IT- und Medienrecht

Einstweilige Verfügung wegen eines unzulässigen Boykottaufrufs

Aktenzeichen  4 HK O 9687/19

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 22356
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 927 Abs. 1
GWB § 21

 

Leitsatz

1. Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Widerspruch gegen eine erlassene einstweiligen Verfügung besteht auch dann, wenn dieser im Interesse der Abänderung der Kostenentscheidung erfolgt und der Verfügungsgläubiger es ablehnt, den Kostenerstattungsanspruch des Verfügungsschuldners anzuerkennen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Boykottaufruf als Abwehr gegen rechtswidrige Maßnahmen anderer Marktteilnehmer ist nur zulässig, wenn keine anderen Mittel der Abhilfe zur Verfügung stehen und die eingesetzte Maßnahme verhältnismäßig ist. Daran fehlt es, wenn bereits eine einstweilige Verfügung beantragt wurde und der Ausgang dieses Verfahren nicht abgewartet wird. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung der 37. Zivilkammer, Aktenzeichen: 37 O 9687/19, vom 15.07.2019 wird bestätigt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Gründe

Auf den zulässigen Widerspruch der Antragsgegnerin war die einstweilige Verfügung der 37. Zivilkammer zu bestätigen, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Zeitpunkt, zu dem diese erging, zulässig und begründet war und die Befristung der einstweiligen Verfügung, die dazu geführt hat, dass sie bereits seit geraumer Zeit keinerlei Wirkungen mehr entfaltet, auch kein Fall eines erledigenden Ereignisses im Sinne von § 91 a ZPO ist.
Im Einzelnen gilt folgendes:
1. Zulässigkeit des Widerspruchs:
Nach Auffassung der Kammer fehlt es dem Widerspruch der Antragsgegnerin nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Zwar muss die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für einen Widerspruch gegen eine erlassene einstweiligen Verfügung ähnlich gesehen werden wie die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für ein Aufhebungsverfahren nach § 927 Abs. 1 ZPO. Grundsätzlich fehlt das notwendige Rechtsschutzbedürfnis für ein Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO dann, wenn weitere Auswirkungen der einstweiligen Verfügung nicht mehr drohen (OLG München, ZIP 82, 497), insbesondere wenn der Gläubiger auf seine Rechte aus der einstweiligen Verfügung verzichtet und den Titel ausgehändigt hat (andere Auffassung allerdings OLG München, OLGZ 86, 452, 454 f = NJW-RR 86, 998). Ein Rechtsschutzbedürfnis ist aber dann zu bejahen, wenn die Aufhebung im Interesse der Abänderung der Kostenentscheidung verfolgt wird und der Verfügungsgläubiger es ablehnt, den Kostenerstattungsanspruch des Verfügungsschuldners anzuerkennen (BGHZ 122, 179).
Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten.
Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23. Juli 2019 (Anlage PBP 17) lediglich mitgeteilt, dass sie aufgrund des zwischenzeitlichen Außerkrafttretens der einstweiligen Verfügung für die Zeit ab dem Außerkrafttreten keine Rechte mehr aus dem Unterlassungstenor herleitet. Wie die Antragstellerin selbst vorträgt, sollte die fortgesetzte Zustellung erkennbar lediglich noch im Hinblick auf Kostenerstattungsansprüche der Antragstellerin stattfinden.
Damit hat die Antragstellerin aber auch zu erkennen gegeben, dass sie den Erlass der einstweiligen Verfügung bis zu ihrem Außerkrafttreten für zulässig und begründet hielt. Der Antragsgegnerin bliebt in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einzulegen. Ein Kostenwiderspruch ist im einstweiligen Verfügungsverfahren notwendig damit verbunden, dass der Antragsgegner die Entscheidung in der Sache vorbehaltlos anerkennt. Eine Unterwerfungserklärung muss schon mit dem Widerspruch gegen eine Beschlussverfügung abgegeben werden. Danach kann der Antragsgegner nicht mehr beachtlich bestreiten, sondern nur noch vorbringen, dass er das Verfahren nicht im Sinne des § 93 ZPO veranlasst hat (vgl. Zöller/Herget, Kommentar zur ZPO, 33. Aufl., § 93 Rdnr. 6.32 m.w.N.).
Ein solcher Fall liegt hier gerade nicht vor. Es geht nicht darum, zu entscheiden, wer das Verfahren im Sinne des § 93 ZPO veranlasst hat, sondern um die Überprüfung, ob die einstweilige Verfügung zum Zeitpunkt ihres Erlasses mit der vorgenommenen Beschränkung hätte ergehen dürfen oder nicht.
Es liegt auch kein Fall der Erledigung vor. Nach der Rechtsprechung des BGH hat die Feststellung der Erledigung der Hauptsache eines Rechtsstreits und die im Zusammenhang damit ergehende Kostenentscheidung nicht nur den Eintritt eines erledigenden Ereignisses zur Voraussetzung, sondern weiter auch, dass die Klage im Zeitpunkt dieses Eintritts zulässig und begründet war.
War die Klage bereits im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses unzulässig oder unbegründet, geht eine Erledigungserklärung ins Leere, die Klage ist abzuweisen (BGH NJW 1992, 2235).
Da die Antragsgegnerin der Auffassung ist, der Verfügungsantrag sei von Anfang an unbegründet gewesen, hatte sie keine andere Möglichkeit, als Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung, die durch Zeitablauf wirkungslos geworden ist, einzulegen.
2. Begründetheit der einstweiligen Verfügung
Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die einstweilige Verfügung der 37. Zivilkammer mit der dort vorgenommenen zeitlichen Beschränkung zum Zeitpunkt ihres Erlasses zulässig und begründet war.
Wie die 37. Zivilkammer bereits ausgeführt hat, hat die Antragsgegnerin dadurch, dass sie die IFA GmbH unter Verweis auf die einstweilige Verfügung vom 14.11.2016 aufgefordert hat, das Produkt der Antragsgegnerin auszulisten, was aufgrund der Monopolstellung der … GmbH die Vermarktung des Produktes unmöglich gemacht hat, im Sinne des § 21 GWB zu einer Liefer- bzw. Bezugssperre aufgefordert.
Dies geschah auch in der Absicht, die Antragstellerin unbillig zu beeinträchtigen, da die Marktteilnahme der Antragstellerin gezielt unterbunden werden sollte.
Ob dies unbillig im Sinne des § 21 GWB war, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zu entscheiden.
Zwar darf es einem Rechteinhaber grundsätzlich nicht verwehrt werden, rechtswidrige Maßnahmen anderer Marktteilnehmer abzuwehren. Selbst wenn das abgewehrte Verhalten des boykottierten Unternehmers im Ergebnis rechtmäßig ist, schadet dies nicht, sofern der Verrufer von dessen Rechtswidrigkeit ausgegangen ist und ausgehen durfte (vgl. Kölner Kommentar zum Kartellrecht 2017, § 21 Rz. 20 m.w.N.).
Zum Zeitpunkt der an die … GmbH übersandten E-Mail war jedoch das Patent der Antragsgegnerin vom Bundespatentgericht bereits für nichtig erklärt worden. Hierauf kann sie sich daher zur Rechtfertigung ihrer Rechtsauffassung nicht berufen. Dass diese Entscheidung vom BGH zwischenzeitlich aufgehoben wurde, ändert daran nichts, da es auf die Situation zum Zeitpunkt der Aufforderung an die … das Produkt der Antragstellerin auszulisten, ankommt.
Sofern die Antragsgegnerin der Meinung war, dass das Produkt der Antragstellerin als kerngleiche Verletzungshandlung unter den Tenor der einstweiligen Verfügung vom 14.11.2016 fällt, ist zu berücksichtigen, dass diese Verfügung im Verhältnis zwischen der Antragsgegnerin und der … GmbH erging und gegenüber der hiesigen Antragstellerin keine Bindungswirkung entfaltete.
Entscheidend ist jedoch, dass die Abwehr einer rechtswidrigen Maßnahme voraussetzt, dass dem Verrufer andere Mittel der Abhilfe als der Boykott nicht zur Verfügung stehen und die eingesetzte Maßnahme verhältnismäßig ist (Kölner Kommentar zum Kartellrecht a.a.O.). Angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin bereits mit Antrag vom 23.05.2019 beim Landgericht München I den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die hiesige Antragstellerin beantragt hatte (Aktenzeichen 21 O 7021/19), war es weder verhältnismäßig noch notwendig, die … GmbH unter Androhung von Zwangsmaßnahmen darauf hinzuweisen, dass sie verpflichtet sei, das Produkt der Antragstellerin auszulisten.
Die Antragsgegnerin hatte die Beantragung einer patentrechtlichen Untersagungsverfügung zu Recht als dem Boykott vorrangige Maßnahme beschritten. Sie hätte den Ausgang dieses Verfahrens abwarten müssen, bevor sie die … als Dritte zur Auslistung auch der Produkte der Antragstellerin aufforderte. Dass dieses Abwarten der Antragsgegnerin durchaus zumutbar gewesen wäre, zeigt bereits der Umstand, dass die vorliegende einstweilige Verfügung, deren Aufhebung die Antragsgegnerin beantragt hat, ihre Wirkung gerade einmal zwei Tage lang entfaltet hat.
Es wäre für die Antragsgegnerin ein Leichtes gewesen, den Ausgang der patentrechtlichen Untersagungsverfügung abzuwarten, bevor sie die … GmbH unter Androhung von Zwangsmaßnahmen dazu auffordert, das Produkt der Antragstellerin auszulisten.
Dies gilt umso mehr, als die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt des Boykottaufrufs aufgrund der Vernichtung ihres Schutzrechts kein durchsetzbares Schutzrecht zur Hand hatte und das Landgericht München I in der einstweiligen Verfügung vom 14. November 2016 explizit keine Entscheidung zu Lasten der Antragstellerin getroffen hat, weil die Formulierung „oder in anderer Form“ nicht in den Tenor der einstweiligen Verfügung aufgenommen wurde.
Die einstweilige Verfügung der 37. Zivilkammer vom 15.07.2019 war daher trotz der Tatsache, dass sie zwischenzeitlich aufgrund der vorgenommenen Beschränkung lediglich noch kostenmäßige Auswirkungen hat, mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zu bestätigen.
Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit (hinsichtlich der Kostenentscheidung) musste nicht ergehen, da es bei Urteilen, die eine einstweilige Verfügung bestätigen, bei der (auch ohne Ausspruch) gegebenen vorläufigen Vollstreckbarkeit der Vorentscheidung bleibt (Zöller/Herget, aaO, Rdnr. 6 zu § 708 ZPO)

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