IT- und Medienrecht

Arglist des Fahrzeugverkäufers bei Anbringung einer falschen Umweltplakette

Aktenzeichen  6 O 4354/19

Datum:
25.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33916
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 39 S. 1, § 256 Abs. 1, § 756 Abs. 1, § 765 Nr. 1
BGB § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 444 S. 2, § 476 Abs. 1
KraftStG § 8
GKG § 43 Abs. 1

 

Leitsatz

Der Verkäufer eines lediglich die Abgasnorm Euro 2 erfüllenden gebrauchten PKW handelt arglistig im Sinne des § 444 BGB, wenn er das Fahrzeug mit der Beschreibung “Umweltplakette 4 (Grün)” anbietet und er an das veräußerte Fahrzeug eine nicht für dieses ausgegebene grüne Umweltplakette angebracht hat, ohne den Käufer über den letztgenannten Umstand aufzuklären. (Rn. 21 – 23)
1. Ist nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag eine Verwendung dergestalt vorausgesetzt, dass dem Fahrzeug auch nach der Zulassung durch den Käufer eine grüne Umweltplakette erteilt wird, mithin das Fahrzeug die Emissionsklasse 4 als Beschaffenheit ausweist, fehlt es an der geschuldeten Beschaffenheit, wenn das verkaufte Fahrzeug nach seinen bauartbedingten technischen Gegebenheiten lediglich die Emissionsklasse 2 erfüllt. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verkäufer kann sich nicht auf einen vereinbarten Ausschluss der Sachmängelhaftung berufen, wenn er einen Sachmangel arglistig verschwiegen oder bewusst und ohne ausreichende Tatsachenkenntnis falsche Angaben getätigt hat. (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.703,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.06.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Multivan Comfortline mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.06.2019 zu zahlen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.703,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts folgt bereits daraus, dass die Beklagte zur Sache verhandelt hat, ohne die fehlende Zuständigkeit zu rügen (§ 39 Satz 1 ZPO).
Hinsichtlich des Feststellungsantrags zu Ziffer II. der Klage folgt das erforderliche rechtliche Interesse i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO aus den Besonderheiten der Zwangsvollstreckung im Falle einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung (§§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO).
II.
Die Leistungsklage ist auch begründet.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2, 440, 323 Abs. 1, 346 Abs. 1 BGB).
a) Zwischen den Parteien ist unstreitig ein Kaufvertrag geschlossen worden (§ 433 Abs. 1 BGB), infolge dessen der Kläger an die Beklagte den Kaufpreis von 8.500,- € entrichtet hat (Anlage B 1).
b) Das veräußerte Fahrzeug wies zum Zeitpunkt der Übergabe – also des Gefahrübergangs (§ 446 BGB) – mindestens einen Sachmangel auf. Denn das Fahrzeug war seitens der Beklagten mit der Eigenschaft „Umweltplakette 4 (Grün)“ angeboten worden (Anlage K 1) und an dem Fahrzeug war während der Besichtigung durch den Kläger auch eine grüne Umweltplakette mit dem damaligen amtlichen Kennzeichen des Fahrzeugs angebracht (Anlagen K 2 und K 3).
Daher war nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag eine Verwendung dergestalt vorausgesetzt, dass dem Fahrzeug auch nach der Zulassung durch den Kläger eine grüne Umweltplakette erteilt wird, mithin das Fahrzeug die Emissionsklasse 4 als Beschaffenheit ausweist (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB; vgl. auch LG Wuppertal, Urteil vom 09.06.2011 – 5 O 16/11, juris Rn. 17). Jedenfalls durfte der Kläger als Käufer eine derartige Beschaffenheit erwarten (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 BGB). Ob sogar eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt (so OLG München, Urteil vom 02.11.2016 – 3 U 3277/16, juris Rn. 15; AG Düsseldorf, Urteil vom 08.03.2018 – 235 C 139/17, juris), erscheint zweifelhaft (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.08.2016 – I-2 U 87/14, juris Rn. 30), kann aber letztlich offen bleiben.
An der geschuldeten Beschaffenheit fehlt es im vorliegenden Fall. Das verkaufte Fahrzeug erfüllt nach seinen bauartbedingten technischen Gegebenheiten lediglich die Emissionsklasse 2, so dass ihm nur eine gelbe Umweltplakette zu erteilen ist. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus dem als Anlagen K 5 und K 5a vorgelegten Kraftfahrzeugsteuerbescheid des Hauptzollamtes N. vom 26.04.2019. Dass es sich hierbei um einen wesentlichen Sachmangel handelt, bedarf angesichts der steuerrechtlichen Folgen (§ 8 KraftStG) und der Einrichtung von Umweltzonen in zahlreichen Großstädten keiner näheren Begründung.
c) Die Beklagte kann sich nicht auf den im Vertrag vereinbarten Ausschluss der Sachmängelhaftung berufen. Dabei kann offen bleiben, ob es sich vorliegend um ein Umgehungsgeschäft i.S.v. § 476 Abs. 1 Satz 2 BGB gehandelt hat. Denn die Beklagte hat den zuvor genannten Sachmangel arglistig verschwiegen (§ 444 BGB).
Nach eigenem Bekunden hat sich die Beklagte nicht darüber kundig gemacht, welche Emissionsklasse das von ihr veräußerte Fahrzeug erfüllt. Sie will diesbezüglich lediglich den Angaben des Voreigentümers vertraut haben. Schwerer noch wiegt aber, dass die Beklagte an die Kaufsache eine für das konkrete Fahrzeug nicht ausgegebene grüne Umweltplakette angebracht hat, weil sie sich den Gang zum zuständigen Landratsamt ersparen wollte und weil sie bereits – offensichtlich vom Vorgängerfahrzeug stammend – über eine grüne Umweltplakette mit dem Aufdruck des identischen amtlichen Kennzeichens verfügte. Die Beklagte hat daher bewusst und ohne ausreichende Tatsachenkenntnis den Eindruck vermittelt, das streitgegenständliche Fahrzeug erfülle die Emissionsklasse 4 und ihm sei ordnungsgemäß eine grüne Umweltplakette erteilt worden. Dies mag ohne rechtliche Folgen bleiben, solange die Beklagte dieses Fahrzeug selbst genutzt hat. Wird es jedoch veräußert, so erfolgt die Beschreibung „Umweltplakette 4 (Grün)“ in Verbindung mit einer solchen, an der Frontscheibe des Fahrzeugs angebrachten grünen Plakette „ins Blaue hinein“. Sie geschah auch und gerade zur Anpreisung der Kaufsache.
Solche Äußerungen stehen einer Arglist i.S.v. § 444 BGB gleich, wenn der Verkäufer auf die Begrenztheit seines Kenntnisstandes nicht hinweist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18.03.1981 – VIII ZR 44/80, NJW 1981, 1441, 1442; und vom 16.03.2012 − V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 27; BeckOGK/Stöber, BGB, § 444 Rn. 51 [Stand: 01.08.2018] jeweils mwN). So liegen die Dinge im Streitfall. Der Beklagten musste auch bekannt sein, dass es sich bei einer derartigen Fahrzeugbeschreibung nicht um eine Nebensächlichkeit handelt, sondern ihr im Rechtsverkehr eine nicht unwesentliche Bedeutung zukommt. Die Beklagte hat auch nicht nur gutgläubig falsche Angaben gemacht, indem sie – wie behauptet – auf die Angaben des Voreigentümers vertraute. Vielmehr hat sie bewusst und aus Eigennutz eine für das Fahrzeug nicht ausgegebene grüne Plakette angebracht, so dass sie mit der Unrichtigkeit ihrer Angaben rechnen musste und daher zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Der Beklagten musste nach Ansicht der Kammer auch bewusst sein, dass sich der Kläger auf ihre Angaben verlässt, denn die objektive Unrichtigkeit der angebrachten Umweltplakette war im Zuge einer Probefahrt nicht feststellbar.
d) Einer weiteren Nacherfüllungsfrist bedufte es nicht. Der Kläger hat die Beklagte unter Fristsetzung aufgefordert, den Einbau eines Rußpartikelfilters nachzuweisen (Anlage K 6). Unstreitig hat der Ehemann der Beklagten jedoch jegliche Nacherfüllung abgelehnt und gegenüber dem Kläger erklärt, dieser solle sich „nicht so haben“. Diese Erklärung ihres Ehemannes, der unstreitig die Verkaufsgespräche geführt hat, muss sich die Beklagte zurechnen lassen (analog § 166 Abs. 1 BGB). Danach war ohne weiteres Zuwarten der Rücktritt möglich (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
e) Diesen Rücktritt hat der Kläger am 29.05.2019 erklärt (Anlage K 9; § 349 BGB). Ob daneben auch eine Anfechtung des Kaufvertrages erfolgen konnte, bedarf hier keine Klärung.
f) Das Rücktrittsrecht ist nicht gem. §§ 438 Abs. 4 Satz 1, 218 BGB ausgeschlossen. Denn der Nacherfüllungsanspruch war bei Erhebung der Klage offensichtlich noch nicht verjährt.
g) Die Erstattung des Kaufpreises hat Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs zu erfolgen (§§ 346 Abs. 1, 348 BGB).
h) Der Kläger schuldet seinerseits keine Herausgabe gezogener Nutzungen in Gestalt der Gebrauchsvorteile an dem Fahrzeug. Die Beklagte hat einen solchen Anspruch nicht geltend gemacht. Es ist dem Gericht verwehrt, einen solchen Gegenanspruch nach Grund und Höhe von Amts wegen zu ermitteln. Denn die Beklagte hätte mit einem solchen Anspruch die Aufrechnung erklären müssen; es kommt nicht zu einer automatischen Saldierung (vgl. BGH, Urteil vom 30.06.2017 – V ZR 134/16, BGHZ 215, 157 Rn. 13 mwN).
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte außerdem einen Schadens- und Aufwendungsersatzanspruch gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 284 BGB.
a) Dieser umfasst zum einen die Aufwendungen des Klägers für die Zulassung des Fahrzeugs sowie die Kosten für kleinere Reparaturen, die der Kläger nach Gefahrübergang an dem Fahrzeug vorgenommen hat. Die Erforderlichkeit dieser Aufwendungen ist ebenso unstreitig wie die Höhe der angefallenen Kosten. Sie belaufen sich auf insgesamt 203,- €. Folglich beträgt der Gesamtbetrag der geschuldeten Zahlung 8.703,- € (Tenor zu Ziffer 1).
b) Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Tenor zu Ziffer 3). Diese stellen einen Mangelfolgeschaden dar. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts war zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung erforderlich und angemessen. Unstreitig sind dem Kläger hierfür Kosten in Höhe von 808,13 € brutto entstanden.
Die teilweise Anrechnung dieser Kosten auf die im Rechtsstreit angefallenen Gebühren ist dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten.
3. Die Zahlungsansprüche sind gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen. Infolge des als Anlage K 9 vorgelegten Schreibens befindet sich die Beklagte seit dem 15.06.2019 in Verzug.
III.
Die Feststellungsklage ist ebenfalls begründet (Tenor zu Ziffer 2). Mit dem vorbenannten Schreiben ist die Beklagte zur Abholung des Fahrzeugs aufgefordert worden. Dies war insofern zutreffend, als im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Sache bei dem rücktrittsberechtigten Käufer abzuholen ist (vgl. BeckOGK/Schall, BGB, § 346 Rn. 407 ff. mwN [Stand: 01.08.2019]). Die Beklagte ist dem nicht nachgekommen und befindet sich daher im Annahmeverzug (§§ 293 f. BGB).
IV.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
2. Hinsichtlich des Streitwertes hat die Feststellung des Annahmeverzuges keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 30.04.2015 – III ZR 216/14, BeckRS 2015, 9439 Rn 5 mwN). Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bleiben als Nebenforderung ebenfalls außer Betracht (§ 43 Abs. 1 GKG).

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