.
Hiernach bestand im konkreten Fall unter Berücksichtigung des Schweizer Rechts wie der Schweizer Wirklichkeit keine Veranlassung zur Erholung eines privaten Schadensgutachtens durch die Klägerin.
Es muss auch ganz klar ausgesprochen werden, dass die gegenteilige Sicht der Klägerin schnell dazu führte, dass die Schweizer Wirklichkeit vollständig durch die „deutsche Sichtweise“ ausgehebelt werden könnte, ohne dass die haftenden Versicherungen eine vernünftige Möglichkeit hätten, auf die hierdurch veranlassten Kosten Einfluss zu nehmen. Damit würde das bestehende System, welches letztlich über Kommunikation nahezu ausschließlich eine außergerichtliche Lösung des Schadensersatzes nach Verkehrsunfällen bewirkt alleine durch ein prophylaktisches und kostenauslösendes Verhalten des Geschädigten verabschiedet werden können.
Es darf auch angemerkt werden, dass auch im deutschen Recht die aktuelle Rechtsprechung keineswegs selbstverständliche Folge des Gesetzes ist, sondern nur als historisch gewachsen verstanden werden kann. Außerhalb des Kfz-Schadensbereichs gibt es auch im deutschen Recht keinerlei vergleichbare Strukturen, dass Geschädigte sich ohne weiteres und sofort und auf Kosten von Schädigern sachverständig beraten lassen können. Weiter hat der BGH bis zuletzt keinerlei funktionierendes rechtliches Kontrollsystem bezüglich der Höhe der Vergütung für die Schadensgutachten gefunden, und die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass derartige Gutachten auf dem freien Markt von Selbstzahlern nicht erholt werden (niemand, der eigenverschuldet sein Fahrzeug gegen die Leitplanke setzt erholt ein Schadensgutachten auf eigene Kosten) nicht gezogen, so dass bekanntermaßen die Kosten für derartige Gutachten in Deutschland deutlich höher sind als im benachbarten Ausland (etwa Österreich), wobei zudem die wesentliche Leistung in der Erstellung eines Kostenvoranschlags besteht, welchen jede normale Werkstätte erstellen könnte, und bei Reparaturauftrag ohne Zusatzvergütung in der Rechnung ausweist.
(2) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der ihr vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten.
Insoweit ist das Gericht aufgrund des erholten Sachverständigengutachtens davon überzeugt, dass es im Schweizer Recht keinen Grundsatz gibt, dass alleine wegen des Auslandsbezugs eine sofortige Beiziehung eines Rechtsanwalts notwendig macht. Unabhängig hiervon hat die Klägerin keine Schweizer Anwälte oder Anwälte mit besonderer Kenntnis des Schweizer Rechts beauftragt, was sich bereits daran zeigt, dass vorgerichtlich exakt entlang der deutschen Rechtsprechung Forderungen gestellt wurden, ohne darauf einzugehen, dass Schweizer Recht anzuwenden wäre.
Unabhängig von diesem Gesichtspunkt war die Beiziehung eines Rechtsanwalts erkennbar nicht geboten. Die Klägerin ist selbstverständlich in der Lage, Ansprüche gegenüber der Beklagten zu erheben, und hat als große Fahrzeugvermieterin Erfahrung mit Fahrzeugen und Schäden.
Es handelt sich um einen Sachschaden, und die Haftungsquote ist von der Beklagten nicht angegriffen worden.
Die konkrete Abwicklung hat gezeigt, dass die Beklagte sofort die berechtigten Ansprüche gegenüber der Klägerin reguliert hat.
Auch hier erleidet die Klägerin erkennbar keinen bleibenden Rechtsverlust, wenn sie zunächst ihre (vermeintlichen) Ansprüche selber geltend macht. Damit ist eine Einschaltung eines Rechtsanwalts zunächst nicht erforderlich.
Im konkreten Fall sind sämtliche berechtigten Ansprüche der Klägerin durch die Beklagte sofort reguliert worden. Wäre dies nicht der Fall könnte eine Anwaltsbeauftragung nach einer Regulierungsablehnung als erforderlich gewertet werden. Diese Konstellation liegt hier jedoch nicht vor.
(3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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