Aktenzeichen 424 C 26626/16
Leitsatz
1 Bezüglich des Vollstreckung aus dem Räumungstitel steht den Klägern die Einwendung der Verwirkung zu, die auch nicht nach § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Einwand der Verwirkung beruht auf Zeitablauf und einem hinzukommenden Umstandsmoment, also auf Tatsachen, die nach der letzten Tatsachenverhandlung im Vorprozess entstanden sind. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Kläger durften sich, da von „Mieterkonten“ und „Soll-Miete“ und nicht von ausstehender Nutzungsentschädigung die Rede ist, darauf verlassen, dass die Stadt endgültig von einer Vollstreckung aus dem Räumungstitel Abstand genommen hatte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts München vom 13.5.2003, Aktenzeichen 453 C 6579/03 wird bezüglich Ziffer 1. des Tenors für unzulässig erklärt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 8.840,40 €.
Gründe
A. Die Vollstreckungsabwehrklage ist zulässig und im Hinblick auf den Tenor Ziffer 1. des Versäumnisurteils vom 13.5.2003 (Verurteilung zur Räumung) auch begründet.
Im Übrigen, also was die Vollstreckung aus dem Tenor Ziff. 2 dieses Versäumnisurteils anbelangt, ist sie unbegründet.
I.- Bezüglich des Vollstreckung aus dem Räumungstitel steht den Klägern die Einwendung der Verwirkung zu, die auch nicht nach § 767 Abs. 2 präkludiert ist. Denn der Einwand der Verwirkung beruht auf Zeitablauf und einem hinzukommenden Umstandsmoment, also auf Tatsachen, die nach der letzten Tatsachenverhandlung im Vorprozess entstanden sind.
Der Beklagten ist Recht zu geben darin, dass nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung, welcher sich auch das Gericht anschließt, für den Einwand der Verwirkung zu einem reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten müssen, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGHZ 105, 290, 298). Weiter hat die Beklagte Recht, dass der Vertrauenstatbestand nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann (BGHZ 43, 289, 292).
Aber dem ist hier auch nicht so, denn zum Zeitablauf von immerhin mehr als 13 1/2 Jahren kommt hier als Umstandsmoment die Anmahnung von Soll-„Miete“ nach der Durchsicht von „Mieterkonten“ mit dem Schreiben Anlage 2 hinzu.
Es mag sein, dass die Klägerin bzw. die für sie nach außen auftretende Baugesellschaft München-Land den Ausdrücken „Mieterkonten“ und „Soll-Miete“ keine besondere Bedeutung beigemessen hat, sondern diese Formulierungen schlichtweg darauf beruhten, dass hier für das Schreiben ein Formular gebraucht wurde, welchem sich die Baugesellschaft München-Land zur Anmahnung von Rückständen regelmäßig bediente.
Das mussten die Kläger als juristische Laien jedoch nicht antizipieren. Sie durften sich vielmehr, da von „Mieterkonten“ und „Soll-Miete“ und nicht ausstehender Nutzungsentschädigung, die Rede ist, darauf verlassen, dass die Stadt endgültig von einer Vollstreckung aus dem Räumungstitel Abstand genommen hatte.
Hinzu kommt noch, dass ein solches Abstandnehmen (wenn auch damals von der Beklagten nicht auf Dauer beabsichtigt) ja auch bereits im Jahr 2003 geschehen war, als die Stadt auf Betreiben der Eltern- und Jugendberatungsstelle hin (Anlage B 1) nach eigenem Bekunden zunächst von einer Vollstreckung Abstand genommen hatte. Für die Kläger war nicht ersichtlich, dass die Stadt ab einem bestimmten Zeitpunkt nun doch vollstrecken wollte, vielmehr war das Schreiben Anlage 2 aufgrund seiner Formulierung geeignet, das Vertrauen der Kläger darin zu bestätigen, die Stadt werde auch jetzt nicht vollstrecken.
Denn entgegen der Ansicht der Beklagten steht das Schreiben der Eltern- und Jugendberatungsstelle Anlage B 1 einem Umstandsmoment nicht entgegen. Denn die Stellungnahme der Eltern- und Jugendberatungsstelle stützte sich ausdrücklich auf die Probleme der damals 15-jährigen Tochter und darauf, dass für das weitere Kind Daniel, das damals die örtliche Grundschule besuchte, gerade Strukturen entwickelt wurden, die ihm einen regulären Schulalltag ermöglichen sollten. Im Jahr 2016 waren beide Kinder jedenfalls fast 13 Jahre älter, das heißt, bei der Tochter war die Schulbildung längst abgeschlossen und auch beim Sohn war sie beendet oder jedenfalls durch weiterführende Ausbildungsmaßnahmen ersetzt.
Die Gründe, warum die Stadt damals auf eine Vollstreckung verzichtet hatte, bestehen also schon seit langer Zeit nicht mehr, ohne dass aus dem Verhalten der Stadt jemals ein Umschwung dahingehend ersichtlich geworden wäre, dass deshalb nunmehr doch vollstreckt werden sollte.
Es ist richtig, dass der bloße Zeitablauf nicht für eine Verwirkung ausreicht, aber angesichts der Länge des Zeitablaufs von über 13 1/2 Jahren sind an das Umstandsmoment keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist das Mahnschreiben Anlage K 1 hier ausreichend.
II.- Anders verhält es sich mit der Vollstreckung aus dem Zahlungstitel. Hier ist die Vollstreckungsabwehrklage mit dem Einwand der Erfüllung zwar zulässig, aber unbegründet. Denn für ihren Erfüllungseinwand haben die Kläger keinen Beweis angeboten und sie haben auch nicht vorgetragen, warum sie davon ausgingen und auch darauf vertrauen durften, es würde aus dem Zahlungstitel nicht mehr vollstreckt werden.
Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung mit Beschluss vom 16.01.2017 ist, was den Zahlungstitel anbelangt, durch dieses Urteil überholt. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus dem Zahlungstitel weiter betreiben, soweit sie noch nicht abgeschlossen ist.
B.- Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Denn nachdem die Beklagtenseite zwar den klägerseits behaupteten vollständigen Ausgleich der titulierten Forderung bestritt, aber nichts dazu vortrug, wie hoch die diesbezüglichen Rückstände noch wären, hat das Gericht dem hierauf bezogenen Antrag der Vollstreckungsabwehrklage auch keine streitwerterhöhende Wirkung beigemessen, so dass es bei der Streitwertfestsetzung dabei verblieb, dass der Streitwert festzusetzen war nach dem 12-fachen Nettobetrag der monatlichen Miete.