Aktenzeichen 274 C 4910/17
BGB § 249, § 823 Abs. 1
Leitsatz
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.088,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.03.2017 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 4.088,34 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
A.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages in Höhe von 4.088,34 € gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB.
I.
Die streitgegenständlichen Grabsteine bzw. das Kreuz stehen unstreitig im Eigentum des Klägers.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites unerheblich ist, dass der Kläger hinsichtlich des Kreuzes mit der Aufschrift „…“ von einem Grabstein spricht, während dieses laut Beklagtem ein Ehrenkreuz bzw. ein Kenotaph darstelle. Die Bezeichnung des Klägers ist insoweit unschädlich, da ohne weiteres klar ersichtlich ist, was vom Kläger gemeint ist. Die beiden Grabsteine links und rechts des Kreuzes betreffen unstreitig andere Mitglieder der Familie J…, nämlich I… und L…. Soweit der Beklagte ausführt, dass der Vortrag des Klägers in dieser Hinsicht unsubstantiiert sei, ist dem Beklagten nicht zuzustimmen. Es ist aus dem Vortrag des Klägers klar ersichtlich, dass dieser von einer Beschädigung des Kreuzes in der Mitte spricht, und nicht von den beiden Grabsteinen links und rechts daneben.
II.
Die vom Kläger vorgetragenen Handlungen des Beklagten, nämlich das zweimalige Anbringen einer Tafel an dem Kreuz, das Entfernen des Buchstabens „J“ und das zweimalige Anbringen roter Farbe, werden vom Beklagten nicht bestritten. Diese Handlungen stellen eine Einwirkung auf die Sachsubstanz des im Eigentum des Klägers stehenden Kreuzes dar. Eine Eigentumsverletzung ist hierbei jeweils durch die Verletzung der körperlichen Integrität als solche gegeben; eine Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der Sache ist nicht erforderlich (vgl. MüKoBGB/Wagner, BGB § 823, Rn. 230). Eine Verunreinigung stellt eine Eigentumsverletzung dar (vgl. HK-BGB/Staudinger, § 823, Rn. 16). Gleiches gilt für die Entfernung eines Buchstabens und das Anbringen einer Tafel mit Kleber, der hinterher mit einem nicht unerheblichen Aufwand wieder entfernt werden muss.
III.
Die Handlungen des Beklagten, die zu der Eigentumsverletzung führten, erfolgten vorsätzlich.
IV.
Die Eigentumsverletzung erfolgte widerrechtlich. Ein ausreichender Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich. Im Einzelnen:
1. Das Eigentum an dem streitgegenständlichen Kreuz und die physische Integrität des Kreuzes werden durch die Rechtsordnung geschützt. Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass ein entsprechender Schutz nicht bestehe, da das Kreuz eine Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB darstelle, ist dem nicht zuzustimmen. Eine Straftat im Sinne des § 130 StGB ist für das Gericht im Zusammenhang mit dem Kreuz nicht ersichtlich. Abgesehen von der Tatsache, dass Straftaten nur durch Personen – und nicht durch Sachen – verwirklicht werden können, erfolgte von Seiten des Beklagten im Übrigen keine näheren Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 StGB. Eine Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der Nationalsozialistischen Gewalt/Willkürherrschaft ist durch das Kreuz jedenfalls nicht erkennbar. Es handelt sich um ein Kreuz mit dem Namen des im Rahmen der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zum Tode verurteilten …, das an dem Familiengrab … aufgestellt wurde. Eine ausdrückliche weitergehende Botschaft enthält das Kreuz nicht. Soweit sich der Beklagte an der bloßen Existenz des Kreuzes auf dem Friedhof auf der Insel Frauenchiemsee stört, ist dies aus Sicht des Gerichts zwar grundsätzlich nachvollziehbar. Für das Vorliegen etwaiger Straftatbestände sind jedoch objektive Kriterien anzuwenden, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind.
Für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits ist es im Übrigen nicht relevant, ob man das Vorhandensein des Kreuzes gutheißt oder nicht. Es ist jedenfalls von der Rechtsordnung im Sinne des Eigentumsrechts geschützt. Das grundsätzliche Bestehen eines Eigentumsrechts kann nicht von Wertungsfragen abhängen. Es besteht grundsätzlich auch bezüglich Personen oder Sachen, die aufgrund subjektiver Empfindungen oder allgemeiner Wertvorstellungen nicht gutgeheißen werden.
2. Die Eigentumsverletzung war auch unter Berücksichtigung der Meinungs- und Kunstfreiheit im Sinne des Art. 5 GG nicht gerechtfertigt. Nach der gebotenen Abwägung der kollidierenden Interessen der Parteien tritt das Recht des Beklagten auf Kunst- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 GG) hinter das Interesse des Klägers an dem Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) zurück.
Art. 5 Abs. 3 GG verbürgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein individuelles Freiheitsrecht, sich künstlerisch zu betätigen, Kunstwerke darzubieten und zu verbreiten. Die Kunstfreiheit ist zwar nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (BVerfGE 30, 173, 193).
In seiner Entscheidung zum „Sprayer von Zürich“, welche ebenfalls die Inanspruchnahme fremden Eigentums zu künstlerischen Zwecken – allerdings ohne die zusätzliche Intention, damit auf einen als unerträglich empfundenen Missstand aufmerksam zu machen – betrifft, hat der damalige Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts die Auffassung vertreten, dass sich die Reichweite der Kunstfreiheit von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung im Werk- oder Wirkbereich der Kunst erstrecke. Denn das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) enthält gleichfalls eine Verbürgung von Freiheit; nach den vom Grundgesetz getroffenen Wertungen steht es nicht prinzipiell hinter der Freiheit der Kunst zurück (Beschluss vom 19.03.1984 – 2 BvR 1/84, NJW 1984, 1293, 1294).
In einer neueren Entscheidung – die allerdings keine Eigentumsbeeinträchtigung, sondern einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) des von der Kunstausübung Betroffenen zum Gegenstand hat – betont das Bundesverfassungsgericht dagegen, dass gerade dann, wenn man den Begriff der Kunst im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von Vornherein vom Schutzbereich der Kunstfreiheit auszuschließen, und wenn man nicht nur den Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, sichergestellt sein muss, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten auch unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen Schutz erfahren. In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet. Auf privaten Klagen hin erfolgende Eingriffe in die Kunstfreiheit stellen sich nicht als staatliche „Kunstzensur“ dar, sondern sind darauf zu überprüfen, ob sie den Grundrechten von Künstlern und der durch das Kunstwerk Betroffenen in gleicher Weise gerecht werden (BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007/1 BvR 1783/05, Rn. 68 f., BVerfGE 119, 1 ff.).
In diesem Zusammenhang darf zunächst der unterschiedliche Schutzgehalt der jeweils von der Kunstausübung betroffenen Rechte Dritter nicht übersehen werden. Während die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) als eines Rahmenrechts nicht absolut feststeht, sondern erst im Einzelfall durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, bei welcher die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vergleiche BGH, Urteil vom 13.01.2015, NJW 2015, 776), bedarf jeder Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte und gemäß § 903 Satz 1 BGB von jedermann zu respektierende Eigentum eines Dritten eines besonderen Rechtfertigungsgrundes.
Ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund für die Eingriffe des Beklagten in die Sachsubstanz des Grabes bzw. des Kreuzes, sowie solche Veränderungen von dessen äußeren Erscheinungsbild, die – wie das Bemalen mit roter Farbe – nur schwer oder mit erheblichem Aufwand wieder rückgängig zu machen sind, ist hier nicht ersichtlich. Das Interesse des Klägers an der Unterlassung derartiger Eingriffe und Eigentumsverletzungen überwiegt deswegen das Recht des Beklagten auf ungestörte künstlerische Betätigung und auch auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG. Gleiches gilt hinsichtlich des Entfernens von Buchstaben aus dem Schriftzug des Kreuzes und das Anbringen von Tafeln am Kreuz mittels Kleber. Was das Anbringen der Tafeln anbelangt, so muss der Kläger auch nicht hinnehmen, dass sein Eigentum von Beklagten als Trägermedium für künstlerische Aussagen oder Meinungsäußerungen benutzt wird. Durch das Unterlassen derartiger Handlungen werden dem Beklagten nicht sämtliche Möglichkeiten entzogen, auf den aus seiner Sicht nicht hinzunehmenden Missstand, dass mit dem streitgegenständlichen Kreuz lange nach Beendigung des nationalsozialistischen Unrechtssystems eines zum Tode verurteilten und hingerichteten Kriegsverbrechers gedacht wird, künstlerisch aufmerksam zu machen.
Insoweit ist auch die Regelung des § 303 StGB zu beachten, durch den die Beschädigung oder die unbefugte Veränderung des Erscheinungsbilds einer fremden Sache unter Strafe gestellt wird. Der darin zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung des Gesetzgebers ist bei der Abwägung der Eigentümerinteressen gegenüber der Inanspruchnahme ihres Eigentums im Rahmen der Kunstfreiheit Rechnung zu tragen. Weiterhin ist insoweit die Regelung des § 823 BGB, durch die das Eigentum geschützt wird, zu berücksichtigen.
Dem Beklagten ist im Sinne der Kunst- und Meinungsfreiheit zuzugestehen, auf die Kriegsverbrechen von Alfred Jodl und den nach seiner Auffassung bestehenden Missstand, dass auf dem Friedhof der Insel Frauenchiemsee ein Kreuz mit dessen Namen aufgestellt ist, hinzuweisen. Es ist dem Beklagten jedoch zuzumuten, dies auf andere Weise als durch die Beschädigung von fremden Eigentum zu tun.
V.
Der vom Kläger geltend gemachte Betrag zur Beseitigung der entstandenen Schäden ist kausal auf die Handlungen des Beklagten zurückzuführen und in der Höhe nicht zu beanstanden.
1. Die vom Kläger vorgelegten und bezahlten Rechnungen betreffen alle die Beseitigung der Folgen des Handelns des Beklagten. Die Höhe der Rechnungen im Sinne der Ortsüblichkeit und Angemessenheit wurde vom Beklagten nicht bestritten.
2. Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass die Rechnung vom 26.11.2016 (Anlage K33) das Entfernen und die Reinigung der beiden äußeren Steine des Grabes betreffe, ist dem nicht zuzustimmen. Als Position 1 der Rechnung ist genannt: „Demontage des mittleren Steins und der beiden äußeren, verladen und in die Werkstatt nach Prien bringen“. Eine Reinigung der beiden äußeren Steine ist in der Rechnung nicht genannt. Es ist lediglich von einer Grabsteinoberfläche die Rede. Dies betrifft offensichtlich nur den mit roter Farbe behafteten Teil, nicht die beiden äußeren Steine. Unter Berücksichtigung des Aufbaus des Grabs ergibt sich denknotwendigerweise, dass die beiden äußeren Steine demontiert werden mussten, um an das darunterliegende Fundament zu gelangen, auf das die rote Farbe lief. Dies ist auf dem als Anlage K32 vorgelegten Foto eindeutig zu erkennen. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers war der erste Reinigungsversuch nach der ersten Anbringung von Farbe nicht vollständig erfolgreich, da dieser vor Ort am Friedhof erfolgte. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass bei dem der Rechnung vom 26.11.2016 zugrundeliegenden Reinigungsversuch eine Verbringung in die Werkstatt erfolgte, um eine gründlichere Reinigung gewährleisten zu können.
3. Vom Beklagten wurde vorgetragen, dass Anhänger der NPD versucht hätten, die Farbe zu entfernen, wodurch die Farbe in den porösen Stein eingedrungen sei. Dies wurde von Seiten des Klägers zulässig mit Nichtwissen bestritten. Ein weiterer Vortrag des Beklagten oder ein Beweisangebot durch den Beklagten erfolgte in der Folge nicht. Der Vortrag des Beklagten, der wohl dahingehen zu verstehen ist, dass durch das Handeln der Anhänger der NPD der Schaden vergrößert bzw. die Reinigungskosten erhöht sein sollten, erscheint in Hinblick darauf „ins Blaue hinein“. Es fehlt an jeglichem substantiierten Vortrag des Beklagten hierzu, insbesondere hinsichtlich der Frage, wann und in welcher Form dies erfolgt sein soll. Nach dem zulässigen Bestreiten durch den Kläger ist der Beklagte damit im Übrigen mangels Beweisangebot insoweit beweisfällig geblieben. Der Vortrag des Klägers, nach dem die Handlungen des Beklagten den durch die streitgegenständlichen Rechnungen entstandenen Schaden verursacht haben, wird durch den Vortrag des Beklagten damit nicht erschüttert.
Im übrigen müsste ohnehin berücksichtigt werden, dass der Beklagte durch das Anbringen der Farbe rechtswidrig die Ursache für etwaige daraufhin erfolgenden Reinigungsversuche gesetzt hat, und ihm damit insoweit eine Verantwortung trifft.
4. Ein etwaiges Auslaufen des Grabnutzungsrechts zum 25.01.2018 ist für das Bestehen des streitgegenständlichen Anspruchs unerheblich. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zwischen der letzten Beseitigung der entstandenen Schäden und dem 25.01.2018 ein Zeitraum von über einem Jahr liegt. Es war dem Kläger nicht zuzumuten, über einen derart langen Zeitraum die rechtswidrige Beeinträchtigung seines Eigentums hinzunehmen.
5. Auch der vom Kläger geltend gemachte Betrag in Höhe von 70,20 € für die Kosten, die entstanden sind, als der Kläger sich am 07.07.2015 in Folge des Handelns des Beklagten zum Grab begeben hat, ist nicht zu beanstanden. Diese Kosten sind vom Umfang des Schadensersatzes im Sinne des § 249 BGB umfasst. Es handelt sich bei dem geltend gemachten Betrag um notwendige Reisekosten. Der mit 60,60 € angesetzte Betrag für die 202 gefahrenen Kilometer ist nicht zu beanstanden.
B.
Eine Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 GG war im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt.
C.
Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen ergibt sich aus § 291 BGB.
D.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
E.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.