IT- und Medienrecht

Erfolgreiche Klage auf Erstattung zu Unrecht vollstreckter Planungskosten

Aktenzeichen  M 1 K 16.864

Datum:
22.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 113123
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwZVG Art. 26 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1
BayVwVfG Art. 35 S. 1, Art. 54 ff., Art. 61 Abs. 1 S. 1
BauGB § 11 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3

 

Leitsatz

1 Mit der Zusendung einer “Schlussrechnung” handelt eine Gemeinde zwar als Behörde und trifft in Form der Zahlungsaufforderung unter Fristsetzung auch eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls. Da diese aber nicht auf dem Gebiet des öffentlichen, sondern demjenigen des Privatrechts erfolgt, handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Verwaltungsakt liegt nicht vor, wenn eine Behörde – wie hier – einseitig und in einer dem Bürger so nicht möglichen Weise (hoheitlich) ein zwischen ihr und dem Adressaten bestehendes nicht öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis begründen, aufheben oder verändern will. (redaktioneller Leitsatz)
3 Bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nach Art. 54 ff. BayVwVfG zur Übernahme von Kosten und sonstigen Aufwendungen im Zusammenhang mit Planungskosten einer Gemeinde (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB) ist dieser ein unmittelbarer Vollzug nur dann möglich, wenn sich der Vertragspartner gemäß Art. 61 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat (Verweis auf BVerwG BeckRS 9998, 161639). (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine Gemeinde ist zwar berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen, doch ist Voraussetzung hierfür, dass die Geldforderung durch einen Leistungsbescheid geltend gemacht wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 9.769,75 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Januar 2016 zu bezahlen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
II.
Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch ist gemäß Art. 28 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) begründet, da die Überweisung dieser Summe aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten erfolgt ist, die diese zu Unrecht erlassen hat. Zudem erfolgte die Zahlung rechtsgrundlos, da die Beklagte auf die gezahlte Summe keinen Anspruch hat.
1. Gemäß Art. 28 Satz 1 VwZVG ist ein zu Unrecht gezahlter Betrag unter anderem zu erstatten, wenn zu Unrecht vollstreckt wurde, weil kein vollstreckbarer Verwaltungsakt vorlag. Die Beklagte hat in der Vorstellung, bei dem an die Klägerin übermittelten Schreiben vom … August 2013 handele es sich um einen Verwaltungsakt, Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet, indem sie am 30. November 2015 eine an die Klägerin gerichtete Vollstreckungsanordnung erlassen hatte. Ferner hat sie am 15. Dezember 2015 eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung gegen ein Kreditinstitut der Klägerin erlassen. Insbesondere in Ansehung der zuletzt genannten Verfügung hat die Klägerin an die Beklagte den geforderten Betrag am 18. Dezember 2015 gezahlt, allerdings unter dem Vorbehalt der Rückforderung.
2. Diese Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten erfolgten zu Unrecht im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 VwZVG, da ihnen kein vollstreckbarer Verwaltungsakt zugrunde lag. Zwar sind Gemeinden gemäß Art. 26 Abs. 1 VwZVG berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen, die sie durch einen Leistungsbescheid geltend machen, eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen, doch ist das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom … August 2013 kein solcher Leistungsbescheid (2.1). Dieser ist im vorliegenden Fall auch nicht durch die Vollstreckungsanordnung ersetzt worden (2.2).
2.1 Das von der Beklagten mit „Schlussrechnung“ bezeichnete Schreiben vom … August 2013 ist kein Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme ist, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Zwar handelt die Klägerin in diesem Schreiben als Behörde und trifft darin durch die Zahlungsaufforderung unter Setzung einer Zahlungsfrist eine Entscheidung zur Regelung des Einzelfalls der von der Klägerin geforderten Zahlung, allerdings nicht auf dem Gebiet des öffentlichen, sondern des Privatrechts. Die Erklärung der Klägerin vom … Oktober 2011 ist – unabhängig von der inhaltlichen Rechtsqualität dieser Erklärung (hierzu unten 3.) – nicht öffentlichen-rechtlicher Natur. Die Beklagte durfte deshalb aufgrund dieser Erklärung nicht ohne weiteres mit Erlass eines Verwaltungsakts in den Vollzug eintreten. Selbst bei Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nach Art 54 ff. BayVwVfG zur Übernahme von Kosten und sonstigen Aufwendungen im Zusammenhang mit Planungskosten einer Gemeinde (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 3 BauGB) wäre der Beklagten im Übrigen ein solcher unmittelbarer Vollzug nur dann möglich gewesen, wenn sich die Klägerin der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hätte (vgl. Art. 61 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG; hierzu BVerwG, U. v. 13.2.1976 – IV C 44.74 – BVerwGE 50, 171 – juris Rn. 26; Bonk/Neumann in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 61 Rn. 9). Um einen solchen, gemäß § 11 Abs. 3 BauGB der Schriftform unterliegenden öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt es sich aber bei der einseitigen Erklärung der Klägerin vom … Oktober 2011 nicht. Eine Reaktion der Beklagten hierauf erfolgte nur per E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur. Die Rechnungsstellung vom … August 2013 kann schon wegen des großen zeitlichen Abstands nicht als konkludente Vertragserklärung angesehen werden.
Ein Verwaltungsakt liegt nicht vor, wenn eine Behörde – wie hier – einseitig und in einer dem Bürger so nicht möglichen Weise (hoheitlich) ein zwischen ihr und dem Adressaten bestehendes nicht-öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis begründen, aufheben oder verändern will (Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 35 Rn. 209).
Das Schreiben vom … August 2013 stellt ein bloßes tatsächliches Verwaltungshandeln der Beklagten in Form einer zivilrechtlichen Zahlungsaufforderung an die Klägerin dar, aber keine Regelung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Gestalt eines Verwaltungsakts. Eine öffentlich-rechtliche, sei es vertragliche oder gesetzliche Rechtsgrundlage, die die Beklagte zu einem Eingriff in Grundrechte der Klägerin ermächtigen würde, ist nicht ersichtlich (vgl. BVerwG, U. v. 13.2.1976 – IV C 44.74 – BVerwGE 50, 171 – juris Rn. 24, mit Hinweis auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; vgl. auch BayVGH, U. v. 19.2.1987 – 3 B 85 A. 3539 – NVwZ 1987, 814). Eine gesetzliche Grundlage wäre an sich nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes bei Eingriffen, die die Verwirklichung von Grundrechten betreffen, notwendig (BVerfG, U. v. 14.7.1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 ff. – juris Rn. 131 ff., m. w. N.), liegt aber nicht vor. Ebenso wenig besteht eine über § 11 BauGB vermittelte vertragliche Grundlage nach den Regeln des öffentlichen Rechts (s.o.).
Die Beklagte hat in der Zahlungsaufforderung vom … August 2013 vielmehr lediglich auf das Schreiben der Klägerin vom … Oktober 2011 und auf eine darin enthaltene „Erklärung zur Übernahme der Kosten für die Planänderung“ Bezug genommen. Bereits der Rechtsbindungswille der Klägerin bei Abgabe dieser Erklärung ist zweifelhaft, weil sie ausdrücklich um Vorabinformation über die zu erwartenden Kosten gebeten hat. Auch ist die Erklärung keine dem Vorbehalt des Gesetzes entsprechende, ausreichende Rechtsgrundlage für einen hoheitlichen Eingriff in Eigentumsrechte der Klägerin. Deshalb handelt es sich beim Schreiben der Beklagten vom … August 2013 um eine Rechnungsstellung in einer privatrechtlichen Angelegenheit, die auch den Umständen nach nicht als öffentlich-rechtliches Zahlungsgebot mit Verbindlichkeitsanspruch kraft öffentlichen Rechts zu verstehen ist (vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 35 Rn. 72).
2.2 Die Vollstreckungsanordnung der Beklagten vom 30. November 2015 („Ausstandsverzeichnis“) ersetzt den fehlenden Leistungsbescheid nicht. Gemäß Art. 26 Abs. 1 VwZVG ist eine Gemeinde zwar berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen eine solche Anordnung zu erteilen, doch ist Voraussetzung hierfür, dass diese Geldforderung durch einen Leistungsbescheid geltend gemacht wurde, was im vorliegenden Fall – wie oben gezeigt – nicht geschehen ist. Die Frage, ob eine Vollstreckungsanordnung einen bestehenden Leistungsbescheid „ersetzen“ kann (vgl. hierzu: LG Detmold, B. v. 1.8.2014 – 3 T 108/14 – juris Rn. 2; hierauf bezugnehmend VG Augsburg, GB. v. 20.7.2016 – Au 7 K 14.145 – juris Rn. 51) kann daher offenbleiben.
3. Die Zahlung der Klägerin an die Beklagte erfolgte im Übrigen auch rechtsgrundlos, da die Beklagte auf den ihr am 12. Januar 2016 überwiesenen Betrag keinen Rechtsanspruch hatte. Ausschlaggebend hierfür ist, dass die Klägerin in ihrem Schreiben vom … Oktober 2011 an die Beklagte im Anschluss an den Satz „Die hierfür entstehenden Kosten für die Planungsänderung werden von uns übernommen“ die Bitte äußerte, ihr die Kosten „vorab zur Information“ mitzuteilen. Damit hat sie aus Sicht eines objektiven Empfängers des Schreibens zu erkennen gegeben, noch nicht verbindlich und uneingeschränkt eine Kostenübernahme für – ihr offenbar zu diesem Zeitpunkt der Höhe nach unbekannte – Planungskosten zu übernehmen. Dass die Beklagte ihr mit E-Mail vom … November 2011 eine Prognose zu Kosten für die Erstellung eines Schallschutzgutachtens übermittelte, ändert hieran nichts. Die Klägerin hätte aufgrund dieser Kostenprognose zwar nunmehr eine verbindliche Übernahmeerklärung im Umfang des in der E-Mail umschriebenen Kostenrahmens abgeben können, hat dies jedoch nicht getan.
III.
Aus diesen Gründen hat die Klage – soweit sie nicht zurückgenommen wurde – im tenorierten Umfang Erfolg. Während die Kosten des zurückgenommenen Teils der Klage gemäß § 155 Abs. 2 VwGO von der Klägerin zu tragen sind, fallen die Kosten des übrigen Teils der Klage der insoweit unterliegenden Beklagten zur Last (§ 154 Abs. 1 VwGO). Daher war eine verhältnismäßige Kostenaufteilung gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Klage insgesamt vorzunehmen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 19.539,50 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; hiernach waren die zurückgenommene Anfechtungsklage und die aufrechterhaltene Leistungsklage als Streitgegenstände mit jeweils selbstständigem materiellen Gehalt zu bewerten.).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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