IT- und Medienrecht

Erfolgreiche Nachbarklage gegen gaststättenrechtliche Gestattung – Lärmschutz

Aktenzeichen  RN 5 K 15.1176

Datum:
9.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GastG GastG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 12 Abs. 1, Abs. 3, § 23 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1, Art. 40
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
VwGO VwGO § 58 Abs. 1, § 74 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 4, § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Gestattung nach § 12 GastG stellt eine flexible Ausnahmeregelung für kurzzeitige gastronomische Tätigkeiten dar, die sich als Folge nicht alltäglicher besonderer Ereignisse darstellen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Was den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG anbetrifft, bedeuten die in § 12 Abs. 1 GastG genannten “erleichterten Voraussetzungen” insbesondere, dass bei der Festlegung der Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsschwelle die Seltenheit des Anlasses und seine Bewertung unter den Gesichtspunkten der Herkömmlichkeit und Sozialadäquanz und der allgemeinen Akzeptanz zu berücksichtigen sind. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Auflage nach § 12 Abs. 3 GastG ist inhaltlich unbestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, wenn der Betroffene nicht wissen kann, was er konkret zu tun hat und die zuständige Behörde die Auflage nicht kontrollieren kann. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2015 (Az. 1/11.2) rechtswidrig gewesen ist.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Entscheidung ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig.
Die Geltungsdauer der gaststättenrechtlichen Erlaubnis (1. bis 3. Mai 2015) war bei Klageerhebung abgelaufen. Die gaststättenrechtliche Erlaubnis hatte sich demnach vor Klageerhebung erledigt.
a) Die Klage wurde fristgerecht erhoben. Die Tatsache, dass die Gestattung bereits am 31. März 2015 erlassen, die Klage aber erst am 5. August 2015 erhoben worden ist, steht der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht entgegen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist ein Minus zur Anfechtungsklage und kann deshalb nur dann zulässig sein, wenn eine in der Sache erhobene Anfechtungsklage zulässig war. Bezogen auf die hier vorliegende Fortsetzungsfeststellungsklage aufgrund analoger Anwendung der Vorschriften für die gesetzlich geregelte Fortsetzungsfeststellungsklage bedeutet dies, dass die „analoge Fortsetzungsfeststellungsklage“ nur erhoben werden kann, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung eine Anfechtungsklage noch zulässig wäre, d.h. insbesondere wenn die Klagefrist noch nicht abgelaufen war (vgl. Decker, in BeckOK VwGO, Stand: 1. Januar 2017, § 113 VwGO, Rz 83 und 90.4). Für den Kläger hätte auch bei Erhebung der Anfechtungsklage nicht die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO gegolten. Die gaststättenrechtliche Erlaubnis vom 31. März 2015 wurde ihm gegenüber nicht bekannt gemacht. Mangels Bekanntgabe konnte ihm gegenüber auch keine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:im Sinne des § 58 Abs. 1 VwGO erfolgen. Die Anfechtung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis durch den Kläger hätte somit nicht binnen Monats-, sondern binnen Jahresfrist erfolgen müssen (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO). Diese Jahresfrist war am 5. August 2015 noch nicht abgelaufen.
b) Dem Kläger fehlt auch nicht das für die Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Das Gericht bejaht hier das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Der konkrete Anlass, aus welchem die gaststättenrechtliche Erlaubnis am 31. März 2015 erteilt worden war, ist zwar ein singuläres Ereignis. Bis zur nächsten Jubiläumsfeier der F* … dürften wohl mehrere Jahre vergehen. Da aber – bezogen auf ein Jahr – nach Angaben von Kläger und Beklagter an mindestens 15 Tagen Festbetrieb sei bzw. etwa zehn Erlaubnisse nach § 12 GastG erteilt würden, stellt sich die Nutzung der Festhalle im Rahmen von besonderen Anlässen als Gaststätte nicht mehr als singuläres, sondern als sich ständig wiederholendes Ereignis dar, bei dem lediglich der Anlass und der Erlaubnisinhaber, nicht aber die Räumlichkeit gewechselt werden. Eine Änderung der Situation bei den Geräuscheinwirkungen auf das Grundstück des Klägers ist bei den wiederkehrenden Erlaubnissen nach § 12 GastG nicht zu erwarten. Die angestrebte gerichtliche Klärung kann den Beteiligten als Richtschnur für ihr künftiges Verhalten dienen (vgl. BayVGH vom 13. Mai 1997, 22 B 96.3327, juris, Rz 17).
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, denn die Gestattung vom 31. März 2015 stellt sich als rechtswidrig dar und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die erteilte Gestattung wurde auf § 12 GastG gestützt. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GastG kann der Betrieb eines erlaubnisbedürftigen Gaststättengewerbes aus besonderem Anlass unter erleichterten Voraussetzungen vorübergehend auf Widerruf gestattet werden. Dem Gewerbetreibenden können jederzeit Auflagen erteilt werden (vgl. § 12 Abs. 3 GastG). Liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 GastG vor, nämlich der Betrieb eines erlaubnispflichtigen Gastgewerbes und ein besonderer Anlass, so steht die Erteilung der Gestattung im Ermessen der zuständigen Behörde („kann“), das nach Art. 40 BayVwVfG pflichtgemäß auszuüben ist. Die Gestattung kann dann – im Vergleich zur gaststättenrechtlichen Vollerlaubnis nach den §§ 2, 3 und 4 GastG – unter erleichterten Bedingungen erteilt werden, die sich auf alle für einen Gaststättenbetrieb maßgeblichen Anforderungen (z.B. mit dem Betrieb verbundene Umwelteinwirkungen) beziehen können, was wegen des vorübergehenden Charakters und der in der Regel nur kurzzeitigen Dauer der einer Gestattung unterliegenden Veranstaltung gerechtfertigt ist (vgl. VG Würzburg vom 3. Juli 2013, W 6 K 12.828, juris, Rz 32).
a) Der Beigeladene betrieb in der Zeit vom 1. bis 3. Mai 2015 in der Festhalle ein erlaubnisbedürftiges Gaststättengewerbe in der Form einer öffentlich zugänglichen Schank- und Speisewirtschaft. Die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 GastG greift nicht zugunsten des Beigeladenen, da es sich bei der Festhalle um keine Räumlichkeit handelt, bei der das äußere Merkmal der ausschließlichen, dauernden oder vorübergehenden Zugehörigkeit zum Vereinsbetrieb gegeben ist (vgl. VGH Bad.-Württ. vom 25. Oktober 1995, 9 S 2643/95, juris, Rz 3). Die Festhalle wurde nur kurzzeitig für die Feier des Jubiläums genutzt.
b) Die …-Jahr-Feier der F* … stellt einen besonderen Anlass im Sinne des § 12 GastG dar.
Ein Anlass ist ein besonderer, wenn er außergewöhnlich ist; häufig wiederkehrende Ereignisse ohne Ausnahmecharakter sind keine besonderen Anlässe. Allein die Kurzzeitigkeit einer beabsichtigten gastronomischen Tätigkeit genügt nicht, um einen besonderen Anlass zu begründen, denn auch eine Gaststättenerlaubnis kann nur für kurze Zeit erteilt werden. Die Erlaubnis nach § 12 GastG ist lediglich eine flexible Ausnahmeregelung für kurzzeitige gastronomische Tätigkeiten, die sich als Folge nicht alltäglicher besonderer Ereignisse darstellen (vgl. VG Würzburg vom 3. Juli 2013, W 6 K 12.828, juris, Rz 44, unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht). Die …-Jahr-Feier ist ein nicht alltägliches besonderes Ereignis.
c) Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige Anlagen – hierzu gehören sowohl Gaststätten einschließlich ihrer Freischankflächen als auch sonstige Flächen, auf denen durch eine Gestattung nach § 12 GastG eine von § 1 GastG erfasste Betätigung zugelassen wird – so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, verhindert werden. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG und § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG wiederholen und bekräftigen dieses Gebot. Wie sich u. a. aus der Erwähnung der „Nachbarschaft“ in § 3 Abs. 1 BImSchG ergibt, besteht das Erfordernis, schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden, nicht nur im Interesse des Gemeinwohls, sondern auch betroffener Einzelpersonen. Die vorstehend aufgeführten Normen besitzen deshalb drittschützenden Charakter (vgl. BayVGH vom 17. September 2014, 22 CS 14.2013, juris, Rz 4).
Was den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG anbetrifft, so bedeuten die in § 12 Abs. 1 GastG genannten „erleichterten Voraussetzungen“ insbesondere, dass bei der Festlegung der Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsschwelle die Seltenheit des Anlasses und seine Bewertung unter den Gesichtspunkten der Herkömmlichkeit und Sozialadäquanz und der allgemeinen Akzeptanz zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH vom 13. Mai 1997, 22 B 96.3327, juris, Rz 19).
Die Beklagte sah sich im konkreten Fall veranlasst, die allgemeine Auflage „Die Veranstaltung ist so durchzuführen, dass eine Belästigung der Nachbarschaft durch ruhestörenden Lärm vermieden wird.“ zu verfügen. Sie hat demnach von der Befugnis nach den §§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 12 Abs. 3 GastG Gebrauch gemacht. Der Beigeladene sollte die Veranstaltung so durchführen, dass die Nachbarschaft, also auch der Kläger, nicht durch ruhestörenden Lärm belästigt wird. Nicht dargelegt wird, was der Beigeladene konkret tun sollte, welche Lärmwerte er einhalten sollte. Die Auflage stellt sich somit als inhaltlich unbestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG dar, weil der Beigeladene nicht wissen konnte, was er konkret zu tun hatte, und weil auch die Behörden diese Auflage nicht kontrollieren konnten. Auch sie konnten nicht wissen, was sie kontrollieren sollten, denn auch ihnen war nicht bekannt, was der Beigeladene konkret zu tun hatte. Bereits wegen der inhaltlichen Unbestimmtheit ist die Auflage rechtswidrig.
d) Zudem stellt sich die Gestattung vom 31. März 2015 auch wegen fehlerhafter Ermessensausübung als rechtswidrig dar.
Die Beklagte bejahte im Rahmen der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung die Notwendigkeit einer Regelung zum Schutz der Nachbarschaft vor ruhestörendem Lärm. Dass die Notwendigkeit hierzu bestand und auch künftig bestehen wird, liegt angesichts der geringen Entfernung des klägerischen Wohnhauses von der Festhalle nahe.
Behördliche Ermessensentscheidungen sind gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob die Behörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, die für und wider die Regelung sprechenden Belange berücksichtigt, keine sachfremdem Erwägungen angestellt und die berührten Belange schließlich in nicht zu beanstandender Weise gewichtet hat (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Behörde ist verpflichtet, die wesentlichen Ermessenserwägungen darzustellen.
Gemessen an diesen Maßgaben ist die Ermessensausübung der Beklagten zu beanstanden.
Es ist z.B. nicht feststellbar, welche Lärmbelastung prognostiziert wurde, ob überhaupt Überlegungen der Behörde in Richtung Lärmschutz angestellt wurden, welche über die pauschal formulierte Auflage hinausgegangen sind. In welchem Umfang die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG vom 7. Mai 1996, 1 C 10/95) zur Problematik des Lärms durch die Gäste nach Verlassen der Festhalle in die Überlegungen der Beklagten Eingang gefunden haben könnten, ist nicht erkennbar. Das Gericht kann nicht einmal erkennen, von welchem Sachverhalt die Beklagte ausgegangen ist. Nicht nachvollziehbar ist auch, in welcher Weise die Beklagte das Schutzbedürfnis des Klägers mit den Belangen des Beigeladenen abgewogen hat. Aus den Akten ist nur feststellbar, dass lediglich für den 2. Mai 2015 die Betriebszeit abweichend von dem Antrag des Beigeladenen von 24.00 Uhr auf 23.00 Uhr verkürzt und zudem die streitgegenständliche Auflage verfügt wurden. Ein Grund dafür wurde nicht angegeben.
Abgesehen von der inhaltlichen Unbestimmtheit der o.g. Lärmschutzauflage ist nicht festzustellen, auf welcher Tatsachengrundlage und aufgrund welcher Erwägungen der nachbarschützende Lärmschutz gewährleistet werden sollte. Der Kläger hat als Nachbar einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei der Erteilung einer Gestattung nach § 12 GastG für die Festhalle nach pflichtgemäßem Ermessen Regelungen trifft, die ihn im Rahmen des geltenden Rechts vor nicht hinzunehmenden Lärmbeeinträchtigungen schützen. Dies war am 31. März 2015 nicht der Fall.
3. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beigeladene sich nicht aktiv am Verfahren beteiligt hat, besteht kein Anlass, dessen außergerichtliche Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO der unterliegenden Partei aufzuerlegen.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.

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