Aktenzeichen W 4 K 15.487
GG Art. 14 Abs. 1
Leitsatz
1. Die Nachfolge in einzelne Rechte und Pflichten begründet keine Verantwortlichkeit nach § 4 Abs. 3 BBodSchG. Eine erweiternde Auslegung des § 4 Abs. 3 BBodSchG scheidet aus, da die Vorschrift den Kreis der Verantwortlichen abschließend bestimmt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die behördliche Störerauswahl ist grundsätzlich von der Gleichrangigkeit der im Gesetz bezeichneten Verantwortlichen auszugehen, da § 4 Abs. 3 BBodSchG keine Rangfolge für die Inanspruchnahme vorgibt. Eine Handlungsmaxime des Inhalts, dass der Handlungsstörer regelmäßig vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen ist, existiert nicht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Erfüllung der Voraussetzungen der Zustandsverantwortlichkeit ist nicht nur unerheblich, auf welche Umstände der Gefahrenzustand zurückzuführen ist; auch der zeitliche Rahmen, in dem es zur Konkretisierung der Zustandsverantwortlichkeit kommt, ist bei Fehlen besonderer Umstände irrelevant. (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine öffentlich-rechtliche Körperschaft kann sich auf die aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitete Beschränkung der Verantwortlichkeit als Zustandsstörer auf den Verkehrswert des betroffenen Grundstücks nicht berufen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG. Danach kann die zuständige Behörde zur Erfüllung der sich u. a. aus § 4 ergebenden Pflichten die notwendigen Maßnahmen treffen. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet, den Boden und Altlasten sowie durch schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten verursachte Verunreinigungen von Gewässern so zu sanieren, dass dauerhaft keine Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im Bereich der ehemaligen sog. Control Area (Fl.Nr. …86/1) schädliche Bodenveränderungen (§ 2 Abs. 3 BBodSchG) vorliegen und dass dieser Bereich als Altlast im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 2 BBodSchG anzusehen ist.
Die Anordnung, den belasteten Boden durch Aushub zu beseitigen, ist von der Generalklausel des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG gedeckt (vgl. VGH BW, B. v. 8.3.2013 – 10 S 1190/09 – juris Rn. 46).
2.
Die Klägerin ist richtiger Adressat der getroffenen Anordnung. Die von dem Beklagten angestellten Ermessenserwägungen sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Klägerin gehört als Eigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 BBodSchG zum Adressatenkreis bodenschutzrechtlicher Anordnungen. Der bodenschutzrechtliche Eigentumsbegriff stimmt dabei mit dem Eigentumsbegriff des Zivilrechts überein (BayVGH, B. v. 13.5.1986 – 20 CS 86.00 338 – NVwZ 1986, 942/946; VGH BW, U. v. 30.4.1996 – 10 S 2163/95 – NVwZ-RR 1997, 267).
Ob neben der Klägerin die Bundesrepublik Deutschland als Verantwortliche gem. § 4 Abs. 3 BBodSchG überhaupt in Betracht kommt, ist sehr zweifelhaft. Jedenfalls ist die Störerauswahl des Landratsamts – falls eine solche hier überhaupt vorzunehmen war – nicht zu beanstanden.
In der vorliegenden Konstellation durfte das Landratsamt bei der Abwägung maßgeblich darauf abstellen, dass die Klägerin und Adressatin der Verfügung als Eigentümerin einen direkten Zugriff auf das Grundstück hat, wohingegen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Bundesrepublik als anderer Adressat aus rechtlichen Gründen zumindest zweifelhaft ist.
Im Einzelnen:
a)
Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel, ob die Bundesrepublik Deutschland hier überhaupt als Störer i. S. d. § 4 Abs. 3 BBodSchG in Betracht zu ziehen war.
aa)
Eine Heranziehung der Bundesrepublik Deutschland war vorliegend jedenfalls als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt i. S. d. § 4 Abs. 3 Satz 1 Var. 4 BBodSchG nicht möglich. Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist diejenige Person, die die tatsächliche Sachherrschaft bzw. die tatsächliche Möglichkeit der unmittelbaren Einwirkung auf das Grundstück hat, ohne dass es auf die Qualifikation des zugrunde liegenden zivilrechtlichen Verhältnisses ankommt (vgl. Giesberts/Hilf in BeckOK UmweltR, Stand 1.10.2015, § 4 BBodSchG Rn. 32; Dombert in Landmann/Rohmer, 77. EL August 2015, § 4 BBodSchG Rn. 24; BVerwG, U. v. 10.2.1999 – 11 C 9-97 – NVwZ 1999, 653/654). Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Bescheiderlasses, da § 4 Abs. 3 Satz 1 Var. 4 BBodSchG einen Fall der Zustandsverantwortlichkeit darstellt (Giesberts/Hilf in Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, Stand: 01.10.2015, BBodSchG § 4 Rn. 32; Dombert in Landmann/Rohmer, 77. EL August 2015, BBodSchG § 4 Rn. 23 f.). Zweifelsohne hatte die Bundesrepublik zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht die tatsächliche Sachherrschaft über das streitgegenständliche Grundstück inne, da dieses bereits in den Jahren 1992/1993 an die Klägerin zurückgegeben wurde.
Im Übrigen war die Bundesrepublik auch zum Zeitpunkt der Verursachung der Bodenverunreinigung nicht Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das streitgegenständliche Grundstück. Denn ab dem Jahr 1961 bis zur Rückgabe an die Klägerin hatten die US-amerikanischen Streitkräfte, die dort eine militärische Liegenschaft betrieben, die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück inne. Dass die Bundesrepublik möglicherweise als mittelbarer Besitzer im zivilrechtlichen Sinne (§ 868 BGB) anzusehen ist, ändert hieran nichts. Denn, wie bereits dargestellt, bestimmt sich die Person des Inhabers der tatsächlichen Sachherrschaft unabhängig von den zugrunde liegenden zivilrechtlichen Verhältnissen, weshalb allein die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück maßgeblich ist. Diese lag unstreitig bei den amerikanischen Streitkräften.
bb)
Ob die Bundesrepublik als Gesamtrechtsnachfolgerin der amerikanischen Streitkräfte als Verursacher der Altlast gem. § 4 Abs.3 Satz 1 Var. 2 BBodSchG verantwortlich ist, erscheint der Kammer höchst zweifelhaft. Gesamtrechtsnachfolger ist diejenige natürliche oder juristische Person, die kraft gesetzlicher Anordnung oder vertraglicher Vereinbarung in die gesamten Rechte und Pflichten einer anderen Person eintritt (vgl. VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 50; Dombert in Landmann/Rohmer, 77. EL August 2015, BBodSchG § 4 Rn. 35). Eine solche gesetzliche Anordnung ist hier nicht ersichtlich, und die Klägerin hat eine solche auch nicht vorgetragen. Soweit die Klägerin behauptet, aus den völkerrechtlichen Vereinbarungen des Nato-Truppenstatuts (NTS) sowie den Zusatzvereinbarungen zum Nato-Truppenstatut (NTS-ZA) ergäbe sich eine (Gesamt-) Rechtsnachfolge der Bundesrepublik nach den amerikanischen Streitkräften, vermag dies die Kammer nicht nachzuvollziehen. Insbesondere aus den vom Klägerbevollmächtigten angeführten Vorschriften des Art. VIII Abs. 5 NTS und Art. 48 NTS-ZA ergibt sich kein Eintritt der Bundesrepublik in die Rechte und Pflichten der amerikanischen Streitkräfte. Art. VIII Abs. 5 NTS regelt die Behandlung von Ansprüchen Dritter gegen die Streitkräfte des Entsendestaates. Auch Art. 48 NTS-ZA enthält keine Übernahme von Rechten und Pflichten nach Rückgabe von Liegenschaften durch die Bundesrepublik. Insbesondere statuiert dessen Abs. 4 lediglich eine Verhaltenspflicht der Streitkräfte gegenüber dem Aufnahmestaat.
Selbst wenn in den Vereinbarungen des NTS und dessen Zusatzabkommen vereinbart wäre, dass die Bundesrepublik einzelne Pflichten der entsandten Streitkräfte bzw. des Entsendestaates übernimmt, würde dies im Übrigen nicht die Verantwortlichkeit der Bundesrepublik nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 BBodSchG begründen, da dieser ausdrücklich nur den Gesamtrechtsnachfolger erfasst. Die Gesamtrechtsnachfolge setzt, wie bereits dargestellt, den Eintritt in die gesamten Rechte und Pflichten einer anderen Person voraus. Eine solche Vereinbarung ist hier nicht ersichtlich. Die Nachfolge in einzelne Rechte und Pflichten begründet gerade keine Verantwortlichkeit nach § 4 Abs. 3 BBodSchG. Eine erweiternde Auslegung des § 4 Abs. 3 BBodSchG auch auf den Einzelrechtsnachfolger scheidet zudem aus, da die Vorschrift den Kreis der Verantwortlichen abschließend bestimmt (vgl. BVerwG, U. v. 16.5.2000 – 3 C 2/00 – DVBl 2000, 1353; BayVGH, B. v. 19.11.2004 – 22 CS 04.2701 – juris Rn. 13 f.; HessVGH, U. v. 9.9.1999 – 8 UE 656/95 – juris Rn. 13 und 22 f.).
b)
Jedenfalls ist die Störerauswahl des Landratsamts nicht zu beanstanden.
Im Falle einer sog. Störermehrheit ist bei der behördlichen Auswahlentscheidung, welcher Störer mit einer Verfügung herangezogen wird, zwischen der primären Ebene und der sekundären Ebene zu unterscheiden. Auf der primären Ebene, d. h. auf Ebene der Verpflichtung zur Altlastenbeseitigung, geht es aus einer ex ante-Sicht um die Gefahrenabwehr (VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 36). Leitender Gesichtspunkt für die Störerauswahl der Behörde ist daher die Effektivität der Gefahrenabwehr (vgl. BayVGH, B. v. 18.4.2007 – 22 ZB 07.222 – juris Rn. 17; VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 36; VGH BW, U. v. 24.1.2012 – 10 S 1476/11 – juris Rn. 22 m. w. N.; Dombert, a. a. O.; Giesberts/Hilf, a. a. O.; BT-Drs. 13/6701, S. 34 ff.).
Das Gesetz trifft in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG hinsichtlich der Verpflichteten eine Unterscheidung in den so genannten Handlungsstörer – der Verursacher der schädlichen Bodenveränderung und dessen Gesamtrechtsnachfolger – und den Zustandsstörer – den Grundstückseigentümer und den Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück. Für die behördliche Störerauswahl ist grundsätzlich von der Gleichrangigkeit der im Gesetz bezeichneten Verantwortlichen auszugehen, da § 4 Abs. 3 BBodSchG keine Rangfolge für die Inanspruchnahme von Verantwortlichen einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast vorgibt (Dombert in Landmann/Rohmer, 77. EL August 2015, BBodSchG § 4 Rn. 16; Giesberts/Hilf in Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, Stand: 01.10.2015, BBodSchG § 4 Rn. 13 und 54; VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 36; VGH BW, B. v. 27.3.1995 – 8 S 525/95 – juris). Insbesondere besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass eine Handlungsmaxime des Inhalts, dass der Handlungsstörer regelmäßig vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen ist, nicht existiert (BVerwG, B. v. 7.8.2013 – 7 B 9/13 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 22.3.2001 – M 2 S 00.4678 – ZfWassR 2002, 35; BayVGH, B. v. 13.10.2004 – 22 CS 04.2489 – juris Rn. 2; BayVGH München, B. v. 31.8.2006 – 22 CS 06.2055 – juris Rn. 2; vgl. auch VGH BW, B. v. 25.10.1999 – 8 S 2407/99 – juris Rn. 7; VGH BW, B. v. 27.3.1995 – 8 S 525/95 – juris Rn. 5; VG München, U. v. 10.3.2009 – M 2 K 07.3283 – juris Rn. 34; Dombert a. a. O.; Giesberts/Hilf a. a. O.). Diese Auffassung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aufgrund von Art. 14 GG, nicht zu beanstanden (BVerfG, B. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91 – NJW 2000, 2573/2574; BVerwG, B. v. 7.8.2013 – 7 B 9/13 – juris Rn. 9).
aa)
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen sind die Ermessenserwägungen des Beklagten nicht zu beanstanden. Das Landratsamt durfte in der vorliegenden Konstellation bei der Ermessensausübung maßgeblich darauf abstellen, dass die Klägerin als Eigentümerin und Inhaberin der tatsächlichen Gewalt einen direkten Zugriff auf das Grundstück hat, wohingegen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland aus rechtlichen Gründen zumindest zweifelhaft ist. Ziel des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und des Bodenschutzrechts im Allgemeinen ist es, wegen des Grundsatzes der effektiven Gefahrenabwehr eine schnelle und wirksame Gefahrenbeseitigung herbeizuführen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – der sich die Kammer anschließt – rechtfertigt es der Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr in Fällen, in denen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unklar ist, ob und in welchem Umfang eine Haftung bestimmter Personen als Verhaltensstörer in Betracht kommt, den Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen (VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 47; VGH BW, B. v. 25.10.1999 – 8 S 2407/99 – juris Rn. 7; VGH BW, B. v. 27.3.1995 – 8 S 525/95 – juris Rn. 5 m. w. N.; vgl. auch BayVGH, B. v. 18.4.2007 – 22 ZB 07.222 – juris Rn. 15). Dies gilt auch, wenn – wie vorliegend – die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers unsicher ist (VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 47). Vorliegend bestehen – wie bereits dargestellt – erhebliche rechtliche Bedenken, ob die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolgerin der US-amerikanischen Streitkräfte und damit Verantwortliche nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 BBodSchG ist. Die Erwägung, aus diesem Grund die Klägerin heranzuziehen, ist daher nicht ermessensfehlerhaft.
Der Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr ist auch nicht aufgrund des langen Zeitraums zwischen Entdeckung der Altlast und Erlass der streitgegenständlichen Sanierungsverpflichtung hinfällig geworden. Die erkennende Kammer verkennt nicht, dass vorliegend zwischen erstmaliger Erkundung des streitgegenständlichen Grundstücks aufgrund Altlastenverdachts im Jahr 1999 bzw. zwischen Detailuntersuchung im Jahr 2005 und Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ein verhältnismäßig langer Zeitraum liegt. Jedoch kann von einer Unzumutbarkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit der Inanspruchnahme des Zustandsstörers auch dann nicht ausgegangen werden, wenn sich die Behörde über einen längeren Zeitraum über das Ausmaß der schädlichen Bodenveränderung im Unklaren gewesen und daher nicht eingeschritten ist (BVerwG, B. v. 7.8.2013 – 7 B 9/13 – juris Rn. 9). Eine solche Unsicherheit über das Ausmaß der Altlast bestand vorliegend im Zeitraum zwischen der erstmaligen Erkundung der Kontaminationsfläche KF 41 und der Detailuntersuchung im Jahr 2005.
Anschließend bestand bis zur Verpflichtung der Klägerin im Jahr 2015 in rechtlicher Hinsicht Unsicherheit über die nach § 4 Abs. 3 BBodSchG heranzuziehende Person. Auch dieser Zeitraum von ca. zehn Jahren führt nicht dazu, dass die Inanspruchnahme der Klägerin als ermessensfehlerhaft anzusehen ist. Denn ein verhältnismäßig langes Zögern zwischen Kenntnis von Altlast und Inanspruchnahme der Klägerin kann der Behörde nicht vorgeworfen werden. Vielmehr setzt die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens voraus, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt einschließlich aller in Betracht kommenden Störer und ihrer jeweiligen Verantwortlichkeit sowie deren Möglichkeiten zur Beseitigung der Verunreinigung zutreffend ermittelt und zur Grundlage der Störerauswahl gemacht werden (OVG Berlin-Bbg, U. v. 24.2.2011 – OVG 11 B 10.09 – juris Rn. 45; OVG NW U. v. 21.11.2012 – 16 A 85/09 – juris Rn. 33). Für die pflichtgemäße Ermessensausübung war es daher vorliegend erforderlich, dass der Beklagte die nach § 4 Abs. 3 BBodSchG in Betracht kommenden Störer ermittelt und insbesondere – wie es der Beklagte getan hat – eingehend prüft, ob eine Inanspruchnahme der Bundesrepublik in rechtlicher Hinsicht möglich ist (s. Schreiben des Landratsamts v. 7.4.2014, Bl. 68 d. A.).
Im Übrigen bemisst sich die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme eines Zustandsstörers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nach starren zeitlichen Grenzen (BVerwG, B. v. 28.2.2008 – 7 B 12/08 – NVwZ 2008, 684/685, BVerwG, B. v. 7.8.2013 – 7 B 9/13 – juris Rn. 10). Denn für die Erfüllung der Voraussetzungen der Zustandsverantwortlichkeit ist nicht nur unerheblich, auf welche Umstände der Gefahrenzustand zurückzuführen ist; auch der zeitliche Rahmen, in dem es zur Konkretisierung der Zustandsverantwortlichkeit kommt, ist bei Fehlen besonderer Umstände unerheblich. Grund hierfür ist, dass der Eigentümer ausschließlich aufgrund seiner Rechtsstellung verpflichtet wird (BVerwG, a. a. O.). So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. März 2006 (7 C 3.05 – BVerwGE 125, 325) die Rechtmäßigkeit der Konkretisierung einer Handlungsverantwortlichkeit im Jahre 1999 „ohne Weiteres“ für den Fall bejaht, dass die Behörden erst Ende der 1980er Jahre die Bedeutung einer bereits in den 1960er Jahren bekannt gewordenen Grundwasserverunreinigung erkannt hatten. In seinem Urteil vom 7. August 2013 (7 B 9/13 – juris Rn. 10) hat das Bundesverwaltungsgericht sogar eine Verpflichtung des Zustandsverantwortlichen nach Ablauf von mehr als 20 Jahren seit der erstmaligen behördlichen Kenntnisnahme von einer schädlichen Bodenveränderung als rechtmäßig erachtet.
bb)
Die Ermessensentscheidung des Landratsamts ist auch nicht wegen Missachtung des Grundsatzes der gerechten Lastenverteilung ermessensfehlerhaft. Zwar ist dem Klägerbevollmächtigten zuzugeben, dass bei der Störerauswahl neben dem Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr auch andere Gesichtspunkte, insbesondere der Grundsatz der gerechten Lastenverteilung, berücksichtigt werden können (Giesberts/Hilf in BeckOK UmweltR, Stand 1.10.2015, § 4 BBodSchG Rn. 54; VGH BW, U. v.. 24.1.2012 – 10 S 1476/11 – juris Rn. 23 m. w. N.).
Eine Verpflichtung der Behörde, diesen Grundsatz bei der Sanierungsverpflichtung heranzuziehen, besteht jedoch – entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten – nicht. Vielmehr muss sich die Behörde bei Störermehrheit grundsätzlich nicht an den internen Haftungsverhältnissen zwischen den Störern orientieren (vgl. BayVGH, B. v. 15.9.200 – 22 ZS 00.1994 – NVwZ 2001, 458; Giesberts/Hilf in BeckOK UmweltR, Stand 1.10.2015, § 4 BBodSchG Rn. 56). Hierfür spricht die Regelung des § 24 Abs. 2 BBodSchG, durch die der Gesetzgeber erkennen lässt, dass er um der Effektivität der Sanierung willen zunächst auch eine gröbere behördliche Auswahl in Kauf nimmt (Dombert in Landmann/Rohmer, 77. EL August 2015, § 4 BBodSchG Rn. 18). Aufgrund des Ausgleichsanspruchs mehrerer Verpflichteter untereinander nach § 24 Abs. 2 BBodSchG entscheidet die behördliche Heranziehung noch nicht endgültig darüber, wer die Kosten letztlich zu tragen hat. (VG Würzburg, B. v. 24.8.2005 – W 4 S 05.747 – juris Rn. 53). Eine Auswahlentscheidung bei der Heranziehung von Sanierungsverantwortlichen ist daher nicht schon dann ermessensfehlerhaft, wenn möglicherweise auch eine andere, im Ergebnis „gerechtere“ als die von der Behörde vorgenommene Verteilung der Sanierungsverantwortlichkeit in Betracht kommt (HessVGH, B. v. 3.3.1992 – 14 TH 2158/91 – NVwZ 1992, 1101; VG Darmstadt, B. v. 21.2.1994 – 8 H 2154/92 – NVwZ-RR 1994, 497/499).
Soweit der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24.1.2012 (10 S 1476/11 – NVwZ-RR 2012, 387) verwiesen hat, ergibt sich hieraus nichts anderes. Vielmehr hat dieser in der genannten Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf der primären Ebene, d. h. bei der Entscheidung über die Sanierungsverpflichtung, „sich die Behörde bei der Auswahl unter mehreren Störern in erster Linie von dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr leiten lassen muss“. Und weiter: „Die sachgerechte Störerauswahl auf der primären Ebene muss zivilrechtliche Aspekte des internen Ausgleichs zwischen den Störern nicht berücksichtigen.“ (juris Rn. 23). Der Klägerbevollmächtigte verkennt, dass nach dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg lediglich auf der sekundären Ebene, d. h. bei der Anforderung von Kosten einer Ersatzvornahme, zwingend der Grundsatz der gerechten Lastenverteilung zu beachten ist (juris Rn. 25). Vorliegend geht es jedoch nicht um diese sekundäre Ebene, sondern um die Verpflichtung zur Sanierung durch den streitgegenständlichen Bescheid und damit um die Primärebene.
Der Grundsatz der gerechten Lastenverteilung war hier auch nicht ausnahmsweise bei der Störerauswahl zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, der sich die Kammer anschließt, sind die zivilrechtlichen Haftungsverhältnisse zwischen den Störern nur ausnahmsweise dann zu berücksichtigen, wenn die zivilrechtliche Letztverantwortlichkeit eines der Störer offensichtlich und eindeutig ist (BayVGH, B. v. 13.5.1986 – 20 CS 86.00338 – juris Rn. 32; BayVGH, B. v. 15.9.2000 – 22 ZS 00.1994 – juris Rn. 5 m. w. N.; VGH BW, U. v. 24.1.2012 – 10 S 1476/11 – juris Rn. 23; VGH BW, B. v. 29.4.2002 – 10 S 2367/01 – NVwZ 2002, 1260/1263). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Klägerin und die Bundesrepublik Deutschland vertreten – wie sich aus der Behördenakte ergibt – unterschiedliche Auffassungen, was die zivilrechtliche Verantwortlichkeit und Kostentragung für die streitgegenständliche Altlast betrifft. Der zwischen der Klägerin und der Bundesrepublik Deutschland geschlossene Überlassungsvertrag für das streitgegenständliche Grundstück vom 13. bzw. 15. Dezember 1971 ist nach kursorischer Prüfung der Kammer insoweit keineswegs eindeutig. So enthält § 9 Ziff. 3) des Vertrages einerseits eine Freistellungsvereinbarung zulasten des Bundes für infolge der Benutzung des Grundstücks entstandene Schäden. Andererseits regelt § 10 Ziff. 1) einen Verzicht der Klägerin auf Ersatzleistung für während der Vertragszeit entstandene Schäden. Die zivilrechtlichen Haftungsverhältnisse waren damit für das Landratsamt keinesfalls offensichtlich und eindeutig, weshalb es diese im Rahmen der Ermessensausübung nicht berücksichtigen musste.
3.
Die Heranziehung der Klägerin verstößt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
a)
Soweit der streitgegenständliche Bescheid der Klägerin Maßnahmen auferlegen sollte, deren Kosten den Verkehrswert des Grundstücks überschreiten, führt dies nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme. Die Klägerin kann sich als öffentlichrechtliche Körperschaft nicht auf die vom Bundesverfassungsgericht (B. v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91,1 BvR 315/99 – BVerfGE 102, 1) entwickelte Beschränkung der Verantwortlichkeit auf den Verkehrswert berufen (vgl. VG Kassel, U. v. 18.2.2013 – 4 K 548/11.KS – BeckRS 2014, 56325). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Beschränkung aus der Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet, weil die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers als Inhalts- und Schrankenbestimmung nur so dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werde. Da die Klägerin als öffentlichrechtliche Körperschaft jedoch nicht in den persönlichen Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG fällt, ist das Ausmaß ihrer Verantwortlichkeit nicht durch den Verkehrswert des Grundstücks beschränkt.
b)
Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil das Landratsamt vorliegend nicht die Sanierung selbst durchgeführt und die Kosten nach Art. VIII Abs. 5 NTS liquidiert hat. Das OVG Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil vom 10. November 1994 (Az. 1 A 11198/93 – NVwZ-RR 1996, 320) zutreffend dargelegt, dass das NATO-Truppenstatut (anders als der zuvor geltende Finanzvertrag – FV) keine Ausschließlichkeitsklausel enthält und nur die ausländischen Streitkräfte und ihr ziviles Gefolge (darunter sind Angehörige anderer NATO-Staaten zu verstehen) schützen will. Die Klägerin gehört daher gar nicht zu dem durch das NATO-Truppenstatut geschützten Personenkreis. Außerdem folgt aus dem Fehlen einer Ausschließlichkeitsklausel, dass ein von NATO-Streitkräften verursachter Schaden auch auf andere Weise (als nach dem NATO-Truppenstatut) beseitigt werden kann (vgl. VG Kassel, U. v. 12.2.2013 – 4 K 548/11.KS – BeckRS 2014, 56325). Das Landratsamt war daher nicht verpflichtet, die Altlast selbst zu sanieren und anschließend die Kosten nach dem NATO-Truppenstatut zu liquidieren.
c)
Die Inanspruchnahme der Klägerin ist auch nicht wegen Verwirkung ausgeschlossen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung können polizei- und ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr nicht verwirkt werden (BVerwG, B. v. 7.8.2013 – 7 B 9.13 – juris Rn. 10; B. v. 28.2.2008 -7 B 12/08 – NVwZ 2008, 684; BayVGH, B. v. 21.11.1995 – 2 CS 95.3597 – BayVBl 1996, 634 m. w. N.; VGH BW, U. v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 55). Diesen Befugnissen kommt im öffentlichen Interesse ein überragendes Gewicht zu, das eine Verwirkung nicht zulässt.
Darüber hinaus steht einer Verwirkung entgegen, dass der Beklagte keinen entsprechend eindeutigen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte, der bei der Klägerin ein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen lassen konnte, dass diese nicht mehr sanierungsrechtlich in Anspruch genommen werden würde (vgl. VGH BW, U. v. 18.12.2013 – 10 S 744/12 – juris Rn. 56). Vielmehr hat das Landratsamt in dem Schreiben vom 17. Oktober 2006 (Bl. 5 d. Behördenakte) ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin zur Sanierung der Altlast nach § 4 Abs. 3 BBodSchG verpflichtet ist (s. auch Schreiben vom 14.3.2007, Bl. 11 d. Behördenakte). Auch war ihr aus dem Schriftwechsel mit dem Landratsamt und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bekannt, dass rechtliche Zweifel an der Verantwortlichkeit der Bundesrepublik bestehen (Bl. 9 und 39 d. Behördenakte). Die Klägerin durfte daher nicht darauf vertrauen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.