Aktenzeichen 173 C 15615/16
Leitsatz
1 Das Stolpern eines Verletzten kann als schadensstiftende Handlung durch die Verfolgung des Schädigers „herausgefordert” worden sein. Damit ist auch der Zurechnungszusammenhang im Hinblick auf den im Verlaufe der Flucht erfolgten Sturz des Verletzten gegeben, der einen Schmerzensgeldanspruch auslösen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Eigentümer einer vermieteten Immobilie ist nicht berechtigt, ein Hausverbot zu verhängen. Bei vermieteten Räumlichkeiten ist hausrechtsberechtigt alleine der Mieter. Dies kann sogar noch nach Mietvertragsende gelten, solange der Mieter als Nachwirkung aus dem früheren Vertragsverhältnis weiter die tatsächliche Sachherrschaft inne hat. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2016 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 68%, der Beklagte 32%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der jeweils zu vollstreckenden Forderung.
Gründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Dem Kläger steht wegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Körperverletzung durch den Beklagten ein Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 253 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB zu, jedoch nicht in der beantragten Höhe.
1. Es liegt eine dem Beklagten zurechenbare Verletzungshandlung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB vor. Hierunter ist jedes Verhalten zu verstehen, welches eine nachteilige Beeinträchtigung der Gesundheit oder des Körpers mittelbar oder unmittelbar verursacht. Der Kläger macht einen sogenannten „Herausforderungsfall“ geltend, da seine Flucht vor dem Beklagten und letztlich auch sein Sturz durch den Angriff und die Verfolgung durch den Beklagten provoziert worden sei. Zwar hat der Beklagte bestritten, den Kläger in irgendeiner Weise zur Flucht veranlasst zu haben, vielmehr habe der Kläger aus freien Stücken die Flucht ergriffen. Diese Angaben des Beklagten sind jedoch widerlegt durch die Inaugenscheinnahme des vom Kläger gefertigten Videos.
Ausweislich der Videoaufzeichnung, welche der Kläger aufgrund des Vorfalls am Tag zuvor bereits startete, noch ehe er das Gebäude verließ, ist unzweifelhaft zu erkennen, dass der Beklagte dem Kläger vor dem Gebäude auflauerte, ohne weitere Vorwarnung wild auf ihn zustürmte, dabei laut „jetzt aber“ schrie und den Kläger in Richtung zur Straße verfolgte. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Beklagte den Kläger durch den Angriff mit anschließender Verfolgung zur Flucht veranlasste.
2. Damit ist auch der Zurechnungszusammenhang im Hinblick auf den im Verlaufe der Flucht erfolgten Sturz des Klägers gegeben. Das Stolpern des Klägers als schadensstiftende Handlung wurde durch die Verfolgung des Beklagten „herausgefordert.“ Dies zumal der Beklagte auch noch ein Pfefferspray in der Hand hielt, was auf dem Video ebenfalls erkennbar war. Berücksichtigt werden kann auch, dass der Beklagte bereits im Ausspruch des Hausverbots mit Scheiben vom 31.03.2013 ankündigte, sein Hausrecht „notfalls mit Gewalt“ verteidigen zu wollen.
Dass der Kläger sich durch das Verhalten des Beklagten bedroht fühlte, ist nachvollziehbar. Ein Sturz mit Verletzungsfolgen auf der Flucht ist auch nicht außerhalb der Lebenserfahrung und vom Schutzzweck der Norm des § 823 BGB umfasst.
3. Der Beklagte handelte auch rechtswidrig, ein Rechtfertigungsgrund in Folge des ausgesprochenen Hausverbots gegenüber dem Kläger bestand nicht.
Der Beklagte war bereits nicht berechtigt, gegenüber dem Kläger ein Hausverbot zu verhängen. Bei vermieteten Räumlichkeiten ist hausrechtsberechtigt alleine der Mieter. Dem Beklagte stand es folglich nicht zu, ein Hausverbot gegenüber dem Beklagten hinsichtlich der von der Firma … Kaffe und Bohnen GmbH gemieteten Räumlichkeiten auszusprechen. Dies würde sogar noch nach Mietvertragsende gelten, solange der Mieter als Nachwirkung aus dem früheren Vertragsverhältnis weiter die tatsächliche Sachherrschaft inne hat (vergleiche Schönke-Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 123 Randnummer 17). Bei der GmbH, deren Gesellschafter der Kläger ist, wäre dabei auf dem Organbesitz, vermittelt durch den Geschäftsführer, abzustellen (vergleiche Joost, Münchner Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 854 Randnummer 17).
Abgesehen davon wäre zweifelhaft, ob sich der hinterhältige Angriff des Beklagten überhaupt als Verteidigung des Hausrechts verstehen ließe, da der Beklagte dem Kläger nicht den Zutritt verwehren wollte, sondern ihn verfolgte, als er das Gebäude ohnehin bereits verlassen wollte. Zudem wäre auch eine Verteidigung des Hausrechts am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen, das heißt die Handlungen des Beklagten müssten sich als geeignet, erforderlich und angemessen darstellen. Bereits die Geeignetheit erscheint wie oben aufgeführt zweifelhaft, nachdem der Kläger das Gebäude ohnehin bereits verlassen wollte. Auch die Beschränkung der Abwehrmittel auf das erforderliche Maß wäre vorliegend überschritten, da der Beklagte den Kläger ohne Vorwarnung sofort angriff. Eine vorherige mündliche Aufforderung, das Gelände zu verlassen, wäre in jedem Fall angezeigt gewesen.
4. Der Beklagte handelte auch schuldhaft, da er den Kläger vorsätzlich angegriffen und verfolgt hat. Mit einem Sturz des Klägers und dadurch verursachten Verletzungen hätte er rechnen können und müssen.
5. Der Kläger wurde durch Angriff, Verfolgung und Sturz adäquat kausal verletzt. Die Verletzungsfolgen in Form von Prellungen und Schürfwunden wurden seitens des Klägers ausweislich des ärztlichen Attests noch vom 09.04.2013 sowie verschiedener Lichtbilder nachgewiesen.
Das Gericht erachtet ein für die erlittenen Verletzungen des Klägers ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 Euro als angemessen und ausreichend im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB. Dabei war einerseits zu berücksichtigen, dass es sich bei den Schürfwunden nur um leichte und oberflächliche Verletzungen handelt. Die Hüftprellung andererseits manifestierte sich in einem großflächigen Bluterguß, welcher in jedem Fall nicht unerhebliche Schmerzen verursacht haben dürfte, auch über einen gewissen Zeitraum hinweg.
6. Gründe, den Anspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt eines Mitverschuldens im Sinne von § 254 BGB zu kürzen, sind nicht ersichtlich. Weder bestand ein wirksames Hausverbot, wie bereits oben ausgeführt, noch sind sonstige Gründe ersichtlich, weshalb er den Angriff selbst provoziert hätte.
7. Zinsen sind lediglich in Form von Prozesszinsen gemäß § 291 BGB ab Rechtshängigkeit geschuldet, das heißt vorliegend ab 01.09.2016. Sofern der Kläger offenbar Verzugszinsen geltend macht, so erschließt sich nicht, wie sich ein Verzug begründen lassen sollte. Es ist allgemein anerkannt, dass § 849 BGB auf Schmerzensgeldforderungen keine Anwendung findet. Nicht nachvollziehbar ist jedenfalls, wieso der Kläger eine Verzinsung bereits ab 08.04.2013, also noch vor dem schädigenden Ereignis am 09.04.2013, fordert.
8. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Angesichts der geforderten 2.500,00 Euro obsiegt der Kläger in Höhe von 32%.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.