IT- und Medienrecht

Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF

Aktenzeichen  L 18 SB 105/16

Datum:
19.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 137637
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 153 Abs. 2, § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs RF, insbesondere im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, liegen nicht vor, wenn dem Betroffenen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen jedenfalls unter Benutzung von Hilfsmitteln möglich ist, insbesondere wenn bestehende Probleme hinsichtlich Harn- und Stuhldrang durch Benutzung von Inkontinenzartikeln ausgeglichen und eine Sturzgefahr jedenfalls durch Benutzung eines geeigneten Rollstuhls vermieden werden können. Die durch das Aufsuchen einer Toilette während Veranstaltungen entstehenden Störungen sind anderen Teilnehmern, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Inklusion, ohne weiteres zuzumuten. (Rn. 18 – 19)

Verfahrensgang

S 12 SB 371/14 2016-06-16 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.06.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 24.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2014 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Gewährung des Nachteilsausgleichs RF abgelehnt hat.
Streitgegenstand ist im vorliegenden Verfahren allein Zuerkennung des Merkzeichens RF. Anspruchsgrundlage für die Feststellung ist § 69 Abs. 4 SGB IX in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag. Nach § 69 Abs. 4 SGB IX stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Ermäßigung des Rundfunkbeitrages nach § 2 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag. Diese Ermäßigung erhalten demnach Personen, die
1.blind oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehindert sind mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 von Hundert allein wegen der Sehbehinderung,
2.hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist und
3.behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 von Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Zu Recht hat das SG die statthafte kombinierte Anfechtungs-und Feststellungsklage abgewiesen, denn die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs RF, insbesondere im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 3 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, liegen in der Person der Klägerin nicht vor. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids, die auch der Überzeugung des Senats entsprechen, Bezug. Auch zur Überzeugung des Senats ist der Klägerin die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen jedenfalls unter Benutzung von Hilfsmitteln möglich. Die geschilderten Probleme hinsichtlich von Harn- und Stuhldrang können durch Benutzung von Inkontinenzartikeln ausgeglichen, eine Sturzgefahr kann jedenfalls durch Benutzung eines geeigneten Rollstuhls vermieden werden. Die durch das Aufsuchen einer Toilette während Veranstaltungen entstehenden Störungen sind anderen Teilnehmern, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Inklusion ohne weiteres zuzumuten.
Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von § 4 Abs. 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag bestehen nicht. Die unter den Ziffern 1 bis 3 dieser Vorschrift aufgezählten Personengruppen unterscheiden sich insoweit voneinander, als die in Ziffern 1 und 2 genannten Personen das öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehangebot aufgrund ihrer Behinderung nur eingeschränkt nutzen können, während die in Ziffer 3 genannten Personen das Angebot uneingeschränkt nutzen können, aber in besonderem Maße darauf angewiesen sind. Mangels Vergleichbarkeit der Ausgangssituation ist nicht zu erkennen, dass die in Ziffer 3 aufgestellte Anforderung, dass diese Personen wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, verfassungswidrig sein könnte. Auch besteht von Verfassungs wegen kein Gebot, behinderten Menschen unabhängig von ihrer Einkommens- und Vermögenssituation eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags oder gar eine Befreiung hiervon zu gewähren (vgl. auch Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 03.12.2013 – 7 ZB 13/3817, Juris Rn. 24). Da die Rundfunkbeitragspflicht auch Inhaber einer Wohnung trifft, die weder über ein Rundfunkempfangsgerät verfügen noch das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot nutzen wollen, ist nicht ersichtlich, dass es der Beitragsgerechtigkeit widersprechen würde, Personen zum Beitrag heranzuziehen, die in besonderer Weise auf das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot angewiesen sind.
Die vom Bevollmächtigten der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Zu Recht ist das SG angesichts der eindeutigen Rechts- und Gutachtenlage von einem einfach gelagerten Fall ausgegangen. Auch trifft es zu, dass das am 03.05.2016 beim SG eingegangene Ablehnungsgesuch vom gleichen Tage gegen PD Dr. A. verspätet war. Die Untersuchung durch den Sachverständigen hat am 17.02.2016 stattgefunden. Bereits mit Schriftsatz vom 09.03.2016 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten zu dem Gutachten Stellung genommen; den auf Ereignisse während der Untersuchung gestützten Befangenheitsantrag hat sie jedoch erst am 03.05.2016 gestellt. Auch im Übrigen ist nichts ersichtlich, was eine Besorgnis der Befangenheit der erstinstanzlich gehörten Gutachter befürchten lassen könnte. Von der Festsetzung einer Missbrauchsgebühr auf der Grundlage des § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG, dessen Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Senat aus Billigkeitserwägungen abgesehen. Auf die entsprechenden Hinweise in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

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