Aktenzeichen 29 U 4903/16
UWG § 3, § 3a, § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2
Leitsatz
Nach § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB handelt es sich bei jeder einzelnen Ein- oder Auszahlung von Bargeld auf ein Girokonto oder von einem solchen um eine Leistung, für die als Gegenleistung ein Entgelt vereinbart und verlangt werden kann; die Vorschrift begründet deshalb eine Hauptleistungspflicht des Zahlungsdienstnutzers. Klauseln, welche die Höhe dieses Entgelts bestimmen, sind nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB entzogen. (Rn. 23)
Verfahrensgang
1 HK O 893/16 2016-11-16 Urt LGMEMMINGEN LG Memmingen
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 16. November 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Der Unterlassungsantrag ist schon deshalb unbegründet, weil er die konkrete Verletzungsform verfehlt, welche die Klägerin im beanstandeten Vorgehen der Beklagten sieht.
Das von der Klägerin beantragte Verbot erfasst grundsätzlich Preis- und Leistungsverzeichnisse, die für die Ein- und Auszahlung von Bargeld auf bzw. von Girokonten an der Kasse ein Entgelt vorsehen; vom Verbot ausgenommen sind jedoch die Fälle, in denen pro Monat mindestens fünf Ein- oder Auszahlungen an der Kasse und/oder am Geldautomaten ohne Berechnung möglich sind. Wegen der „und/oder“-Verknüpfung genügt es für eine Ausnahme vom Verbot, wenn zwar an der Kasse keine, aber am Geldautomaten mindestens fünf Vorgänge pro Monat kostenfrei sind.
Das ist indes genau das Verhalten, das die Klägerin bei der Beklagten beanstandet: Bei den Verträgen S-Giro Basis und S-Giro Komfort ist zwar keine einzige Ein- oder Auszahlung an der Kasse kostenfrei, dagegen können mindestens fünf, nämlich beliebig viele Vorgänge über den Geldautomaten kostenfrei abgewickelt werden. Der Unterlassungsantrag erfasst daher die beanstandete Handlungsform nicht, sondern verfehlt sie und ist deshalb unbegründet (vgl. BGH GRUR 2015, 1108 – Green-IT Tz. 21 m. w. N.).
2. Der Senat hat keine Veranlassung, die Klägerin auf diesen Mangel des Antrags hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, einen sachdienlichen Antrag zu stellen, weil ihr aus dem beanstandeten Verhalten der Beklagten kein entsprechender materiell-rechtlicher Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 3a UWG i. V. m. § 307 Abs. 1 BGB erwachsen ist (vgl. BGH GRUR-RR 2012, 475 – Matratzen Tz. 19 m. w. N.).
Insbesondere sind die beanstandeten Klauseln nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil diese Vorschriften gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB im Streitfall keine Anwendung finden.
a) Die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB auf solche Klauseln beschränkt, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Nicht kontrollfähig sind danach Klauseln, die unmittelbar den Preis der vertraglichen Hauptleistung bestimmen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Juli 2017 – XI ZR 260/15, juris, Tz. 20 m. w. N.). Leistung und Gegenleistung können von den Vertragsparteien nach dem Grundsatz der Privatautonomie frei bestimmt werden; mangels gesetzlicher Vorgaben fehlt es daher insoweit an einem Kontrollmaßstab (vgl. BGH NJW 2015, 687 Tz. 23 m. w. N.).
b) Danach unterfallen die beanstandeten Klauseln nicht der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.
aa) Beide Parteien legen die Leistungsbeschreibung beleghafte Buchungen und Kassenposten mit Service dahin aus, dass dadurch Ein- und Auszahlungen von Bargeld an der Kasse erfasst werden, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt haben. Damit ist – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat und auch von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht in Frage gestellt wird – ausgeschlossen, dass das Entgelt auch für Buchungen erhoben wird, die der Herbeiführung des sachlich richtigen Stands nach der fehlerhaften Ausführung eines Zahlungsauftrags dienen (vgl. dazu BGH NJW 2015, 1440 Tz. 13). Ebenso ist eine Erhebung für Buchungen ausgeschlossen, die einen nicht autorisierten Zahlungsvorgang betreffen (vgl. dazu BGH NJW 2015, 3025 Tz. 35).
bb) Nach § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB ist der Zahlungsdienstnutzer verpflichtet, dem Zahlungsdienstleister das für die Erbringung eines Zahlungsdienstes vereinbarte Entgelt zu entrichten. Nach den gemäß § 675c Abs. 3 BGB anzuwendenden Begriffsbestimmungen des Zahlungs-diensteaufsichtsgesetzes sind Zahlungsdienste alle Dienste, mit denen Bareinzahlungen auf ein Zahlungskonto oder Barauszahlungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 ZAG), und ein Zahlungskonto ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes und der Ausführung von Zahlungsvorgängen dienendes Konto, das die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister innerhalb der Geschäftsbeziehung buch- und rechnungsmäßig darstellt und für den Zahlungsdienstnutzer dessen jeweilige Forderung gegenüber dem Zahlungsdienstleister bestimmt (vgl. § 1 Abs. 3 ZAG); auch Girokonten fallen unter den Begriff des Zahlungskontos (vgl. BT-Drs. 16/11643 S. 102 li. Sp.). Zahlungsvorgang ist jede Bereitstellung, Übermittlung oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung zwischen Zahler und Zahlungsempfänger (vgl. § 675f Abs. 3 Satz 1 BGB). Jede einzelne Einoder Auszahlung von Bargeld auf ein Girokonto oder von einem solchen ist ein Zahlungsvorgang und deren Vornahme unabhängig von der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung ein Zahlungsdienst.
Damit stellen sich die Regelungen des Zahlungsdiensterechts, insbesondere diejenige des § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB, als leges speciales dar, die Vorrang haben vor den allgemeinen Grundsätzen des Rechts der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung, etwa der unregelmäßigen Verwahrung und des Darlehensvertrags. Die von der Klägerin zur Stützung ihrer Rechtsansicht angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 30. November 1993 – XI ZR 80/93 (NJW 1994, 318) und vom 7. Mai 1996 – XI ZR 217/95 (NJW 1996, 2032) sind nicht mehr maßgebend, denn sie betreffen den Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Zahlungsdiensterechts am 31. Oktober 2009.
Nach der vorrangigen Regelung des § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB handelt es sich bei jeder einzelnen Ein- oder Auszahlung von Bargeld auf ein Girokonto oder von einem solchen um eine Leistung, für die als Gegenleistung ein Entgelt vereinbart und verlangt werden kann. Die Vorschrift begründet deshalb eine Hauptleistungspflicht des Zahlungsdienstnutzers (vgl. BT-Drs 16/11643 S. 102 re. Sp.). Klauseln, welche die Höhe dieses Entgelts bestimmen, sind nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB entzogen (so auch Grüneberg in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 307 Rz. 69).
c) Damit sind die beanstandeten Klauseln nicht unwirksam und ihre Verwendung stellt keine unlautere geschäftliche Handlung dar, deren Unterlassung die Klägerin verlangen könnte.
3. Da die von der Klägerin ausgesprochene Abmahnung mangels Unterlassungsanspruchs unberechtigt war, besteht auch der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der pauschalierten Abmahnkosten nicht.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen. Die Frage der Kontrollfähigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ein Entgelt für einzelne Zahlungsvorgänge im Rahmen eines Girovertrags vorsehen, hat Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen und ist bislang vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden (vgl. BGH NJW 2015, 3025 Tz. 34 und NJW 2015, 1440 Tz. 15).