IT- und Medienrecht

Erfolglose Klage gegen die Vollstreckung von Beitragsbescheiden

Aktenzeichen  M 10 K 15.363

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG VwZVG Art. 19, Art. 21, Art. 22 Nr. 1, Art. 23, Art. 24, Art. 27 Abs. 1, Abs. 2
SGB X SGB X § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 66 Abs. 3 S. 1, S. 2, Abs. 1 S. 3
SGB IV SGB IV § 25 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Einwand, geforderte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wären infolge einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses gar nicht entstanden und hätten entsprechend auch nicht durch (feststellenden) Bescheid angefordert werden dürfen, ist kein Einwand iSd Art. 21 Abs. 2 VwZVG, der der Vollstreckung entgegen gehalten werden kann. (Rn. 61 – 62) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die 30-jährige Verjährung nach § 52 Abs. 2 SGB X tritt unabhängig davon ein, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß ihren Erklärungen vom 2. Juni 2015 (Beklagte) und 29. September 2016 (Klägerin) kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
II.
Die Klägerin will mit ihrer am 28. Januar 2015 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage die endgültige Einstellung des Zwangsvollstreckungsverfahrens der Beklagten aus dem Ausstandsverzeichnis vom 3. Dezember 2014 erreichen.
Für dieses Klagebegehren ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben.
Rechtsgrundlage für die hier im Streit stehende Vollstreckungsmaßnahme bildet § 66 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – in Verbindung mit den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG).
Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, weil die Beklagte als Vollstreckungsbehörde und damit als Trägerin öffentlicher Gewalt aufgrund eines ihr eingeräumten Sonderrechts gehandelt hat (vgl. Art. 27 Abs. 1 Satz 1, Art. 26, Abs. 7 Satz 3 VwZVG).
Eine Sonderzuweisung durch § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder landesrechtliche Regelungen an die besonderen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist insoweit nicht gegeben, da weder § 66 Abs. 3 Satz 1 SGB X noch die Vorschriften des VwZVG (materiell-rechtlich) einen sozialhilferechtlichen Bezug haben oder damit in rechtlichem Zusammenhang stehen; sie bestimmen vielmehr allein die Modalitäten der Vollstreckung von Forderungen. Die dahinter stehende Regelungsmaterie der zu vollstreckenden Verwaltungsakte ist insoweit unerheblich (BSG, B.v. 25.9.2013 – B 8 SF 1/13 R – juris Rn. 8 ff.).
III.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das hier streitgegenständliche Ausstandsverzeichnis der Beklagten mit Vollstreckungsklausel sowie ihr Ersuchen um Vornahme von Vollstreckungshandlungen an das Amtsgericht Wiesloch stellen jeweils keinen Verwaltungsakt dar, sondern haben nur behördeninterne Bedeutung (BayVGH, B.v. 4.5.1994 – 23 CS 94.913 – juris Rn. 16; Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Kommentar zum BayVwVfG u. VwZVG, Stand: Juni 2012, Ziff. I.3. zu Art. 24 VwZVG m.w.N), so dass eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO nicht statthaft ist.
Die Klage ist bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) als Verpflichtungsklage zu verstehen, die zum Ziel hat, die Beklagte zu verpflichten, ihre Vollstreckung aus dem Ausstandsverzeichnis vom 3. Dezember 2014 nach Art. 22 Nr. 1 i.V.m. Art. 21 VwZVG für unzulässig zu erklären (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2012 – 6 CE 12.458 – juris Rn. 5; Giehl, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: Juni 2011, Art. 21 VwZVG Ziff. IV.2 und VIII.2; jeweils m.w.N.); die §§ 767, 769 ZPO finden in solchen Fällen keine (analoge) Anwendung (BayVGH, U.v. 14.5.1975 – 246 IV 71 – BayVBl 1975, 647).
Der insoweit statthaften Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) fehlt auch nicht das das Rechtschutzbedürfnis.
Die Klägerin hat ihre Einwendungen gegen die Vollstreckung bei der Anordnungsbehörde zuvor erfolglos geltend gemacht.
Ein Wegfall des Rechtschutzinteresses ergibt sich auch nicht daraus, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bereits endgültig beendet wären. Zwar hat die Klägerin entsprechend dem Vollstreckungsersuchen der Beklagten an das Amtsgericht Wiesloch vom 3. Dezember 2014 am 9. Februar 2015 gegenüber dem zuständigen Gerichtsvollzieher die Vermögensauskunft gemäß § 802c ZPO abgegeben (vgl. insoweit AG Wiesloch, B.v. 10.2.2015 – 2 M 76/15). Jedoch kann das streitgegenständliche, für vollstreckbar erklärte Ausstandsverzeichnis ggf. die Grundlage für weitere Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten nach Maßgabe der Art. 27, 26 VwZVG darstellen; dies hat sich die Beklagte in ihrem Schreiben vom 15. Februar 2015 auch vorbehalten.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus dem Ausstandsverzeichnis vom 3. Dezember 2014 (endgültig) einstellt und der Klägerin gegenüber insoweit einen entsprechenden Verwaltungsakt erlässt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Weder ist die Vollstreckung für unzulässig zu erklären, weil es am Vorliegen der gesetzlichen Vollstreckungsvoraussetzungen fehlt (a.), noch hat die Klägerin sonstige Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch geltend gemacht, die im Rahmen des Art. 21 VwZVG zulässig sind.
a. In formeller Hinsicht ergibt sich die Befugnis der Beklagten zur Beitreibung rückständiger Beitragsforderungen aus einem (freiwilligen) Versicherungsverhältnis zur Kranken- und Pflegeversicherung aus § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 1 Satz 3 SGB X i.V.m. Art. 27 Abs. 2, Abs. 1 VwZVG. Die Beklagte ist eine landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung und als gesetzliche Kranken- und Pflegekasse Sozialversicherungsträgerin; als solche ist sie nicht nur berechtigt, ihre Geldforderungen durch Verwaltungsakt geltend zu machen (vgl. insoweit insbesondere § 52 Abs. 1 SGB X u. § 24 Abs. 2 SGB IV), sondern darüber hinaus auch befugt, durch eigene Vollstreckungsbeamte die Vollstreckungsklausel auf ein Ausstandsverzeichnis zu setzen (vgl. § 3 Nr. 7 Verordnung zur Durchführung des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVGDV).
Gemäß Art. 27 Abs. 1 VwZVG gilt für die Vollstreckung Art. 26 VwZVG entsprechend mit der Maßgabe, dass die vollstreckende Stelle nicht zur Abnahme der Vermögensauskunft, zur Hinterlegung der Vermögensverzeichnisse und zur Anordnung der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis sowie zur Pfändung und Einziehung von Geldforderungen befugt ist.
Grundlage der Vollstreckung ist dabei die Vollstreckungsanordnung im Sinne des § 3 VwZVGDV i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG. Mit der Vollstreckungsanordnung übernimmt die Anordnungsbehörde oder die für sie zuständige Kasse oder Zahlstelle die Verantwortung dafür, dass die in den Art. 19 und 23 VwZVG bezeichneten allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gegeben sind (Art. 24 Abs. 2 VwZVG).
Nach Art. 19 i.V.m. Art. 23 VwZVG können Leistungsbescheide vollstreckt werden, wenn sie vollziehbar sind, dem Leistungspflichtigen zugestellt wurden, die Forderung fällig ist, der Leistungspflichtige von der Anordnungsbehörde oder von der für sie zuständigen Kasse oder Zahlstelle nach Eintritt der Fälligkeit durch verschlossenen Brief, durch Nachnahme oder durch ortsübliche öffentliche Bekanntmachung ergebnislos aufgefordert worden ist, innerhalb einer bestimmten Frist von mindestens einer Woche zu leisten (Mahnung), und die Forderung nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Die dem Ausstandsverzeichnis vom 3. Dezember 2014 zu Grunde liegenden Leistungsbescheide für den streitgegenständlichen Zeitraum Februar 2009 bis einschließlich November 2014, die die Beklagte dem Gericht unter dem 9. Juni 2016 vorgelegt hat, sind – wenn nicht ohnehin bestandskräftig (Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG) – jedenfalls vollziehbar im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG; denn nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten.
Die Leistungsbescheide wurden der Klägerin nach Aktenlage zugestellt.
Die darin festgestellten Beitragsforderungen sind fällig. Die – kraft Gesetzes (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) entstehenden – Beitragsforderungen werden bei freiwillig Versicherten nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 Satz 1, 4 SGB IV jeweils am 15. des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den sie zu entrichten sind (vgl. Zieglmeier in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: Juni 2016, § 23 SGB IV Rn. 51 f.).
Darüber hinaus wurde die Klägerin den Erfordernissen des Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG jeweils entsprechend gemahnt (vgl. zuletzt die „Zahlungserinnerung“ vom 21.11.2014 betreffend die Beiträge für Oktober 2014).
Die Klägerin hat die Rückstände nicht beglichen.
b. Die Klägerin macht keine Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch geltend, die im Rahmen des Art. 21 VwZVG zu berücksichtigen wären bzw. zum Erfolg führen.
aa. Gemäß Art. 21 Abs. 2 VwZVG sind Einwendungen nur zulässig, soweit die geltend gemachten Gründe erst nach Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsakts entstanden sind (z.B. Erfüllung, Verzicht oder Erlass) und mit förmlichen Rechtsbehelfen nicht mehr geltend gemacht werden können. Insbesondere die Rechtmäßigkeit des der Vollstreckung zugrunde liegenden Verwaltungsakts wird im Vollstreckungsverfahren daher nicht mehr geprüft.
Daher kann der Einwand der Klägerin, die von ihr geforderten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wären infolge ihrer Kündigung des Versicherungsverhältnisses zum 31. Oktober 2007 gar nicht mehr entstanden und hätten entsprechend auch nicht durch (feststellenden) Bescheid angefordert werden dürfen, nicht durchgreifen.
Im Übrigen wurde sozialgerichtlich bereits mehrfach und rechtskräftig festgestellt, dass die (freiwillige) Mitgliedschaft der Klägerin in der Krankenversicherung sowie die daraus resultierende Beitragszahlungspflicht fortbestehen und daher auch die Beitragsbescheide der Beklagten nicht zu beanstanden sind (vgl. SG Regensburg, Gerichtsbescheid v. 13.8.2008 – S 14 KR 136/08).
bb. Auch der von der Klägerin vorgebrachte Einwand der Verjährung der Beitragsforderungen greift nicht durch.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge grundsätzlich in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Jedoch hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs bis zu seiner Unanfechtbarkeit; nach Eintritt der Unanfechtbarkeit beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre (§ 52 Abs. 1, Abs. 2 SGB X).
Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte hier durch den Erlass ihrer Leistungsbescheide Gebrauch gemacht, so dass Verjährung der Versicherungsbeiträge nicht eingetreten ist.
Dabei hat das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Bescheide nicht zu prüfen; die 30-jährige Verjährung nach § 52 Abs. 2 SGB X tritt unabhängig davon ein, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist (Wehrhahn in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Sand: Juni 2016, § 52 SGB X Rn. 7, 10).
cc. Schließlich macht die Klägerin geltend, die Einziehung der Versicherungsbeiträge bedeute für sie eine unzumutbare Härte, so dass sie einen Anspruch auf Erlass der Beitragsforderungen habe; aber auch dieser Einwand führt nicht zum Erfolg.
Zweifelhaft ist, ob ein Erlassanspruch im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null wegen unbilliger Härte überhaupt geeignet ist, einen Einwand gegen eine Zwangsvollstreckung zu begründen; diese Frage kann hier aber dahinstehen.
Denn das Sozialgericht Mannheim hat in seinem Beschluss vom 27. Januar 2005 – S 9 KR 160/15 ER – unter Buchst. b ausgeführt, dass die Antragstellerin im Hinblick auf eine begehrte Stundung, Niederschlagung oder den Erlass der Beitragsforderung die maßgeblichen tatsächlichen Voraussetzungen aus § 76 Abs. 2 SGB IV in keiner Weise glaubhaft gemacht hat und andererseits der Beklagten auferlegt ist, die ihr zustehenden Einnahmen im Rahmen des solidarisch finanzierten Versicherungssystems vollständig zu erheben. Auf die Ausführungen dieses sozialgerichtlichen Beschlusses wird verwiesen. Ein Erlassanspruch ist somit nicht ersichtlich.
IV.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
V.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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